Niger: Die Gefahr eines Krieges wächst

Die Lage in Westafrika spitzt sich zu. Die ECOWAS plant eine Militärintervention gegen Niger. Die Krise könnte den Islamismus in der Region befördern, der schon Hunderttausende zur Flucht gezwungen und christliche Gemeinden ausgelöscht hat.

IMAGO / NurPhoto
Militärparade bei der Amtseinführung des nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu am 28. Mai 2023. Nigeria will sich an einer möglichen Militäroperation gegen das Nachbarland Niger beteiligen.

Die Gefahr eines Krieges in Nordwestafrika ist immer noch nicht gebannt. Die neue Militärregierung in Niger, die sich am 26. Juli an die Macht geputscht hatte, hat internationalen Forderungen nach der Wiedereinsetzung des legitimen Präsidenten Mohamed Bazoum bisher nicht nachgegeben. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hatte am vergangenen Sonntag eine 7-Tage-Frist gesetzt, um die alten Verhältnisse wiederherzustellen.

Nachdem am Donnerstag eine Unterhändlergruppe der ECOWAS ohne Ergebnis abgezogen war, hatte sich die Lage kontinuierlich verschlechtert. Eine diplomatische Lösung erscheint derzeit nicht in Sicht. Stattdessen hat Bola Tinubu, der Präsident des südlichen Nachbarstaates Nigeria, im Senat nach Unterstützung für eine mögliche militärische Intervention in Niger gesucht. Auch der Senegal signalisierte Bereitschaft, Truppen zu entsenden.

Die ECOWAS besitzt 15 Mitglieder. Vier davon sind jedoch nach einem Staatsstreich suspendiert und mit Sanktionen belegt worden: Mali und Guinea wurden 2021, Burkina Faso 2022 suspendiert. Niger wurde nach dem Sturz Bazoums suspendiert und ebenfalls mit Sanktionen belegt. Im Falle einer militärischen Intervention haben Mali und Burkina Faso zugesagt, Niger zu unterstützen. Der Konflikt ist damit einer zwischen verschiedenen ECOWAS-Mitgliedern, wobei die Putschisten versuchen, ihre Autorität aufrechtzuerhalten. Nicht zu Unrecht dürften Burkina Faso und Mali befürchten, dass sie nach einer erfolgreichen Operation das nächste Ziel sein könnten.

Für die ECOWAS wäre es nicht der erste Krieg. Zuletzt intervenierte sie 2017 in Gambia. Präsident Yahya Jammeh hatte nach einer Wahlniederlage im Dezember 2016 diese nicht anerkennen wollen und durch Amtszeitverlängerungen und Verhängung des Ausnahmezustands versucht, an der Macht zu bleiben. Senegal, Nigeria, Ghana, Mali und Togo begannen darauf mit einer Militärintervention. Jammeh begab sich am 21. Januar 2017 ins Exil. Der Einsatz dauert als „Stabilisierungsmission“ bis heute an. Die USA und Großbritannien befürworteten die Intervention. Die UN hatte zuvor eine „friedliche Machtübergabe“ befürwortet, nicht jedoch militärische Gewalt.

Doch Gambia ist nicht Niger. Nicht nur hätte die Militärregierung in Niamey zwei Verbündete in der Region. Auch Algerien, das nicht der ECOWAS angehört, hatte gedroht, sich in den Konflikt einzumischen, sollte der jetzige Status quo geändert werden. Niger ist zudem in seinen geographischen Ausmaßen eine ganz andere Kategorie als das kleine Gambia. Die Gebiete in der Sahelzone und der Sahara sind schwer zu kontrollieren. Sollte Algerien nicht direkt intervenieren, so könnte es möglicherweise das Land mit Waffen versorgen. Algerien gilt als ein Hauptabnehmer russischer Waffentechnik. Und anders als Gambia ginge es nicht um den bloßen Egoismus einer Regierung, sondern einen Stellvertreterkrieg von Weltmächten.

