Ernüchterung macht sich bei den Bürgerlichen breit: es wird wohl auf eine Minderheitsregierung des Sozialisten Pedro Sánchez hinauslaufen. Der muss sich in Zukunft auf untereinander zerstrittene Separatisten und ultralinke Verbündete verlassen. Von Thomas Punzmann
Am späten Abend des 23. Juli zeigte sich der Präsidentschaftskandidat der PP (Partido Popular, dem spanischen Pendant der CDU) Alberto Núñez Feijóo auf dem Balkon der Parteizentrale in Madrid, um sich als Wahlsieger feiern zu lassen. Die Menge feierte aber nicht ihn, sondern Isabel Ayuso, die Präsidentin der Comunidad Autónoma de Madrid (das entspricht einem deutschen Bundesland). Sie hatte, wie andere regionale Präsidenten der PP, bei den Regional- und Kommunalwahlen Ende Mai, tatsächlich überzeugende Erfolge erzielt. Das ist der Unterschied zu Feijóo, den sein ungenügender Sieg vermutlich nicht an die Macht bringen wird.
Ayuso hatte die PP des Landes Madrid 2019 in einem bedauerlichen Zustand übernommen. Wie die CDU in Deutschland wollte man modern und städtisch werden, dem Zeitgeist folgen und rot-grüne Träume verwirklichen. Ebenfalls wie die CDU in Deutschland stürzte die PP daraufhin auf etwas über 20 Prozentpunkte ab. Als Reaktion darauf begann Ayuso, gegen massive Widerstände aus der eigenen Partei, die PP zurück auf einen konservativen Kurs zu bringen.
Nach den heftigen, aber missglückten Angriffen auf Isabel Ayuso trat der damalige Präsident der PP, und vermutete Urheber dieser Angriffe, Pablo Casado zurück und wurde durch Alberto Núñez Feijóo ersetzt. Bei der vorgezogenen Wahl 2021 verfehlte Isabel Ayuso die absolute Mehrheit in der Comunidad Madrid knapp, im Mai 23 errang sie dann mit einem klar konservativen Programm die absolute Mehrheit.
Ayuso und andere Präsidenten spanischer Autonomien der PP stehen für diesen klaren konservativen Kurs. Sie regierte zudem mit großem Erfolg zuvor mit der Partei VOX. Alberto Núñez Feijóo, der nationale Präsidentschaftskandidat der PP, versuchte sein Glück mit einem verwässerten konservativen Programm. Mehr Zeitgeist, mehr rot-grün, Abgrenzung nach „rechts“. Den Wählern gefiel das jedoch nur eingeschränkt.
Viele Experten, besonders die deutscher Medien, sahen den Grund, des nicht ausreichenden Wahlsieges Feijóos, in der mangelnden Abgrenzung nach rechts. Bei der Analyse der Madrider Wahlergebnisse kann man aber auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Bei genauerer Betrachtung wird man den Verdacht nicht los, daß die Analysen eher Projektionen der Wünsche dieser Analysten sind.
Die Wahlbeteiligung war im Land Madrid bei beiden Wahlen mit 70% gleich hoch. Ende Mai stimmten jedoch 1,6 Millionen Wähler, das sind 47,35%, für die Präsidentin des Landes Madrid Isabel Ayuso. Bei den Nationalratswahlen Ende Juli wählten jedoch 200.000 weniger die PP, die so nur auf 40,5% kam, sieben Prozentpunkte geringer als Ayuso mit ihrem klar konservativen Kurs.
Die konservativen Parteien PP und VOX kommen jetzt im Kongress, dem nationalen Parlament, zusammen auf 170 (137 + 33) Stimmen. Dazu kann man die Stimmen der konservativen Nationalisten aus Navarra (1 Stimme ) und eventuell die der Kanaren (1 Stimme) zählen, mit denen der konservative Block auf 172 Stimmen käme.
Laut spanischen Zeitungen ist also eine Neuauflage einer Minderheitsregierung der Koalition von PSOE und den sich zu SUMAR umfirmierten Neokommunisten am wahrscheinlichsten. Die Bezeichnung „kommunistisch“ ist dabei angebracht. Auch spanische Medien sind nicht zimperlich bei der Benennung der linksextremen Parteien. Der Radiosender Onda Cero nannte Yolanda Díaz von der „Ultralinken“ Sumar „unsere Evita Perón“. Sumar sei „eine Volksfront von Parteien links der PSOE, die diese als Krücke benutzen muss, um mit ERC und BILDU eine Regierung bilden zu können“. El Mundo fragte, wieso ein Land, das „seit Jahren alles ‚rechts‘ der PP als ‚rechtsextrem‘ verunglimpft, alles links der PSOE, nicht als ‚linksextrem'“ bezeichne.
