Die Titelgeschichte „DAS BEBEN Europas Scheitern“ ist an diesem Samstag perfekt plaziert. Kann es doch sogar jenes Wochenende sein, das man nach Hans-Werner Sinn für einen Grexit braucht. Dass mich immer stört, wenn Europa stillschweigend auf die EU reduziert wird, schmälert die treffende Beobachtung der Autoren nicht: „Doch heute wirkt … dieses einmalige historische Projekt, als wäre es unter die Kleinkrämer gefallen. Es wird gefeilscht und gestritten …“. Und in einem Satz steckt die ganze Quintessenz: „Es sind Phänomene, die einzeln vielleicht beherrschbar wären, die kombiniert jedoch das Potenzial haben, den idealistischen Gehalt des europäischen Projekts zu zerstören.“
„Ein Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion könnte viele Skeptiker überzeugen, dass eine stärkere Integration der EU sinnvoll ist. Bis dahin ist es noch ein weiter, schwieriger Weg. Doch eine Alternative gibt es nicht …“ Gegen Alternativlosigkeit bin ich hochgradig allergisch, diesen Pollenflug sollte kritischer Journalismus nicht mitmachen. Aber die Autoren der Titelstory verlangen von uns ja nicht, dass wir alles unterschreiben. Nicht weil David Cameron den bisherigen Konsens der Präambel des EU-Vertrags, „eine immer engere Union“ infrage stellt, ist Weiterwursteln die falsche Alternative. Sondern weil die Kluft zwischen der Union als Elitenprojekt und der Identifikation der Bürger mit dem europäischen Projekt geschlossen werden muss, soll das SPIEGEL-Szenario nicht eintreten: „Die Generation des Nachkriegseuropa – in Frieden und Wohlstand geboren und aufgewachsen – läuft Gefahr, ohne große Not bei der Abwicklung des europäischen Projekts und der Entwertung der europäischen Idee mitzumachen oder auch nur zuzusehen. Es wäre ein historisches Versagen.“
…und das sind unsere Sonntags-Noten von 1 bis 6:
1 Sofort abonnieren 2 Sofort zum Kiosk und kaufen 3 reicht auch nächste Woche noch 4 ignorieren 5 Abo kündigen/kommt mir nicht ins Haus 6 Braucht man nicht
Welche anderen Wege es geben kann, dazu können viele ihre Gedanken beitragen. Die Titelstory enthält mehr als genug, um das gut ins Bild gesetzt tun zu können. Ich werde sie sicher mehr als einmal lesen und noch länger aufbewahren. Wer nicht im Grexit-Film ist, dem hilft das Video der drei Griechenland-Szenarien. Direkt-Code zur App und Internet-Link sind eine gelungene Verknüpfung.
Die Seiten über Aufrüstungspläne in Moskau und Washington, den Banker-Spruch der höchsten EU-Richter und das Hintertreiben des milliardenschweren Schiedsverfahrens um die Lkw-Maut durch Daimler und Telekom auf Kosten der Steuerzahler gehören eigentlich mit zum Bild des drohenden Scheiterns der Kleinkrämer. So ist es auch mit der „Agenda eines Untergangs“ vom nicht gehaltenen Versprechen eines Masterplans zur Lösung der Flüchtlingskatastrophe: „Ein großer humanitärer Wurf könnte die Existenz der EU neu rechtfertigen. Aber sie vergeigt auch diesen Test.“
Den Sparkassen „als fairer Partner in einer ansonsten verkommenen Bankenwelt“ schreibt der SPIEGEL ins Stammbuch, sie sollten „schlicht ihre neue Strategie beherzigen … Kundenzufriedenheit soll demnach oberstes Ziel sein, Rendite und Kosten sollen nur noch eine nachgeordnete Rolle spielen. Nähmen der Verband und seine Schäflein ihr Mantra ernst, müssten sie ihre Kunden fairer beraten, ihr Produktangebot verbessern und ihre oft überzogenen Gebühren senken, mit denen sie ihren ineffizienten Apparat durchfüttern. Doch davon sind die Sparkassen weit entfernt.“
„Die stille Revolution“ für Frauen in Saudi-Arabien, die nun in Läden und Büros arbeiten dürfen: keine Story, die überall steht. Das gilt auch für „Der Flugzeugflüsterer“, wie deutsche Wissenschaftler Flugzeuge leiser machen: mit Gegenschall in den Triebwerken.
In „Berlin Sodom“ erfahren wir: „Das moderne Schwulsein ist eine Berliner Erfindung.“ Der Blick auf die Erzählung des US-Historikers Robert Beachy, „wie dort schon zu Kaisers Zeiten eine Subkultur ihr Selbstbewusstsein fand“ macht eine andere Dimension des Homo-Themas auf.
Zu guter Letzt kann, wer will, in dieser Ausgabe mein Schmunzeln über eine Koinzidenz auf Seite 6 teilen: Angela Merkel und eine Lady auf dem Foto „Schwule Hauptstadt“ aus dem Berlin zu Beginn der 1900erJahre sehen sich recht ähnlich – köstlich.
Die Umstrukturierung des Blattes tut ihm gut. Die Hausmitteilung sagt, wer das Heft von vorn liest, „findet jetzt schneller hinein“. Das stimmt. Ich finde die Verteilung der längeren, kürzeren und kurzen Stücke gelungen – irgendwie jünger.
Die Titelstory muss man vor Montag gelesen haben. Schon deshalb, aber auch der meisten anderen Beiträge wegen gibt es die
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