Erschwerend kommt hinzu, dass der derzeitige Anführer des Putsches, Abdourahamane Tchiani, selbst in mehreren militärischen Konflikten gedient hat. Er nahm an den UN-Friedensmissionen in der Elfenbeinküste, Sudan und der Demokratischen Republik Kongo teil. Bei der ECOWAS-Mission in der Elfenbeinküste 2003 nahm er als Brigade-General teil. Das Nachrichtenportal Al Jazeera weist demnach nicht zu Unrecht darauf hin, dass Tchiani weiß, was auf ihn zukommt.

Eine letzte Möglichkeit wäre, dass die ECOWAS-Staaten in letzter Minute ihr Ultimatum verlängern. Das bedeutete jedoch einen herben Gesichtsverlust. Es würde den Block als handlungsunfähig zeichnen und die Putschregierungen bestärken. Die Integrität der ECOWAS stünde auf dem Spiel. Es könnte andere Militärführer ermutigen, sich ebenfalls an die Macht zu putschen und als Volkstribune aufzutreten, die in patriotischem Dienst ihr Land aus der postkolonialen Fremdherrschaft befreien wollen. Dass ausländische Firmen vom Ressourcenreichtum der Region profitieren, ist eine Binsenweisheit; dass dem Mythos der Befreiung in Afrika wie Lateinamerika jedoch so gut wie nie der versprochene Wohlstand, als vielmehr die Bereicherung von Diktatoren folgte, ebenso.

Wirft man einen Blick auf die Hauptseiten der großen US-Medienportale Fox News und CNN, dann fällt auf, dass der Konflikt in Niger eine untergeordnete Rolle spielt. Das mag verwundern angesichts der rund 500 Millionen Dollar, die Washington seit 2012 nach Niamey gepumpt hat, um das dortige Militär aufzurüsten. Man hätte mit mehr Gegenwehr gerechnet. Bis zuletzt waren rund 1.000 US-Soldaten in Niger stationiert, nigrische Soldaten wurden von US-Einheiten ausgebildet. Washington sichert Bazoum weitere Unterstützung zu, doch offenbar bleibt es vorerst bei reinen Lippenbekenntnissen.

Selbst als Nigeria ankündigte, im Parlament einen Antrag auf Intervention in Niger zu stellen, schaffte es diese Nachricht zuerst nicht auf die Hauptseiten. Nigeria ist das mit Abstand bevölkerungsreichste Land der Region und verfügt über den größten militärischen Apparat. Präsident Tinubu ist amtierender Vorsitzender der ECOWAS. Er steht daher unter Druck, die Krise im Sinne seines Landes zu lösen, das als möglicher Hegemon Westafrikas gehandelt wird. Zudem ist Niger ein direktes Nachbarland mit einer gemeinsamen Grenze von rund 4.500 Kilometern. Es existieren kulturelle, sprachliche und ethnische Verknüpfungen zwischen dem muslimischen Norden Nigerias und Niger.

Zu diesen Verbindungen gehört auch der dschihadistische Terror. Überfälle halbnomadischer muslimischer Stämme, die christliche Dörfer liquidieren, gehören im Norden Nigerias zur Tagesordnung. Die Methoden der Islamisten in der Region ähneln sich. Der Schrecken Boko Harams ist auch im Westen ein Begriff, das Pfingstmassaker 2022 hat zumindest für kurze Zeit die Fulani-Milizen Nigerias in den Vordergrund gerückt. Burkina Faso befindet sich indes nach Meinung des Bischofs Laurent Birfuoré Dabiré bereits zur Hälfte in der Hand islamischer Terroristen. Seit dem Putsch in Burkina Faso hat sich die Lage eher verschlechtert. Niger galt bisher als Säule der Dschihadistenbekämpfung in der Region, doch der Machtwechsel in der Hauptstadt Niamey dürfte für einen ähnlichen Aufschwung islamistischer Gewalt sorgen.

