Was Nordkorea wirklich will

Welche Ziele verfolgt Nordkorea? Welche Interessen verfolgen seine Nachbarländer China, Japan und Südkorea? Hat China wirklich einen maßgeblichen Einfluss auf den nordkoreanischen Staat?

© STR/AFP/Getty Images

Kaiser Zhu Yuanzhang erhob dann den Herrscher Koreas in einen Königsstand seines Imperiums. In der Ming-Dynastie erhielt der koreanische König daher formal den gleichen Rang,Titel und Drachenroben wie Könige der chinesischen Kaiserfamilie (allerdings rote Drachenroben für die Könige Chinas und Koreas, im Gegensatz zu dem gelben Drachenroben des Kaisers). Hier ist anzumerken, dass chinesische Könige der Kaiserfamilie Zhu seit dem dritten Ming-Kaiser Yongle im Gegensatz zum König von Korea über keinerlei politische Regierungsbefugnisse verfügten.

Weiterhin wurde Korea von Kaiser Zhu Yuanzhang in einer Reihe von Ländern gelistet, die das Kaiserreich Ming niemals angreifen werde. Diese Liste wurde in die sogenannten „Anweisungen der Vorfahren der Kaiserlichen Ming“ (Huang-Ming Zuxun) aufgenommen, deren Einhaltung für die späteren Kaiser der Ming obligatorisch waren.

Während der Goryeo-Dynastie unter der Schirmherrschaft der Ming-Kaiser erreichte die koreanisch-chinesische Beziehung also einen Höhepunkt. Nicht nur verhielt sich das Köngreich Joseon politisch loyal gegenüber dem großen Bruder China, sondern adaptierte im großen Stil das Staatssystem, die Kultur, die Gewänder und Staatsphilosophie (den Konfuzianismus) des Kaiserreiches. Man kann davon ausgehen, dass Korea zur Zeit der Ming-Dynastie das Chinesische Kaiserreich nicht nur fürchtete, sondern in jeder Hinsicht – geistig wie kulturell – bewunderte.

So kam es vor, dass Korea zu manchen Anlässen ihr Land offiziell „Staat Korea der Ming“ oder „Staat Korea der Kaiserlichen Ming“ bezeichnete. Obgleich Korea auch während der späteren Qing-Dynastie ein Vasallen-Staat des Kaiserreiches von China war, so bezeichnete sich Korea nie als „Korea der Qing“.

Diese besondere Verbundenheit des Joseon-Staates zum Kaiserreich Ming wurde durch die Invasion Japans in Korea im späten 16. Jahrhundert (Imjin-Krieg) verstärkt. Das Chinesische Kaiserreich der Ming-Dynastie eilte Korea zu Hilfe und konnte mit den koreanischen Verbündeten zusammen die Truppen des japanischen Reichseinigers Toyotomi Hideyoshi unter enormem Blutzoll aus Korea vertreiben.

Durch den Imjin-Krieg in Korea, der sieben Jahre dauerte und mehr als Hälfte der chinesischen Garnisonen in der Mandschurei aufrieb, wurde China an den Rand des finanziellen Kollapses gedrängt. Dies legte den Grundstein für den späteren Aufstieg der Mandschu und somit den Untergang des letzten Kaiserreiches der Han-Chinesen.

Jahrhunderte lange schaute Korea kulturell auf das entfremdete China herab

Im frühen 17. Jahrhundert rebellierten die Mandschu gegen die chinesische Ming-Dynastie und gründeten das Khanat „Spätere Jin“ (angelehnt an den Staat Jin der mandschurischen Jurchen  im 12. Jahrhundert, welcher den Norden Chinas besetzte). Das Chinesische Kaiserreich, das im chinesischen Inland von Hungersnöten und Aufständen heimgesucht wurde, erlitt durch die Mandschu mehrere verheerende militärische Niederlagen, sodass die Mandschu schon wenige Jahre nach der Rebellion einen Großteil der chinesischen Provinzen in der Mandschurei besetzen konnten.

1616 krönte sich der mandschurische Großkhan Abahai (im Chinesischen vor allem bekannt als Huang Taiji) zum Kaiser und rief das Kaiserreich „Da Qing“ (Groß Qing) aus. Damit erhob der Großkhan der Mandschu Anspruch auf den chinesischen Kaiserthron. Das Wort „Qing“ symbolisiert nach der Lehre der Fünf Elemente das „Wasser“, welches das „Feuer“ der Ming löschen soll.

