Trotz Skandalen, neben von der Leyen: António Costa soll neuer EU-Ratspräsident werden

Schnell, schnell, husch, husch, ins Körbchen. Die bestehenden Mächte versuchen trotz enttäuschender EU-Wahl noch rasch letzte Pflöcke zu setzen. Neben UvdL als Kommissionschefin soll nun der portugiesische Ex-Premier António Costa als Ratspräsident installiert werden. Dabei laufen sogar staatsanwaltliche Ermittlungen gegen ihn. Er könnte der Lula Europas werden.

picture alliance / Hans Lucas | Union Europeenne

Am Montag trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU im Rat unter der Leitung des Belgiers Charles Michel, um über die Vergabe der Top-Jobs der EU zu sprechen. Es ging vor allem um vier Ämter, die nach den EU-Wahlen neu zu besetzen waren. Ein Posten steht seit langem im Mittelpunkt des Interesses, der von Ursula von der Leyen. Und die will es ja bekanntlich wieder werden.

Schon beim G7-Gipfel in Apulien letzte Woche traf von der Leyen auf Macron und Scholz, mit denen sie sich Berichten zufolge intensiv austauschte über Fragen wie: „Kann ich mich auf dich verlassen? Was brauchst du?“ (so die Welt). Ob von der Leyen das Rennen am Ende für sich entscheiden konnte, könnte im Laufe dieses Montags klar werden. Die Sozialdemokraten (S&D) wollen erstmals den Ratspräsidenten stellen, also die Nachfolge des Liberalen Charles Michel übernehmen. Dafür soll der Posten des Außenbeauftragten von den Sozialisten an die Liberalen wandern. Das gilt als eine der Bedingungen des an sich durch das Wahlergebnis vom 9. Juni geschwächten Macron.

Daneben verlangt Macron angeblich weniger Bürokratie und weniger Umweltgesetze von einer künftigen Kommission und – wie immer bei ihm, typisch französisch – mehr gemeinsame Schulden in der EU. Daneben noch ein schönes Ressort für Frankreich, derzeit sitzt Thierry Breton in Brüssel, Kommissar für Binnenmarkt, Dienstleistungen und Online-Zensur (inoffiziell). Zudem soll UvdL ihr Team durch einen Vize-Chefberater ergänzen, den Franzosen Alexandre Adam und dann Wachhund Macrons.

Melonis rote Linien von Bari bleiben geheim

Aber auch Giorgia Meloni hat in Bari an den Beratungen über die Top-Jobber teilgenommen und konnte Reißleinen und rote Linien der konservativen Reformisten mitteilen. Dieser Teil wird gerne versteckt in den offiziellen Meldungen, ist aber deshalb nicht weniger real. Ursula von der Leyen und die anderen EU-Spitzen sind vorerst nur indirekt auf diese „roten Linien“ angewiesen. Weder brauchen sie Melonis Stimme im Rat, noch die der EKR, der ID oder anderer im Parlament. Aber EKR, ID und viele andere sind der Ausdruck einer europaweiten Stimmung, die im Zweifel weiter wachsen wird. Insofern ist man auch als Establishment inzwischen gut beraten, auf sie zu hören.

Dass von der Leyen eine Mehrheit im Rat finden wird, daran gibt es also kaum noch Zweifel. Sie wird auch Macrons letzte Forderungen erfüllen, um an dieser Stelle ihren „Schöpfer“ zu ehren, dem sie auch programmatisch in vielem nahesteht, vom „Impfen“ bis zum Ukraine-Thema. Neben den 13 konservativen EVP-Regierenden braucht sie ohnehin nur zwei oder drei weitere Stimmen im Rat, und da gibt es genug Auswahl.

Abseits der 13 EVP-Konservativen sitzen auch vier Sozialdemokraten im Rat (neben Scholz: Mette Frederiksen, Pedro Sánchez und der Maltese Robert Abela). Hinzu kommen fünf liberale oder Renew-Vertreter, also neben Macron der Belgier Alexander De Croo, Mark Rutte (die beide bald abgelöst werden), die Estin Kaja Kallas und der Slowene Robert Golob. Sechs parteilose Staats- oder Regierungschefs kommen aus Bulgarien, Litauen, der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern. Teils beruht die Unabhängigkeit auf nationalen ‚Unfällen‘, teils auf EU-Vorfällen, die etwa zum Ausschluss von Fidesz und der slowakischen Smer aus ihren Parteifamilien geführt haben.

