Berlin: „Ich kann es nicht fassen. Was geht hier vor?“

Weil er einen lauten Sitznachbarn höflich bittet, etwas ruhiger zu sein, wird ein 77-jähriger Professor von einer „Meute“ heftig angepöbelt und als „Schwein, Wichser, Arschloch“ beschimpft – und der Ruhestörer gleich mit, weil er verständnisvoll auf die Bitte des „alten weißen Mannes“ reagiert hat. Der Professor versteht die Welt nicht mehr.

© Clemens Billan/AFP/Getty Images

Geht es Ihnen auch manchmal so? Sie erzählen eine gruselige Geschichte aus Ihrem Alltag – und Sie ernten als Reaktion ein kopfschüttelndes „das ist aber ein Einzelfall“ – bloß nicht verallgemeinern? Oder sie werden gar angegriffen – und der Zorn des Zuhörers richtete sich nicht auf den Übeltäter – sondern gegen den, der auf ihn hinweist. So erging es mir vor anderthalb Jahren, als ich Zuhause in Charlottengrad (bürgerlich Charlottenburg) in einen dreisten Fahrradklau involviert wurde, der völlig anders ausging, als man es gewöhnlich von Fahrraddiebstählen erwartet. Die Frau, die ihn verhindern wollte, wurde bedroht und als „Nazi“ beschimpft – und ich gleich mit, als ich ihr helfen wollte. Später bezog ich auch in den sozialen Netzwerken massiv Prügel, wo ich über den Vorfall berichtete. (Details siehe hier und hier). Ein Kommentator meinte damals gar, ich ginge „Putin auf den Leim“ – weil ich Missstände in Berlin kritisiere (fragen Sie mich jetzt bitten nicht nach dem logischen Zusammenhang zwischen Putin und einem Fahrraddiebstahl in Charlottenburg – vor Verschwörungstheorien ist offenbar kein politisches Lager sicher).

Die „Bild“ griff den Vorfall auf, befragte Anwohner über die Situation in der Gegend. Fazit bei allen befragten: Es wurde viel unsicherer. Die Polizei sagte dagegen das Gegenteil – weniger Anzeigen (siehe hier). Widerspruch gab es dazu von Hannes Adomeit, Nachbar, Professor und renommierter Osteuropa-Experte: „Ein Gefühl der Rechtsunsicherheit, das in den Berliner Zeitungen den „vielen“ Bürgern zugeschrieben wird, teile ich – trotz des beschriebenen Vorfalls – nicht“, schrieb er. Und lobte später Harmonie in Berlin.

Umso mehr überraschte, ja erschütterte mich die Mail, die ich heute von Professor Adomeit erhielt – und mit seiner Erlaubnis hier wiedergebe:

Lieber Boris,

wir sollten uns mal wieder zum Info-Austausch treffen. Dieses Mal aus Anlass einer Begebenheit, die mich total schockiert hat und die mich an Deinen Bericht darüber erinnert, als Du gegen einen versuchten Fahrradklau in Charlottenburg vorgehen wolltest.

Worum geht es?

Ich bin gerade – noch ziemlich benommen – von der Kreuzung Pestalozzistraße/Wilmersdorferstraße zurückgekommen.

Auf der Kreuzung saß ein Schwarzafrikaner, der ein großes Schachbrett mit Figuren vor sich hatte und einige Zeichnungen. Aber er hatte auch ein Stereogerät, das so laut war, dass ich mich nicht auf einen Artikel, an dem ich gerade sitze, konzentrieren konnte.

Ich hatte ihn höflich gebeten, die Lautstärke herunterzufahren.

Er hatte erst einmal gar nicht die Gelegenheit zu antworten. Da schrie mich eine Meute von vier bis fünf umstehenden Passanten an, zwei oder drei mit undefinierbarem Migrationshintergrund: Du Schwein, Wichser, Arschloch, er dürfe da „Musik machen“, was fiele mir denn ein … ,, Blödmann, Schwachkopf …

In derZwischenzeit hatte der Stereobetreiber die Musik leise gestellt.

„Mach die Musik wieder laut!“, wurde er angefahren.

Eine Frau beugte sich nieder und suchte tatsächlich nach dem Lautstärkeknopf, um ihn wieder auf volle Lautstärke zu drehen.

Ein anderer Gaffer packte mich an den Schultern und schrie mich an.

Die Ironie der Geschichte: Der Schwarzafrikaner war total friedlich. Auf English: “Don’t worry about it. I well understand. Don’t mind these people.”

Ich kann es nicht fassen. Was geht hier vor?

Professor Adomeit ist Jahrgang 1942, seine Umgangsformen sind mehr als gepflegt und er ist das Gegenteil eines Heißsporns. Dafür, dass er sich höflich und zivilisiert verhielt, würde ich die Hand ins Feuer legen.

Ich musste seine Mail gleich dreimal durchlesen. Und sie geht mir nicht aus dem Kopf.

Was soll ich dem Professor antworten? Was hier vorgeht, ist der Zerfall eines Rechtsstaates. Das tolerierte, ja teilweise geförderte Ignorieren von Regeln. Das triumphierende Kapitulieren gegenüber Grenzüberschreitungen.

Als ich meine Kolumne „Berlin extrem – Frontbericht aus Charlottengrad“ hier auf Tichys Einblick startete, hatte ich bereits eine große Materialsammlung angelegt. Dass sich die Kolumne jetzt quasi von allein schreibt und ich nur Briefe, die ich bekomme, wiedergeben muss, hätte ich mir nicht träumen lassen.