In Burkina Faso zählt sich rund ein Viertel, in Nigeria rund die Hälfte der Bevölkerung zum Christentum. Niger dagegen ist ein nahezu homogen muslimisches Land. Nur 60.000 der rund 26 Millionen Einwohner sind Christen. Die Präsenz westlicher Truppen hatte in der Vergangenheit den islamistischen Hotspot in der südwestlichen Region Tillabéri leidlich unter Kontrolle behalten können. Tillaéri grenzt an Mali, Burkina Faso und Benin und ist die Heimat von General Tchiani. Dort ist eine Al-Quaida-Zelle aktiv, die einen islamischen Staat in der Sahara aufbauen will. Die Dschihadisten sollen teils bis in die Außenbereiche Niameys eingedrungen sein.

Der Terror der Islamisten hat bereits hunderte Tote gefordert; Hunderttausende sind vor ihnen auf der Flucht. Niger bot im vergangenen März 700.000 Menschen Schutz, die vor den Dschihadisten flüchteten. Dabei gehört Niger bereits jetzt nach dem Human Development Index zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Es landet auf dem drittletzten Platz. Die Anforderungen, die an das Land gestellt werden, kann es kaum bewältigen. Auch Mali, Burkina Faso und Tschad gehören in dieselbe Liste der zehn unterentwickeltsten Nationen der Welt. Dass Niger auch als Schlüsselland bei der Migrationsbegrenzung galt, liegt auf der Hand. Mit dem Verlust westlicher Oberhoheit stellt sich die Frage nach den Flüchtlingsströmen neu. Und mit der Eskalation der Krise zu einem militärischen Konflikt dürften sich nochmals hunderttausende Menschen auf den Weg machen.

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Kommentare ( 64 )

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hoho
1 Jahr her

Da ich an die westlichen Werten nicht glaube frage ich mich was der Grund ist, dass Frankreich und USA da ihre Soldaten halten und warum will man so dringend die alte Regierung wieder an die Macht sehen? In Ukraine hat man doch den Putsch unterstützt und die mitglieder der Nachfolgeregierung in großem Stil aus USA importiert. Der Artikel bringt uns bisschen mehr Info als die normale Berichte in anderen Medien, dank dafür. Was da genau los ist, wissen wir aber trotzdem nicht. In einem anderem Bericht habe ich gelesen, dass es eine Menge Demonstranten gab die für die Putschisten demonstrierten.… Mehr

jwe
1 Jahr her

Überall, wo der sogen. Werte-Westen seine Finger reinsteckt, endet es im Desaster, sprich Krieg, Terror, .. . Man schaue sich die Länder an wie Libyen, Syrien, Irak, Afghanistan, Mali, Algerien, Ägypten, Somalia, KOngo, … .
Diese Liste lässt sich weiterführen. Lasst andere Länder einfach in Ruhe und ihr eigenes Leben, Traditionen und Werte leben. Die Werte des Westens sind nicht unbedingt erstrebenswert, denn auch hier werden Werte nur gedultet, wenn sie in die politisch gewünschte Richtung passen.

wachschaf
1 Jahr her
Antworten an  jwe

Aber die islamischen Werte sind auch nicht besser und das scheint langfristig in diesen Regionen die Zukunft zu werden.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  wachschaf

Oftmals greifen sie ja ein, weil es dort untereinander rumort und ihnen das Handelsgut abhanden zu kommen droht.
Von „Werten“ zu reden ist, wenn man es so betrachtet, von beiden Seiten aus gesehen, gewagt.

Milton Friedman
1 Jahr her

Kurz: Es ist ein ethnischer Konflikt, ermöglicht durch den Abwärtstrend des Westens. Lang: Wir Deutschen wissen nicht mal, was Österreicher an die Wahlurne treibt – kann einer überhaupt so viel Salz parat haben, mit denen die Nachrichten aus subsaharischen Slums zu genießen sind? Nicht mal die Kolonialherren verstehen die Lage, lässt sich doch der Ursprung der Niger-Krise in den Entscheidungen Nicolas Sarkozys verorten (In dessen Amtszeit fällt der erste Dominostein, die Zentralafrikanische Republik, die sich Russland zuwandte). Seine Nachfolger haben die selben Fehler wiederholt, so dass weitere Länder aus der französischen Hegemonie ausscherten. Russland fehlt so nur noch der Tschad… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Milton Friedman
CIVIS
1 Jahr her

