Tichys Einblick
Ärger mit den Oligarchen

Warum Putin die Gasrechnung in Rubel beglichen haben möchte

Der Wunsch Putins, die russischen Gaslieferungen von westlichen Käufern nicht mehr in Euro oder Dollar, sondern in Rubel begleichen zu lassen, hat weniger mit den Käufern zu tun, als vielmehr mit den Empfängern, den sogenannten Oligarchen.

Wladimir Putin bei einer Videokonferenz mit Regierungsmitarbeitern in Moskau, 31.3.2022

IMAGO / ITAR-TASS

Manchmal ist man bass erstaunt, mit welcher Unbekümmertheit und Arroganz manche Entscheidungen des russischen Diktators Wladimir Putin von der Vielzahl sogenannter Experten in den hiesigen TV-Studios beurteilt werden. Als säße da im Kreml ein Mann, der einzig darüber nachdenken würde, wie er dem Westen ein Schnippchen schlagen könne. Ein solches Beispiel ist die Bewertung der Forderung Moskaus, seine Rohstofflieferungen in den Westen in Rubel, anstatt wie bisher in den Hart-Währungen wie Dollar und Euro, zu bezahlen. Damit, so tönte es von den “Neunmalklugen”, wolle der Kreml seine Handelspartner vorführen, indem er sie zwinge, die West-Valuta bei der Russischen Zentralbank in Rubel zu tauschen. In diesem Fall unterliefen die westlichen Abnehmer das von ihnen selbst verhängte Embargo, zu dem auch das Verbot von Geschäften mit der Russischen Zentralbank gehört. Gleichsam solle mit diesem Manöver der sich im freien Fall befindliche Rubel stabilisiert werden.

Diese Logik ist genauso abenteuerlich, wie sich “Max und Moritz” das Geschehen in einer freien Marktwirtschaft vorstellen. Zum einen kann Putin jederzeit selbst die eingenommenen Devisen in Rubel transferieren! Was er übrigens mit dem größten Teil des Geldes (im Jahr annähernd 400 Milliarden Dollar) auch macht. Bekanntlich ist die im Inneren Russlands geltende Währung der Rubel. Auf seiner Basis funktioniert der innerrussische Geldverkehr in fast allen Bereichen. Vom jährlichen Ertrag verbleiben nach Erkenntnissen westlicher Wirtschaftsinstitute und Geheimdienste lediglich 20 Prozent in der Herkunftswährung.

Und genau da liegt für Putin in Wahrheit der “Hase im Pfeffer”. Diese vertraglich vereinbarte Prozedur will die “Nummer 1”, wie seine Umgebung Putin nennt, abstellen. Betroffen davon wären vor allem die rund zwanzig mächtigsten Oligarchen im Reich des neuen Zaren. Vielleicht erinnern sich noch manche an die Fernsehbilder eines Zusammentreffens des damals neuen Präsidenten Wladimir Putin mit den mächtigsten und reichsten Magnaten des Landes im Frühjahr 2000. Mit am Tisch saß das absolute Schwergewicht dieser Klasse, der Multi-Milliardär Boris Beresovski, der nur wenig “leichtere” Chodorkowski und andere, so wie auch der nicht minder mächtige Deripaska.

Unmissverständlich machte Putin klar, dass er der “Herr im Hause Russland” ist und von seinen Gästen absolute Loyalität verlange. Insbesondere sollten sich die Herren von jeder Form der Einmischung oder Beeinflussung politischer Prozesse fernhalten. Wer sich nicht daran halte, so die klare Botschaft, habe mit Konsequenzen zu rechnen. An diese Art des Umgangs gewohnt, erhob sich kein Widerspruch. Dann nahm sich der “Chef” einzelne Oligarchen persönlich vor. Besonders demütigte er Deripaska. In einer von dessen Fabriken hatte sich infolge von Schlamperei ein schrecklicher Unfall mit schlimmen Folgen für Menschen und Umwelt ereignet. Putin befahl den Unternehmer zu sich an die Spitze des Tisches und ließ sich von ihm eine Verpflichtung unterschreiben, nach der er für die Folgen des Desasters in jeder Hinsicht hafte und dafür eine Milliardensumme Entschädigung in Dollar leiste.

Deripaska war so eingeschüchtert, dass er im Laufschritt nach vorn eilte und unterschrieb. Danach vergaß er vor Aufregung, Putin dessen Montblanc-Kugelschreiber zurückzugeben. Auf dem halben Weg zurück schallte dem Vorgeführten der Ruf Putins nach: ”Halt, sie haben etwas vergessen – meinen Stift.” In gebückter Haltung bewegte sich der Superreiche zurück und legte mit einer entschuldigenden Geste das edle Stück vor dem Besitzer ab. Jeder im Raum hatte diese Zwischeneinlage als klare Warnung an alle verstanden!

Kreml kündigt jahrzehntelangen Deal auf

Aber Putin wäre nicht Putin, wenn er nicht auch einen Deal mitgebracht hätte, der da kurz und knapp lautete: ”Ihr haltet euch aus meinen Dingen raus, und ich halte mich aus euren heraus.” Da aber bei Treffen in solchen Kreisen immer auch die Devise: ”Nur Bares ist Wahres” gilt, machte der Kremlherr auch gleich noch die Schatztruhe auf. Ein Fünftel der Erlöse aus den Rohstoffexporten könnte die ”feine Gesellschaft” unter sich aufteilen. Gar nicht erwähnt werden musste, dass die Betreffenden keinerlei Befürchtungen vor Polizei und Justiz bei der Abwicklung ihrer Geschäfte haben müssten. Sie genossen quasi eine vom Zaren verbriefte Immunität.