Die PSOE, die Partei der spanischen Sozialisten und ihre kommunistischen Partner haben zusammen 151 Stimmen im Kongress. Hier fehlen 25 Stimmen zur Mehrheit von 176. Die eine Stimme, die die Konservativen im Moment mehr und die PSOE jetzt weniger hat (das endgültige Ergebnis wird noch etwas auf sich warten lassen, da die PSOE nun eine Nachzählung aller 30.000 ungültigen Stimmen beantragt hat), bedeutet, daß die Stimmenthaltung der Partei JUNTS von Carles Puigdemont jetzt nicht mehr ausreicht.
Lassen Sie uns deshalb einen Blick auf die vier nationalistischen Parteien werfen, die der Koalition aus sozialistischer PSOE und kommunistischer SUMAR die fehlenden Stimmen geben könnten.
Da sind zunächst die beiden rivalisierenden nationalistischen Parteien Kataloniens, JUNTS (Zusammen für Katalonien) und ERC (Republikanische Linke Kataloniens), beide haben jeweils 7 Stimmen.
Die Führer von verschieden Separatistenparteien Kataloniens, die das Ziel der Unabhängigkeit Kataloniens verfolgten, waren nach einem vom Obersten Gericht Spaniens als illegal eingestuften Referendums über die Unabhängigkeit zum Teil zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Der Führer einer dieser Parteien, damals JUNTS PEL SI, Carles Puigdemont war vorher nach Belgien geflohen, um einer Verurteilung zu entgehen. Als Abgeordneter des Europaparlaments genoss er Immunität, die das EU-Parlament aber aufhob. Vor wenigen Wochen entschied der EUGH endgültig, daß diese Aufhebung rechtens war und die spanische Zeitung El Pais berichtete, daß die Staatsanwaltschaft einen neuen Haftbefehl beim Richter des obersten spanischen Gerichtes, Pablo Llarena, beantragen würde. 2022 wurde dann aus den vielen einzelnen nach der Unabhängigkeit strebenden Parteien das Bündnis JUNTS gegründet. Die Personalie Puigdemont ist aus vielen Gründen heikel und daß er und die Seinen jetzt aktiv, und nicht nur passiv durch Stimmenthaltung, die sozialistisch-kommunistische Regierung unterstützen müssen, erhöht den Preis, der dafür von PSOE und SUMAR zu bezahlen sein wird, deutlich.
Die ERC, sechs Stimmen, war in der letzten Legislaturperiode, gegen entsprechende Zugeständnisse, immer ein zuverlässiger Partner der Regierung gewesen. Die Rivalität, manchmal aber schon Feindschaft, zu den Vorgängern und zur jetzigen JUNTS ist aber nicht die allerbeste Voraussetzung. Eine Lösung könnte hier eine mögliche Übernahme eines Teiles der gewaltigen katalanischen Schulden durch den spanischen Steuerzahler sein, den Vertreter der PSOE bereits in Aussicht gestellt haben.
Noch problematischer ist der dritte mögliche Unterstützer EH BILDU mit sechs Stimmen. Diese Partei wäre, laut Miguel Folguera vom Verband der Opfer des Terrorismus (AVT) (Bericht von TeleMadrid), der politische Arm der Terrororganisation ETA. Eine andere Vereinigung der Opfer der Terrororganisation ETA (COVITE) prangerte an, daß für die Regional- und Kommunalwahlen 2023 in den 300 Listen für das Baskenland und Navarra 44 wegen Unterstützung von ETA rechtskräftig verurteilte Straftäter zu finden waren, sieben davon wegen Mordes.
EH BILDU hat, wie die Zeitung El Mundo die spanische Polizei zitiert, über Pernando Barrena – er saß wegen der Unterstützung der Terrororganisation ETA von 2008 bis 2010 im Gefängnis – enge Kontakte zu Carles Puigdemont und JUNTS. In einem kürzlich in der baskischen Zeitung „Berria“ veröffentlichten Interview sagte dieser: „Die Bündnisse werden sich bald in diesem Land verändern“. Sein Traum ist eine sozialistische Regierung im Baskenland. „Bis dahin“, so sagt er, „werden wir die PSOE über Puigdemont in ihrer Bewegungsfreiheit immer weiter einengen“.
PNV, die baskisch-nationale Partei, ist die andere baskische Partei. Sie hat im neuen Kongress fünf Stimmen. Die Rivalität der Parteien im Baskenland ähnelt der von JUNTS und ERC in Katalonien. Diese gemäßigte sozialistische Partei stellte über lange Zeit den Lehendakari, den Ministerpräsidenten des Baskenlandes und unterstützte in der letzten Legislaturperiode, wie EH BILDU, die Regierung von PSOE und PODEMOS. Bei den Wahlen nun verlor die PNV auf Kosten von EH BILDU.
