Selenskyj und Trump: Eine diplomatische Katastrophe

Gestern Abend gab es im Oval Office des amerikanischen Präsidenten einen in der Geschichte moderner Diplomatie beispiellosen Vorgang. Der ukrainische Präsident verlor die Nerven und ruinierte damit die schon vorher schlechte Verhandlungsposition seines Landes im Krieg mit Russland. Gleichzeitig dokumentierten einige Europäer ihre Unfähigkeit zu einer realistischen Lagebeurteilung.

picture alliance / Newscom | JIM LO SCALZO

Im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Joe Biden betrachtete Donald Trump die Pressekonferenzen vor den Gesprächen mit ausländischen Gästen im Oval Office noch nie als einen bloßen Fototermin mit vorbereiteten Statements und dem obligatorischen Handshake. Erst am Montag hatte es eine solche mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gegeben. Macron und Trump sitzen gemeinsam im Oval Office und beantworten die Fragen von Journalisten. Der Termin dauerte 28 Minuten und beide machten ihre unterschiedlichen Standpunkte deutlich. Viele Medien lobten Macron für seine geschickte Verteidigung europäischer Interessen.

Am Donnerstag die gleiche Situation mit dem britischen Premierminister Keir Starmer. Wieder dauerte es 30 Minuten, trotz aller Meinungsunterschiede bemühten sich beide um das Herausstellen von Gemeinsamkeiten. Starmer präsentierte vor den Journalisten sogar eine Überraschung: eine Einladung des englischen Königs an Trump. Am Freitag schließlich der Höhepunkt dieser ereignisreichen Woche.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft sich mit Trump in Washington. Der Anlass war die Unterzeichnung eines Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und der Ukraine über die Nutzung ukrainischer Rohstoffe. Dieser Termin war mit großer Spannung erwartet worden. Er sollte der erste Schritt zu einer diplomatischen Lösung des seit drei Jahren andauernden Krieges in der Ukraine werden. Es endete nach 49 Minuten in einer diplomatischen Katastrophe.

Diplomatischer Drahtseilakt vor dem Absturz

Jeder politische Beobachter wusste vor dem Pressetermin, dass es trotz dieses Abkommens zwischen Selenskyj und Trump gravierende Meinungsunterschiede über eine diplomatische Lösung gibt. Selenskyj beharrt auf weitreichenden Sicherheitsgarantien für sein Land, Trump lehnt diese ab. Solche Differenzen gab es allerdings auch schon mit der Biden-Administration. Diese lehnte einen Nato-Beitritt der Ukraine ab, dosierte die militärische Unterstützung der Ukraine. Sie bekam seit drei Jahren nur so viel Unterstützung, um eine militärische Niederlage der Ukraine zu verhindern. Kein verantwortlicher Amerikaner wollte eine Niederlage Russlands mit den daraus resultierenden unvorhersehbaren Konsequenzen riskieren. Jenseits dessen wusste auch niemand, wie das ohne einen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zu realisieren wäre. Trump argumentiert nicht anders, wenn er ohne eine diplomatische Lösung vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges warnt. Er spricht im Gegensatz zu Biden nur offen aus, was jeder in Washington wusste.

So verliefen die ersten 40 Minuten im zu erwartenden Rahmen. Selenskyj machte die ukrainische Position deutlich, Trump schilderte seine Sichtweise auf den Konflikt. Wenn der ukrainische Präsident sein fehlendes Vertrauen in den russischen Präsidenten deutlich machte, durfte das niemanden wundern. Trump hörte sich das an, hielt aber eine solche Perspektive für einen Kompromiss mit Wladimir Putin nicht für sinnvoll. So ging es zwischen Journalisten und den beiden Politikern hin und her. Trump machte Scherze, es ging sogar um Selenskyjs Kleidungsstil.

Trump wollte seinem amerikanischen Publikum den Unterschied zur Biden-Administration vermitteln, die nichts zur Beendigung dieses Krieges getan habe. Heiklen Fragen, wie etwa zur Zukunft der ukrainischen Hafenstadt Odessa, wich er aus. Es sei jetzt nicht der Zeitpunkt, um darüber zu reden. Trump wollte sich vor den Verhandlungen mit Putin nicht festlegen, sie machen dann auch keinen Sinn mehr. Selenskyj wollte dagegen die ukrainische Position deutlich machen. So ging das 40 Minuten lang, es erinnerte an einen diplomatischen Drahtseilakt.

