Heute nun wieder der xte Panikgipfel der Euro-Regierungschefs
Jeder Gipfel dieser Art verschlingt wahrscheinlich dutzende Millionen Euro. Alle kennen das Thema, alle wissen, wer welches Lied singt. Da hätten ein paar knappe Telefonate, wenn’s denn sein muss mit Bild, ausgereicht.
Im Übrigen ist das Thema Griechenland noch kleiner als klein, denn das Geld, das für Griechenland extra aus dem Nichts geschaffen wird, dank der fiktiven Geldschöpfung der EZB und anderer vergleichbarer Maßnahmen, wird zwar in Griechenland überwiegend wenig sinnvoll und wenig effizient ausgegeben oder verschwendet, aber das Geld ist für die Euro-Ökonomie oder für die Weltökonomie ja nicht weg. Es kehrt über die Kapitalflucht der reichen Griechen oft wieder direkt in die starken Euroländer zurück. Dieser häufig angeprangerte Missstand ist aber nicht das Hauptmoment. Das Geld, das in Griechenland, sinnvoll oder nicht sinnvoll, als Geschenk ankommt und, sinnvoll oder nicht sinnvoll, ausgegeben wird, fließt so oder so unvermeidlicherweise durch die globalen Geldadern. Im Fall Griechenlands geht es nur — was heißt hier nur? -um die Frage, ob es recht und fair ist, dass andere mit ihrer Arbeit die griechische Misswirtschaft auf Dauer unterstützen? Und es geht um die Frage, welcher Erfolg aus dem Geld herausgeholt wird, welcher Nutzen generiert wird. Und da muss man feststellen, dass die griechischen Regierungen weder willens noch in der Lage sind, mit dem geschenkten Geld etwas Vernünftiges anzufangen.
Das griechische Referendum hat überdeutlich gemacht, dass die Menschen in Griechenland, und nichts anderes gilt für die Mehrheit der Menschen in den anderen Euroländern, die rettende Dauerbevormundung der Troika, der Hollandes und der Merkels ablehnen.
Ein historischer Blick über den Rand des klitzekleinen Tellers Griechenland, der im Dauerfocus der Medien und der Öffentlichkeit steht und von wesentlich wichtigeren Problemen wie Integration, Migration, Flüchtlingsproblematik, Bildung, Renten ablenkt, zeigt das hysterische und geradezu hirnrissig verengte Moment, das von oben in die Gesellschaft hineingetragen wird.
Als der atomar und konventionell bis an die Zähne bewaffnete Osten zusammenbrach und auf dem Gebiet der Bundesrepublik die Waffensysteme der Nato protzig standen und auf dem Gebiet der Ex-DDR russische Atomwaffen Richtung Westen zeigten, blieb die politische Nomenklatura, von Tagesaufgeregtheiten und sonstigen Petitessen abgesehen, wahrscheinlich aus Gründen ökonomischer Ignoranz vergleichsweise gelassen. Aber jetzt wo der wirtschaftliche Floh Griechenland, der nicht den geringsten Einfluss auf den Wert oder Unwert des Euro hat und im Weltmaßstab gar keine Rolle spielt und der auch politisch und geopolitisch völlig irrelevant ist, erfinden die Euro-Fanatiker schubartig immer neue, geradezu kosmische Begründungen, weshalb die Griechenlandrettung nur so und nicht anders funktionierte und alles andere den Weltuntergang bedeutete. Und diese Retter sind jetzt auch noch persönlich beleidigt, wenn eine Laune des Schicksals irgendeinen Tsipras mit seiner Rechts-Links-Koalition in Griechenland an die Macht spült.
Grexit ist die beste Lösung
Der Grexit ist seit fünf Jahren alternativlos die beste Lösung.
Wenn die Euroretter unfähig zum Grexit sind, dann ist die zweitbeste Lösung die griechische Regierung finanziell aufs Trockene zu setzen und selber in Griechenland vor Ort tätig zu werden. Nur der von den Eurorettern selbst gemachte größere Anteil an dem, was man Griechenlandkrise nennt, nämlich das bedrohliche Herbeireden von noch größeren Krisen für Europa und die Welt, wenn die schier unendliche Griechenlandkrise nicht mit immer neuem Geld der funktionierenden Euro-Länder zugeschüttet wird, muss sofort beendet werden. (Den Vorschlag für die richtige Griechenlandrettung lesen Sie hier.)
Die Euroretter, die Eurokraten, Mario Draghi, Jeroen Dijsselbloem, Jean-Claude Juncker, Martin Schulz, Hollande, Merkel und so weiter haben Griechenland bis heute nicht verstanden und sind deshalb zum selbstgewählten Misserfolg verdonnert. Lässig redet man über die vielfältigen Korruptionserscheinungen, schlechte Verwaltungen, schlechte Justiz, ein schlechtes Parteiensystem, schlechte Parteienfinanzierung, Misswirtschaft, Oligarchentum, zu hohes Anspruchsniveau, zu geringe Leistungsfähigkeit, mittelfristig fehlende Markttauglichkeit, Abwanderung der besten jungen Fachkräfte, Überalterung der griechischen Gesellschaft usw. und sofort und sofort und sofort. Und dass dieses Konglomerat von Reformen und Reformen und Reformen zum Guten gewendet werden, dass Griechenland erzogen werden müsste.
