Je entwickelter die Kultur, desto weniger lächelt sie. Je ärmer sie ist, desto mehr ist das Lächeln in der Kultur integriert. Die Kulturen, die nichts zu lachen haben, die haben eben Zeit zu lächeln. Klaus-Jürgen Gadamer schaut lächelnd hin.
So wie wir unterschiedliche Kleidung zu unterschiedlichen Anlässen tragen, so trägt der Thai ganz der Situation entsprechend unterschiedliche Formen des Lächelns. Das Lächeln ist das Gesichtskleid des Thais. Ohne Lächeln fühlte er sich nackt. Und wer begibt sich schone gerne nackt unter seine Mitmenschen? Und für diese wäre dies schließlich auch eine Provokation.
Viele Deutsche bekommen im Land des Lächelns den Eindruck, dass es in Thailand nur glückliche und zufriedene Menschen gibt. Das ist natürlich falsch. Es ist aber angenehm, das thailändische Lächeln zu genießen und sich daran zu erwärmen. Sauertöpfische Mienen haben wir schließlich daheim zuhauf.
Mit persönlicher Zuneigung hat das Lächeln in Thailand nicht unbedingt etwas zu tun, es ist eher eine Verhaltensvorgabe. Der Thai sagt sich, lächele ich, dann fühle nicht nur ich mich gut, sondern ich verschaffe auch meinem Gegenüber ein gutes Gefühl, was wiederum gut für mich ist. Während es in Thailand als unfein & unhöflich gilt, öffentlich negative Gefühle auszudrücken, halten wir uns in Deutschland darauf etwas zu Gute. Wir verbinden es mit Ehrlichkeit, nicht nur unsere Schokoladenseite zu zeigen.
Lächelt die erste deutsche Generation?
Wenn ich aber die sauertöpfischen, gestressten Gesichter auf der Stuttgarter Königstraße sehe, bin ich mir des Vorteils nicht mehr sicher. Lächele ich dort einer jüngeren fremden Frau freundlich ins Gesicht, muss ich damit rechnen, dass mir das bereits als sexuelle Anmache ausgelegt wird. So weit hat uns der emanzipatorische Feminismus gebracht. In Thailand setze ich mich ins Fettnäpfchen, wenn ich die Frau nicht anlächele. Deutschland einig Sauerland? Aber halt! Stimmt das noch so? Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten viel freundlicher geworden. Und unsere heutigen Jungen, die Generation 0, die erste Generation nach dem 2. Weltkrieg, die es zwar null geschafft hat, eine eigenständige Jugend-Kultur zu entwickeln, hat aber immerhin das Lächeln und die Freundlichkeit in ihrem Programm. Ob das allerdings genügt, der erstarrten 68er Kultur ihrer Eltern neue Impulse zu versetzen, mag füglich bezweifelt werden. Und wann beginnt der Abstieg einer Kultur? Wenn die junge Generation keine produktiven neuen Impulse liefern kann, nunmehr nur die Werte der Eltern verwaltet und dabei lächelt. Immerhin. So freundlich war Deutschland nie.
Das Selfie eint die Jungen aus dem Westen mit den jungen Chinesen und den jungen Thais. Selfie allüberall: ICH vor dem Eiffelturm. ICH vor dem Schloss. ICH am Strand. ICH vor dem irgendwas im Irgendwo. Dafür gibt es als aktuellen Verkaufsschlager sogar den Selfie-Stick, den Selbstbildnis-Stab mit Blauzahn-Auslöser, Bluetooth-Fernbedienung, also alles, was das selbstverliebte Herz begehrt.
Während in der Tierwelt das „Lächeln“ noch eine Drohung ist, man zeigt dem Anderen die Zähne, hat sich dies beim Menschen ins Gegenteil verkehrt: Man zeigt sich nun lächelnd die Zähne und sagt damit: Guck mal wie nett ich bin. Wie mächtig die Kultur doch wirkt. In südlichen der Breitengraden, scheint das Lächeln mehr in der Kultur verankert als im Norden. Thais lächeln mehr als die Chinesen, die Afrikaner lachen mehr als die Deutschen, und das ganz unabhängig davon, ob sie wirklich etwas zu Lachen haben. Es scheint sogar umgekehrt. Je entwickelter die Kultur, desto weniger lächelt sie. Je ärmer sie ist, desto mehr ist das Lächeln in der Kultur integriert.
Nun, je mehr eine Kultur zu lachen hat, desto mehr ist sie durchgeplant und dem Stress unterworfen, desto weniger Zeit und Muse hat sie für das Lächeln. Die Kulturen, die nichts zu lachen haben, die haben eben Zeit zu lächeln. Ob die modernen Lachkurse in Deutschland die Lage ändern? Ein Bedürfnis dafür, scheint es jedenfalls zu geben.
Rush hour in Bangkok. Auch hier gibt es an belebten Kreuzungen Fußgängerampeln. Grün. Alles rennet, hastet, eilt. Ein Mütterchen trägt einen großen Korb Orangen über die Kreuzung. Der Henkel reißt und die runden Früchte kollern kreuz und quer über die Kreuzung. Und das Mütterchen kann sich nicht entscheiden, welche Orangen es zuerst aufsammelt und eilt hier und dann dorthin, um dann erst nichts zu ergattern. Die Menge bricht in lautes Lachen aus und das Mütterchen lacht mit. Was in Deutschland als Auslachen empfunden würde, ist für die Thais oft ein Heilmittel, das der Situation die Schärfe nimmt: Lachen ist die beste Medizin.
Deutsche können aber unterschiedlich gut mit dem Thai-Lächeln umgehen. Die Einen meinen ablehnend „Das Dauergegrinse geht mir auf den Senkel. Ich weiß nie woran ich bin.“ die Anderen in Anlehnung an Goethe „Zufrieden lächelt groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein!“
Die nichts zu lachen haben, haben Zeit zu lächeln
Und so kann das Lächeln der Thais vieles bedeuten. Es beinhaltet das deutsche „Ich fühle mich wohl“ und „Ich bin freundlich zu dir“ genauso wie ein „Mir geht es übel“ und „Du bist ein Vollidiot, dich werde ich gleich über den Tisch ziehen!“ Aha, mag da der geneigte Leser denken, es heißt also dies & das und auch das Gegenteil. Wie soll ich mich da zurecht finden? Mit etwas Übung und etwas Einfühlungsvermögen geht das aber ganz gut. Fühlt sich ein Thai unwohl, wird sein Lächeln starr & steif. Im Falle eines großen Konflikts gerinnt das Lächeln zu einer Fratze, die nicht mehr schön anzuschauen ist. Aber das ist selten der Fall. Fast immer ist das Lächeln mit Freundlichkeit verbunden. Es ist ein Werkzeug dafür, dass sich alle Gesprächspartner wohl fühlen. Und das sich Wohlfühlen, der Sanouk, der Spaß am Leben, das hat in Thailand höchste Priorität.
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