Orbáns Verdienst: Man darf wieder nachdenken

Die deutsche Außenministerium von Annalena Baerbock belehrt Viktor Orbán, seine Gespräche mit Selenskyj, Putin, Xi, Erdogan, Trump hätten „Flurschaden” angerichtet. Aber er hat zumindest eines erreicht: Wir denken wieder nach, statt Floskeln nachzubeten.

picture alliance / NurPhoto | Jakub Porzycki

Im Ukraine-Krieg sieht die Dynamik derzeit so aus: Jeden Tag verliert die Ukraine Gebiet (sowie Soldaten, Infrastruktur und Zukunft) und erweckt zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn nicht den Eindruck, den Verlauf der Kämpfe zu ihren Gunsten ändern zu können. Das bedeutet, dass das Land immer deutlicher zu verlieren droht – es sei denn, Nato-Länder greifen als klare Kriegspartei in den Konflikt ein. Es wird früher oder später Soldaten brauchen. Die Nato baut in diesen Wochen eine permanente Mission für Kiew auf, mit bis zu 700 Experten und Beratern.

Die sitzen zwar in Wiesbaden, und sollen die Waffenhilfe für die Ukraine koordinieren. Aber seit der berühmten Bemerkung des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski im März, wonach Nato-Truppen bereits in der Ukraine seien, darf man sich ruhig die Frage stellen, ob eine solche „Mission“ nicht mehr koordinieren wird als nur Waffenlieferungen. Die ungarische Regierung hat diese Mission als „die größte institutionelle Gefahr” für eine Ausweitung des Krieges genannt.

Die amerikanische Intervention in Vietnam fing ähnlich an, mit Ausbildern und Beratern.

In dieser verhängnisvollen Lage, in der sich das nähere Schicksal Europas entscheiden könnte, wagt es ein Mann, zu tun, was niemand tut, und zu erkunden, ob es nicht eine andere Lösung geben könnte. Es ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán.

Wenn es nach ihm ginge, würde das Kampfgeschehen möglichst bald gestoppt, und dann verhandelt. Deshalb reiste er nach Kiew, Moskau, Beijing und Washington: Um zu erfahren, ob es einen Ausweg geben könnte aus dieser Einbahnstraße in die Hölle.

Dirigent statt Dissident
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Man weiß nicht genau, welche Informationen getauscht wurden, offiziell blieben Putin und Selenskyj bei ihren Maximalforderungen. Man weiß nicht, ob es gemeinsamen Boden geben kann für Verhandlungen. Aber wir wissen, dass es 2022 in Istanbul fast zu einer Einigung kam. Ob sie wirklich von den Westmächten torpediert wurde (der berühmte Besuch des damaligen britischen Premiers Boris Johnson in Kiew) werden eines Tages Historiker entscheiden.

Man kann nicht wissen, was für uns – für Deutschland, für Europa, für den Westen – besser wäre, ein Ende des Krieges oder dessen Fortführung bis zum bitteren Ende. Vielleicht bedeutet eine Friedenslösung mit Gebietsverlust für die Ukraine ja tatsächlich das Ende des freien Westens, weil das mächtige Russland mit seiner unbesiegbaren Armee danach die Nato angreift und niederringt. So ganz vermag man es sich zwar nicht vorzustellen, schon deswegen nicht, weil westliche Geheimdienste und Medien uns jeden Tag erklären, wie schwer Russlands Verluste sind, und dass es auf keinen Fall einen längeren Krieg aushalten kann. Aber wer weiß.

Entscheidend ist, dass unsere Politiker uns Gewissheiten verkaufen, die keine sind. Sie wissen es selbst nicht. Sollten nicht die Wirtschaftssanktionen Russland in die Knie zwingen? Vielleicht irgendwann, vorerst offenbar nicht. Dass Europas Wirtschaft derweil leidet, ist aber klar.

Und wie sicher waren sich alle in der Covid-Krise, dass Impfpflicht und totale Isolation aller Bürger der einzig richtige Weg waren!

Orbán hat binnen weniger Tage ein Loch in den Panzer dieser intellektuellen Dogmatik geschlagen und die Räume für öffentlichen Diskurs ausgeweitet. Man darf wieder nachdenken. Das ist ein Verdienst an der Freiheit.

