Ist im Fall Zschäpe das Verbot der Vorverurteilung durch staatliche Organe eingehalten worden?
Sind im Fall der angeklagten Zschäpe das Verbot der Vorverurteilung durch die staatlichen Organe, das Verbot der Vorverurteilung durch die Presse, die sich eigene Regeln, speziell auch zur Unschuldsvermutung mit großem Gestus gegeben hat, eingehalten worden? Ist das Prinzip der Gewaltenteilung, ist das Prinzip der Unschuldsvermutung, ist das Prinzip der Gleichbehandlung der Täterin, ist das Prinzip der Gleichbehandlung ihrer Verteidiger, ist das Prinzip des unpolitischen Strafprozesses, ist das Prinzip des Verbotes von Sondergerichten strikt beachtet worden?
Oder ist das Verfahren eventuell gar in einer Mob-Situation, von der große Teile der Gesellschaft zu Prozessbeginn betroffen waren, angelaufen? Ich habe im Mai 2013, am Tag der Prozesseröffnung und dessen Vorwehen, entsetzt von den strotzenden Selbstgewissheiten und den blindwütigen moralischen Überlegenheitsüberzeugungen, die den veröffentlichten Raum damals beherrschten, diesen Text „Der Rechtsstaat im Rausch“ veröffentlicht.
Die Gesellschaft und die Nomenklatura steigerten sich im Fall der sogenannten NSU, die durch diesen allgemeinen Willen erst zu dem wurde, was sie heute ist, förmlich in eine Art Rausch. Eine Zschäpe wurde als bereits ausgemachte Täterin an acht türkischstämmigen Bürgern, einem griechisch stämmigen Bürger und einer deutschstämmigen Polizistin gesehen, als kaum noch der Gesellschaft zuzurechnendes Wesen, das verurteilt sie sehen wollten – als sei sie bereits aller Vorwürfe überführt.
Man erinnert sich an die Medienshow auf Big Brother-Niveau, als es um das Gerangel der Medien um die besten Plätze im Gerichtssaal ging, die den Blick in Echtzeit auf die sofortige Aburteilung der angeklagten Zschäpe garantierten. Eine gewisse Blutrünstigkeit gepaart mit diffusen, sehr dumpfen Ideen von Rassismus und Neonazitum, die durch eine möglichst sofortige Ächtung und Aburteilung Zschäpes zugleich auch entsorgt werden könnten, wird man in dem damaligen öffentlichen Geschehen erblicken müssen.
Rassistische, politisch rechte Mordtaten – das war das gefundene Fressen einer unerträglichen Selbstgerechtigkeit. Die Rechtsfigur des Verteidigers, der gar ein Organ der Rechtspflege ist, wurde und wird im NSU-Prozess bis heute anhaltend öffentlich malträtiert. Die drei ursprünglichen Zschäpe-Pflichtverteidiger, Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl wurden öffentlich bemakelt und vor allem die Pflichtverteidigerin Anja Sturm wurde wiederholt öffentlich psychologisiert. Dies wurde auf eine furchtbare Art und Weise sichtbar, als die sogenannten seriösen Medien reflexartig bei den Verteidigern eigene rechte Kontaminationen suchten und recherchierten und dabei nicht einmal davor zurückschreckten immer wieder auf die Namen der drei Verteidiger Sturm, Heer und Stahl insinuierend und noch mal insinuierend zuzugreifen. Damit wurde das verfassungsrangige Recht auf eine eigene Verteidigung der Angeklagten nach einer sehr primitiven Gleichung in Frage gestellt.
Die Juristen und speziell die Anwaltszunft hat sich kein Ruhmesblatt verdient, angesichts ihres Wegschauens gegenüber den Anfeindungen, die den Verteidiger teils sogar aus den eigenen Reihen entgegenschlug. Mehr als zwei Jahre Verfahrensdauer, ewige Prozessvorbereitungen, 219 Verhandlungstage haben bis jetzt kein befriedigendes Ergebnis gebracht.
