Weil immer mehr Schulkinder das Zifferblatt einer Uhr nicht mehr deuten können, wechseln englische Schulen die Uhren aus. Digitale Zeitanzeiger sollen für Klarheit sorgen. Die aber müsste auf ganz andere Weise gesucht und gefunden werden. Die Hoffnung: Noch haben wir die Möglichkeiten dazu.
Die Nachricht aus England kam nicht am 1. April, sondern danach. Dies sei vorweggeschickt, denn für einen Aprilscherz wird ein mitteleuropäischer Bildungsbürger die Nachricht halten, dass englische Abiturienten die analoge Uhr nicht mehr interpretieren können. Und nicht mehr sicher und ohne Nachdenken einen Stift zur Hand nehmen können, um damit zu schreiben. Dies als Proömium.
Die digitale Welt verändert die Wahrnehmung schleichend, aber nachhaltig. Für Menschen, die analog erzogen wurden, die selbstredend ein Schönschreibheft hatten und sich bereits als Zweitklässler zwischen einem Füllfederhalter von Pelikan und einem von Geha unterscheiden mussten, ist dieser unmerkliche Wandel nicht dramatisch. Sie erkennen hier eine zusätzliche Kulturtechnik, die sie allmählich erlernen. Ihr Blick auf eine digitale Uhr ändert nichts am Verständnis der Ganges von Stunden- und Minutenzeiger. Und die Nutzung eines Kugelschreibers aus chinesischer Produktion ändert für sie nichts daran, dass sie ausschließlich ihren schweren Füller mit 14-Karat-Goldfeder – den sie im vierten, fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt natürlich ihr eigen nennen – für wichtige Unterschriften und für längere, handgeschriebene Briefe und Traktate benutzen.
Was aber ist mit den Jüngeren, die in der Grundschule mit „Schreiben nach Gehör“ traktiert wurden, die mit dem Finger auf einer interaktive Glasscheibe eines Computers malen durften, damit eine Software, die in dem dazugehörigen elektronischen Bauteil arbeitet, aus dem Gekrakel einen Buchstaben erkennt? Was ist mit denen, die in ihrer Schullaufbahn niemals auch nur zwei oder drei Seiten am Stück unter Leistungsdruck handschriftlich zu Papier bringen mussten, weil es „mutiple choice“ gab, also Kästchen zum Ankreuzen? – Was mit diesen jungen Leuten passiert, erleben wir in Großbritannien. Dort schaffen immer mehr Schulen die analogen Uhren ab, weil die Schüler sie schlichtweg nicht mehr lesen können. Das flache Gerät aus chinesischer Produktion, auf dessen Glasscheibe man seine Wünsche durch Berührungen mit dem Finger manifestieren kann, hat schließlich auch eine digitale Anzeige, aus der Stunden und Minuten abgelesen werden können.
Es geht dabei nicht allein darum, dass die Schüler ihre Lese- und Abstraktionsfähigkeit verloren haben. Die fehlenden Informationen führen dazu, dass sie ihre Zeit nicht planen können. Während der immerhin noch zum Lehrplan gehörenden Leistungsüberprüfungen in Form von „Tests“ wissen sie nicht, wie viel Zeit sie noch haben. Die Umdrehung eines Uhrzeigers können sie ihrem noch zu bearbeitenden Pensum an Aufgaben nicht mehr korrekt zuordnen. Und das betrifft sogar Schüler, die in ihren Abschlussexamen stehen, wie der britische Dailywire berichtet: „Students taking the GCSE and A-level exams were complaining that they couldn’t read the time.“ Doch anstatt hier mit pädagogischer Nachhilfe zu beginnen, ändern die Schulen die Uhren, die Leistungsüberprüfungen können durchgeführt werden. Was dabei übersehen wird: Das Herabsetzen bestimmter Voraussetzungen zur Erlangung des positiven Zeugnisses entwertet ebendieses. Aus dem Sportunterricht bietet sich folgender Vergleich an: Wenn beim Hochsprung die auf einer bestimmten Höhe aufgelegte Latte liegenbleiben soll, können die Schüler entweder darüberspringen – oder darunter durchgehen.
