Wie die dpa Fake News über Viktor Orbán erfindet – und (fast) alle abschreiben

Viktor Orbán will Ungarn aus der EU herauslösen – diese Meldung verbreitete die Deutsche Presse-Agentur (dpa), und viele Medien übernahmen die Behauptung ungeprüft. Mit Fakten allerdings hat es dpa nicht so. Offensichtlich geht es um „Framing“: Orbán soll als EU-Feind dargestellt werden.

IMAGO / Xinhua

Am 12. Februar hielt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vor dem Parlament seine übliche Rede zur Jahresbilanz 2021 der Regierung. Einen Tag später verbreitete die Deutsche Presse-Agentur (dpa), Orbán habe in der Rede den ungarischen Austritt aus der EU „angedeutet“. Was bei der dpa noch angedeutet war, wandelte sich in etlichen anderen Medien in „angekündigt“. Allerdings: Sowohl die Version „angedeutet“ als auch die Version „angekündigt“ gehört zum klassischen Genre der Fake News. Beide Meldungen sind falsch.

Anbei sämtliche Stellen aus Orbáns Rede, in denen es um die EU geht, in wörtlicher Übersetzung. Urteilen Sie bitte selbst.

„Hier sollte ich vielleicht auch darauf eingehen, warum wir und Brüssel – das heißt, ihre Intellektuellenkaste, Sachverständige, Politstrategen und Meinungsführer – keinen gemeinsamen Nenner finden. Weil daran, dass wir keinen gemeinsamen Nenner finden, besteht kein Zweifel. Wir erachten andere Dinge als sie als die wertvollen Traditionen Europas, denken anders über die Zukunft der Nationen und der Nationalstaaten, über die Globalisierung, und inzwischen denken wir auch anders über die Familie, und sogar über die auf Frauen und Männern beruhende binäre Struktur der Gesellschaft. Und weil das so ist, ist es unvermeidlich, dass wir uns eine andere Zukunft vorstellen und für uns und unsere Kinder wünschen. Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass wir in diesen Fragen nicht nachgeben werden.

Ich sehne mich nicht nach Mitgefühl aus Brüssel. Tatsächlich arbeite ich seit dreißig Jahren mit ihnen zusammen, und nach meiner persönlichen Beobachtung verbirgt sich hinter all diesen Differenzen, dass wir das Ende des Kalten Krieges vollkommen anders erlebt haben als die westlichen Länder und auch Amerika, die nicht von den Sowjets besetzt waren. Hier liegt der Hund begraben. Sie haben nicht in einer Diktatur gelebt, und die Freiheit war ihr Erbe, wie Sándor Márai einmal sagte. Wir jedoch haben in der Diktatur gelebt, und die Freiheit haben wir nicht geschenkt bekommen, wir haben für sie gekämpft. Wir unterschätzen nicht den Beitrag des Westens, aber für uns ist es sonnenklar, dass der Kalte Krieg von Polen, Tschechen, Ungarn, Deutschen, Bulgaren, Rumänen, Esten, Letten und Litauern, das heißt von uns erkämpft wurde. Wir wissen, dass den Kalten Krieg der Antikommunismus und die nationale Idee gewonnen haben, indem die Nationalstaaten wiederhergestellt wurden. Wir meinen, dass die Nation die Klasse besiegt hat, der Gottesglaube den Atheismus und das Privateigentum das sozialistische Staatseigentum. Sie jedoch glauben, dass ihre liberale Demokratie den Kommunismus besiegt habe. Sie denken nicht in Nationalstaaten, sondern in Kategorien der globalen Welt, die von globalen Organisationen, Institutionen und Netzwerken gelenkt und durch globale Netzwerke des Handels und der Kommunikation zusammengeknüpft wird.

Deshalb konnten wir uns auch nicht in den Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie einigen. Uns ist bewusst, dass wir in einem System der verfassungsmäßigen Rechtsstaatlichkeit leben, das durch unser Grundgesetz klar definiert ist und verteidigt wird. Für sie ist der Rechtsstaat ein Instrument, mit dessen Hilfe sie uns zu ihresgleichen machen wollen. Deshalb interessieren sie sich gar nicht für Tatsachen und Argumente. Sie sind dabei, einen heiligen Krieg zu führen, den Dschihad der Rechtsstaatlichkeit. Gegen den Dschihad helfen nur selten Worte. Man muss Stärke beweisen, also möge die Reconquista kommen! Das Gleiche gilt für die Demokratie. Sie sehen Abbau und Einschränkung, wir dagegen sehen unser alltägliches Leben: mit Wahlen, Volksabstimmungen, mit lebendigen linken Medien und scharfen politischen Debatten.

