UK: Labour nutzt den Protest, um von Messermorden in Southport abzulenken

Die Messermorde von Southport lassen die Briten auch am dritten Tag nicht los. Proteste im gesamten Land eskalieren und treffen auf eine starke Antwort der Polizei. Die Gewalt wird nun den Demonstranten zugeordnet. Den negativen Folgen einer jahrzehntelangen Politik der offenen Grenzen will man Kritik ersparen.

picture alliance / empics | James Speakman
Southport, 31. Juli 2024

Nach den Unruhen vom Dienstag in Southport kam es am Mittwochabend auch im Londoner Regierungsviertel zu Protesten und Unruhen, die in Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten. Auch in Manchester, im nordenglischen Hartlepool und in Aldershot bei London kam es zu Ausschreitungen. In London versammelten sich gegen sieben Uhr abends hunderte Personen am Eingang der Downing Street, unter der Devise „Enough is enough“. Die Versammlung wurde von dem politischen Aktivisten Tommy Robinson, Gründer der English Defence League (EDL), und dem Schauspieler und Parteigründer Laurence Fox unterstützt. Seine Reclaim Party hatte Fox einmal als „UKIP für den Kulturbereich“ erklärt.

Die Behörden waren dennoch alarmiert. Superintendent Neil Holyoak sagte: „Ich fordere alle auf, ihr Recht auf Protest in ruhiger Weise auszuüben und sich an die Gesetze zu halten. Jede Störung wird umgehend geahndet werden.“

Vorausgegangen war die hinterhältige Messerattacke auf einen Ferienclub für Kinder in Southport, gelegen an der Irischen See, unweit von Liverpool und Manchester. Am Montag erstach ein Messertäter dort drei kleine Mädchen: Alice Dasilva Aguiar (neun), Bebe King (sechs) und Elsie Dot Stancombe (sieben Jahre alt). Acht weitere Kinder erlitten Messerverletzungen, fünf von ihnen waren zeitweise in Lebensgefahr, auch zwei Erwachsene wurden lebensgefährlich verletzt.

Der Widerwille der Behörden, die volle Wahrheit zu sagen

Es war anscheinend ein genau geplanter Amoklauf, was irgendwie schon ein Widerspruch in sich ist. Der maskierte Täter fuhr im Taxi vor. Über die Motive kann man immer noch nur spekulieren, denn über den Täter ist immer noch wenig bekannt. Am frühen Donnerstagmorgen nahm die Polizei von Merseyside einen 17-jährigen jungen Mann fest und legte ihm die drei Morde und zehn versuchte Morde zur Last. Der Name des Teenagers darf aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlicht werden. Bekannt ist unter anderem nur, dass er keine bekannten Beziehungen zum Islam besitzt.

Derweil fragte Nigel Farage, Chef der Reform-Partei, was mit „Recht und Ordnung“ in seinem Land geschehen sei, und wurde daraufhin angegriffen. Farage verband allerdings den Messerangriff von Southport mit Machetenkämpfen auf offener Straße im südenglischen Southend-on-Sea und einem Vorfall von letzter Woche in Kent, als ein Lieutenant Colonel der Streitkräfte in voller Uniform auf offener Straße niedergestochen wurde, während die örtliche Polizei versuchte, diesen Vorfall herunterzuspielen.

Farage stellt Fragen wie: „Wer sind die Angreifer? Warum tun sie es?“ Wann immer Dinge wie jetzt in Southport geschähen, so Farage am Mittwoch im Nachrichtensender GB News, gebe es einen Widerwillen der Behörden, die „volle Wahrheit“ mitzuteilen, und die Absicht, das Geschehen herunterzuspielen. Für Farage steht noch nicht fest, dass der Messerangriff von Southport kein terroristischer Akt war.