Dann passierte live einer der größten Unfälle in der Geschichte der modernen Diplomatie. Es ist nur vergleichbar mit der Telegraph-Affäre des deutschen Kaisers Wilhelm II im Jahr 1908. In dessen Interview mit einem Journalisten des britischen Daily Telegraph gab es lauter unbedachte Äußerungen, die seine Mischung aus Naivität und politischer Unfähigkeit vor aller Welt deutlich machte. Das hätte fast zur Abdankung des Kaisers geführt und zerstörte die Autorität des Kaisers irreparabel.

Ein polnischer Journalist fragte in der Minute 38 nach Trumps Botschaft an seine skeptischen Freunde in Polen. Trump machte erneut deutlich, dass die bisherige Rhetorik über Putin nichts geändert habe. Seine Vizepräsident J. D. Vance ergänzte das noch, um den Unterschied in der Politik Trumps zu dem seines Vorgängers auszudrücken. Er sagte nichts Neues. Biden habe starke Worte über Putin formuliert, aber dieser sei in die Ukraine einmarschiert und habe das Land zerstört.

Jetzt passierte die Katastrophe. Selenskyj bat darum, Vance eine Frage stellen zu dürfen. Es waren keine Fragen, sondern Feststellungen über die Nutzlosigkeit einer Suche nach diplomatischen Lösungen. Anders war das nicht zu verstehen. Der ukrainische Präsident kann davon überzeugt sein, aber kann das nicht so formulieren. Er desavouierte damit seinen wichtigsten Verbündeten auf offener Bühne. Entsprechend fiel die Reaktion zuerst von Vance, dann von Trump aus. Diese knapp acht Minuten waren historisch.

Diplomatie im Echtzeitmodus

Wer die Dramaturgie dieses Gesprächsverlaufs sieht, kann nicht von einer geplanten Falle ausgehen. Das betrifft Selenskyj wie Trump und Vance. Offensichtlich fühlte sich der ukrainische Präsident von Vance’ Äußerungen provoziert. Er meinte, sich rechtfertigen zu müssen, obwohl es wie damals bei Wilhelm II keinen Anlass gegeben hat, sich überhaupt dazu zu äußern. Nur leben wir nicht mehr im Jahr 1908. Im digitalen Zeitalter ist das soziale Netzwerk X die Plattform, um Wirklichkeit zu konstruieren, anstatt sie zu schildern. Der Auslöser für die öffentliche Wahrnehmung war diese nur knapp zwei Minuten lange Videosequenz auf X. Sie begann mit der Antwort von Vance auf Selenskyj, skandalisierte durch Weglassen des Kontextes.

Das bestimmte die Sichtweise vieler europäischer Beobachter und Politiker. Sie ordneten das gemäß ihren politischen Überzeugungen ein, ob nun über den Präsidenten Trump oder den Ukrainekrieg. Sie solidarisierten sich mit Selenskyj, obwohl jeder weiß, dass die Ukraine ohne amerikanische Unterstützung verloren ist. Gleichzeitig machen sie die Bemühungen von Macron und Starmer zunichte, die in dem kommenden Verhandlungsprozess einen Fuß in die Tür bekommen wollten. Diese Europäer überschätzen grotesk ihre Möglichkeiten, wie sich sehr schnell herausstellen wird. Es zeigt, wie sehr die Erfinder der modernen Diplomatie diese verlernt haben – und dass Diplomatie im Echtzeitmodus in eine Katastrophe führen kann.

Niemand muss sich etwas vormachen: Die Trump-Administration wird diese von Selenskyj zu verantwortende Schwächung der Ukraine ausnutzen, trotz seiner verzweifelten Bemühungen zur Schadensbegrenzung in diesem kurz nach dem Eklat geführten Interview mit dem Nachrichtensender Fox News. Seine politische Zukunft ist vorbei, weil er außer in den Vereinigten Staaten keinen Verbündeten hat, der ihm wirksam helfen kann. Das passiert schon mit unkalkulierbaren Folgen. Die Europäer leben dagegen in einer anderen Welt, wo sie einen Krieg mit Putin fürchten, ohne den tatsächlichen Krieg beenden zu können. Sie werden nicht auf Seiten der Ukraine in einen Krieg mit Russland eintreten, noch haben sie die Ressourcen, einen Zusammenbruch der ukrainischen Armee und Gesellschaft zu verhindern. Allerdings ist heutzutage alles möglich: So kann man nur beten, dass es nicht anders kommt.

— Volodymyr Zelenskyy / Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) February 28, 2025

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