Merkel haut mit ihrer Ermächtigung daneben. Das ZDF nimmt Böhmermann aus der Mediathek und will ihn jetzt doch durch alle Instanzen verteidigen. Das wird wohl nicht teuer: Böhmermanns „Schmähkritik“ ist keine Beleidigung. Das schräge Werk wird zur unendlichen Geschichte.
Man stelle sich einmal vor, die deutsche Bundesregierung würde Demonstrationen von Frauenrechtlern oder Schwulen gar blutig niederknüppeln oder eine unter konstitutionellen Gesichtspunkten zweifelhafte Religionspolitik betreiben oder eine Minderheit im eigenen Land bombardieren und Journalisten verhaften und Medien abschalten usw. usw. Welches Feuerwerk dürften friedliche Satiriker aus Deutschland auf einen solchen Bundeskanzler abschießen? Satiriker aus Deutschland, wo es schon zum normalen Ton auf der Straße und bis tief in die grüne Partei hineingehört, zu hören: „Nie wieder Deutschland! Deutschland, du mieses Stück Scheiße!“.
Die Satiriker würden gar nicht mehr gehört werden, weil Massendemonstrationen und Generalstreik die Bundesrepublik lahmlegen würden.
Erdogans Politik ist nicht nur rechtlich sehr schwierig, sondern auch eine Beleidigung seiner Verhandlungspartner. Böhmermanns Gedicht ist eine Re-Aktion. Zweifelsfrei. Der Agierende, der vorgelegt hat und den Maßstab gesetzt hat, ist Erdogan. Auch wer also das artifiziell inkriminierte Gedicht für sich als Beleidigung ansieht, kann es im Sachzusammenhang endgültig nicht mehr als Erfüllung strafrechtlicher Normen bewerten: Einstellungsbescheid.
Böhmermann Teufel, Erdogan die gekränkte Majestät?
Wenn keine Beleidigung vorliegt, dann werden auch keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft fällig oder bereits aufgenommene Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft selber gemäß § 171 StPO beendet. Die Staatsanwaltschaft schickt Herrn Erdogan in dessen Palast einen Einstellungsbescheid samt Rechtsmittelbelehrung, damit Erdogans Anwälte wissen, was sie wissen, dass sie gegen den Einstellungsbescheid innerhalb der gesetzlichen Frist das zuständige Gericht anrufen können. http://dejure.org/gesetze/StPO/171.html
Da Erdogan gemeinhin als Prozesshansel bezeichnet wird – er soll nicht viel weniger als 2.000 Beleidigungsanzeigen bereits losgelassen haben – mag Erdogan alle Beschwerden und Rechtsbehelfe und am Ende noch den europäischen Menschenrechtsgerichtshof beschäftigen. Das Geld für derartige Prozessabenteuer hat er wahrscheinlich.
Eine schnelle Einstellung des Verfahrens wäre ein großer Triumpf des Rechts und eine schallende Ohrfeige für Erdogan, aber auch für Merkel.
Sollte das nicht beleidigende Gedicht allerdings eine bloße „Schmähung“ sein – das allerdings wäre eine zivilrechtliche Kategorie, das Wort Schmähung kommt im Strafrecht nicht vor – dann könnte Erdogan auch noch zivilrechtlich klagen, bis die Schwarte kracht. Apropo Schmähung: Böhmermann nannte sein Gedicht „Schmähkritik“ und nicht „Beleidigungskritik“, wollte also nicht, wie es überall heißt, austesten, was eine Beleidigung ist (strafrechtlich), sondern was eine bloße Schmähung sein könnte ( zivilrechtlich).
Das Bundesverfassungsgericht müsste sich in Ansehung seiner umfangreichen Rechtsprechung selber verbiegen, wenn es das Böhmermann-Gedicht als nicht erlaubt, als verboten qualifizieren wollte. Erdogan selber versucht, die Türken und die Muslime für seine Interessen zu instrumentalisieren, als hätte Böhmermann nicht ihn persönlich, sondern diese Gruppen oder gar die ganze Türkei gemeint. Merkel hat in ihrem kurzen Speech zur Ermächtigung der Staatsanwaltschaft in ein ähnliches Horn geblasen und auch von der Türkei und den hier lebenden türkischstämmigen Menschen und der Superbeziehung zwischen der Türkei und Deutschland leichtfertig dahergeredet, so als wenn das alles eine Rolle spielte.