Die erforderliche Mehrheit im Rat liegt bei 15 Ländern, die zugleich für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen müssen. Auch im Parlament wird wohl am Ende alles gutgehen, wenn die Kooperation mit Meloni etwas unter der Decke gehalten wird. Darum geht es den Sozialdemokraten wohl am ehesten, wenn sie sich hier mal um mal anspruchsvoll geben („keine Hand den Rechten“).

Interessanter war zuletzt eh die Frage, wer die anderen Top-Posten bekommen soll. Als neue Außenbeauftragte und Nachfolgerin des Katalanen Josep Borrell wurde die estnische Premierministerin Kaja Kallas heiß gehandelt. Damit wäre die Dreifach-Quote weiblich, osteuropäisch und jung erfüllt, und als Renew-Liberale gehört Kallas auch einer eher seltenen Spezies an. Kallas ist rhetorisch stark gegen Russland engagiert und daher den einen recht, den anderen weniger.

António Costa: Zuhause abgesägt, in Brüssel wieder aufgestellt

Wie die Faust aufs Auge dieser EU-Führungsriege passt hingegen der portugiesische Ex-Premier António Costa, der angeblich gute Karten für den Ratsvorsitz hat, also die Nachfolge des blassen Charles Michel antreten soll. Costas Kandidatur und Gehandeltwerden für ein solches Amt ist von besonderer Delikatesse und besitzt durchaus Hautgoût. Der Sozialist war erst im April letzten Jahres nach Korruptionsvorwürfen rund um Lithium und „grünen Wasserstoff“ zurückgetreten. Sein Amtssitz war durchsucht worden. Wenn sogar die quasi offiziöse EU-Postille Politico diesen Skandal aufgreift, dann ist das Thema ein Machtfaktor in Brüssel geworden, der Costa dauerhaft belasten kann.

Angeblich beruhte alles auf der falschen Abschrift eines Telephonats. In dem Gespräch ging es demnach „nur“ um Costas Finanzminister mit ähnlichem Namen, António Costa Silva. Aber es gibt wohl verschiedene Wege, um einen Skandal zu „beenden“. Die Ermittlungen gegen Costa dauern jedenfalls an, auch wegen eines Regierungsdeals rund um ein Datenzentrum im Süden des Landes. Den engsten Stabsmitgliedern Costas wird von Richtern „Undurchsichtigkeit, Promiskuität und Illegalität der Verfahren“ nachgesagt, was kein gutes Licht auf ihren ehemaligen Chef wirft. Angeklagt wurde Costa noch nicht, das belässt die Angelegenheit in der Schwebe. Für die Sozialdemokraten in der EU reicht das aus. Sie würden den beleibten Mann gern in Brüssel sehen, angeblich sei ja hinter verschlossenen Türen schon alles bereinigt. Nur offiziell eben nicht.

Politische Gegner diverser EU-Projekte sehen fröhlichen Zeiten entgegen, wenn ein auch nur mutmaßlich korrupter Regierungschef, der wegen staatsanwaltlicher Ermittlungen zurücktrat, nun bruchlos ins protokollarisch höchste EU-Amt gehievt würde. Wir erinnern uns, dass es Charles Michel war, der in Ankara im großen Ohrensessel Platz nahm, während von der Leyen mit dem Sofa vorliebnehmen musste. Costa hätte das Potential, zum Lula Europas zu werden.

Sparringspartner für Ursula

Costas Kür würde die Brüsseler Maschine noch einmal angreifbarer machen. Die seit Merkel-Zeiten skandalbehaftete von der Leyen bekäme einen ordentlichen Sparringspartner. Beide könnten die Anzahl ihrer politischen Unsauberkeiten, Mittelveruntreuungen und Skandale miteinander vergleichen. Und wir, die kritische Presse, hätten sicher genug zu schreiben. Wäre es gut für den Staatenblock EU? An dieser Stelle sind zumindest die nordischen Sozialdemokraten skeptisch. Sie könnten Mette Frederiksen an der Ratsspitze bevorzugen, heißt es bei Politico, angeblich weil die nordischen Interessen bei Migration und in der Verteidigung von der Dänin besser vertreten würden. Tatsächlich hätte man es gern etwas weniger korrupt.