Nur zwei der Mitspieler hielten sich nicht an die Regeln. Der eine war Boris Beresovski, zu dem Putin zuvor eine enge Beziehung aufgebaut hatte. So finanzierte dieser gewaltige Medienguru PR-Kampagnen, um die Popularität des Jelzin-Nachfolgers in bis dahin nicht gekannte Höhen zu treiben. Den ersten Fehler machte B., als er in der Moskauer neureichen Schickeria mit seinen guten Kontakten zu “meinem Freund Wladimir” prahlte. Nichts verachtet Putin mehr als Geschwätzigkeit. Schnell kühlte sich das Verhältnis ab. Der Ausgestoßene wollte dies nicht hinnehmen und begann öffentlich, Putins Politik zu kritisieren. Mehr noch – er gründete oppositionelle Organisationen und unterstützte kremlkritische Parteien. Schließlich kam es so, wie es immer kommt! Er wurde außer Landes getrieben und gründete in New York das Emigranten-Center “Freedom House”. Gleichzeitig finanzierte er Anti-Putin-Kampagnen in allen Gattungen der Medien. Sechs Mordanschläge des russischen Geheimdienstes schlugen fehl. Mittlerweile galt B. als der bestgeschützte Mann der Welt. Am Ende doch alles vergeblich!

Man fand den Mann aufgehangen in seinem Londoner Penthouse. Es sollte wie Selbstmord aussehen, aber die Experten des britischen Geheimdienstes fanden heraus, dass die Verknotung des Strickes nicht vom Toten selbst gefertigt sein konnte, sondern von Dritten – möglicherweise sogar erst nach dem Tode – “fabriziert” worden sei. Abschließend konnte der Tathergang aber nicht ermittelt werden.

Ein weiterer, der aus der Reihe tanzte, war der Öl-Tycon Michail Chodorowski. Auch er gründete eine Anti-Putin-Partei. Als die Verstaatlichung seiner Ölfirmen drohte, versuchte er, diese in letzter Minute an US-Unternehmen zu verkaufen. Doch wieder war Putin schneller. Chodorowski wurde verhaftet und verbrachte viele Jahre unter verschärften Bedingungen in den Straflagern Sibiriens. Schließlich wurde er in den Westen entlassen und zum Schweigen verpflichtet. Doch der Mut verließ ihn nicht. Erst in dieser Woche warnte er den Westen vor weiteren Aggressionen und Angriffskriegen Russlands: ”die Ukraine ist erst der Anfang.”

Nur wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verfassten siebzehn Oligarchen einen offenen Brief an Putin, indem sie die kriegerischen Handlungen scharf verurteilten und die sofortige Beendigung forderten. Der Kreml reagierte unmittelbar. Alle siebzehn wurden zu Putin einbestellt. Wladimir Putin eröffnete ihnen kurz und bündig, dass sie sich nicht an die Vereinbarung von 2000 gehalten hätten. Damit sei der gesamte Deal in Frage gestellt. Sollte sich so etwas wiederholen, müssten sie harte Konsequenzen tragen. Was Putin nicht sagte, war, dass er die Strafe schon beschlossen hatte.

Rubel Poker über Exporterlöse nur Nebenschauplatz

Der vereinbarte Anteil aus den Exporterlösen könnte, im Falle der Bezahlung in Rubel auch nur in der heimischen Währung in Moskau überwiesen werden. Dies alles natürlich nur unter strikter Kontrolle der Geldflüsse und deren Verwendung. Die Verärgerung des Westens war für ihn nur ein Nebeneffekt. Es leuchtet ein, dass dieses Manöver die Oligarchen schmerzhaft trifft. Das wenigste, was sie gebrauchen können, sind russische Rubel! Keine Bank der Welt, außer der Russischen Staatsbank würden diese in Dollar umtauschen. Sie waren es gewohnt, das “Putinsche Schweigegeld” nach Belieben rund um die Welt zirkulieren zu lassen und nicht zuletzt damit ihren luxuriösen Lebensstil, inklusive stattlicher Immobilien, prächtiger Luxusjachten und Privatflugzeugen, zu finanzieren. Hinzu kommt, dass größere Teile dieser Schätze mittlerweile bis auf Weiteres von den westlichen Staaten konfisziert worden waren, wie auch die Konten der Verfügung entzogen sind.

Bitteren Humor verriet übrigens Londons Oberbürgermeister, indem er in dem beschlagnahmten Palast des Oligarchen und noch “FC Chelsea Besitzers”, Roman Abramowitsch, Obdachlose einquartierte. Der Oligarch selbst hatte den Einmarsch in die Ukraine verurteilt und angekündigt, den Erlös aus dem Verkauf seines britischen Fußballclubs komplett für ukrainische Flüchtlinge zu spenden.

Man darf gespannt sein, wie der Kampf zwischen dem Mächtigsten und den reichsten Russen weitergeht, wobei eines schon jetzt klar ist, er wird mit harten Bandagen geführt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen