Wahlkampf in Polen: Der unsichtbare Dritte

Gut ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen in Polen deutet alles auf einen erneuten Sieg der Konservativen hin. Dennoch durchlebt das politische Warschau derzeit einige Turbulenzen. Während die PO von Donald Tusk weiterhin orientierungslos ihrem Untergang entgegentaumelt, erntet eine kleine Oppositionspartei lauten Beifall und macht der regierenden PiS den Platz im liberal-konservativen Spektrum streitig.

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Dass sich in Polen ein potenziell neues Einfallstor für die linkspopulistische Opposition öffnen könnte, ist momentan nicht zu befürchten. Die sog. „Bürgerkoalition“, ein neosozialistisches Gemisch aus Parteien ohne Programm und Zielvorgabe, dafür aber mit einer gehörigen Prise Ideologie, ist auf ein historisches Umfragetief abgestürzt: Das von dem früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk angeführte Parteienbündnis kommt derzeit lediglich auf 20 Prozent. Die konservative Regierungskoalition (PiS, Solidarna Polska, Partia Republikańska) erreicht rund 40 Prozent.

Der Terminus „Idiot“ hat bekanntlich eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. In den Gesellschaften der griechischen Stadtstaaten bezeichnete er Personen, die sich aus sämtlichen öffentlichen Fragen heraushielten und lediglich auf privates Glück erpicht waren. Doch selbst die politisch Unkundigen in der Polis könnten heute jene üble Lage erkennen, in welche sich die größte Oppositionspartei PO hat treiben lassen. Eigentlich weiß jeder halbwegs vernunftbegabte Politiker, dass Parlamentswahlen – zumindest in Polen – seit Jahren in der konservativen Mitte gewonnen werden. Und trotzdem hat Donald Tusk in den letzten acht Jahren unaufhaltsam einen Linksruck vollzogen, ohne dass ihm diese Strategie bisher greifbare Ergebnisse gebracht hätte.

Zur Übernahme der Exekutivmacht braucht es nun einmal die Mehrheit – zumindest dann, wenn sich keine Minderheitsregierung installieren und handlungsfähig halten lässt. Oder zumindest ein Programm, das dem Oppositionsführer geradewegs die Wählerherzen zufliegen ließe. Die PO wirkt indes nicht nur orientierungs- und programmlos, sondern zufallsgesteuert und situativ. Donald Tusk ist kein ruhender Pol im politischen Spiel, seine in Brüssel angeordnete „Rückkehr“ an die Weichsel erwies sich als ein Missverständnis. Gegenwärtig klammert er sich an jeden scheinbar rettenden Strohhalm. So versucht er beispielsweise ältere Landsleute mit sozialen Zusatzleistungen anzulocken, während er noch vor einigen Jahren die jüngeren Wähler dazu animierte, die Personalausweise ihrer Großeltern zu verstecken. So würden sie den ganzen Sonntag mit Suchen verbringen und es nicht mehr zeitlich zur Wahlurne schaffen, wo sie ihre Stimme für die PiS abgegeben hätten. Eine solche Aktion wäre sogar erheiternd, wenn sie nicht den antidemokratischen Charakter offenbaren würde, für den die Bürgerplattform schon damals stand.

Donald Tusk muss also zumindest rein rechnerisch eine Mehrheit zusammenbasteln, sei sie noch so heterogen. Ein Wahlsieg ist trotzdem unwahrscheinlich. Zum einen will sich nicht jede Oppositionspartei seiner „Bürgerkoalition“ anschließen. Für Szymon Hołownias „Polska 2050“ ist eine gemeinsame Wahlliste mit der PO kein Thema. Eine ähnliche Meinung vertreten die konservativ eingestellten Akteure der Bauernpartei PSL, die inzwischen gemerkt haben, dass das von Tusk angestrebte Bündnis derweil von Linksextremisten unterwandert wurde. Zum anderen würden all diese Parteien noch mehr Wähler verlieren.