Die Wurzeln des Übels
Nur über eines, nämlich die Ursachen für das, was ständig beklagt wird, redet man nicht. Die Wurzeln der griechischen Misere werden in den Hauptstädten der Euroländer, aber auch in der EZB und beim IWF mit Ignoranz überschüttet.
Die griechische Gesellschaft tickt anders und das hat eine lange Tradition. Italien hat nie seine alten kommunistischen Substrukturen überwunden, nie ganz, und Italien beherbergt eine subökonomische Mafiastruktur, die die Ökonomie des Landes etwas speziell macht. Und Italien ist in einen nordeuropäisch orientierten Norden und den heiß geliebten und tief verachteten Mezzo Giorno geteilt. Mit all diesen Spezialitäten wird Italien und wird die Euro-Zone irgendwie fertig und dies vor allem dank der Technik des so Tuns, als wenn da nichts wäre. Was man dank seiner Scheuklappen nicht sieht, weiß man nicht und meistens geht das ja auch gut. Und die Mafia verhält sich ja auch bekanntlich modern und nach Möglichkeit systemkonform.
Die Euro-Zone muss mit vielen Individualitäten ihrer Vertragsstaaten fertig werden. Aber die verkannte Individualität der griechischen Gesellschaft sprengt den Rahmen des Euro-Vertrages. Die griechische Gesellschaft ist mehrheitlich damit zufrieden, und das im positivsten Sinn, dass es da die Oligarchen gibt, dass Korruption ein sinnvoller Spaßfaktor ist, dass die politischen Parteien Versorgungsanstalten ihrer Mitglieder sind usw. usw. Die Griechen machen sich auch keine Sorgen über das aktuelle Chaos, weil das geordnete Chaos das lieb gewordene System der griechischen Gesellschaft ist.
Revolutionen, Mythen, Helden
Die glorreiche Revolution von 1974, die glorreiche über 1000 Jahre vergessene altgriechische Geschichte, die beinahe endgültig verschütt gegangenen Legenden von Platon, Sokrates, Aristoteles, und den alten Mathematikern, die das Dezimalsystem noch nicht kannten und der Makedonier Alexander der Wahnsinnige, regelmäßig der Große genannt. Und die Helden und die Götter der Ilias, und der bärenstarke Hercules, der als Schützling der Göttin Athene sogar in den Olymp aufgenommen wurde. Das sind die wiederentdeckten Identifikationsfiguren, die tief im Hinterkopf der Gesellschaft mitschwingen. Im alten Griechenland, das bekanntlich wenig mit dem modernen Griechenland zu tun hat, sei die Demokratie erfunden worden – immerhin ein griechisches Wort.
Athen und die Akropolis und die Olympischen Spiele, ohjee, da kann man schon mal unter der heißen griechischen Sonne die Realität vergessen. Und wenn die Realität so aussieht wie Merkel oder Hollande und wenn der Westen auf Crashkurs schlingert wie ein außer Kontrolle geratener Musikdampfer, dann ist das lieb gewordene uralte griechische Idyll aus Dramatik, Wichtigkeiten, Existenzialitäten und dem besungenen „besonderen Licht“, das über den griechischen Inseln scheint, doch ein ganz schöner und nahezu perfekter Traum.
Die Demokratie haben die alten Griechen nun in der Tat nicht erfunden. Sie haben ihre ganz spezielle Form der Aristokratie, nicht dumm, Demokratie genannt. Vor 2500 Jahren waren 10% der Athener eine palavernde griechische Feudalschicht und 90% waren schuftende Heloten und Sklaven aus aller Herren Ländern. Die Griechen brauchten keine Geschirrspülmaschine, keinen Staubsauger, kein lästiges Personal. Sie hielten sich Sklaven, während sie herumpolitisierten und philosophierten. Die Ungleichheit der Rechtslage der Menschen war kein Problem. Das tägliche Auskommen auch nicht. Man hatte Zeit und Dionysos war das Sinnbild des Genusses, wie man das scheinbar gottgegebene Paradies voll auskostet. Und die schöne „Europa“, Namensgeberin des Kontinents, (der es zu seiner vornehmsten Aufgabe gemacht hat sich selber zu traktieren), war die heißbegehrte Geliebte des Göttervaters Zeus.
Warum also den griechischen Way of Life europäisch technokratisieren? Auf diese Frage gibt es für viele Griechen keine plausible Antwort. Und objektiv wissen immer weniger Menschen in Europa, warum die Brüsseler Bürokratie eine erstrebenswerte Einrichtung sein könnte. Die Eurowütigen Regierungen haben das schöne Europa in eine Sinnkrise gestürzt. Aber Geld ist nicht alles und der Mensch lebt nicht vom Geld allein.
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