Um den Rücken im Falle eines Eroberungsfeldzugs gegen China freizuhalten, überrannten die Mandschu im Jahr 1636 in nur zwölf Tage Chinas Verbündeten und Vasallen Korea. Monate lang in der Festung Namhansanseong eingekesselt, kapitulierte der koreanische König schließlich im Frühjahr 1637. Die Prozeduren und Bedingungen der Kapitulation vor den Mandschu stellten auch Jahrhunderte danach bis zum heutigen Tage eine nationale Schande für die Koreaner dar.

König Injo machte vor dem Qing-Kaiser Abahai den rituellen Kotau und unterwarf sich dem Mandschu als ein Vasall. Sechshunderttausend Koreaner wurden daraufhin als Sklaven in die Mandschurei gebracht und dort auf dem Markt wie Vieh verkauft. Auf den Befehl des Qing Kaisers Abahai hin errichteten die Koreaner am Ort der Kapitulation ein Denkmal, welches „Stele für die Errungenschaften und Tugenden des Kaisers der Groß-Qing“ genannt wurde.

Immerhin gewährten die Qing den Koreanern – ähnlich schon zur Zeit der Mongolenherrschaft – eine weitgehende Autonomie unter der Oberherrschaft der Mandschu. In diesem Zusammenhang tolerierten die Qing die Pflege und Beibehaltung der althergebrachten Bräuche, Traditionen und Gewänder der Koreaner.

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Im Gegensatz dazu erließ der Qing-Regent Dorgon unmittelbar nach der Eroberung des chinesischen Kaiserreiches Ming unter Androhung der Todesstrafe einen Erlass, wonach alle Chinesen die Zopf-Tracht (wobei ein Großteil des Kopfs kahl rasiert werden musste) und Kleidungen der Mandschu zu tragen hatten. Die bis dato seit mehr als zweitausend Jahren von Han-Chinesen und anderen sinisierten Völkern getragenen traditionelle Gewänder und Kleidungen stellten aber eine der zentralen Elemente der han-chinesischen Zivilisation und Identität dar. Zudem symbolisierte die „Unversehrtheit der Kopfhaare und des Körpers“  laut konfuzianischer Tradition die Kindliche Pietät, weshalb Haarescheren und Tätowierungen zu den Tabus der Han-Chinesen  gehörten. Dementsprechend wurde das Erlass der Mandschu zur Übernahme mandschurischer Kleidungen und Zopftracht mit erbitterter Widerstände seitens der han-chinesischen Bevölkerung begegnet, die nur mit äußerster Brutalität niedergeschlagen werden konnten. Dem Prinzip des Erlasses „Behaltet den Kopf, so müsst ihr Kopfhaare verlieren. Behaltet ihr aber die Kopfhaare,  so verliert den Kopf“ entsprechend, patrollierten vielerorts Friseure auf Befehl von Mandschu-Generälen durch die Straßen und schlugen denjenigen Passanten den Kopf ab, die die alte Kopftracht trugen und beim sofortigen Haarschneiden Widerstand leisteten (Man Qing Bai Shi, 1914).

Die Koreaner behielten jedoch weiterhin die Haartracht und Kleidungen nach han-chinesischer Tradition. Zeitgenossen der frühen Qing-Zeit berichteten von han-chinesischen Besuchern in Korea und Japan, dass sie beim Einblick der dortigen Menschen und deren Bekleidungen in tiefe Scham versanken, da die Koraner und Japaner offensichtlich von ihrem Äußeren „chinesischer“ aussahen als die Qing-Chinesen selbst: Allein von ihren Kostümen und Haartracht her sahen die Chinesen nun eher wie die nomadischen Mandschu oder Mongolen aus.

Die konfuzianischen Eliten Koreas, die Korea schon während der Ming-Dynastie oftmals „Klein-China“ genannt haben, sahen die chinesische Zivilisation im Reich der Mitte nach der Unterwerfung Chinas durch die Mandschu und die damit einhergehende „Tatarisierung“ der chinesischen Gebräuche nun endgültig erloschen. Fortan sahen sie Korea als „den wahren Erben der chinesischen Zivilisation“, wie übrigens zur gleichen Zeit auch Gelehrte der konfuzianisch geprägten japanischen Mito-Schule das Land der aufgehenden Sonne nach dem Untergang der letzten han-chinesischen Dynastie als den einzigen wahren Erben der Zivilisation des Reichs der Mitte betrachteten.