Nicht weniger bedenklich ist im übrigen die drastisch abnehmende Fähigkeit, sich mittels der Bewegungen eines Stiftes auf Papier auszudrücken. Denn dazu bedarf es einer Menge Übung: „To be able to grip a pencil and move it, you need strong control of the fine muscles in your fingers. Children need lots of opportunity to develop those skills,” sagt dazu Sally Payne, eine englische Kinderärztin. „It’s easier to give a child an iPad than encouraging them to do muscle-building play such as building blocks, cutting and sticking, or pulling toys and ropes.” Mit den elektronischen Spielzeugen, auf die bereits kleine Kinder täglich stundenlang starren, wird also verhindert, dass sich Fingerfertigkeit, Raumgefühl und Geschicklichkeit ausbilden können.
Frühkindliche Beschäftigungen wie das Malen eines Bildes oder das Bauen eines Turmes mit Holzklötzen sind wichtig, um die grundlegenden Fähigkeiten zu vermitteln, die später benötigt werden, um einen Stift zu halten – um beim einfachsten und ersten Schritt zu bleiben. Von den Fähigkeiten eines Mikrobiologen oder einer Goldschmiedin ganz zu schweigen.
Doch das Problem ist nun erkannt. Unter der Voraussetzung, dass eine Mehrheit der Bildungspolitiker sich darauf verständigen kann, das verpflichtende Schönschreiben wieder einzuführen, die Nutzung von elektronischen Hilfsmittel auf eine Minimum zu reduzieren und natürlich spielerisch den Umgang mit Kulturtechniken wie der analogen Uhr zu trainieren – unter diesen Voraussetzungen ist das Dilemma schnell binnen eines Jahrzehnts behoben. Das wird die Hersteller elektronischer Zeitfresser nicht freuen. Unsere Kinder werden uns umso dankbarer sein.
Indes: eine unheilige Koalition von Feinden des mitteleuropäischen Bürgertums wird wohl dafür sorgen, dass dieser Vorsatz sich nur stellenweise in die Tat umsetzen lässt. Als Anschlag auf die Bildung sind die Parteiprogramme von Grünen, Linken und SPD zu werten – leider lässt sich hier keine höfliche Umschreibung mehr finden. Und viel zu groß sind die Kompromisse, die ein falschverstandener Liberalismus in der bürgerlichen Bildungspolitik vorgibt, wobei die liberale Partei selbst sogar gute Ansätze in puncto Leistungsförderung und beim Erhalt von Lateingymnasien zeigt, dafür gibt es konkrete Beispiele. Die wirkliche Hoffnung aber ruht auf den Konservativen im Lande. Der Blick geht zu konfessionsgebundenen Schulen und humanistischen Gymnasien. Und natürlich steht auch eine Anzahl von Privatschulen bereit – Kinder, die nicht aus gutbetuchtem Elternhaus kommen, benötigen hier eine Art Stipendium. Aber das ist nicht unerreichbar. Es wird dann vielerorts so sein wie im 18. Jahrhundert. Angehörige des Bildungsbürgertums, einer kleinen Gruppe, erkannten und empfahlen begabte junge Leute an die Institute höherer Bildung. Das Weimar der Klassik, das denjenigen unter uns, die eine analoge Uhr lesen können, durch Goethe und Schiller bestens vertraut ist, dieses Weimar war eine Personengesellschaft von rund 3.000. Es besteht also noch Hoffnung.