So stehen wir also miteinander, und die Wahrheit ist, dass wir nicht werden wollen, wie sie sind, und es ist nicht anzunehmen, dass sie vorhätten, so zu werden, wie wir es sind. Es hat gar keinen Sinn, die Unterschiede zu leugnen. Es ist unumgänglich notwendig, diese Debatte innerhalb der westlichen Welt zu führen. Debatten sind zwar wichtig, aber sie sind nicht das Wichtigste. Die wichtigste Frage ist, ob wir zusammenbleiben wollen. Insbesondere hier in Europa, weil die Europäische Union nur dann eine Zukunft hat, wenn wir es schaffen, trotz der immer stärkeren kulturellen Entfremdung zusammenzubleiben. Was uns betrifft, wir möchten die EU zusammenhalten. Wir haben Brüssel und Berlin mehrere Vorschläge zur Toleranz unterbreitet. Wir erwarten gar nicht von ihnen, dass sie die ungarische Migrationspolitik, Familienpolitik, Außenpolitik und die Nation betreffende Politik auf eine europäische Ebene heben. Aber auch sie können von uns nicht erwarten, dass wir ihre übernehmen. Es gibt keine andere Lösung als die Toleranz. Nur so können wir einen gemeinsamen Weg finden, denn auch die Union muss nach vorne gehen und nicht zurück.“

Seit Längerem schon arbeitet die EU-Führung mit ihren Netzwerken und NGOs an der Isolierung von Ungarn und Polen, darauf reagiert Orbán in seiner Rede mit dem wiederholten Angebot der gegenseitigen Toleranz. Die Verknüpfung der Auszahlung von EU-Mitteln mit der innerhalb der EU willkürlich selbstdefinierten Rechtsstaatlichkeit dient zwei Zielen: entweder, um einen Regimewechsel zu erzwingen, oder, wenn das nicht funktionieren sollte, um die beiden Länder aus der EU hinauszudrängen. Wenn nun die deutschen Medien Orbán unterstellen, er wolle Ungarn aus der EU herausführen, ist das Ziel nur allzu offenkundig: Der Dieb schreit „haltet den Dieb!“.

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Kommentare ( 45 )

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Andreas Lange
2 Jahre her

Ein interessanter Artikel, da ich der ungarischen Sprache nicht mächtig bin und die Reden des Herrn Orban nicht übersetzen könnte. Das einzige mir bekannte Wort ist „Főzelék“, was aber mitnichten heißt, was manche möglicherweise gerade denken 😉 , sondern eine Art Gemüseeintopf bezeichnet. Diese Art von Propaganda, und nichts anderes ist es, Reden falsch oder missverständlich zu übersetzen, wurde auch schon bei Donald Trump angewandt. Und was mir bei allen im Artikel eingebundenen Meldungen auch wieder, wie bei denen zu Trump, aufgefallen ist: in Berichten über einen als Feind markierten Politiker, ob innen- oder außenpolitisch, kommen keine einfachen Presse-„Schnappschüsse“ oder… Mehr

Riffelblech
2 Jahre her

Dieses Framing in eine absolut proeuropäische und antieuropäische Sichtweise der Politik hat sich seit den Machenschaften einer Frau Merkel in den Medien extrem verschärft . Polen und Ungarn werden als die „ Schmuddelkinder“ Europas rauf und runter abgewatscht. Immer aus der Sicht des moralischen Riesen . Dabei haben wir einen Habarth der die oberste Gerichtsbarkeit als staatlichen Erfüllungaauftrag sieht . Wir haben eine ungeregelte Zuwanderung ,anders als Budapest . Während man in der Staatsführung Deutschlands und in der EU Administration den Bürger verachtet sieht sich Ungarns Regierung dem ungarischen Volk verpflichtet. Das muss allerdings mit aller Macht ,mit allen zur… Mehr

LRH
2 Jahre her

Der britische Aristokrat Francis Fulford hat sich zur EU geäußert ! Wenn ich die Morgenzeitung lese verschlucke ich mich nicht mehr über neue Regulierungen die einem aus Brüssel verordnet werden Mich freut jeder Tag,weil wir nicht länger , in einer modernen deutschen Version des römischen Kaiserreich leben ! Interesant ist auch das die hälfte des englischen Landbesitzes einem 1% der Bevölkerung gehört !