Obgleich das Königreich Joseon auch während der Qing-Dynastie unter der Oberherrschaft des Kaiserreiches China stand, dessen Kaiser nun mehr der mandschurische Clan Aisin Gioro stellte, so schauten die meisten konfuzianischen Gelehrte Koreas kulturell auf das Kaiserreich China herab. So nannten sie den mandschurischen Kaiser Chinas inoffiziell oft als den „Barbarenkönig“ und verwendeten bis ins 19. Jahrhundert hinein insgeheim die Jahresdevise des letzten chinesischen Ming-Kaisers Chongzhen (Zhu Youjian), wie hier eine mit der Jahresdevise Chongzhen versehenen Stele aus dem Jahr 1766 eindrucksvoll dokumentierte, obgleich der han-chinesische Kaiser Chongzhen bereits seit 122 Jahren tot war.

Mit der zunehmenden Verfestigung der Mandschu-Herrschaft in China, wodurch auch die Han-Chinesen nun mehr das Tragen von mandschurisch geprägten Zopf-Tracht und Kleidungen als eine Selbstverständlichkeit betrachteten, wuchs die kulturelle Entfremdung zwischen Korea und China. Schließlich unterschieden die Koreaner kaum noch zwischen Mandschu und Han und übertrugen auch ihre Feindseligkeit gegenüber den Mandschu auf China.

Nach der Niederlage der Qing im Japanisch-Qing-Krieg 1894-1895 (in Europa auch bekannt als der „Erste Japanisch-Chinesische Krieg“) auf der koreanischen Halbinsel, löste sich Korea von der Oberherrschaft der Qing und erklärte im Jahr 1897 die Unabhängigkeit. Aus dem Königreich Joseon wurde das „ Großkoreanische Kaiserreich“. Als eine der ersten Maßnahmen zur Beseitigung ausländischer Einflüsse rissen die koreanischen Nationalisten die „Stele für die Errungenschaften und Tugenden des Kaisers der Groß-Qing“ nieder und vergruben, bis sie eines Tages von der südkoreanischen Republik als historisches Relikt ausgegraben wurde, um der nationalen Schande Koreas ein Denkmal zu setzen.

Japanische Kolonialherrschaft und die Entstehung des völkischen Nationalismus

Das Koreanische Kaiserreich leitete nun eine Reihe von Maßnahmen ein, um das Land zu modernisieren und zu industrialisieren (auch bekannt als Gwangmu Reform). Seine Unabhängigkeit im Zangengriff der Großmächte versuchte das Reich dadurch zu erhalten, indem es Japan und Russland gegeneinander ausspielte, die nach einer Eingliederung Koreas in ihren Einflussbereich trachteten. Das Kaiserreich Korea hatte jedoch nur einen kurzen Bestand. Mit dem Sieg Japans im Russisch-Japanischen Krieg musste Russland 1905 seinen Einfluss auf Korea aufgeben. Korea wurde japanisches Protektorat und 1910 endgültig vom Großjapanischen Kaiserreich annektiert.

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Kommentare ( 10 )

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Will Anders
7 Jahre her

Sehr interessant, vor allem der geschichtliche Teil, hen you yisi. Die Geschichte spielt in Ostasien eine viel größere Rolle als im Westen. Man kann die gegenwärtige Situation auch mal unter militärischen Aspekten betrachten, denn Washington hat in der Geschichte häufig jede Vernunft zugunsten der puren Kriegslust vergessen, wie zuletzt unter dem Friedensnobelpreisträger Obama, der sieben wehr-, harm- und bedeutungslose Länder vergewaltigte. Warum sollte nicht auch Nordkorea mit Friedensbotschaften Made in USA überbracht per B-52 oder ballistische Missiles beglückt werden? Also angenommen, Trump oder der nächste US-Präsident Zuckerberg entscheidet, das nordkoreanische Nukleararsenal zu zerstören und es gelingt ihm auch. Im allernächsten… Mehr