Ausschreitungen in Southport, die Polizei repariert

Am Dienstagabend folgten heftige Ausschreitungen in Southport. Die öffentliche Aufmerksamkeit ging damit praktisch bruchlos von der Schrecklichkeit des Verbrechens zur präsentierten Gräßlichkeit der Proteste über. Zunächst hatten mehr als tausend Southporter eine Mahnwache abgehalten, um der drei Todesopfer zu gedenken. Angeblich erreichten aber auch Busladungen von außerhalb die Stadt. Diese „Schläger“ attackierten dann Polizeibeamte, schüchterten Einheimische ein und beschädigten Privathäuser, Geschäfte und eine Moschee, wie der Telegraph berichtet. Mehr als 50 Polizisten wurden verletzt.

Schon am folgenden Tag hatte eine Southporterin fast 1.000 Pfund an Spenden gesammelt, um die beschädigte Moschee wieder herzurichten. Einige Fenster waren beschädigt, die Fassade sogar „vollständig demoliert“, sagte die 20-jährige Spendensammleren, Phoenix Lawson. Die Moschee sei der einzige Ort, an dem Muslime in Southport sich versammeln können. Auch Polizeibeamte wurden mit Kelle und Mörtel beim Wiederaufbau einer Mauer an der Moschee des Southport Islamic Centre gesichtet.

Diese Angriffe wurden umgehend von vielen politischen Akteuren verurteilt. Innenministerin Yvette Cooper sagte, es sei „entsetzlich“, dass die Polizei „gewalttätigen Angriffen von Schlägern auf der Straße ausgesetzt ist, die keinen Respekt vor der trauernden Gemeinschaft zeigen“. Eine „schändliche Vereinnahmung unserer Tragödie und ein gescheiterter Versuch, uns zu spalten“, sei das gewesen, sang auch der einheimische Künstler Tony Wynne den Refrain der Regierung.

Am Donnerstag traf sich Premierminister Keir Starmer mit leitenden Polizeibeamten, um ihnen seine Unterstützung zu versichern. In einem Tweet schrieb er nach der pflichtschuldigen Kondolenzbekundung an die Southporter: „Diejenigen, die die Mahnwache für die Opfer mit Gewalt und Schlägereien unterwandert haben, haben die Gemeinschaft in ihrer Trauer beleidigt. Sie werden die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.“ Die Politik ist eben weniger am Realen als am Brauchbaren interessiert.

Labour instrumentalisiert die Proteste

Es ist ein fast schon üblicher Ablauf: Erst die Proteste gegen die Messertat setzen das Thema Gewalt auf die politische Tagesordnung – aber in ganz anderer Weise als von den Demonstranten beabsichtigt. Das ist freilich ein durchsichtiger Versuch der Labour-Regierung, das öffentliche Interesse von dem geschehenen Verbrechen abzulenken. Schuldhaft gehandelt hätten nun diejenigen, die gegen Massenzuwanderung und Messergewalt protestieren.

Zugegeben: Einige der Unruhestifter waren angeblich maskiert, was nie ein vertrauenswürdiges Zeichen ist. Wer waren sie? Trittbrettfahrer mit unsicheren Absichten? Niemand weiß es genau. Am Ende könnten alle Arten von Interessen hinter Ausschreitungen dieser Art stecken. Doch die Southporter und Merseysider (Bewohner der umgebenden Grafschaft) haben ein Recht auf ihren Protest und auch ihre Ungeduld mit der Regierung. Die Frage „Wann werden Sie etwas tun?“ an den Premierminister muss berechtigt bleiben.

Es bleibt der Eindruck haften: In England gibt es einen wachsenden Teil der Bevölkerung, der ein solches Ereignis nicht mehr gleichgültig hinnimmt. Ähnlich war es schon kurz davor jenseits der Irischen See gewesen, als der Messerangriff eines Algeriers in Dublin zu Volksunruhen führte, die die Regierung flugs als rechtsextrem verstehen wollte. Daher sollte ein Hassrede-Gesetz verschärft werden, damit gewisse „provokante“ Meinungen nicht mehr gesagt werden konnten.

