Was nicht passt, wird passend gemacht: mit Rechtsbeugung gegen Orbán

Was Weber über seine Straf- und Racheaktion gegen Orbán hinaus will, ist politische Sippenhaft gegen alle unfolgsamen Abgeordnetengruppen.

IMAGO / Reiner Zensen

Die Europäische Volkspartei (EVP) hat eine Rechtsstaats- und eine Führungskrise. Da sind sich alle Beteiligten einig. Die linksliberalen Kräfte aus Ländern wie dem Steuersumpf Luxemburg – ebenso wie die rechtskonservativen Kräfte der ungarischen Fidesz. Zwischen den Stühlen: Parteien wie die deutschen Unionsparteien, die sich auf liberale wie christlich-konservative Werte berufen. Dieser Konflikt hat sich nun in einer rechtlich höchst heiklen Änderung der EVP-Fraktionssatzung zugespitzt. Ungarns Ministerpräsident und Fidesz-Chef Orbán hat daraufhin den Auszug der Fidesz-Abgeordneten aus der EVP-Fraktion bekannt gegeben.

Der Streit geht um die Frage, welche Werte die EVP in Zukunft vertreten will, in welcher Konstellation sie in der Zukunft am EU-europäischen Entscheidungsprozess beteiligt sein will. Und während sich nordische und Benelux-Parteien lieber in einer großen Koalition mit den Sozialisten und Linken sehen, möchten andere, große Parteien ihr christlich-konservatives Erbe noch nicht aufgeben. Doch genau dort ist die Politik von Fidesz angesiedelt, rechts der Mitte, mit einem ganz klaren Leitbild: christlich, konservativ und patriotisch. Ganz klar europäisch, aber eben ein bisschen old school, so wie damals Helmut Kohl, Wilfried Martens oder fast alle französischen Präsidenten, ist Orbán der Meinung, dass die Voraussetzung für ein starkes Europa starke Mitgliedstaaten sind und die EU ein Konstrukt, welches von den Mitgliedstaaten aus gesteuert wird. Eine Meinung, die durchaus auch das deutsche Bundesverfassungsgericht vertritt.

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In diesem Streit verliert sich nun die EVP und hat jetzt extra auf die Schnelle einen Inquisitionsrat einberufen, der mit der Fraktionssatzungsänderung, der Lex Fidesz, eine Strafexpedition gegen Orbán durchführen sollte. Darin waren nur Orbán-Gegner, handverlesen, damit ja kein objektives Kriterium die Suppe verwässert. Jedoch hat Orbán, prompt, wie er ist, einen Brandbrief an Weber verfasst, in welchem er ankündigte, dass Fidesz die EVP umgehend verlässt, wenn die Lex Fidesz zur Abstimmung gestellt und mit Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen wird. Und so ist es gekommen.

Nun wäre es für Weber und Co. bequem, Viktor Orbán gehen zu lassen, einige radikale, wie die ehemals konservativen Luxemburger würden ihn wohl am liebsten gleich in die absolute politische Verbannung schicken: raus aus der EVP, raus aus der EU. Dafür sind ihnen alle Mittel recht. Mit Fidesz würde jedoch auch zeitgleich der konservative Flügel der EVP geschwächt, wenn nicht gar ganz zum Verstummen gebracht. Schließlich kann es ab dann jeden treffen, der der EVP-Führung missliebig ist. Andere Meinung? Raus!

Und dass die pro-europäischen Fanatiker auch dem wunderbaren europäischen Projekt einen Bärendienst erweisen, scheint ihnen nicht bewusst zu sein. Die abgehobene Brüsseler-Blase handelt schon lange an den realen Menschen in den realen Mitgliedsländern vorbei. Sie haben mit ihrer Ideologie der „ever closer union“, also der immer mehr Kompetenzen von den Bürgern weg nach Brüssel verlagernden Strategie nicht nur die Briten so sehr verärgert, dass Großbritannien die EU verlassen hat, sie machen auch während der größten Pandemie aller Zeiten, der Covid-Krise, unbeirrt weiter und beschimpfen den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán, er würde unsolidarisch handeln, nur weil er russischen und chinesischen Impfstoff für die ungarische Bevölkerung beschafft. Dabei ist Orbáns Impfstrategie klar und erfolgreich: Die EU hat bei der Beschaffung versagt und er rettet Leben, denn für ihn stellt sich nur die Frage, ob der Impfstoff wirksam und vorhanden ist und nicht, ob er aus einer politisch opportunen Produktion stammt. Während Brüssel in der Impfstoffbeschaffung so vollkommen versagt hat, dass sich sogar die EU-freundliche SPD nicht mehr mit Kritik zurückhält.

