Es gab mehr als ein Leck im Pentagon in diesen Wochen. Aber vielleicht war das auch so gemeint. Die nun geleakte Leitlinie enthüllt, dass die USA sich fast überall auf der Welt zurückziehen wollen, aber einen letzten strategischen Gegner im Blick behalten: China.

Von diesem Leak ist etwas weniger die Rede als von jenem Gespräch über Signal, in dem Pete Hegseth, JD Vance und andere etwas widerwillig über mögliche Militärschläge gegen die Huthis im Jemen diskutierten. Nun muss man bei jedem Leak auch die Möglichkeit konzedieren, dass es sich um Absicht handeln könnte. Etwa die Absicht, das breitere oder ein Spezialpublikum über gewisse Dinge zu informieren, die man aber nicht auf offener Bühne sagen will oder kann. Je mehr authentisch wirkende Details in einem Leak vorkommen, desto größer ist offenbar der Wille, eine Sache zu untermauern, sie als besonders glaubwürdig darzustellen und somit wiederum die Hürde jeder staatlichen Informationspolitik zu überschreiten – die Möglichkeit, dass Desinformation als solche erkannt wird.
Jetzt – eigentlich schon Ende März, aber es spricht bisher kaum jemand darüber – wurde eine Leitlinie aus dem Pentagon bekannt, die die Unterschrift von Verteidigungsminister Pete Hegseth trägt. Das neue Leak scheint eher jenen informierenden Charakter zu haben als das Huthi- Luftschlags-Leak, obwohl auch das letztgenannte wichtige Informationen zum neuen transatlantischen Verhältnis für die Europäer bereithielt.
Worum geht es also in dieser „vorläufigen strategischen Leitlinie für die nationale Verteidigung“ (Interim National Defense Strategic Guidance), über die die Washington Post zuerst schrieb? Die Leitlinie bestätigt einmal mehr zwei Charakteristika von Trumps Weltsicht. Es wird deutlich, dass die Regierung von Donald Trump ihren strategischen Hauptgegner in niemand anderem als China sieht. In anderen Weltteilen sollen regionale Spieler mehr Verantwortung übernehmen, in Sache Taiwan will das Pentagon engagiert bleiben.
Alter Gegensatz zwischen Land- und Seemacht
Es ist, so sagt die Washington Post, die Vision Donald Trumps, dass man China im Falle eines Konflikts um Taiwan unbedingt Paroli bieten will. Peking solle diesen Krieg, wenn er kommt, nicht gewinnen können, umschreibt die Post den Inhalt. Kurz nach dem angeblichen Leak verkündete Verteidigungsminister Hegseth auch öffentlich bei einem Japan-Besuch, dass die USA zu einer „glaubwürdigen Abschreckung“ zugunsten Taiwans bereit seien. Der japanische Verteidigungsminister Gen Nakatani konnte nicht mehr zustimmen. Peking hat in letzter Zeit seine aggressiven und raumgreifenden Aktivitäten in den anliegenden Meeren intensiviert.
Nun könnte man auf der anderen Seite annehmen, dass dies die Übertragung der Einkreisungsstrategie à la Zbigniew Brzezinski von Russland auf China ist, und die Kritiker dieser Politik werden in Sachen China wohl irgendwann dieselben Einwände bringen wie schon länger in Fragen Russlands. Doch sind diese strategischen Gegensätze zugleich auch älter als die Großmachtpolitik der USA, man kann sie auf den Gegensatz der Land- und Seemacht zurückführen, so wie die Briten im 19. Jahrhundert eine Seemacht und Russland eine Landmacht war. Diesen Gegensatz wird man nicht leicht ausräumen: Die Seemacht versucht die Landmacht zu fixieren und zu begrenzen, weil sie sonst nicht mehr die Hoheit über die Meere hat. Aber China ist natürlich gerade selbst dabei, sich zur Seemacht zu entwickeln. Das könnte das Rezept noch einmal verändern.
Laut dem Papier wollen die USA daneben Bedrohungen der nationalen Sicherheit im „nahen Ausland“ abwehren, wozu das Pentagon etwa Grönland und der Panamakanal zählt. Das war dank Trumps öffentlichen Aussagen schon bekannt. Zudem soll die US-Armee gemäß dem Hegseth- Papier eine aktivere Rolle bei der Bekämpfung der illegalen Migration und des Drogenschmuggels übernehmen. Auch das ist durch Trumps Notstandsdekrete schon möglich. Das Papier ist als „geheim/nicht für ausländische Staatsbürger“ gekennzeichnet. Diese Geheimhaltung ist also schon einmal misslungen, aber vielleicht sollte sie das. Es ist am Ende durchaus denkbar, dass Trump auch mit der medialen Wirkung des Leaks spielen lässt – und Hegseth scheint einer der engsten Vertrauten des Präsidenten zu sein.
