Ein Helikopterabsturz stürzt den Iran in die Krise

Irans Präsident Ebrahim Raisi ist tot. Das Regime, für das er stand, ist genauso veraltet wie die Flugtechnik, mit der er flog. Mit seinem Ableben wird die Thronfolge in Teheran unsicherer.

picture alliance / Anadolu | Azin Haghighi / Moj News Agency
Rettungsteams erreichen das Wrack des Hubschraubers, Iran, 20. Mai 2024

Geschichte fährt nicht auf Schienen. Manchmal bricht das Chaos ein. Für das iranische System ist der Unfalltod seines Präsidenten Ebrahim Raisi so ein Chaosfall. Raisi galt als möglicher Nachfolger von Ajatollah Ali Chamenei im Falle dessen Ablebens. Als Kontrapunkt zu seinem eher reformbereiten Vorgänger Hassan Rohani galt der 63-jährige Raisi als Bewahrer der Tradition.

Auch deswegen waren in der Nacht vereinzelt Freudenfeuer zu sehen, die auf den Tod des Regierungschefs spekulierten. Im liberal orientierten Lager galt er als Hassfigur. Doch selbst bei den konservativen Iranern hatte er in der jüngeren Vergangenheit Vertrauen verspielt, ob nun aufgrund der wirtschaftlichen Lage oder des harten Vorgehens gegen die im Herbst (abermals) ausgebrochenen Proteste.

Dennoch galt Raisi als Pfeiler der Stabilität der Mullahkratie. Dass er zum Äußersten bereit war, um die Islamische Revolution und den von ihr geebneten Staat zu verteidigen, zeigen die zahlreichen Todesurteile, die er im Zuge der Massenhinrichtungen von 1988 vollstrecken ließ. Raisis Herrschaft ruhte damit nicht zuletzt auf machiavellistischer Furcht, weil er die Liebe des Volkes sowieso nicht gewinnen konnte. Wer den Beinamen „Schlächter von Teheran“ trägt, der hat Autorität.

Seit Jahrzehnten besteht ein erheblicher Kontrast zwischen der Demographie des Iran und dem existierenden Regime. Das Durchschnittsalter der Iraner beträgt 32 Jahre. Die junge Generation wünscht sich mehr Freiheiten oder zumindest mehr Konsum. Diesem Druck müssen die Mullahs widerstehen. Raisi wollte das erste nicht liefern – und konnte das zweite nur bedingt. Dennoch galt er als Garant, dass es nach einem möglichen Tod des Ayatollah zu einem sanften Übergang kommen würde.

Nun ist Raisi selbst tot. Und mit ihm stürzt er das ganze Regime in den Ausnahmezustand. Ein Nachfolger muss her. Neuwahlen müssen innerhalb von 50 Tagen stattfinden. Der Ausgang der Wahl ist angesichts gesellschaftlicher und ökonomischer Verwerfungen derzeit völlig offen. Beim Hubschrauberunglück kamen weitere hochrangige Personen um, neben dem Außenminister Hussein Amirabdollahian auch der Gouverneur von Täbris.

Das Vakuum könnte zu krisenhaften Erscheinungen führen, sollten die jungen Iraner den Tod Raisis als Menetekel für einen Systemwechsel verstehen. Wie viele Hoffnungen sich die Iraner allerdings auf einen tiefgreifenden Wechsel machen können, steht in den Sternen. Trotz aller westlicher Darstellungen hat sich das Regime seit Jahrzehnten jedes Aufstandes erwehren können.

Dabei ist der Hubschrauberabsturz zugleich ein Symbol für die Lage des Iran. Das Fluggerät war genauso veraltet, wie es die Vertreter der Gerontokratie sind, die das Land weiterhin im Griff haben. Doch nach jungen radikalen Männern, wie Raisi einer bei der Revolution von 1979 war, suchen die Mullahs händeringend, um die „Errungenschaften der Revolution“ zu wahren. Hier besteht die eigentliche Gefahr für den Bestand des Regimes.