Tacheles
2 Jahre her

Ich danke Ihnen, Frau Koenen, für die Richtigstellung! Für Freunde einer geistreichen und inhärent schlüssigen Rede empfehle ich den vollständigen Inhalt (hier in Englisch): Prime Minister Viktor Orbán’s “State of the Nation” address – miniszterelnok.hu Leider gehören Verdrehung von Tatsachen und „Framing“ zu der in Deutschland üblichen Kampagne gegen die konservative Regierung und den Ministerpräsidenten Ungarns, der als „Schmuddelkind“ der ungemein redlichen EU diffamiert wird. Insbesondere jeweils vor den Parlamentswahlen wird aus allen Rohren gefeuert und Stimmungsmache „vom Feinsten“ betrieben. Schöne Grüße auch an den Deutschlandfunk! Meine Frau und ich hatten die Ehre, Herrn Orbán persönlich zu treffen. Seine weitgehend… Mehr

Kassandra
2 Jahre her
Antworten an  Tacheles

Inzwischen gibt es die Rede zur Lage der Nation auch komplett in deutsch: https://www.miniszterelnok.hu/viktor-orbans-rede-zur-lage-der-nation-3/

Dominik R
2 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Köszönöm szépen! Hajrá Magyarország!

Eberhard
2 Jahre her

Für mich als Ostdeutscher waren Ungarn, Polen und die Tschechei die Länder im Sowjetzwangsblock, die diesen kommunistischen Sozialismus am meisten entgegensetzten und auch mehr als alle anderen zu seinem Ende beitrugen. Der Kampf um möglichst viel nationale Eigenständigkeit war dort nicht ganz umsonst. Waren sie doch nicht dem gleichem sowjetischem militärischen Besatzungsdruck ausgesetzt wie in der DDR. Es waren daher auch die Länder, in denen der sozialistische Freiheitsentzug nicht im gleichen Maße galt als in der DDR. Gemeinsam war aber stets in den Bevölkerungen der Kampf um freiheitliche Demokratie. Da kann man als Ostdeutscher eigentlich nur Orbáns Worten bezüglich ererbter… Mehr

mediainfo
2 Jahre her

Leider bin ich über diese Art von politisch nützlichen Fälschungen überhaupt nicht mehr erstaunt. Gerade diejenigen die vorgeben, „Fakten“ im Schilde zu führen und damit ihre eigene Kreditwürdigkeit steigern wollen, fälschen ungeniert, wenn es sich „anbietet“ und nützlich erscheint. Seit Jahren! Man denke z.B. nur an die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, die einen direkten Draht in die Tagesschau hat/te und der die Rolle zufiel, eine passende Version der Realität zu liefern, von der es in einem verschämten Disclaimer zum Schluß immer hieß, dass man den Wahrheitsgehalt nicht prüfen könne. Was aber niemanden daran gehindert hat, diese Erzählungen zu verbreiten!

Konrad Georg
2 Jahre her

Als Katholik sage ich, die Kirche hat den Papst, den sie verdient und das Volk die Regierung, die es verdient.
Verwahrlosung überall.

Ferenc Kohlbass
2 Jahre her

Hier können Sie mal ein paar Reaktionen aus der ungarischen Sicht realisieren, in deutscher Sprache natürlich:
https://ungarnreal.de/wahr-oder-nicht-wahr-auf-den-spuren-einer-falschnachricht/
https://www.budapester.hu/ausland/fake-news-auf-die-deutsche-art/

Radler
2 Jahre her

Die (lancierten) Umfragen deuten auf eine knappe Wahlentscheidung hin. Ich tippe mal, das 2 Wochen vor der Wahl irgendeine „Enthüllung“ stattfindet zum Nachteil Orbans. Wenn solche Bündnisse von rechts bis links an die Macht gehievt werden, stecken doch sicher gewisse Geheimdienst operationen dahinter.b

Mathias Rudek
2 Jahre her

Ein beständiger, glaubwürdiger Politiker mit einer ruhenden und ausgewogenen Mitte. Ich empfand die Reden Orbans immer sehr geerdet, auch philosophisch und zutiefst patriotisch. Sein Denken ist tief europäisch verwurzelt, hat einen zeitlosen Charakter. Seinen Tiefsinn kann kein links-grüner verammelter Ideologe wie z. B. Die grüne Europapolitikerin Ska Keller oder Sven Gigold nachvollziehen, dazwischen liegen Welten. Ska Keller hatte vor nicht allzu langer Zeit den stalinistischen Gedanken, eine syrische Stadt, gewissermaßen eine Asyl-Enklave im Baltikum zu etablieren, genauer gesagt hineinzusetzen. Das muß man sich mal vorstellen, wie in einem Film von Roland Emmerich kommt eine Stadt wie ein außerirdisches Raumschiff über… Mehr