Bettina Röhl direkt – Das Geld kommt aus der Steckdose

© P. Schirnhofer

Geld kommt von der Bank wie der Strom aus der Steckdose

Die Liste der wirtschaftlichen und politischen Imponderabilien und Katastrophen lässt sich beinahe beliebig verlängern, und das Ganze noch ohne ins Detail zu gehen. Nach klassischen Maßstäben wäre die Wirtschaft längst implodiert, wären die Finanzmärkte noch unter das Niveau des berühmten schwarzen Freitag gefallen. Das passiert nicht, weil die Politik der Geldmengenvermehrung auf niedrigstem Zinsniveau durch fiskalische, so gesehen noch gesteuerte Maßnahmen einerseits, aber auch die Geldmengenvermehrung durch nicht mehr zu überblickende ungesteuerte Finanzierung ganzer Staaten mittels der schon erwähnten fiktiven Finanzmarktprodukte, die Wirtschaft höchst real am Leben hält.

Dabei ist es keine Unbekannte, dass eben diese Geldflut, die die EZB hemmungslos in Überdehnung ihres Auftrages zum Zwecke der Finanzierung von Staaten und systemrelevanten Banken miterzeugt, einen Risikofaktor eigener Art mit wahrer Systemrelevanz darstellt. In Zeiten real nicht gedeckter öffentlicher Haushalte und eines gar nicht mehr auf reale Deckung überhaupt abzielenden Finanzmarktes, sind unübersehbare Geldmeere ein wahrhaft unüberschaubares Risiko. Schließlich steckt hinter jedem Dollar oder jedem Euro immer noch eine Forderung eines Gläubigers an den Schuldner. Das Geld kommt in der öffentlichen Wahrnehmung von der Bank wie der Strom aus der Steckdose, aber wie das Geld in die Bank und der Strom in die Steckdose reinkommen, ist für die Empfindungslage der Menschen kaum noch bedeutsam.

Mag sein, dass die Spirale, die beinahe wie eine Kettenreaktion abläuft, mit immer neuem, vermehrten Geld aus der Geldpresse alte Schulden zu bezahlen, sich weiter dreht. Mag sein, dass nicht. Solange die Finanzmärkte zum Schaden ihrer Anleger das sogenannte Vertrauen haben, dass beispielsweise die Schuldnerstaaten, die aus eigener Kraft bereits seit längerem nicht mehr zahlungsfähig sind, immer noch finanziell werthaltige Bürgen finden, scheint alles in Butter. Das ist das Kalkül zum Beispiel eines Mario Draghi. Das ist allerdings auch seine einzige Masche. Und es stört Niemanden, dass er mit dieser Masche die für notwendig erkannten Radikalreformen, zum Beispiel in den kränkelnden Euro-Ländern, torpediert. Geld fördert Erfindungsgeist, das ist die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit heißt: Not macht erfinderisch.

Es gibt keine guten oder schlechten Zeiten mehr

Die Wirtschaft läuft von allein. Oder doch nicht ganz? Zu den alten Gesetzmäßigkeiten gehörte die Weisheit, dass die Wirtschaft zum großen Teil oder vielleicht ganz Psychologie sei. Das waren fürwahr noch herrliche rationale Zeiten. Schließlich ist mit dem Spruch von der Psychologie gemeint gewesen, dass es reale Ereignisse gab, auf die die Masse der Menschen gruppendynamisiert über- oder unterreagierte und aus dieser eigentlichen Fehlreaktion einen Glauben an gute oder schlechte Zeiten entwickelte, die dann auch gut oder schlecht waren. Dieser Reflex auf die Realität scheint derzeit völlig verschwunden zu sein, und das ist eine neue Qualität. Eine allgemeine Ignoranz, eine wahnhafte Coolness, spaltet Realität und Wahrnehmung. Aus einem nicht erkennen wollen, ist ein nicht erkennen können geworden. Die Menschen sind informierter denn je, sind aber schizophrener Weise nicht in der Lage die indizierten Schlüsse zu ziehen.

Natürlich gibt es noch die totgesagten Lagerkämpfe zwischen Links und Rechts, zwischen Kapitalismus und Sozialismus in modernen Gewändern, aber auch diese Antagonismen, werden in Ignoranz scheinbar aufgelöst. Legitime eigene Interessen, die für alle anderen im Sinne des Rechts- und Wirtschaftsfriedens kalkulierbar wären, werden wider die Vernunft nicht mehr formuliert, geschweige denn verfolgt. Stattdessen deliriert die Gesellschaft bei vollem Bewusstsein und anfällig für jede Mode und für unendlich viele Scheinsachzwänge oder Scheinlegitimitäten durch die komplexe Realität, die noch nie in der Menschheitsgeschichte so gefahrgeneigt gewesen ist wie derzeit.

Die gesellschaftlich extrem wichtige Kategorie Moral ist zur Definitionssache verkommen, und Petitessen und im großen oder gar Weltmaßstab gesehen krümelhafte Kleinigkeiten werden zu Wichtigkeiten aufgebauscht. Das gesellschaftliche Koordinatenkreuz ist verloren gegangen.

Und dadurch ist auch das wirtschaftliche Koordinatenkreuz weg. Die Menschen im Westen und speziell in der Bundesrepublik hat ein sahnemäßig sattes Glückseligkeitsempfinden fest im Griff, und man hat den Eindruck, dass es sich dabei um eine Reaktion aus dem tiefsten Unterbewusstein auf die als erdrückend empfundene Last der schlafenden Katastrophen handelt.

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