Costa wird als beliebt und umgänglich geschildert. Genau, was ein Ratspräsident sein soll, denn in Wahrheit ist dessen Aufgabe fast nur, Mehrheiten für EU-Projekte im Rat zu organisieren. Führen kann man in diesem Amt im Grunde sowieso nicht. Das geht in der EU fast nur aus der Kommission heraus.

Der Qatargate-Skandal – Bestechung von EU-Abgeordneten durch Katar, Marokko und andere Länder – belastet die S&D-Fraktion nach wie vor. Also wäre eine saubere Kandidatin angezeigt und nicht der mutmaßliche Mauschler vom Tejo. Frederiksen wäre eine interessante Wahl durch ihre Abweichungen vom EU-Mittelmaß, aber am Ende wäre ihr Talent wohl anderswo besser aufgehoben.

Die junge Kallas wird als Risiko gesehen

Und dann war da noch Roberta Metsola, die trotz schlechter Formnoten durch Qatargate mit Heißkleber an ihren Sessel als Parlamentspräsidentin geheftet werden soll. Damit wären allerdings die Südwestländer im Vorteil, während Südosteuropa und die slawischen Länder ganz leer ausgingen. Dabei waren ebenso der Grieche Kyriakos Mitsotakis wie der kroatische Premier Andrej Plenković im Gespräch für EU-Top-Jobs, sogar als Nachfolger von der Leyens.

Für die EU ist es so am bequemsten, denn alle Entscheider wissen bereits, wie UvdL, Metsola oder auch Costa in EU-Sachen ticken. Es geht um den glatten Übergang vom Gestern ins Morgen, bei möglichst geringen Veränderungen. Schon die Benennung der jungen Kallas wird als Risiko gesehen, sie musste versprechen, nicht nur an Russland zu denken, sondern auch an die andere Küste des Mittelmeers, wo die alte Kommission heftig in Abkommen und Deals investiert hat.

Man könnte das als Zugeständnis an die neuen „populistischen“ Bewegungen sehen, die bei den EU-Wahlen ihren Kopf erhoben haben. Man muss immer bedenken, dass auch 50 der rund 90 unabhängigen neugewählten Parlamentarier rechts von der EVP einzuordnen sind. Die Stimmengewinne von ID-Parteien und EKR tun ein übriges.

Rat beschließt EU-Renaturierungsgesetz

Aber das Festhalten am Alten, Abgenutzten, teils Obsoleten und klar Delegitimierten (UvdL und Costa) wird gerechtfertigt durch den schönen Satz: Europa muss angesichts der Herausforderungen in der Welt stabil bleiben. Putin und ein vielleicht bald im Weißen Haus sitzende Trump wären sonst zu gefährlich. Aber sind die Gefahren bei diesem EU-Quartett wirklich geringer? Eine Möglichkeit gibt es sicher: dass der Staatenbund mit den neuen, alten Vier noch weiter im Sumpf der Bevormundung und Bürgerentmündigung versinkt, was Konservative und Liberale zuletzt zumindest abbremsen wollten. Der Wähler hatte es ihnen gesagt.

Doch gerade haben sich die Umweltminister im EU-Rat für die Annahme des umstrittenen Naturwiederherstellungsgesetzes gestimmt. Die österreichische Ministerin ignorierte die Stimmanweisung ihres Bundeskanzlers, so kam das Ja angeblich zustande. Es ist ein weiteres jener Korsett-Gesetze für die Mitgliedsländer, dem zufolge bis 2030 mindestens 20 Prozent der „geschädigten“ Flächen renaturiert werden müssen.

Statt „schädigen“ sagte man früher „nutzen“: Wald, Wiese und Feld würden in Europa nicht in dieser Form existieren, wenn der Mensch nicht irgendwann in die Landschaft eingegriffen hätte. Nun sollen mehr Bäume gepflanzt werden, auch dies ein Einheitsschuh, der nicht jedem passen wird. Brauchen Schweden und Finnland mehr Wald oder (angesichts der Brandgefahr) klügeren Wald? Wie renaturiert man Moore im trockenen Süden? Was passiert mit anliegenden Landwirtschaftsflächen? Das sind alles Sorgen und Nöte, um die sich die Ratsmitglieder und die neuen EU-Top-Jobber nicht zu sorgen brauchen. Das könnte bald anders werden.