Eine politische und persönliche Sache
Ungarische Fidesz-Partei von Viktor Orbán verlässt freiwillig EVP-Fraktion
Migrationskrise, Brexit, Covid-Pandemie, Wirtschaftskrise – all diese Probleme scheinen unwichtig zu sein in den Augen von Donald Tusk, Manfred Weber und ein paar anderen. Für diejenigen, die vergessen haben, wer Donald Tusk ist: Er war früher Ministerpräsident von Polen, bis seine Partei auch wegen des großen Abhörskandals in seiner Regierung den Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat. Danach gingen er und andere Regierungsmitglieder ins politische Exil nach Brüssel und dort ist er seit einiger Zeit nun Vorsitzender der EVP, jedoch als Reiter ohne Ross, ohne Rückhalt in Polen. Und Manfred Weber ist der ewige Spitzenkandidat, der es bisher nur noch nicht geschafft hat, wirklich wichtige Ämter zu bekommen, aber er steht nach wie vor in den Startlöchern. Er hofft darauf, ohne Fidesz die Sozialisten und linken Kräfte vor seinen Karriere-Karren spannen zu können und vielleicht doch noch Präsident des EU-Parlaments zu werden, oder wenn das auch nicht klappen sollte, einen anderen guten Posten zu ergattern.

Was für diese Leute wirklich wichtig ist, ist der Ausschluss von Fidesz aus der EVP. Dabei schrecken sie vor keinem Mittel zurück: Die Änderung der EVP-Fraktionssatzung, die Lex Fidesz, soll rückwirkend und kollektiv die Fidesz-Abgeordneten im EU-Parlament bestrafen. Maßgeschneidert. Es wäre ja gar nicht illegitim, dass eine Partei oder eine Fraktion die Mitgliedschaft an gewisse Bedingungen und auch Loyalitäten binden möchte. Fraktionszwang heißt das normalerweise. Aber ein Teil der EVP geht hier über die grundsätzlichsten Rechtsprinzipien, die wir in Europa haben, nonchalant hinweg: Im römischen Recht ist das Prinzip „nulla poena sine lege“, zu deutsch: keine Strafe ohne Rechtsgrundlage, verankert. Es gibt keinen Staat in der EU, der es wagen würde, dieses Prinzip zu verletzten. Es gilt: Rückwirkend kann nicht bestraft werden, weil es keine Rechtsgrundlage gab. Aber das stört in der EVP offenbar niemanden.

Lex Fidesz
Aber es gibt noch ein weiteres Prinzip, welches wir allenfalls aus der Geschichte oder von wirklich brutalen Diktaturen kennen: die Kollektivbestrafung. Der linksliberale Flügel der EVP möchte nämlich in Zukunft ganze Gruppen von Abgeordneten bestrafen können, auch hier findet sich die Vorlage bei den Ungarn: Weil ein ungarischer Abgeordneter den Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber offen angegriffen (und sich später dafür entschuldigt) hat, soll die Rache Webers jetzt besonders süß ausfallen. Fortan ist es möglich, ganzen Ländergruppen von Abgeordneten Stimmrechte, aktives und passives Wahlrecht und Nominierungen für wichtige politische Ämter in der EU zu verwehren.

Dass dies eine ganz klare politische Sippenhaft ist, die die freie Ausübung des individuellen Abgeordnetenmandats einschränkt, stört hierbei offenbar nur die bösen Buben aus dem Osten.

Indem die EVP-Führung diese grundsätzlichen rechtlichen Prinzipien verletzt, bestraft sie nicht nur die von ihnen ungeliebten Fidesz-Abgeordneten, sie verstößt gegen fundamentale Rechtsprinzipen und öffnet einer weiteren politischen Inquisition gegen unangenehme Abgeordnetengruppen Tür und Tor. Vielleicht lassen sich Fraktionsstatuten verbiegen, aber Viktor Orbán lässt sich sicher nicht beugen. Er hat seit mehr als einer Dekade die Bevölkerung Ungarns hinter sich und regiert mit 2/3-Mehrheit.


Daniel Landeck ist Leiter des Brüssel Büros der Fidesz-Stiftung, der Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn. Er schreibt hier seine persönliche Meinung.

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Kommentare ( 36 )

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Marie-Jeanne Decourroux
3 Jahre her

Gemach, die kriegen das schon hin mit der Zerstörung der EU. Dann gibt’s einen Neufang.

