Geradlinig, direkt, seinen politischen Wurzeln treu: Am 8. Januar verstarb Rudolf Dreßler. Mit ihm geht ein Sozialdemokrat alter Schule, wie man ihn in den Reihen der Partei heute vergeblich sucht. Unter Schröder wurde der Sozialpolitiker statt Arbeitsminister Botschafter in Israel – sein Wirken wird dort nicht vergessen werden.
Wir kamen aus verschiedenen Welten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Israel brachte uns zusammen. Schuld war Gerhard Schröder, der ein ganz schlechtes Gewissen hatte und den Sozialpolitiker aus Wuppertal zum Botschafter in einem der sensibelsten Länder für einen deutschen Diplomaten machte: in Israel. Diese Ernennung löste im Auswärtigen Amt geradezu Angst und Schrecken aus. Denn Dreßler war vieles, aber sicher kein Diplomat. Er wurde in Jerusalem zu einem der besten seines Faches.
Wer in den letzten Jahren in den Reihen der SPD einen Sozialdemokraten vom Schlage Rudolf Dreßlers finden will, wird lange suchen müssen. Als er der Partei in den 60er Jahren beitrat, war die SPD eine politische Bewegung, die die Interessen der Arbeiter im Blickpunkt hatte. Heute müsste man im Vorstand erklären, was ein Arbeiter ist: eine Person, die von ihrer Hände Arbeit lebt und sich damit identifiziert. Rudolf Dreßler personifizierte diese Beschreibung und er verzweifelte im Laufe der Jahre an seiner politischen Heimat. Seine Bundestagsfraktion bestand immer mehr aus Beamten, Juristen und Lehrern. Dadurch wurde der Bundestag immer leerer.
Gerhard Schröder gab ihm den Rest. Er versprach dem renommierten Sozialpolitiker, der damals schon 18 Jahre im Bundestag war, und stets sein Direktmandat in Wuppertal gewann, noch am Vorabend der Regierungsbildung am 27. Oktober 1998 mit Handschlag: „Rudolf, Du bist mein Mann für das Amt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung“. Die Ernennungsurkunde aus der Hand des Bundespräsidenten erhielt am nächsten Tag Walter Riester, damals zweiter Vorsitzender der mächtigen IG Metall. Damit stellte Schröder den Gewerkschaftsflügel zufrieden.
Rudolf Dreßler, der in diesem Ministerium schon parlamentarischer Staatssekretär war, fiel aus allen Wolken. Eine Männerfreundschaft war zerbrochen. Zur Genesung von einem schlimmen Autounfall, der ihn im November 1997 fast das Leben gekostet hätte, trug diese politische Lebenserfahrung auch nicht gerade bei. Sein rechter Arm, mit dem er seine Gesprächspartner oft herzlich begrüßte, war in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Dass Gerhard Schröder ein Gewissen hätte, sagen ihm die Wenigsten nach. Aber irgendetwas muss ihn umgetrieben haben. Er suchte nach einer Wiedergutmachung für Rudolf Dreßler und veranlasste im Herbst 2000 seine Ernennung zum Botschafter in Israel. Es sollten fünf erfolgreiche Jahre werden. Denn er faselte nicht. Er hatte eine Meinung, vertrat sie offensiv vor und hinter verschlossenen Türen. Wer widersprach war willkommen, musste aber seine Argumente überzeugend vortragen können. Er ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg.
Seine kratzende Baritonstimme war im Auswärtigen Amt nicht überall beliebt. Sie hatten dort wenig Verständnis dafür, dass seine Kinder Nachbarskinder zum Fussballspielen in den Garten der Botschaftsresidenz einluden. So etwas hat es doch noch nie gegeben. Bürokraten blies er gerne den Marsch, Formulare ließ er oft so lange liegen, bis der Inhalt überholt war. Er suchte das Gespräch mit den Menschen. Dabei lebte er auf. Oft beschwerten sich israelische Politiker über ihn, aber ließen ihn nie links liegen. Seine direkte Art, ohne Umschweife zur Sache zu kommen, Verständigung in einem schwierigen Umfeld zu finden, kam in Israel an.
Sein Lieblingswort aus dem Hebräischen hatte er stets auf den Lippen, wenn er die Nahostlage kurz und knapp beschreiben sollte: Balagan, was so viel heisst wie geordnetes Chaos. Hochrangige Besucher aus dem deutschsprechenden Raum suchten seinen Rat. Es sprach sich herum, dass guter Rotwein reichlich vorhanden war.
Dafür sorgte auch seine Frau, die er liebevoll „Frau Müller“ nannte. Sein joggender Minister, Joschka Fischer, ließ ihn gewähren. Er wußte vermutlich: Wer sich mit Dreßler anlegen wollte, muß sich warm anziehen.
All das hat der Gastwirtssohn von der Pike auf gelernt, in seine freundliche DNA aufgenommen. Seine Lehre als Schriftsetzer schloß er mit der Gesellenprüfung ab, bildete sich zum Metteur weiter und wechselte die Seiten zum Journalisten, der etwas zu sagen hatte. Sein Rhetorik-Talent öffnete ihm den Weg zu einer Parteikarriere bis ins Parteipräsidium. Aber er wußte stets, wo er herkam: Die Arbeitnehmerseite und die Sozialpolitik haben ihn nie losgelassen. Rudolf Dreßler war im besten Sinn des Wortes ein politischer Überzeugungstäter. Nicht nur in Israel wird man einen Mann wie ihn nicht vergessen.
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