Letzten Umfragen zufolge wird die Regierungspartei PiS von Jarosław Kaczyński im Oktober ihre Vormachtstellung verteidigen. Die entscheidende Frage ist, ob sie dann auch ihre absolute Mehrheit im Sejm verteidigen kann oder aber auf einen weiteren Koalitionspartner angewiesen sein wird. Spätestens dann richten sich alle Blicke auf die Konfederacja (Konföderation). Die konservative Oppositionspartei schaffte es bei den Parlamentswahlen 2019 gerade mal auf 6,8 Prozent. Inzwischen liegt sei bei 11-13 Prozent. In den letzten Wochen verzeichnete sie zudem einen rasanten Mitgliederzuwachs. In den Wählertransfers spiegelt sich zudem eine Entwicklung wider, die Donald Tusk und Szymon Hołownia schwer zu schaffen macht. Denn es sind paradoxerweise vornehmlich PO- und Polska 2050-Wähler, die einen Gefallen an der Konfederacja gefunden haben. Es sind jene junge Menschen aus den Großstädten, die einst die Personalausweise ihrer Großeltern verstecken sollten.

Neun „Konföderierte“ sitzen im aktuellen Sejm, nach den Wahlen im Herbst werden es vermutlich weitaus mehr sein. Experten sehen viele Schnittmengen mit der PiS, insbesondere was das konservative Familienbild und die starke Rolle der katholischen Kirche anbelangt. In Wirtschaftsfragen wiederum positioniert sie die Partei von Krzysztof Bosak liberal und kritisiert die PiS für zu hohe Sozialausgaben. Damit macht sie sich bei zahlreichen jungen Unternehmern, Managern und Studenten überaus beliebt. Im Grunde genommen protestiert die Konfederacja lautstark gegen das gesamte Partei-Establishment. Der Schlüssel zum Erfolg liegt außerdem in der verjüngten Chefetage. „Alte Hasen“ der Konföderation, wie z. B. Janusz Korwin-Mikke, machten freiwillig Platz für jüngere Politiker, die einen dynamischen Eindruck vermitteln. Vor allem einer zog zuletzt die Aufmerksamkeit auf sich: Der 37-jährige Parteivize Sławomir Mentzen. Der in Toruń geborene Ökonom beherrscht wie kein anderer das mediale Klavierspiel.

Beinahe acht Jahre nach dem Regierungsantritt der PiS beobachten wir folglich eine interessante tektonische Verschiebung der polnischen Parteienlandschaft. Die konservativen Koalitionäre haben zwar bis heute kaum an Zustimmung verloren, doch in der Opposition gab es zuletzt mehrere politische „Nachbeben“. Donald Tusk wirkt nach wie vor geschockt, weil ihn die jüngere Stammwählerschaft für den Linksruck bestraft, der zugleich ein symptomatisches Beispiel für den unaufhaltsamen Niedergang der Bürgerplattform ist. Kurios: Statt in einer solchen Phase die programmatischen Ungereimtheiten auszuräumen, schlägt der PO-Chef panikartig in die uns sattsam bekannte Kerbe: Die PiS sowie die Konfederacja seien ohnehin ein „Faschisten-Pack“. Die „klimafreundlichen“ Kommunisten um Włodzimierz Czarzasty, mit denen Tusk im Schulterschluss die Regierung stürzen möchte, seien für ihn allerdings kein Problem.

Die „Konföderierten“ sind also derzeit in einer recht angenehmen Position, weil die PiS schon zuvor die polemischen Salven des PO-Vorsitzenden als inhaltsleere Propaganda enttarnt hatte. Tusk wurde bereits vor seiner Rückkehr aus Brüssel durchschaut und daher fällt es den jungen Konservativen heute noch leichter, ihn als politischen „Hochstapler“ bloßzustellen. Ein weiterer Grund für die hohen Umfragewerte der Konfederacja ist der Umstand, dass sie sich ebenso als eine Alternative zur PiS entworfen hat. Überdies verfügt sie über keinerlei Regierungserfahrung, was offenbar als Stärke angesehen wird. Im Zeitalter des russischen Angriffskrieges und der galoppierenden Inflation scheint sie als Protestpartei die nötigen Punkte einzufahren. Als die ukrainischen Getreideausfuhren zuletzt bei den polnischen Landwirten für Unmut sorgten, rief die Konfederacja als erste zum Stopp der Importe auf. Ist die Partei von Bosak und Mentzen denn aber auch schon tatsächlich reif genug, um mitzuregieren?