In einem sind sich EH BILDU und PNV aber einig. Nach der Unabhängigkeit des Baskenlandes von Spanien soll durch sie der Staat Euskadi gegründet werden und diesem neuen Staat soll die Nachbarautonomie Navarra, quasi als Morgengabe, hinzugefügt werden. Beide argumentieren mit diffusen „historischen“ Gründen, vermeiden aber, diese zu benennen. Vermutlich ist der Reichtum Navarras der eigentliche Grund. Denn: Sozialismus will finanziert sein.
Die galicische Partei BNG (Nationalistischer Block Galiciens) verfügt mit nur einer Stimme über eine sehr überschaubare Verhandlungsposition.
Für Spanien bedeutet das alles nichts Gutes. Die zum Teil scharf formulierten Forderungen nach Schuldenerlass, zukünftiger Finanzierung und politischen Zugeständnissen wurden bereits von allen nationalistischen Parteien gestellt. Die Regierung, links und linksextrem wie sie ist, wird aber alles, quasi „whatever it takes“, unternehmen, um sich wieder an die Macht zu bringen und, einmal dort, sie nicht wieder abzugeben. Erleichtert wird ihr das, da sie ja nicht ihr Geld ausgibt, sondern das der spanischen und dann, recht bald das der europäischen Steuerzahler.
Auch die Mehrheit der PP im Senat (vergleichbar dem Deutschen Bundesrat), die sie sich hauptsächlich mit ihrem Wahlsieg bei den Kommunal- und Regionalwahlen gesichert hatte, wird der PP nicht viel nützen. Laut der spanischen Zeitung El Debate, nütze Präsident Sánchez von der PSOE in der letzten Legislaturperiode so oft wie kein anderer vor ihm, nämlich genau 140 Mal, die Möglichkeit des Real Decreto Ley, das eigentlich nur in Momenten „außergewöhnlicher und dringender Notwendigkeit“ angewandt werden sollte.
Das ist eine sehr scharfe und effiziente politische Waffe, mit der die mögliche Regierung den Senat, und damit auch die PP von Alberto Núñez Feijóo ausgeschalten kann. Maßgeblich ist dabei allein die Entscheidung des Parlaments.
Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.
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Interessant wäre ja mal warum die über den verwässerten konservativen Kurs der PP enttäuschten Wähler, dann nicht Vox gewählt haben? Diese haben immerhin deutliche Verluiste erlitten, was eigentlich nur Sinn ergeben würde, wenn die PP in derem Revier gewildert hätte, was ja offensichtlich nicht geschehen ist. Scheint mir eher so, als hätte ein großer Teil der eher Mitte-orientierten spanischen (Wechsel-)Wähler der noch bei den Kommunalwahlen PP-Vox gewählt hat, jetzt kalte Füße bekommen und sich von den linksorientierten Medien verunsichern lassen.
Die bürgerlich konservativen kriegen es halt nicht gebacken. Wie sieht es in Bayern aus – FW 11%, AfD 15% CSU 38 % und tara tara die Grünen 17% heißt schwarz grün in Bayern und Söder will Kanzler. Beschwert euch also nicht. So viele Bäume kann es gar nicht geben, wie der dann umarmen will.
Na ja, sollte das am Ende herauskommen (ich hoffe ja nach wie vor, dass die Grünen mit < 12 % so richtig eins auf ihre vorlaute Schn… bekommen) dann werden CSU und FW in Bayern weiter regieren und zwar egal was der der Opportunist aus Franken macht bzw. nicht macht (das weiß der doch eine Stunde vorher selber noch nicht ?).
Vielen Dank für diesen besonders informativen Text.
Selbst Schuld, wenn man so schlecht wählt….
Selbst Schuld….ist wie bei uns….alle meckern….und dann wählen doch alle wieder links. Jetzt hat man wieder mal den Salat….und keiner kann ohne den anderen…sprich: Links bleibt Links.
Auch da ist es völlig egal wer dort „regiert“, da, genau wie die Italiener, auch die Spanier ohne EU-(deutsche)Gelder nicht überlebensfähig sind. Ein echter Einzug von logischem Menschenverstand passiert erst, wenn der Geldgeber Deutschland durch die AfD regiert wird. Alles ander in Europa ist völlig zweitrangig.
Wenn uns nicht vorher das Geld ausgeht. Die USA hat ihr Top Rating schon verloren. Demnächst sind wir dran. Und dann wird die Verschuldung der öffentlichen Haushalte durch die zunehmenden Zinslasten explodieren.
Auf gut Deutsch: das wird nichts. Interne Probleme überlagern alles. Schade.