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Kommentare ( 23 )

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23 Comments
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verblichene Rose
7 Monate her

Sehr geehrter Herr Gallina. Hätten Sie mich gestern gefragt, wer ein Ebrahim Raisi ist, hätte ich vermutlich geantwortet, dass er jemand war, der wohl Kinderbücher schreibt. Vornehmlich für Kinder im arabischen Raum. Hätten Sie mich aber gefragt, was ein Hubschrauberpilot macht, wenn er ein vernebeltes Gebirge überfliegt, würde die Antwort ganz anders aussehen 🙂 Wissen Sie daher, was mich eigentlich bewegt, wenn Sie und ich bitte davon absehen wollen, solche Aussagen zu treffen wie „einer weniger“? Nun, nach Ihrem Kommentar kann und darf es keine flugfähigen Geräte mehr geben, denen eine Altersschwäche unterstellt werden kann. Demnächst wird dann nämlich noch… Mehr

Werner
7 Monate her

Hat unser allerbester Präsident aller Zeiten Fraaaank Waaaalter sich dazu schon dort gemeldet ?

Renegade1
7 Monate her

Warum hört man eigentlich in den Nachrichten nichts mehr von den mutigen Frauen im Iran ?

Warum macht Frau Baerbock nicht mal einen offiziellen Besuch im Iran um ihre feministische Außenpolitik dort zu bewerben ?

Frau Roth und Frau KGE würden sie bestimmt gern begleiten, auch können sie da gleich Erfahrungen sammeln, wie es sich so als Frau im Kalifat lebt.

the ministry of silly walks
7 Monate her
Antworten an  Renegade1

Ganz einfach:
erstens: weil das Mullah-Regime gemeinsam mit den mutigen Palästinensern gegen den Apartheidsstaat Israel kämpft. Da muss man in D Prioritäten setzen.
zweitens: weil islamische Republiken von Hause aus queer-feministisch sind.
drittens: müssen sie nicht im Iran erleben – bald auch in Ihrer Nachbarschaft.

XDhoch3
7 Monate her

Aufruf an alle linken Weiber, welche an den Universitäten dieses Landes für Palästina und den Islam demonstrieren:
Geht hin in den Iran und huldigt einem Eurer Idole!
Auf eine feministisch-gerechte Welt voller Menschenrechte!

PS: Ich bin froh, dass er tot ist.

Poirot
7 Monate her

Der Iran wird zum Zünglein an der Waage werden. Ganz recht: die Demographie spricht für sich. Junge Menschen, die keine Lust mehr haben, sich von alten, autokratischen Männern bevormunden und einschränken zu lassen. Das ist der Boden, auf dem eine Revolution wächst. Hinzu kommt der Aspekt, dass die neuen Medien, das Internet, es möglich machen, dass die jungen Menschen sich heutzutage vernetzen. Damit ist es möglich geworden, Druck auszuüben, um jahrzehntelangen Machtmissbrauch und mittelalterliche Strukturen in Frage zu stellen. Die heutigen Diktatoren können sich somit nicht mehr jahrzehntelang an der Macht erhalten. Das sei allen Iranern- und vor allem den… Mehr

thinkSelf
7 Monate her
Antworten an  Poirot

Diktatoren können sich nicht jahrzehntelang an der Macht halten? Jeder Blick auf die Landkarte zeigt genau das Gegenteil.

the ministry of silly walks
7 Monate her
Antworten an  Poirot

Naja, solange die EU kondoliert, der BP alles Gute wünscht, in D den Hamas-Unterstützern die Straße frei gemacht wird, sind die jungen Menschen im Iran auf sich allein gestellt. Ich würde es denen so wünschen, aber das geht nur ganz allein aus eigener Kraft – Schade, nein beschämend…

Teiresias
7 Monate her

In der Geschichte wurden innere Krisen oft nach Aussen projeziert. Wo die Innenpolitik unattraktiv ist, wird die Aussenpolitik in den Focus gestellt. Für den Iran stehen damit z.B. atomare Aufrüstung und offener Krieg gegen Israel auf der Liste der möglichen Konsequenzen – abhängig auch vom Umgang des Westens mit der Situation. In Zeiten allgegenwärtigen Kriegsgeschreis, wirtschaftlich-finanzieller Megakrisen und unterirdischer Qualität des politischen Personals vor allem im Westen lässt das nichts gutes erahnen. Die Welt kann in einen grossen Krieg schlittern – und es gibt m.E. durchaus Kräfte, die das begrüssen würden und als Projekt vorantreiben. Das innenpolitische Durcheinander im Iran… Mehr