Ende des „Weltpolizisten USA“?
Außergewöhnlich an dieser Leitlinie ist, dass sie eine „mögliche Invasion Taiwans“ als einziges Szenario benennt, das die USA in den Aktionsmodus zwingen würde („exclusive animating scenario“), während andere Gefahrenherde sich eher selbst überlassen bleiben sollen. Wörtlich wird aus dem Hegseth-Papier zitiert: „China ist die einzige durchgreifende Bedrohung aus Sicht des Ministeriums, die Verhinderung einer chinesischen Fait-accompli-Einnahme von Taiwan ist – neben der Verteidigung der USA – das einzige durchgehende Szenario des Verteidigungsministeriums.“
Diese Botschaft ist kaum weniger eindrucksvoll für die Europäer als die des Signal-Chats über Huthis im Jemen. Aus beiden Leaks geht im Grunde dasselbe hervor: Wir holen euch nicht mehr die heißen Kastanien aus dem Feuer; sorgt selbst für eure Sicherheit, egal ob es um Handelswege am Suezkanal oder um die Nachbarschaft zu Russland geht.
Aber auch „militante“ Bewegungen im Nahen Osten und Afrika werden das Pentagon von sofort an weniger interessieren, heißt es im Bericht der Washington Post. Solange eine Gruppe nur regional destabilisiert, aber keinen Ehrgeiz hat, internationale Angriffe vorzutragen, dann soll sie nicht mehr Gegenstand der militärischen US-Außenpolitik sein, was ja nur vernünftig klingt. Das war in Afrika schon länger die Richtschnur, nun also auch im Nahen Osten und Europa. Das ist das Neue. Und auch Taiwan soll durchaus mehr zu seiner Verteidigung beitragen, auch das steht in der Pentagon-Leitlinie.
Es wäre das Ende auch des Mythos vom „Weltpolizisten USA“ – mit daran hängendem „militärisch-industriellem Komplex“ – und der Eintritt in eine realistischere Epoche der Außenpolitik. Demgegenüber hatte die Biden-Regierung noch die Allianz mit den Europäern gepflegt, weil das „der größte globale strategische Vorteil“ für die USA sein sollte. Die neue Regierung sieht das anders. Sie definiert die US-Interessen trennschärfer und empfiehlt damit implizit allen anderen dasselbe – vor allem den Nato-Freunden in Europa. Die werden sich nun lange fragen, ob sie noch „Nato-Freunde“ sind, aber Artikel 5 des Nato-Vertrags wurde noch nicht widerrufen.
Übereinstimmung mit konservativem „Project 2025“
Der Teil über Taiwan oder auch die ausgeführten Luftschläge gegen die Huthis zeigen dennoch: Ganz ohne amerikanische Stärke ist auch diese Strategie nicht zu verstehen. Und darin sehen einige inneres Konfliktpotential. An sich bleibt die neue Strategie eine klare Sache: In der Tendenz Hände weg von Russland, Afrika und dem Nahen Osten, dafür große Vorsicht im Hinblick auf China.
Gemunkelt wird nun wieder einmal, ob diese Strategie direkt aus dem Programm „Project 2025“ der konservativen, den Republikanern nahestehenden Heritage Foundation stammt. Dort ist derselbe Dreiklang aus Heimatschutz, Abschreckung einer Invasion Taiwans und mehr Lasten für die Partner zu finden. Eine Ähnlichkeit scheint durchaus gegeben. Ein chinesischer Experte machte hier freilich laut der Pekinger Global Times einen Widerspruch aus: zwischen der America-First-Einstellung Trumps und einem möglichen Abenteuer im Meer zwischen China und Taiwan. Aber mit Isolationismus ist offenbar auch Trumps strategische Wahl nicht gleichzusetzen.
Jedenfalls hat die Sache auch für uns Europäer durchaus Potential, wenn man sich dem angeblichen Leak denn zuwenden würde. Denn natürlich erfahren wir dadurch, dass wir in einer ungemütlicheren Welt leben, in der wir uns selbst verteidigen müssen, und zudem die Beziehungen zu benachbarten Großmächten in die eigenen Hände nehmen müssen. Bisher gab es da sehr viel Marschieren im Gefolge Washingtons, auch in Sachen Ukraine. Nun könnte die Botschaft durchaus lauten: Regelt euer Verhältnis zu Russland, China und anderen auf eure Art, aber tragt dann auch die Konsequenzen. Die Europäer haben derzeit anscheinend noch wenig Lust auf einen Dialog in dieser Richtung. Aber er wird eigentlich auch unmöglich durch die Vielfalt der Standpunkte allein innerhalb der Europäischen Union, die immer wieder unversöhnbar erscheinen. Amerika hat es da besser.
