DER SPIEGEL Nr. 2 – Bedingt wehrhaft

Hans Magnus Enzensberger 1957 über den SPIEGEL nach dem Vorbild TIME Magazin: „Objektivität ist ein Kriterium, das auf die Story schlechterdings nicht anwendbar ist. Maßgebend für das Gelingen einer Story ist einzig und allein ihr Effekt.“

In Zeiten der Herausforderungen feiert der SPIEGEL seinen 70. Geburtstag. Es gehört zu den Ritualen, an die großen Tage zu erinnern. Wenn ich an dieser Stellen (fast) Woche für Woche meine Kommentare zum Blatt niederschreibe, so geschieht dies auch aus einer jahrzehntelangen Vertrautheit seit Studientagen. Eines muss man festhalten: Es wird kaum eine Pressestelle in Deutschland, kaum einen Bundestagsabgeordneten, kaum eine Vorstandsetage geben, kaum eine Redaktion, in der DER SPIEGEL nicht gelesen wird. Das gehört immer noch zum Ritual – ob wöchentlich als Blatt, oder mit immer aktuellen Inhalten verfügbar im Internet oder als App.

Glücklicherweise verlegt die Redaktion die Aufarbeitung der eigenen Geschichte auf eine DVD als Beileger. Allein ein Besuch von Literaturchef Volker Weidermann bei Hans Magnus Enzensberger, der seit 60 Jahren dem Blatt verbunden ist, gibt im Heft den kleinen Blick auf alte Zeiten frei. 1957 hatte der SWR einen Essay des jungen und damals noch unbekannten Autors veröffentlicht. Der Titel „Die Sprache des SPIEGEL“. Die Veröffentlichung erregte so viel Aufsehen, dass die Redaktion um eine Abdruckgenehmigung bat und Rudolf Augstein den engagierten Kritiker des Blattes für sich vereinnahmte. Was Enzensberger damals analysiert hatte, liest sich auch heute noch aktuell: Im Blatt befänden sich kaum reine Nachrichten, vielmehr „Stories“ nach dem Vorbild von TIME Magazin. Enzensberger damals: „Objektivität ist ein Kriterium, das auf die Story schlechterdings nicht anwendbar ist. Maßgebend für das Gelingen einer Story ist einzig und allein ihr Effekt.“ Weidermann präzisiert: „zurechtgestutzte Wirklichkeit, auf Effekt getrimmt, auf Personen zugeschnitten, auf Pointe“. Das liest sich wie eine aktuelle Analyse.

Auf Effekt getrimmt, auf Personen zugeschnitten ist die Titelgeschichte „SEK Politik“. Doch ihr fehlt die „Pointe“. Denn das hat sich geändert: Die Redaktion ist zwar in der Berliner Politik und in den Landtagen weitgehend gut bis sehr gut verdrahtet, nicht aber in anderen Milieus, die Einfluss auf das politische Geschehen haben oder mit diesen vernetzt sind. So ist die Titelgeschichte auf den politischen Ansatz zugeschrieben, wie immer in der Breite detailreich, aber in der Tiefe zu wenig gemessen an Zeiten, in denen der SPIEGEL eine Sicherheitsdebatte von der Spitze her führen konnte und an die er in der Titelgeschichte explizit erinnert. Die Vorschläge von de Maizière zur Sicherheitspolitik, mit der er viele überrascht hat, hat dieser zuerst in der FAZ veröffentlicht. Damit hatten die Tagesmedien die Nase vorn.
Die Diskussion über die Zentralisierung, von Sigmar Gabriel im SPIEGEL-Gespräch, als zeitaufwändige Umorganisation abgetan, ist berechtigt. Dass der Berlin-Attentäter unter 14 verschiedenen Personalidentitäten sein Unwesen trieb und dabei 16 sicherheitspolitisch involvierten Institutionen auffiel, zeigt, dass die Vorschläge de Maizières von hoher Relevanz sind. Die Anforderungen an ein stärker koordiniertes Vorgehen aller relevanten Stellen sind enorm gewachsen. Der Föderalismus auch in Fragen der inneren Sicherheit hatte seine Berechtigung und seine Verdienste. Die Bedrohungen haben sich gewandelt; damit müssen die Sicherheitskräfte neu aufgestellt werden. Wir alle haben die Jahrzehnte genossen, in denen wir uns keine Gedanken über unseren persönlichen Schutz im öffentlichen Raum machen mussten. Wenn das weiterhin ein schützenswertes Gut ist, dann muss alles Erdenkliche getan werden, um das zu erhalten – strukturell, gesetzgeberisch und in der Ausführung der bestehenden gesetzlichen Spielräume.

Ein Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Ereignisse, wie ihn die Linke fordert, wird diese Entwicklung eher behindern als befördern. Für die Grünen wäre es eine Falle. Zusammen mit der SPD und den Linken auch für die Sicherheit in Berlin verantwortlich, würde man sich vor den Karren einer Aufklärungsblockade spannen lassen. Im Wahljahr wird zählen, wem die Wähler in ihrem alltäglichen Sicherheitsbedürfnis vertrauen können.

Das hat auch Sigmar Gabriel erkannt. Im SPIEGEL-Interview „Merkel hat Verdienste“ überrascht er mit bisher ungehört deutlichen Aussagen. Es ist offensichtlich, dass die Behörden von Bund und Ländern besser zusammenarbeiten müssen. Auch die Justiz müsse sich Fragen gefallen lassen. Es könne nicht sein, dass wir einen Gefährder nach zwei Tagen entließen, obwohl man ihn bis zur Abschiebung 18 Monate in Haft hätte halten können. Dann setzt Gabriel noch einen drauf: „Salafistische Moscheen müssen verboten, die Gemeinden aufgelöst und die Prediger ausgewiesen werden. Und zwar so bald wie möglich“. Wenn das nicht Wahlkampfmodus ist.

Mein Wunsch zum SPIEGEL-Jubiläum mit Ulrich von Hutten: „Ich träume nicht von alter Zeiten Glück. Ich breche durch und schaue nicht zurück.“

Schauen wir mit Manfred Dworschak in die Zukunft: „In den Sternen“ berichtet er über Star Citizen, die spektakulärste Weltraumsimulation aller Zeiten. Die virtuelle Computerwelt zählt bereits hunderttausende Fans, die in einem eigens geschaffenen Computer-Universum ein neues virtuelles Weltall mit künstlichen Sonnensystemen mit ihren Raumschiffen und Schlachtschiffen erforschen.

Für alle, die noch nach einer Glücksformel für das junge Jahr 2017 suchen: Vor vielen Jahren fanden die philippinischen Brüder Artur und Jojo bei einer zunächst unbefriedigend verlaufenen Fangfahrt im Südchinesischen Meer die größte Perle der Welt. Bis heute sehen sie in dem Fund ihren Glücksbringer. Und obwohl ein Verkauf des mehr als 34 kg schweren, 67 cm langen und 30 Zentimeter breiten Schatzes 100 Millionen Dollar bringen würde, wollen sie ihn nicht verkaufen. Denn Glück, so ihre feste Überzeugung, darf man nicht verkaufen.

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