Das deutsche Strafrecht ist kein Racherecht
Die Angeklagte selber darf sich, ob es ihr am Ende schadet oder nützt, unkonstruktiv, um nicht zu sagen, destruktiv verhalten, so sie nicht gelegentlich dieses Tuns neue Straftaten begeht, wie etwa eine falsche Verdächtigung zu äußern, jemanden zu beleidigen ecetera. Sie darf taktieren, sie darf sich mit ihren Pflichtverteidigern überwerfen, die Beweislast liegt ganz und ausschließlich bei den zuständigen staatlichen Behörden. Der Angeklagte darf im deutschen Strafprozess schweigen, sich so unsympathisch benehmen, wie die ihm vorgeworfene Tat ist. Das mag alles öffentlich beschrieben werden, aber die unterschwellig intendierte Verböserung der Täterin Zschäpe mit irgendeinem diffusen Ziel um so den Tatnachweis irgendwie zu ersetzen oder überflüssig zu machen, ist mit dem Grundgesetz absolut unvereinbar.
Das deutsche Strafrecht – und darauf sind auch Forschung und Lehre ebenfalls ganz speziell abonniert – ist kein Racherecht, kein Genugtuungsrecht, kein Sühnerecht, sondern Gerechtigkeitsrecht mit dem Impetus der Resozialisierung des Täters. Das Institut der Nebenklage ist nicht dazu da die Zielrichtung des Strafrechtes in ihr Gegenteil zu verkehren. Das Strafrecht ist auch keine nationale, historische Aufgabe. Das Strafrecht ist kein politisches Aufarbeitungsrecht je nach Gusto der herrschenden Mainstreams. Und das Strafrecht ist auch kein Instrumentarium, das für den politischen Lagerkampf taugt. Eine gewaltige Abrüstung und eine noch gewaltigere, möglichst fachkundige Läuterung der selbsternannten Rassismusfighter ist dringend angesagt. Einen Strafprozess zu missbrauchen ist rechtsstaatswidrig.
Die Angehörigen der Mordopfer verdienen ihren Respekt. Die offenkundig rassistisch motivierten Mordtaten verdienen jede Abscheu. Der Rechtsstaat darf sich nicht von Emotionen hinreißen lassen. Und er muss strikt darauf bedacht sein Rechtsstaat zu sein und zu bleiben.
Die Bemakelung der Gesellschaft insgesamt und des Staates Bundesrepublik und einzelner Organe durch ein obsiegendes Besserwissertum waren zu Beginn des NSU-Prozesses und seither eine Belastung des Strafprozesses, der unabhängig von allem und unbedingt nur und ausschließlich rechtsstaatlich abzulaufen hat.
Dass sich die Staatsspitze eingeschaltet hat, dass sich türkische Stellen von außen eingeschaltet haben, kann in der geschehenen Form nicht wirklich zielführend sein. Es lastet ein unverhältnismäßiger Druck auf dem Gericht aus der Angeklagten Zschäpe eine abgeurteilte Täterin zu machen und dies koste es, was es wolle. Zschäpe mag Täterin oder Tatbeteiligte gewesen sein und bejahendenfalls ist die Überführung der Täterin das Ziel. Doch solange diese Überführung nicht stattgefunden hat und die Unschuldsvermutung gilt, ist auch jemand, der der NSU-Taten angeklagt ist, bis zur Rechtskraft eines möglichen Urteils unschuldig.
Es gibt zu viele Emotionsschürereien und unmoralische Moralpostulate, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu suchen haben. Klar, jeder möchte jede Straftat und erst recht jeden Mord aufgeklärt und sanktioniert sehen. Das Rechtsstaatsverfahren ist nicht diesem allgemeinem verständlichen Volkswillen verpflichtet, sondern dem Regelwerk, das für die Wahrheitsfindung festgeschrieben ist.
Von dem gigantischen Kuchen, dem profitablen Kampf gegen Rechts, will jeder ein möglichst großes Stück abbekommen. Und jeder will seinen Anteil weithin sichtbar vorzeigen. So entsteht ein grundfalsches, gesellschaftliches Klima, in dem Recht und Vernunft kaum noch eine Chance haben.
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