Das „Gute vom Tage“ ist die Erkenntnis, dass es auch in Zukunft einige Schulen im Lande geben wird, in denen noch Leistungskursklausuren geschrieben werden, die 16 handgeschriebene Seiten umfassen und für die vier Zeitstunden veranschlagt werden. Notfalls auch gegen den Willen der Kultusbürokratie. Doch es bleibt nicht viel Zeit. Die digitale Uhr ist viel weiter vorangetickt, als es auch mancher konservative Bildungspolitiker wahrhaben will. Nur, wenn unsere Kinder Cicero von Citizen sicher unterscheiden können, hat Europa überhaupt eine Chance, als Gemeinschaft von Völkern zu überleben, die in Wohlstand und Frieden leben.
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Die Uhr ist weg und dann passiert das:
Ein Kind kommt abends nach Hause und heult. Das Kind erzählt den Eltern, dass es in der Schule kein Mittagessen mehr bekommt. Die Mutter fragt:“Wieso?“ Das Kind antwortet: „Die Lehrer haben gesagt, dass es ab morgen das Mittagessen jeden Tag nur noch halb 12 geben soll. Das habe ich mit dem Handy ausgerechnet. Die Hälfte von 12 ist doch 6. Um 6 liege ich doch noch im Bett und schlafe. Da kann ich doch kein Mittagessen essen.“ heul, heul heul….
Ich empfehle den Film „Idiocracy“.
Wie sagte neulich Dier Nuhr so schoen: Beherrscht du 50% des Alphabets kannst du in Deutschland Lehrer werden.
Ich bin sicher das er das mit dem ‚Beherrschen‘ nicht so genau meinte.
Sicher, dass er das und Dieter (?) Nuhr sowie beherrschst du 50% des Alphabets, kannst du…zum Lehrer reicht es? Meinen Sie? Oder sollte man sich die das/dass Schreibung, die Komma-Setzung und das Konjugieren noch mal ansehen?
Leerer?
Ich halte das ganze Geschrei nach „Digitalisierung“ der Schulen (jedenfalls in den unteren Klassen) genau aus solchen Gründen für völlig unnötig, wenn nicht gar für schädlich.
Platt gesagt: Weder Gates noch Jobs noch Zuckerberg dürften Tablets im Schulunterricht benutzt haben, Konrad Zuse auch nicht… Die konnten und können aber alle einen Stift richtig halten und eine Uhr ablesen.
Auch unter uns fallen mir immer mehr Mitbürger auf, die ganz offensichtlich Mühe mit dem Schreiben und Lesen haben, aber eine analoge Luxus Armbanduhr als selbstverständliches Statussymbol für sich in Anspruch nehmen.
Tja, man könnte meinen, da hat jemand (eine globale Elite, wer auch immer) ein Interesse daran, die Europäer auf das Niveau mittelalterlicher Analphabeten zurückzubringen – wobei der Vergleich hinkt, denn diese Analphabeten waren in ihrem damaligen Umfeld alltagstauglich. Wer heute nicht mehr richtig mit der Hand schreiben und als Abiturient keine Uhr lesen kann, ist es aber eher nicht. Nur verstehe ich nicht, was dieser „jemand“ davon hätte. Dass man damit eine hoch manipulierbare Gesellschaft erschafft (was für einige sicher nützlich wäre), ist das eine, aber das andere ist doch, dass auf diese Weise die Kulturtechniken, die unseren Wohlstand und… Mehr
Wenn man Wirtschaft als ein Nullsummenspiel begreift und das kann man durchaus, wenn man einmal die Endlichkeit von Ressourcen und Wachstum mit bedenkt, dann ist der Schaden des Einen der Gewinn des Anderen. Darüber hinaus lassen sich in jeder Hinsicht arme Menschen, was die Bildungsarmut als wichtigen Mediator mit einschließt, sehr bequem ausbeuten. Dieses Vorgehen kann durchaus als Kulturtechnik, die ich spontan in die Tradition des Kolonialismus stellen würde, verstanden werden. Diese entstand nicht erst in der Renaissance, sondern wurde auch schon von den Römern praktiziert. Länder zu überfallen, sie zu destabilisieren und im nächsten Zug zu kontrollieren und auszubeuten,… Mehr
Den Diktatoren, die hochmanipulierbare Individuen benötigen und anstreben, sind sowohl die Kulturtechniken egal als auch der allgemeine hohe Wohlstand und unser bisher friedliches Zusammenleben. Es sind grün-rote Diktatoren. Und das einzige, was ich nicht verstehe ist, dass offenbar nur die wenigstens Normalmenschen begreifen, was da vor sich geht im Merkelianischen Deutschland – Neo-Sozialismus, in dem eine breite Idiotenmehrheit mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ruhiggestellt wird zugunsten einer aggressiven Machtelite.