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Kommentare ( 25 )

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Manfred_Hbg
6 Monate her

😙👉 Man kennt sich, man schätzt sich, man schiebt sich Pöstchen zu.

Der grünwoke Filz, der Klüngel und die Veddernwirtschaft haben sich nicht nur den Staat, sondern mittlerweile auch die EU zur Beute gemacht.🥳

Mir ist schon seit langem besonders die brüsseler grünwoke Bussy-Bussy Gesellschaft so was von zuwider.

AndreasH
6 Monate her

Totgesagte leben länger in Brüssel. So z.B. UvdL. Auch Frau Baerbock wird dort irgendwann einen Posten bekommen, dessen bin ich sicher. Weitere gute Gründe, dieses EU-Konstrukt endlich abzuschaffen und mit etwas Vernünftigem zu ersetzen.

Haba Orwell
6 Monate her

> Aber auch Giorgia Meloni hat in Bari an den Beratungen über die Top-Jobber teilgenommen und konnte Reißleinen und rote Linien der konservativen Reformisten mitteilen. Was wären denn genau diese roten Linien? Gehört Klimagedöns dazu? Das Böse Medium berichtete gestern, dass G7 in Bari versuchte, einen Block gegen China zu bilden – was eingeladene BRICS-Länder nur irritierte. China wurde unzähliger Ungeheuerlichkeiten beschuldigt; gleich an zweiter Stelle hinter Freundschaft mit Russland – auf westliche Klimagedöns-Vorgaben nicht zu hören. Glauben die echt, dass durch etwas Stalking sich China freiwillig deindustrialisiert? Eher sagen die wunschgemäß offen, was die von der Idiotie halten –… Mehr

Index
6 Monate her

Der Oberbegriff für all das lautet Organisierte Kriminalität.
Muss man doch keinem geistig lebendigen Menschen mehr erklären, was die „EU“ seit 2004 ist.
Erst Barroso, dann Juncker, dann von der Leyen.
Mal ehrlich, noch irgendwelche Fragen?

der Opa
6 Monate her

Für was bin ich wählen gegangen?
Frag für einen Freund!
Demokratie sieht zumindest mal anders aus, das nennt sich ……………..

MarkusF
6 Monate her

Die EUDSSR ist ein hoch korruptes, antidemokratisches Projekt das Wohlstand, Freiheit und Sicherheit zerstört. Ein Völkergefängnis der schlimmsten Sorte.

Gerhart
6 Monate her

Bekommt man bei der EU überhaupt Top Jobs, wenn man nicht Dinge ausgefressen hat, für die normale EU Bürger mindestens vorbestraft werden ?

Ingolf Paercher
6 Monate her

Ja, gefällt mir, lauter Kriminelle an den EU- Schaltstellen: Lagarde in der EZB, vdL als Kommissionspräsidentin, Costa als Ratspräsident – was will man mehr?

Schmidtrotluff
6 Monate her

Michel ein Liberaler ? War Breschnew auch ein Liberaler ? Niemand in Brüssel ist liberal, sozial oder demokratisch.

Johann P.
6 Monate her

Das muß man sich langsam auf der Zunge zergehen lassen: Da werden Gestalten für die höchsten Ämter der „EU“ gehandelt, die in ihren Heimatländern wegen Korruption und höchst unsauberer Machenschaften geschasst worden sind! Und die 27 ReGierungschefs kungeln dann untereinander aus, wer denn auf welchem Posten weiterhin den größten Schaden anrichten darf. Dieser absolut undemokratische, gesinnungslose Selbstbereicherungs-Verein in Brüssel und Straßburg ist der Totengräber für Europa, wie es in seiner Anfangszeit mal kurz als Gemeinschaft existiert hat. Statt eines Aufschreis der eh nur noch rudimentär vorhandenen demokratischen Kräfte und unabhängiger, kritischer Medien, wird dieses Schmierentheater größtenteils kommentarlos hingenommen, eine Schande… Mehr

Last edited 6 Monate her by Johann P.