Nur Fehlinformationen? Polizei gibt sparsame Details heraus

Auch die Gründe liegen auf der Hand: Die trotz Brexit schrankenlose – und in vielen Fällen „legale“ – Zuwanderung nach Großbritannien bringt immer noch viele Bürger auf. Zudem vergrößern sich die eingewanderten Gemeinschaften auch ohne weitere Zuwanderung. Zugleich näherte sich die Zahl der Messerangriffe in England und Wales – nach einem sehr deutlichen Rückgang im Jahr 2020 – mit mehr als 50.000 Messerattacken in einem Jahr wieder alten Rekorden an. London alleine erlebte an die 13.000 Angriffe mit Messern in einem Jahr. Die Zahlen stammen vom vorvergangenen Frühjahr. Aktualisierungen für das Zähljahr 2023/24 stehen noch aus. Von einem weiteren Anstieg ist auszugehen.

Für die Londoner Polizei waren trotzdem nur „Falschinformationen“ für die Unruhen verantwortlich. Und so trafen die Verantwortlichen die „beispiellose“ Entscheidung, zu bestätigen, dass der Täter „in diesem Land geboren wurde“. Wie man sieht, kennt die politische Korrektheit im Land der Briten keine Grenzen: Weder die Nationalität noch die Ethnizität des Täters darf eine Rolle spielen, auch wo er geboren wurde, gibt man nur ausnahms- und fallweise heraus, wo es – vermeintlich – zur Deeskalation der Lage taugt. Die Wahrheit ist, dass wir über den Täter noch immer so gut wie gar nichts wissen, nur dass er in Cardiff geboren wurde. Später drang die Information an die Öffentlichkeit, dass seine Eltern aus Ruanda stammen.

London: Zweifel an der Provenienz des Protests

Auch der Protest in London nahm teils unordentliche Formen an: Angeblich wurden einzelne Feuerwerkskörper auf die vergitterte Downing Street und auf die Statue von Winston Churchill abgefeuert. Das sind eigentlich keine typischen Handlungen für englische „Patrioten“. Eher ist so ein Verhalten aus der internationalen „Partyszene“ bekannt. Tatsächlich wurde auch am Dienstagabend ein Mann mit einem Messer, der eine Sturmhaube trug, festgenommen. Daneben wurden Flaschen und Dosen auf die Polizei geworfen und waren Chöre wie „Stoppt die Boote“ oder „Rettet unsere Kinder“ zu hören – wie in einem disparaten Quodlibet: Jeder sang, pfiff und schmetterte seine Melodie. Verbreitete Videos und Bilder zeugen dabei eher von verhaltener Wut.

— Jordan (@grahamjordan_) July 31, 2024

Aber wahr ist: Massen sind niemals uniform. Sie besitzen eine Eigendynamik, eignen sich aber auch zur jederzeitigen Übernahme. Mit genügend Manpower lässt sich so etwas kapern. Und auch mit wenigen Agents provocateurs lässt sich der Grundcharakter oft schon verändern. Ein Sanitäter wurde angegriffen, es gab einige kleinere Verletzungen. Gegen 22 Uhr wurde die verbliebene Versammlung von 80 Personen im Regierungsbezirk Whitehall durch die Polizei aufgelöst. Dabei gab es noch zehn Festnahmen.

In Hartlepool gab es einen massiven Aufmarsch der Bereitschaftspolizei, dennoch wurden mehrere Polizisten verletzt. Acht Festnahmen folgten, nachdem Demonstranten Glasflaschen und Eier auf die Polizei geworfen hatten. Ein Streifenwagen wurde in Brand gesetzt. Wer die Täter jeweils waren, bleibt unklar. Wieder erkennt man verschiedene Signaturen. Das Werfen von Eiern und faulen Tomaten ist ein klassischer Volkssport der Unzufriedenen und offenbar ziemlich harmlos. Das Anzünden von Polizeiwagen liegt für den Steuerbürger nicht nahe.