Hat er Fortschritt erzielt auf dem Weg zu einem Ende des Krieges? Auch das muss man Historikern überlassen. Immerhin hat er allen relevanten Parteien – Ukraine, Russland, China, USA, und der Türkei als bislang einziger halbwegs erfolgreicher Vermittler – drei wichtige Fragen gestellt: An welchen Bedingungen wollen die verschiedenen Seiten um jeden Preis festhalten? Soll man erst verhandeln, oder erst einen Waffenstillstand schließen? Und vor allem: Wie soll nach dem Krieg die Sicherheitsarchitektur der Zukunft aussehen? Das wäre dann die neue Weltordnung. Um nichts weniger geht es.

Und er hat da angeknüpft, wo der letzte Versuch 2022 endete – bei den Verhandlungen in Istanbul. Daher auch sein Treffen mit Erdogan am Rande des Nato-Gipfels. Es hat alles Logik und Methode. Nun haben alle Stoff zum Nachdenken, und plötzlich offene Gesprächskanäle. Wenn man denn sprechen möchte.

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Übrigens: Auch die Ukraine spricht immer noch mit Respekt von Orbán. „Wir respektieren ihn”, sagte Andrij Jermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, auch nach Orbáns Besuch bei Putin. Dennoch wolle man keine ungarische Vermittlung – nicht weil Orbán nicht geeignet sei, sondern Ungarn zu klein.

Respektlos redet man über Orbán nur in der EU, respektlos gebärdet sich auch Deutschlands Chefdiplomatin Annalena Baerbock. Zugegeben, sie hat Grund, sich zu grämen. Weil Orbán mit seinem Außenminister Szijjártó unterwegs war zu relevanteren Gesprächspartnern, hatte Szijjártó keine Zeit für seine deutsche Amtskollegin. Die hatte sich nach Orbáns Besuch in Moskau kurzerhand nach Budapest eingeladen, um Ungarn zu zeigen, wie ein erhobener deutscher Zeigefinger aussieht. Die Abfuhr mag gekränkt haben.

In einem Punkt aber hat der Sprecher des Außenministeriums mit dem Spruch vom „Flurschaden”, den Orbán hinterlassen habe, durchaus recht. Er hat dem uneingestandenen westlichen Projekt einer neuen Blockbildung schwer geschadet. Die westlichen Großmächte sind nicht blind, sie erkennen, dass sie jedes Jahr global an Relevanz und Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Die Antwort ist „Deglobalisierung”: Abschottung. Abkopplung vom Rest einer dynamischer wachsenden Welt, damit in einem verzwergten Europa die USA, und durchaus auch Deutschland, doch noch eine Weile dominieren können. Das wäre schlecht für Ungarn, weil es mit der ganzen Welt Handel treiben möchte. Orbán hat mit seiner Verhandlungsserie dieses Deglobalisierungsprojekt in Frage gestellt. Und daher muss er bestraft werden.

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Aktualisierung vom 15. Juli, 13:15 Uhr:
Der Text wurde auf Bitten des Autors um einen Absatz bezüglich der möglichen Präsenz von Nato-Truppen in der Ukraine ergänzt, um Missverständnissen vorzubeugen. Im Originaltext hieß es fälschlicherweise „eine permanente Mission in Kiew“ statt „eine permanente Mission für Kiew“. Wir bitten um Entschuldigung.

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Kommentare ( 40 )

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Elmar
4 Monate her

Den Beratern aus dem Wertewesten verdankt die ukrainische Armee die Pleite in Debalzewo gleich zum Beginn ihrer „Antiterrormission“ gegen die Bevölkerung im Donbass und die weiteren Beratungsleistungen sind ebenfalls alles andere als erfolgreich. Die Beratung war und ist also ähnlich erfolgreich wie in Vietnam.