Meine spontane Idee. Die Probe auf´s „Einzelfall“-Exempel machen. Denn gefühlt, den vielen Geschichte zufolge, die ich höre, sind Erlebnisse wie das von Professor Adomeit und mir alles andere als Ausnahmefälle. Wer also selbst Erlebtes beifügen kann, den bitte ich höflich, das in den Kommentaren zu tun. Ich werde es dann zumindest teilweise aufgreifen. Denn mein Verdacht: Nicht nur Berlin ist so extrem, (ein bisschen) Charlottengrad ist überall.


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Kommentare ( 235 )

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235 Comments
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Demokratius
5 Jahre her

Ein Beispiel zum Sinneswandel nach eigenem Erleben: In einer Diskussion sagte einer in der Runde, er wolle unser Gemecker über das Verhalten von Migranten nicht mehr hören. Drei Wochen später, nachdem er sich mit ansehen musste, wie zwei Schwarzafrikaner sein Auto geklaut haben, konnte er mit seinen Schimpftiraden nicht mehr aufhören und sich gar nicht mehr beruhigen. Deutsches Sprichwort sagt : „Aus Schaden wird man klug“.

Monart
5 Jahre her

Ich bin schon längst weg und zwar in Kolumbien. In einer tief katholischen Gesellschaft lebe ich und genieße den Schutz derselben. Keine Kopftücher weit und breit. Frauen sind hier noch Frauen (und wie….!!!!) und Männer sind richtige Kerle, keine Weicheier. So wie das früher bei uns war.

Skeptiker
5 Jahre her

Nein – DIESE Regierung muss da bleiben. DA und nirgendwo sonst gehört sie hin. „Gleich und gleich gesellt sich gern“ und „Pack … verträgt sich.“

Skeptiker
5 Jahre her

Ja, das ist leider schon seit mindestens 20 Jahren so, dass nicht derjenige Kritik auf sich zieht, der Dreck, Lärm oder sonst etwas tadelnswertes macht, sondern der, der darauf hinweit, womöglich sogar dagegen protestiert. Es ist hat sich offenbar eine vollkommen übersteigerte Vorstellung von individueller Freiheit breit gemacht. Was diese Leute, die gegen berechtigten Protest protestieren oder kämpfen tun, wenn sie selbst von anderen beeinträchtigt werden, weiss ich nicht. Aber wenn ich die Verwahrlosung vieler öffentlicher Orte speziell im linken Umfeld (besetzte Häuser etc.) sehe, dann ahne ich es: Die fühlen sich durch überhaupt nichts gestört als durch Schönheit, Sauberkeit… Mehr

Wahrheit
5 Jahre her

Verwahrlosung wo man auch hinschaut. Wenn der Michel endlich aufwacht, ist Deutschland zerstört.

survivor
5 Jahre her

Dieses Land wird zu einem Shithole mit seinen illegalen Ausländern und seinen linken Transferempfängern, ganz vorne weg: Berlin.

RauerMan
5 Jahre her

So ist das eben in einem Staat wo Unrecht sich zum gelebten Recht entwickeln kann.
Die inzwischen über Gebühr begünstigten Leute, Inländer wie Ausländer, machen sich über Gesetze, Gesetzmäßigkeiten und normalen Anstand lustig.
So etwas kennt man aus sich allmählich auflösenden Staaten, oder Anarchien.
Hätte niemals geglaubt, daß so etwas in Mitteleuropa möglich ist.
Gegensteuern, d.h. richtig wählen, nur so begreifen es die Politiker/Realitätsverweigerer welche den Kopf in den Sand stecken und uns weismachen wollen, daß alles nicht so schlimm sei, bzw. die Dinge noch beschleunigen.

Petra Horn
5 Jahre her

Es ist das Stockholm-Syndrom oder die Identifizierung mit den jeweils Mächtigen.
In Nordafrika werden Mädchen grausam verstümmelt und zwar von Frauen, die selber grausam verstümmelt wurden. Man redet es sich schön, aber eigentlich hat man panische Angst gegen das System aufzubegehren, zum Aussätzigen, Sündenbock und bösen Menschen zu werden.

sven69
5 Jahre her

Wer schon immer mal wissen wollte wie 1933 und das Entstehen einer Diktatur überhaupt möglich war hat jetzt die Gelegenheit es sozusagen vor der eigenen Tür und am eigenen Leib zu erleben. Diesmal durch den Terror von links.

Kassandra
5 Jahre her
Antworten an  sven69

Das scheint auch damals „Terror von links“ gewesen zu sein, wenn man es von allen Seiten gut betrachtet.

Sonja Dengler
5 Jahre her

Erlebter Einzelfall: ich sprach eine junge Frau auf dem Gehweg an, die sichtbar schwankte und weinte und gleichzeitig ins handy sprach. Sie machte einen sehr mitgenommen Eindruck und übergab mir schließlich das handy: ihr Bruder am anderen Ende erklärte mir, dass sie soeben an der roten Ampel aus dem Auto gezerrt (von 3 Asylanten), auf den Boden geworfen wurde und dann sind die 3 Männer abgebraust. Alle Papiere waren natürlich im Auto. Das handy war in ihrer Jackentasche und so konnte sie die Polizei rufen, die auch bald kam. Das sei ein „Alltagsdelikt“ und sie solle froh sein, dass sie… Mehr

Bummi
5 Jahre her
Antworten an  Sonja Dengler

Da wurde die Falsche aus dem Auto gezerrt. Aber das wird schon noch.

Freundin der Natur
5 Jahre her
Antworten an  Bummi

Die andere Dame hatte den Kommentator gemaßregelt, nicht das Opfer des Verbrechens. Vermutlich muss dieser anderen Dame erst etwas in der Art passieren, bis sie glaubt, dass es doch nicht so lustig ist, was hier vor sich geht.