Last edited 7 Monate her by Teiresias
Rosalinde
7 Monate her

Aus dem Iran verlautete heute, dass der Hubschrauber um die zwanzig Jahre alt gewesen sei und Ersatzteile aus den USA nicht geliefert wurden. Kann ja sein. Aber warum kauft der Iran dann nicht neue Hubschrauber in Russland oder in China?

Epouvantail du Neckar
7 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Der Hubschrauber vom Typ Bell UH-1 dürfte sogar noch aus der Schah-Zeit stammen, als der Iran noch von den Amerikanern ausgerüstet wurden. Er dürfte eher gegen 50 Jahre alt gewesen sein. Übrigens flog die Bundeswehr noch bis 2021 fast eben so alte Hubschrauber gleichen Typs-nur x-mal generalüberholt.

AlexR
7 Monate her

Der Hubschrauber war 50 Jahre alt. Die Tagesthemen haben es so berichtet. Das dürfte stimmen. Ich bin 1977 bei der BW mit einem solchen Typ mitgeflogen. Vor 20 Jahren wurde der Bell-UH 1 nicht mehr produziert, weil er bereits lange technisch überholt war. Wahrscheinlich wurde die letzte Wartung vor 20 Jahren durchgeführt. Der Iran hat natürlich die USA für den Absturz verantwortlich gemacht. Ist ja vollkommen klar, denn die haben ja keine Ersatzteile geliefert. Der Hubschrauber war offensichtlich in einem flugunfähigen Zustand. Aber im Glaube an den Propheten und Allah klappt das schon. Hat die Regierung im Iran denn nur… Mehr

Last edited 7 Monate her by AlexR
HansKarl70
7 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Gute Frage, denn so schlecht kann es eigentlich keiner Regierung gehen.

Last edited 7 Monate her by HansKarl70
Silverager
7 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Nun sieht es allerdings so aus, dass der Hubschrauber wohl nicht aus Altersschwäche abgestürzt ist, sondern von einem m.E, unfähigen Piloten in den Nebel hineingesteuert wurde und an einem unzugänglichen Berghang zerschellte.

Haba Orwell
7 Monate her

> Die junge Generation wünscht sich mehr Freiheiten oder zumindest mehr Konsum. Diesem Druck müssen die Mullahs widerstehen.

Im Westen lauten die Parolen Degrowth und weniger Konsum, also zu voll sollte man im Westen den Mund nicht nehmen. Ich wäre bereits zufrieden, wenn ich beim bisherigen bescheidenen Konsum bleiben könnte.

Mit den Freiheiten läuft es im Westen auch in totalitäre Richtung.

Last edited 7 Monate her by Haba Orwell
ketzerlehrling
7 Monate her

Nicht umsonst feiert die Bevölkerung mit Feuerwerk den Tod dieses Bewahrers und wünscht sich, dass dem Rest der Regierung ähnliches widerfährt. Ich denke, das iranische Volk ist mit diesen Wünschen gar nicht so allein auf der Welt.

Strange
7 Monate her

Die Frage ist auch, wie eine nachfolgende Regierungsform aussehen könnte. Demkratie nach westlichem Muster? Oder eher eine Brüsseler Staatsform?

Haba Orwell
7 Monate her
Antworten an  Strange

> Demkratie nach westlichem Muster? Oder eher eine Brüsseler Staatsform?

Brüssel hat doch Demokratie nach westlichem Muster – kennen Sie viele westliche Länder, wo es anders läuft? Ausnahmen wie Ungarn werden drangsaliert – oder es wird gleich auf den MP wie in der Slowakei geschossen.

Lars Baecker
7 Monate her
Antworten an  Strange

Das soll das iranische Volk selbst entscheiden. Dem Export der westlichen „Demokratie“ war bisher in der Regel kein Erfolg beschieden. Am Ende hat es Elend über viele Völker gebracht.