Peter Pascht
4 Monate her

Es geht um strafrechtliche Aneignung von staatlicher Hoheit, die es nicht gibt. Auf ihrer Internetseite wird behauptet: Rolle der Europäischen KommissionDie Europäische Kommission ist das Exekutivorgan der Europäischen Union. Ihre Hauptaufgaben sind: Vorschlag von neuen Gesetzen und Programmen Überwachung von deren Durchführung Verwaltung des EU-Haushalts Im Grundgesetz steht geschrieben: GG Art. 76 (1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht. Von der Erlaubnis für Gesetzesvorlagen aus der EU-Kommission steht im Grundgesetz nichts geschrieben. So etwas wie EU-Gesetze gibt es nach deutschem Grundgesetz nicht. Selbstverständlich hat die EU Kommission kein Recht die… Mehr

BellaCiao
4 Monate her

Orban hatte offensichtlich Recht: Bürokraten können keinen Frieden bringen. Und wer es versucht, wird boykottiert. Denn eines kann die EU: nämlich hochdemokratisch entscheiden.

Peter Pascht
4 Monate her

Diese gesamte EU besteht nachweislich aus Rechtbeugung gegen die Souvernität der EU-Staaten. Die EU ist nur eine massive Lüge die uns da vorgespielt wird. Das Bundesverfassungsgericht sagt ganz klar in seinen Leitsätzen zum Masstricht Urteil (1998) dass die EU kein Staat ist, keine staatlich Hoheit besitzt. Trotzdem eigenen sie sich strafrechtrechtlich, die UvdL, die Kommision und EU-Parlament, Hoheitsrechte an die nur einem Staat zukommen können und dürfen. Ja die UvdL hat sich sogar zur Regierungschefin Europas erklärt auf der Internetseite der EU-Kommisson und ihren „Hasenzüchterverein“ 😉 hat sie zur „Exekutive Europas“ ernannt, (Exekutive = Regierung) Das nennt man strafbare Machtaneignung.… Mehr

Peter Pascht
4 Monate her

Man darf wieder nachdenken ??? Ja schon aber nur wenn UvdL es erlaubt 😉 glaubt sie zumindest. Die Rassistin UvdL bildet sich ein, „Reichsbürger“ spielen zu dürfen. Es ist nur fotgesetzter schäbiger Rassismus und rassistische Volkverhetzung gegen die Ungarn, wofür Orban als Prügelknabe herhalten soll. UvdL stellt sich nun anmaßend über die Ungarische Ratspräsidentschaft und betriebt ihre rassistische Hetze gegen das Ungarische Volk weiter. Ander Menschen werden schon für belanglose Äusserungen der Volksverhetzung angeklagt. UvdL hat sich in strabarer Weise eine Amsthohiet zugelegt, die es nicht gibt. Die EU ist kein Staat, sagt das Bundesverfassungsgericht im Maastricht Urteil. keine hohietliches… Mehr

Stuttgarterin
4 Monate her

Die Reaktion der EU ist aus meiner Sicht niederträchtig. Aber sie passt in die Linie, dass alles, was der eigenen Haltung widerspricht, mit voller Kraft ausgegrenzt wird. So kann man die EU auch kaputt machen.

bkkopp
4 Monate her

Es ist zu vermuten, dass Herr Orban den amerikanischen und sonstigen Militärhilfen der Nato-Länder, als Nato-Mitglied, nicht widersprochen hat. Genausowenig dürfte er der Einrichtung des Nato-Kooordinationskommandos in Wiesbaden widersprochen haben. Er ist ja nicht blöd um sich bei Stoltenberg, Austin und allen relativen Schwergewichten der Nato unbeliebt zu machen. Seine, den ungarischen Sonderweg betreffend Ukraine hat man schon bisher hingenommen – weil nicht ausreichend relevant. Auch die mehr als einjährige Blockade Ungarns/Orbans gegen den Nato-Beitritt von Schweden soll noch allen Nato-Granden sauer aufstoßen. Orban soll mittlerweile auch bei der Nato als der wildgewordene Zigeunerbaron nach Johann Strauß gesehen werden. Da… Mehr

Stuttgarterin
4 Monate her
Antworten an  bkkopp

Die Ukrainer sind schon in Deutschland. Warum sollten es noch so viel mehr werden? Im Westen der Ukraine läuft es weitgehend ungestört.