Die „Konföderierten“ wissen, dass sie in der komfortablen Situation eines potenziellen „Juniorpartners“ es sich leisten können, politische „Nackenschläge“ zu verteilen. Sie selbst aber behaupten, dass eine eventuelle Regierungsbeteiligung für sie noch zu früh sei und sie ihre Position bis zu den Parlamentswahlen im Jahr 2027 ausbauen möchten. Was vielen jedoch vielleicht entgangen ist: Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 verharrte die Konfederacja noch im Umfragetief. Bald entstand ein emotionalisierender Streit über den sinnvollerweise zu steuernden Kurs der Partei, der eigentlich bis heute andauert. In einigen ihrer Kreise verbreitete sich ein russlandfreundlicher Ton, den die Parteispitze kritisierte. Der Konfederacja-Abgeordnete Grzegorz Braun ließ sich zu Äußerungen hinreißen, die auf Dauer einen erneuten Einzug in den Sejm hätten gefährden können. Nun wurde er kaltgestellt, doch für wie lange?

Was Braun in den Medien verbockt, bügeln die jungen Parteilenker wieder aus. In Polittalkshows präsentieren sich Mentzen und Bosak stets in bestechender Form. Gegen ihre Eloquenz, Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge sowie treffsichere EU-Polemik kommen ältere „Sozis“ nicht mehr an. Unlängst sagte der Konfederacja-Vize Mentzen, dass selbst seine Eltern jünger seien als die meisten Sejm-Abgeordneten. Das sitzt. Der Jungbrunnen-Effekt kann aber irgendwann verpuffen. Und zu viel Protestgehabe hat auch schon mal in die politische Bedeutungslosigkeit geführt. Bekommt die PiS denn nun einen neuen Koalitionspartner? Wohl eher würde Jarosław Kaczyński – der Not gehorchend – auf eine Minderheitsregierung setzen. Und auf einen Staatschef, der noch bis 2025 im Warschauer Präsidentenpalast sitzt. Wie auch immer: Ende Oktober wissen wir mehr.


Wojciech Osiński ist Deutschland-Korrespondent des Polnischen Rundfunks

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Kommentare ( 3 )

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hoho
1 Jahr her

Ich war letztens in Polen, im Auto auf der Autobahn habe ich polnisches Radio zugeschaltet und es war schlimmer als damals. Staatlich oder nicht alle labern nur über den Krieg, hetzen dabei gegen die Russen, helfen Propaganda zu erkennen und zu bekämpfen (nur russische natürlich) und phantasieren über den unmittelbar bevorstehenden Sieg der Ukrainer. Dazwischen wird gegendert und über Klima gelabert. Da ist also auch nichts anders als hier außer, dass man statt den Flüchtlingen und Wärmepumpen einfach in Waffen (4% von BIP) und Rentnern investiert (die kriegen 13 und 14 Rente jedes Jahr). Meine Bekannten meinte auch dass in… Mehr

Metric
1 Jahr her

Dass die Konfederacja auch sehr kritisch gegenüber der Coronapolitik sowie der polnischen Unterstützung für die Ukraine war&ist, sollte den TE-Lesern nicht vorenthalten werden, und erklärt vielleicht ihren Erfolg.

Nibelung
1 Jahr her

Diese Nation hat aus ihrem geschichtlichen Drama ebenso wenig dazu gelernt wie wir Deutschen und beide sind sich der Gefahr nicht bewußt, die vor der Haustür lauert und lassen sich als Zielscheibe einbinden, denn sollte es am Ende zur totalen Auseinandersetzung kommen, dann werden vermutlich drei europäische Länder zuerst das zeitliche segnen, denn die haben alles unterlassen um mit dem großen Nachbarn friedlich auszukommen und dem anderen jenseits des Atlantiks wird es nicht stören, wenn er sich selbst eine Überlebenschance ausrechnen kann. Der einzige Politiker in Europa, der wenigsten noch ansatzweise in europäischen Kategorien denkt ist der Franzose, da dürfte… Mehr