Andreas Schneider
7 Jahre her

Herrn Zhus Beiträge sind nie leichte Kost, und beim besten Willen kann ich auch nach der Lektüre dieses Artikels nicht behaupten, jede Einzelheit tatsächlich verinnerlicht zu haben und wiedergeben zu können. In jedem Fall aber hebt sich diese Analyse wohltuend vom Alltagsgeschrei der Unzahl „Experten“ in Medienhäusern ab – zumal dort die Trump-Hysterie im Vorfeld jeder „Beurteilung“ steht. Besten Dank!

xandru
7 Jahre her

Hat es unsere Kultur verlernt, sich zu wehren? Deutschland ganz sicher.

Aber die Alliierten der Weltkriege? Sie kultivieren zu Recht das Gedenken; sind doch viele gestorben für den zweimaligen Wahnsinn der Deutschen.

Und denen wollen wir besserwisserisch Vorschriften machen? Wir, die wir seit 1945 keine andere Verantwortung mehr für unsere eigene Freiheit übernommen haben als beim großen Bruder unter den Rock zu krabbeln?

xandru
7 Jahre her

Unsere Lösung wären wohl Wattebällchen, Stuhlkreise, Lichterketten und Namentanzen auf Koreanisch – also vorauseilende Unterwerfung.

Leider gebärden wir uns seit der Wiedervereinigung, als wären wir die Führung einer Großmacht Europa. Dabei sind wir auf dem direkten Weg zum Entwicklungsland: MINT, PISA, Platz 51 im Sicherheitsranking…

Thax
7 Jahre her

Wow, selten so einen interessanten Artikel gelesen. Danke !!

Seneca
7 Jahre her

Überdauern als Ziel aller Politik: Kim erscheint so viel rationaler als unsere angeblich so rationale AM !

Steuerzahler
7 Jahre her

Ich denke, das die Partei der Arbeit Koreas (PdAK) mit der Familiendynastie Kim an deren Spitze von „Befreiern“ wie im Irak, in Libyen und in Syrien in Ruhe gelassen werden möchte. Um mehr geht es nicht. Zumindest nicht für Nordkorea.

Tubus
7 Jahre her

Respekt für diesen tiefschürfenden Artikel, der allerdings eher Ratlosigkeit befördert, als dass er Handlungsptionen aufzeigt. Er ignoriert die Adenauersche Weisheit, dass politische Fragen sich im Kern auf einfache Fragen reduzieren lassen bzw. reduziert werden müssen um handeln zu können. Macht man diesen Versuch, zeigt sich der grundlegende Widerspruch zwischen dem chinesischen Machtanspruch und den amerikanischen geopolitischen Interessen. In diesem Spannungsfeld sortieren sich die Interessen der lokalen Mitspieler. Dabei ist die wachsende Wirtschaftsmacht China in der Offensive und die schwächelnden USA sind in der Defensive. Niemand hat dabei Interesse an einem katastrophalen Konflikt, obwohl bei Machtversiebungen dieses Risiko immer besteht. Die… Mehr

HighTower
7 Jahre her

Mir schwirrt der Kopf ob der vielen fremden Namen für Kaiser, Könige, Vasallen und Reiche, sehr viele interessante Informationen, Vielen Dank für den historischen Exkurs.

Rheinschwimmer
7 Jahre her

Besten Dank, Herr Zu, für diesen hochinformativen Beitrag zur Geschichte und Politik Koreas in Vergangenheit und Gegenwart. Wer die Vergangenheit nicht kennt, Mächtekonstellationen, Geopolitik, Rivalitäten, Bündnisse, Kriege und deren Folgen, Siege und Niederlagen, Feinde und Verbündete, Interessen und die Strategien in Ausübung von Macht und Einflüssen, Abhänigkeiten und Bestrebungen Abhänigkeiten wieder zu beenden, hat nicht die mindesten Voraussetzungen dafür zu verstehen, was Geschichte ist und was Geschichte bedeutet. Wenn die aktuelle Kanzlerin bekennt, sie habe z.B. nicht die mindeste Ahnung in Hinblick auf die Aussenpolitik von Otto von Bismarck, dem Begründer des zweiten deutschen Reiches, ist das ein Armutszeichen sondergleichen… Mehr