Reinhard Schroeter
4 Monate her
Antworten an  bkkopp

Gerde im westlichen Teil unseres Landes kann man nicht wissen, dass im sogenannten Karpatenunterland , welches bis zum Schandfrieden von Trianon , Teil des Königreichs Ungarn gewesen ist und dann Russland und eben gerade nicht der Ukraine zugesprochen wurde, noch ca. 200.000 ethnische Ungarn zu Hause sind, denen unter Selensky, der Gebrauch ihrer Muttersprache zunehmend erschwert wurde. In den Schulen und Hochschulen darf die ungarische Sprache nicht mehr verwendet werden. Symbole der ungarischen Staatlichkeit , wie der Turulvogel in der Stadt Munkatsch werden in Nacht und Nebelaktionen vom Sockel gestossen . Das Schicksal der Ungarn in der Ukraine kann keinem… Mehr

bkkopp
4 Monate her
Antworten an  Reinhard Schroeter

Schweden ist Schweden und nicht die eine oder andere Regierungsperson. Es ist uneuropäisch das Land wegen angeblichen “ Beleidigungen “ mehr als ein Jahr vor der Nato-Tür stehen zu lassen. So etwas macht ein Erdogan, aber kein auch nur halbwegs kultursensitiver Europäer. Wir brauchen keine Elefanten im Porzellanladen und keine beleidigten Leberwürste.

Logiker
4 Monate her

„Orbáns Verdienst: Man darf wieder nachdenken“

Ja, darf man.
Macht man aber nicht in der EU.
Und boykottiert die vom aktuellen Ratsvorsitzenden einberufenen Ministertreffen.

In meinen Augen Sabotage.

Last edited 4 Monate her by Logiker
Joerg Gerhard
4 Monate her

Ich begruesse Orban’s Initiative ausdruecklich, ebenso wie Herrn Laschet’s Einlassung dazu beim Stammtisch mit der wahrscheinlich duemmsten ‚Journalistin‘ Deutschlands ihm gegenueber sitzend und widersprechend. Aber Fakt bleibt doch das, was John Mearsheimer neulich wieder mal so treffend auf den Punkt brachte: ‚The problem is, that there’s no deal to be had.‘ Beide Seiten haben nun existentielle Maximalpositionen, und der Ukraine wird der Ausweg aus ihrer durch den Westen immer staerker verbaut. Den Istanbul Deal haette sie nehmen sollen, statdessen ist sie jedoch ‚all in‘ gegangen und wird nun eben auch alles verlieren. Ausserdem ist korrekterweise nun in Putin’s Augen dem… Mehr

Thomas
4 Monate her

Das Appeasement Argument, „München 1938 darf sich nicht wiederholen“ ist ein Totschlagargument, das jegliche Bewegung in der Sache verunmöglichen soll.
Putin ist sowenig Hitler wie Trump nicht Hitler ist.
Wenn sich ein neuer Eiserner Vorhang durch Europa senkt wäre das eine Tragödie besonders für Deutschland, welches zu einem grossen Zonenrandgebiet absinken würde.
Und durch die geplante neue Atomraketenstationierung wieder in den Zielkoordinaten Moskaus stehen würde.
Die Fehler der deutschen Politik, insbesondere der Ampel, sind kaum mit Worten zu beschreiben.
Ps In der Ukraine leben auch Ungarn, deren Schutz Orban sicher am Herzen liegt.

Memphrite
4 Monate her
Antworten an  Thomas

Dann bringen Sie doch Fakten warum der Doppelbeschluss so entscheidend war? Warscheinlich kommt jetzt der Mytos vom „Gewonnenen Wettrüsten“?. Wenn die Mittelstreckenraketen so toll waren, warum wurde diese dann noch zur Zeiten des klaten Krieges durch den IMF Vertrag verboten? Warum sollten die Russen Polen angewifen? Was gibt es da? Eher wird die ganze EU, so wie sie es jetzt schon tut, zur wirtschaftlichen Randzone degenrieren. Polen rüstet sich in jetzt in den Ruin. Frankreich hat seine Zugriff auf seine ehemaligen Kolonien verloren. Finnland? Viele Finnen wachen jetzt langsam auf, was sie sich mit der NATO eingehandelt haben. Wo früher… Mehr