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Das Ergebnis einer solchen Politik sieht man im Kaukasus. Armenien hat sich ebenso wie Georgien dem Westen/Europa zugewandt. Aserbaidschan hat im Bündnis mit der Türkei eine umstrittene Region von Armenien erobert. Die USA wollten Armenien nicht helfen. Die Europäer können es nicht. Russland wollte auch nicht. Für Armenien ist jetzt klar: Will es überleben, braucht es den Schutz von Russland. Entsprechend muss es sich verhalten. Das Bündnis mit dem Westen bringt für seine Sicherheit nichts. Gleiches gilt für Georgien. Europäische Politiker können hinreisen und Menschenmassen können vor Ort demonstrieren. Es ändert an der geopolitischen Sicherheitslage dieser Länder gar nichts. Auch… Mehr
„sorgt selbst für eure Sicherheit“: Das können die Europäer nicht. Werden sie auch nicht mehr können. D.h. die Europäer werden sich andere Verbündete suchen (müssen). Vielleicht China? Möglicherweise sorgt in ein paar Jahren China mit seiner Flotte für Sicherheit am Suez-Kanal? China ist auch daran interessiert, dass sein Handel mit Europa funktioniert.
Endlich mal frischer Wind im geopolitischen Nebel. An Annäherung zu Russland führt kein vernünftiger Weg vorbei. Sonst wird Russland der Schwerkraft Chinas anheimfallen. Das ist schon mal nicht im amerikanischen und schon gar nicht im europäischen Interesse – denn wir wären als nächste dran.
Bloß, Europa schlafwandelt. Deutschland ist ausgezehrt.
Taiwan ist m.E nicht zu halten. Die Drohung mit einem Weltkrieg deswegen nicht glaubwürdig. Da wird es Verhandlungen geben.
Ende des „Weltpolizisten USA“? Ja bitte!
Lasst die Europäer im kalten Regen stehen. Ich sage das seit Jahren.
Anders wird das nicht funktionieren. Die EU muss sich selbst verteidigen.
Als gemeinsames Verteidigungsbündnis für ein Europa der Vaterländer.
Um einen verpflichtenden Wehrdienst werden wir nicht vorbeikommen. Und, wie beispielsweise in Dänemark, auch für Frauen verpflichtend.
Freiwillig gehen da nur wenige hin, weil ein Krieg möglich ist.
Der Westen, allen voran die EU, war viel zu sehr mit sich selbst, ihren Machtansprüchen und Ideologien beschäftigt, um auch nur annähernd die Entwicklung um sie herum und in der gesamten Welt wahrzunehmen und angemessen zu reagieren. Jetzt haben wir das Dilemma, und um noch zu retten, was zu retten ist, bedarf es eines ganz anderen Politpersonals, und das haben wir ganz offensichtlich nicht in Aussicht, deshalb wird weiter gewurschtelt, und zwar ohne Happy-end.
Ziel ereicht, Wunsch erfüllt:
„Amis raus“
War doch das Motto seit mindestens
60 Jahren. Jetzt ist es auch wieder nicht recht.
Dazu passt nun aber die Drohung an Persien überhaupt nicht!
Wird auch dazu nicht kommen. MIGA ist klar in Kontrolle, und die ganze Region wird in Aufruhr kommen, wenn nicht Krieg, was allerdings uns mehr triftt als die USA. Irak, Libyen, Syrien und wir haben die Probleme bekommen, nicht die USA.
Was genau hat die: „Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA)“ damit zu tun??
Pentagon will Taiwan um jeden Preis sichern – plant Rückzug aus Europa und NahostDann sollte Tramp Erstmal die Demütigung der Republik China rückgängig machen und die Republik China(Taiwan)wieder völkerrechtlich also Diplomatisch anerkennen und eine Botschaft in Washington, D.C einrichten.
Nach der Ankündigung Trumps, dass die Anwesenheit des US-Militärs in Europa zur Verhandlungssache bzgl. der Zoll-Reformen gemacht werden sollen, sind gezielte „Leaks“ natürlich nicht von Nachteil, um es einmal dezent zu formulieren. Der Machiavelli in Trump und Vance wären geradezu dumm, darauf zu verzichten. Erst wenn die Angst in Europa so richtig köchelt, werden ihre Politiker zu großen Zugeständnissen bereit sein. Ob Taiwan (außerhalb der Chip-Industrie) wirklich so wichtig ist wie Europa, wage ich zu bezweifeln. Die Europäer hätten es ihrerseits in der Hand, in der EU eine Chip-Industrie aufzubauen. Das weltweit mit Abstand wichtigste Unternehmen für die sehr komplexen… Mehr
Weil in Europa der Sozialismus herrscht und der hat noch nie etwas wirklich auf die Reihe bekommen, außer korrupte Politiker.