In dem angestrebten Strafverfahren stehen sich aber die beiden Menschen Böhmermann und Erdogan als Täter und Opfer gegenüber und nicht Völker und Religionen. Das war früher so, als die Majestätsbeleidigung, die auch schon durch das nicht Grüßen eines auf einer Stange befestigten Hutes in Schillers Wilhelm Tell erfüllt sein konnte. Heute ist das glücklicherweise anders.
§103 ist für sich nichts weiter als eine strafverschärfende Qualifikation der „Normalbeleidigung“, die man ausgegliedert hat, weil Majestäten schließlich auch nicht mit dem gemeinen Volk verwechselt werden sollten. Diesen Paragraphen wollen SPD und jetzt auch die Union noch in dieser Legislaturperiode abschaffen. Merkel allerdings mit einem Wirksamkeitsdatum, von dem Böhmermann tunlichst nicht mehr profitieren soll.
Ob dieser Merkelsche Trick (dass sie ausgerechnet ein strafrechtliches Auslaufmodell auf den letzten Drücker noch für Erdogan wirksam halten will) zu Erdogans Gunsten ganz lege artis ist, wer weiß das schon so genau. Aber die Vorschrift des § 104 a, die das eherne und sehr wichtige Legalitätsprinzip außer Kraft setzt, ohne dass es für eine solche krasse Ausnahme unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten irgendeinen Anhalt gibt, könnte tatsächlich mit der Verfassung kollidieren.
Wenn §104a überhaupt einen Sinn macht, dann den, dass die Bundesregierung ausländische Repräsentanten, die sich nicht so verfassungskonform verhalten, von dem verschärften Beleidigungsschutz des deutschen Strafrechts (§103) ausschließen kann. Welchen anderen Sinn sollte §104a noch haben? §104a ist also eigentlich ein Schutzparagraph für deutsche Staatsbürger, die dem Paragraphen der Majestätsbeleidigung §103 gerade bei problematischen Staatschefs nicht ausgesetzt sein sollen.
Wenn §104 also verfassungswidrig sein sollte, dann könnte diese Verfassungswidrigkeit auch auf den §103 ausstrahlen, den man für sich gesehen ja glaubte die Fesseln des § 104a anlegen zu müssen, um ihn aufrecht erhalten zu können.
Merkel verhält sich widersprüchlich
Merkels Erklärung zur Vorstellung und Begründung ihrer Ermächtigung an die Staatsanwaltschaft macht keinen guten Eindruck im Kontext. Im Gegenteil. Und ihre Vorverurteilung Böhmermanns im Vorwege, als sie ihre Einstimmung mit Erdogan in Sachen der negativen Bewertung verkünden ließ, macht auch keinen guten Eindruck.
Zynisch ist das Merkelsche Argument, dass ihre Ermächtigungsentscheidung quasi im Sinne der Meinungsfreiheit und der Gewaltenteilung wäre, weil nicht die Regierung, sondern die Justiz zum Zuge käme. Das ist, wie auch vom Bundesjustizminister angedeutet, ein großer Unsinn.
Der einfache Beleidigungstatbestand, der aufgrund des Strafantrages von Erdogan die Justiz beschäftigt, läuft ganz unabhängig von der Regierung und von irgendwelchen Meinungsfreiheitsdefinitionen ab. Durch Merkels Ermächtigung geht es lediglich um eine höhere Strafsanktion. Das ist alles. Insofern ist alles Bestreiten, dass Merkel Erdoganschen Interessen diente, makaber und komisch. Dem Recht oder der Justiz konnte sie mit ihrer Ermächtigung keinen Dienst erweisen und wenn sie selber die Straferhöhung für abschaffenswert erklärt, verhält sie sich auch noch selber in sich widersprüchlich.
Merkels Statement zu ihrer Ermächtigung ist einen eigenen Text wert.
Aber die zentrale Frage ist jetzt: Wenn das Verfahren gegen Böhmermann eingestellt oder er freigesprochen wird – ist dann nicht Erdogan erst Recht beleidigt? Das ist das nächste Kapitel einer unendlichen Geschichte.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein