Ursula von der Leyen: Zitieren Sie mich nicht … aber wir drehen das für euch. So könnte man den Wortlaut aus einem Gespräch von der Leyens mit dem ehemaligen bulgarischen Ministerpräsidenten Kiril Petkow verkürzt, aber nicht verfälscht darstellen. Veröffentlicht wird er wieder einmal von dem EU-Abgeordneten Martin Sonneborn (Die Partei).
Es sind die Worte von Kiril Petkow, der den Verlauf eines Telephongesprächs mit der Kommissionspräsidentin schildert. Petkow war von Dezember 2021 bis August 2022 im Amt: „Ich fragte sie, wie unsere Chancen stünden. Sie antwortete: Bei Schengen haben Sie große Chancen. Für die Eurozone müssen Sie herausfinden, wie Sie die Regeln umgehen können, um in den Rahmen zu passen. Ich antwortete ihr: Können wir nicht die Inflation abzüglich des Ukraine-Effekts haben? Daraufhin sagte sie: Zitieren Sie mich nicht, wir werden versuchen, Ihnen zu helfen.“
Der Schengen-Beitritt wurde nun doch verhindert, weil Österreich und die Niederlande sich mit einigem Eklat querstellten. Der Euro-Beitritt steht noch bevor. Wie er ablaufen könnte, hat das Gespräch Leyen–Petkow offengelegt, so wie es Petkow seinem Finanzminister Asen Wasilew erzählte. Und natürlich – Sonnenborn bemerkt es – erinnert das alles fatal an den Beitritt Griechenlands in die Eurozone, als schon einmal Bilanzen von einer Regierung gefälscht wurden und die regierende Klasse in Europa sehr entschieden wegsah. So werden auch Erinnerungen an die Methode Juncker geweckt: Beschließen, in den Raum stellen und weitermachen, solange es keiner merkt.
Veröffentlicht wurde die Audioaufnahme von dem ehemaligen PP-Abgeordneten Radostin Wasilew, der eine Koalition seiner Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (Prodalschawame promjanata, kurz PP) mit der konservativen GERB von Bojko Borissow verhindern will. Wasilew stellte fest: „Das ist keine geheime Aufnahme.“ Angeblich stammt sie aus dem Nationalen Rat seiner Partei. Die wahren Hinterzimmerabsprachen fänden heute bei den Koalitionsverhandlungen von Gerb und PP statt. Die PP-Partei hat sich erst 2021 als Anti-Korruptions-Bewegung gegründet, unter Federführung von Petkow und Asen Wasilew, die zuvor Wirtschafts- und Finanzminister waren.
Unmut und Zustimmung für Wasilew in Bulgarien
In Bulgarien hat Radostin Wasilew, der für den Fall eines Bündnisses seinen Parteiaustritt ankündigt, mit der Veröffentlichung des Mitschnitts hohe Wellen geschlagen. „Es ist widerlich, ein privates Gespräch wie dieses mit Ursula von der Leyen öffentlich zu machen“, meint etwa ein Kommentator in der größten bulgarischen Zeitung Trud („Arbeit“). Er vergleicht den Vorgang mit dem Veröffentlichen von Erkenntnissen aus einer privaten Beziehung. Aber das ist wohl nicht dasselbe. Das Gespräch mit von der Leyen war keineswegs privat, sondern eindeutig beruflich, sollte aber geheim bleiben. Die Veröffentlichung politischer Hintergrundgespräche ist aus diplomatischer Hinsicht heikel, kann aber durchaus moralisch geboten sein.
Übrigens findet ein anderer Autor derselben Boulevardzeitung etwas ganz anderes ungut. Der EU-Rat habe soeben allen Mitglieder dazu verdattert, die Istanbul-Konvention zu Frauenrechten anzunehmen. Die Konvention wurde vor allem bekannt, seit die Türkei aus ihr austrat. Nun blickt man anscheinend etwas neidisch von Bulgarien zum Nachbarn im Südosten. Der Autor fasst nicht ohne bitteren Humor zusammen: „Was ist der Unterschied zwischen demokratischer und undemokratischer Welt, werden Sie fragen? In der undemokratischen Welt entscheiden sich die Menschen erneut dafür, von dem Diktator Erdogan regiert zu werden! In einer demokratischen Welt werden wir von Ursula von der Leyen regiert, die niemand gewählt hat. Aber jetzt wird uns diese nicht gewählte Kommissarin etwas aufzwingen, was wir als Land explizit abgelehnt haben. Genießt die Freiheit und Demokratie, eure Meinung ist uns wichtig!“ Der letzte Satz ist die reine Galle.
Eigentlich wollte Wasilew ja nur eine Koalition schon im Entstehen sprengen. Aber seine Worte könnten zum Sprengsatz an so mancher EU-Gewissheit werden. Staatspräsident Rumen Radew, der Sympathien für die Antikorruptionsbewegung hat, sagte laut der Tageszeitung Dnewnik, diese Aufzeichnungen fegten die liebenswerte euro-atlantische Fassade weg und enthüllten das grinsende Gesicht einer schleichenden Diktatur und eines Fanatismus“. Daneben seien Säuberungen in Institutionen in ihnen angekündigt, und all das diskreditiere die europäischen Führer. Negative Kommentare aus der europäischen Presse prasselten nun über Bulgarien herein. „Das ist eine Schande, die über unser Land gegossen wurde.“