Karl Schmidt
3 Jahre her

Die EU ist nicht Europa. Die Cancelpolitik ist nicht liberal. Solange sich die neuen Radikalen mit solchen hübschen Begriffen schmücken (und sich dahinter verstecken) können, machen wir es ihnen viel zu einfach. Gewöhnen wir uns also an, die Dinge korrekt zu bezeichnen.

hoho
3 Jahre her

Ganz am Anfang gab es keine Demokratie, es gab nur Stammesältesten. Dann gab es wohl erste größere soziale Gebilde und man hat dann erste Könige gehabt mit mehreren großen Familien es schwer war etwas zusammen zu bauen. Irgendwann ist dazu eine Demokratie entwickelt worden wo jede mitbestimmen durfte. So lange die Gesellschaften mindestens geografisch klein blieben, war es kein Problem alle zu versammeln und eine Abstimmung zu halten. Das haben wir mit großen Staaten nicht mehr für möglich gehalten deshalb haben wir ja eine repräsentative Demokratie plus ein Paar Sicherheitsmechanismen nun die scheinen komplett versagt zu haben. Sieht man schon… Mehr

PM99
3 Jahre her

Die EU wird immer mehr zu einem totalitären Unterdrückungsapparat. Viel unterscheidet sie in dieser Hinsicht nicht mehr vom RGW des Ostblocks, wo die einzelnen Länder nichts zu melden hatten.

Kaltverformer
3 Jahre her

Diese, aus den Nationalstaaten, abgeschobenen und abgehalfterten Politikern, die zu Hause schon zum C-Personal gehörten, wurde das große Spielzeug in die Hand gegeben…… und damit haben sie ein einstmals wirklich tolles Konstrukt namens EWR ruiniert.

Das spaßige ist ja, das die konservativen Parteien nicht erkannten, dass sie (in Deutschland von oben mit Merkel, in anderen Ländern von unten) von Sozialisten unterwandert wurden und eigentlich gar nicht mehr als konservativ, christlich bezeichnet werden dürften, da schon längst auf linksgrün gepolt.

Man sieht ja, wie das „Spitzenpersonal“ so g e w ä h l t wurde……

country boy
3 Jahre her

Jeder, der seine Heimat bewahren will, gerät ins Fadenkreuz der Globalisten. Deshalb hat die CDU ja auch Haldenwang auf die einzig verbliebene Kraft in Deutschland losgelassen, die sich noch gegen eine Überfremdung stemmt.

Last edited 3 Jahre her by country boy
Sonny
3 Jahre her

Vielen Dank für diese Informationen. In unserer Tageszeitung liest sich der Vorgang völlig anders. Dort wird suggeriert, dass der rechtsradikale Orban erfolgreich von der EU bekämpft und „hinausgedrängt“ wurde. An der Spitze der EVP-Fraktion des EU Parlaments steht seit 2014 Manfred Weber. Wer sich mit Weber beschäftigt hat, weiß, woher der Wind weht. Stramm in die nächste Diktatur, Widerspruch ist nicht gewünscht und wird entsprechend „geahndet“. Und immer wieder sind da irgendwo Deutsche beteiligt, die die freiheitliche Demokratie um jeden Preis aushebeln. Einfach nur noch widerlich. Ich erinnere mich an Zeitungen in Griechenland, die merkel als Adolf Hitler – Kopie… Mehr

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Fidesz soll nicht jammern, sondern froh sein. Raus aus der ehemals konservativen EVP und rein in die ID, die langfristig wachsen wird, wenn die Migrationsprobleme mit mathematischer Zuverlässigkeit wachsen werden. Nicht Fidesz wird geschwächt, sondern die EVP. Höchste Zeit.

usalloch
3 Jahre her

Irgendwann werden Sezessionsbestrebungen eintreten. Denn es rumort in der EU schon lange. Italien z. B. ist auch ein Wackelkandidat. Und warten wir ab bis die Seidenstraße in Fahrt kommt. Dann werden die Karten neu gemischt.


Elli M
3 Jahre her

Zuviel der Worte für diese Multinullen, welchen Bürger interesseirt die EVP überhaupt? Pöstchenbeschaffungsorganisation auf Steuerzahlerkosten.

Sonny
3 Jahre her
Antworten an  Elli M

Leider kommt das beim normalen Bürger aber völlig anders an, die EVP wird so als Fraktion gar nicht wahrgenommen, sondern die Bürger setzen die EVP mit der Gesamt-EU gleich. Und die Meldungen der deutschen MSM suggerieren genau das: Orban ist ein Verbrecher und den hat die EU jetzt entlarft und zum Rücktritt gezwungen.