Keine Bange, mir hat mal ein Engländer gesagt: „the more stupid they are the better for us“. Wer nun „they“ ist und wer „us“ – soll sich jeder selber zuordnen, please.
VORAB: Ich bin nun wirklich Keiner der an Chem-Trails glaubt!!! Kein Verschwörungstheoretiker ganz sicher nicht!!! Aber: Wenn man mal die oben beschriebenen Einzel-Szenarien (s.o. Uhr, nicht mit der Hand schreiben können, Sinn u. Zusammehänge eines Textes zu erkennen) im Zusammenhang betrachtet mit z.B. der Unfähigkeit all die Inkonsistenzen einer „Klimawende“ zu erkennen, samt der Verdammung all dessen was nicht(!) stramm grün-links gleichgeschaltet ist dann wird sowohl die „Schiene“ deutlich auf der der „Zug“ fährt samt dessen Richtung. – Unsere Gesellschaft, speziell deren grundsätzlich leicht zu manipulierende Jugend (aber nicht nur der) wird im Namen „linker Modernität und angeblich ganz neuer… Mehr
Der Artikel passt gerade zeitlich gut (man verzeihe mir das schlechte Wortspiel).
Meine Frau erklärt unserer Kleinen tatsächlich erst seit gestern, wie das Ziffernblatt einer Uhr gelesen wird.
Nach nur einem Tag Übung funktioniert das schon ziemlich gut. Von daher fällt es mir schwer daran zu glauben, dass ein Abiturient damit Probleme hat.
Wenn niemand da ist, der dem angehenden Abiturienten das je erklärt – und abverlangt! – hat, dann kommt das schon hin.
Bei allem zwischen Horror und Schadenfreude changierendem Schauer, den die Geschichte in mir erzeugt, was ich durchaus als angenehme Stimulation empfinde, weshalb ich auch sehr gerne „Tichy“ lese, möchte ich doch anmerken, dass ein Dr., der sich über den Verlust von Kulturtechniken erregt, doch ein wenig auf die Satzstellung achten bzw. das nochmalige Durchlesen seines Textes vor Veröffentlichung beherzigen sollte. Das möchte ich in aller Bescheidenheit aber keineswegs einschränkend für die Sympathie, die ich für den Text und den dahinterstehenden Gedanken empfinde, verstanden wissen.
Kann Ihren Kommentar gut nachempfinden! Sehe es auch so, einschließlich der Sympathie für den Text und den Gedanken dahinter! Ich bitte alle, die sich zu Recht Sorgen um den Verlust der Kulturtechniken machen, beherzigt den Rat, als erstes eure eigenen Texte auf Fehler zu überprüfen! Flüchtigkeitsfehler schleichen sich immer mal wieder ein, aber was selbst bei ansonsten überaus klugen Kommentaren an Rechtschreib-, Grammatik- und Kommafehlern zutage tritt, ist für einen Freund der deutschen Sprache oft nicht zu ertragen! Musste ich jetzt mal loswerden! (Hab meinen eigenen Kommentar jetzt mehrfach überprüft, hoffe, er ist fehlerfrei… 🙂 )