In Hartlepool glaubte die Polizei, dass der angehende Protest mit den Ereignissen vom Montag in Southport im Zusammenhang stand. Aber man war sich auch nicht ganz sicher. In Aldershot (Hampshire) war man sicher, dass Kräfte von außerhalb der Stadt die Proteste angeheizt hatten. In Manchester wurden zwei Männer wegen „gewalttätiger Unordnung“ und Angriff auf einen Rettungssanitäter festgenommen.

Auch in Berlin gab es schon Unruhen wegen eines Messermords

Ist es zynisch, zu sagen, dass die Bürger westeuropäischer Gesellschaften mittlerweile etwas angestochen sind durch die sich rasant ausbreitende, schon quasi allgegenwärtigen Angriffe mit Messern aller Art? Genau diesen Eindruck vermitteln immer mehr Geschehnisse in diesen Tagen. Immer häufiger werden die Fälle, in denen aus den zufälligen Messerangriffen ein Volksaufstand wird, meist noch mit außereuropäischem Personal.

In Berlin-Gesundbrunnen – einem der heimlichen Brennpunkte der Hauptstadt im nördlichen Bezirk Wedding – geschah es jüngst, dass ein türkischstämmiger Mann einen Kameruner auf offener Straße erstach, nur weil der ihm den Parkplatz weggenommen hatte. Das angegebene Motiv schien nicht einmal Polizisten wahrscheinlich, auch für sie war das entweder ein Stück aus dem Tollhaus, oder – wie auch vermutet wurde – ein ganz anderes Motiv steckte dahinter, etwas wie „offene Rechnungen“ oder Drogenkriminalität. Aber auch das wurde noch nicht bestätigt. Es bleibt also beim quasi grundlosen Messerangriff, auf den tumultartige Szenen und Tage der Unruhe folgten. Polizei und Krankenhäuser in den Brennpunkten Deutschlands kennen diese Aufregung nur zu gut, wenn die Clans ein Familienmitglied an die Messergewalt verloren haben oder zu verlieren drohen.

Und als es vor kurzem in Leeds nach einer Kinderschutzaktion gegen Roma zu wahren Gewaltexzessen kam, taten sich Polizei und Politik schwer damit, die Akteure zu benennen. Spielort war der migrantisch geprägte Stadtteil Harehills. Irgendwo dazwischen gab es noch Unruhen von Bangladeschern im Londoner Stadtteil Whitechapel mitsamt den hier endemischen Feuerwerkskörpern. Grund war hier eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Gruppen.

Der Elitenpolitik soll der Reißwolf der Kritik erspart werden

Abwägende Beobachter warnen davor, bei der Verurteilung der Unruhen stehen zu bleiben und das Kind quasi mit dem Bade auszuschütten. Vor allem dürfe der eigentliche Horror von Southport nicht heruntergespielt werden. Bürger in ganz Großbritannien nehmen eine grauenhafte Tat wie die von Southport wahr und haben auch ein Recht auf eine Reaktion. Diese Gefühle, Gedanken, Äußerungen und Handlungen dürfen von der Politik nicht pauschal unter Strafe gestellt, manchmal sogar buchstäblich kriminalisiert werden. Aber über die Ländergrenzen hinweg nimmt die Fähigkeit der Politik ab, solchen Protest einer verunsicherten Bürgerschaft zu integrieren.

Die Politik macht es sich nicht nur leicht, indem sie nach Verbrechen wie dem von Southport quasi Zähnezusammenbeißen und Weitermachen fordert. Sie schießt auch in dieser schon herzensträgen Reaktion übers Ziel hinaus und versucht den Protest für ihre eigenen Ziele zu nutzen: Die schweigende Mehrheit soll nicht den Mund öffnen, und der durchaus eigenen Migrations- und abwesenden Integrationspolitik – von Blairs Menschenrechts-Gesetzgebung über zahllose an dieser Stelle untätige Tory-Premiers bis hin zu Starmer – soll der Spießrutenlauf einer kritischen Betrachtung erspart werden. Die negativen Folgen jahrzehntelanger Entscheidungen der Londoner „Elite“ sollen nicht in den Reißwolf der Kritik geraten.

Anzeige

Unterstützung
oder