Olaf, Annalena und Nancy haben zwar mangels Wissen zu den Völkern, zu den Stämmen, zu den Volksgruppen, zu den Religionen, zu den Stämmen und Stammesfürsten etc. nicht die geringste Ahnung zu dem was in Westafrika, speziell im Niger und in den Staaten der Sahelzone, so abspielt;

…aber was sie ganz genau wissen ist, dass sich jetzt wieder jede Menge gefährdeter Minderheiten bilden werden und dass insbesondere wir (Deutschland) in besondeerm Maße verpflichtet sind, diese Hunderttausende/Millionen Schutzbedürftige einschl. natürlich Zehntausener Ortskräfte ganz schnell nach Deutschland einzufliegen.
Also, …wann starten die ersten Transalls der Bundeswehr ?
Wir brauchen ganz dringend Fachkräfte !

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  CIVIS

Tja. Keine Ahnung von solchen Kulturen – aber solche Kulturen uns zu Lasten importieren und dann, wie Slowik in Berlin, wie ein Kind vorm angerichteten Chaos stehen und vom „Eingreifen der Zivilgesellschaft“ reden – was auch immer sie damit meinte.

Mausi
1 Jahr her

BR24 zur Deindustrialisierung: „Der Grund ist, dass andere in der EU weitaus weniger Probleme mit den Folgen des Ukraine-Kriegs haben, weil sie mit ihrer Energieversorgung nicht so abhängig waren vom russischen Gas. Was lange Zeit ein Wettbewerbs-Vorteil war, verkehrte sich ins Gegenteil.“
Wie gut, dass in D so viel Gas angekommen ist. Ansonsten wäre der Gasstopp der EU wirkungslos gewesen. Ob es wohl Ausweichmöglichkeiten gegeben hätte?
Und was fällt der EU wohl zu Niger ein? Gibt es auch etwas, was besonders nach D geliefert wird? Dann bietet sich bestimmt an, das mit einem Boykott zu belegen.

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Ing. Mickl
1 Jahr her

eine alte Weisheit:
Die Revolution frißt Ihre Kinder!
übertragen auf den Niger :
Die ehemaligen Sklaven fressen Ihre Kolonialisten !
Guten Appetit

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Ing. Mickl

Das mit den „Sklaven“ begann mit der Versklavung Schwarzer untereinander – lange bevor Araber und Europäer überhaupt einen Fuß auf den Kontinent gesetzt hatten. Egon Flaig hat versucht, das zu beschreiben. Oder lesen Sie über Mansa Musa, den reichsten Mann seiner Zeit und dann die Geschichte Malis. Die aus Europa wie den USA waren die Letzten, die einstiegen, es dann aber auch bald wieder beendeten, da es nicht zu ihren kulturellen Vorstellungen passte. Was aber weiß man über die Abgesandten afrikanischer Häuptlinge, die in Paris und London danach darum bettelten, das gute „Geschäft“ fortsetzen zu können? Wenn man weiter sucht… Mehr

the ministry of silly walks
1 Jahr her

Die Bundeswehr muss raus aus der Region – so schnell wie möglich. Afrika, Afghanistan usw. müssen es selbst schaffen, sonst wird das nichts. 1625 hätte auch niemand gedacht dass Europa es jemals schafft. Kann halt ein paar hundert Jahre dauern…

Deutscher
1 Jahr her

Richtig! Und Europa muß sich nicht nur dort zurückziehen, sondern sich auch dagegen abschotten. Sonst wird Europa wie Afrika – und umgekehrt wird es sowieso nie funktionieren.

Thorsten
1 Jahr her

Russland wird die Chance der „werte-oriente Weltordnung“ einen Dämpfer zu verpassen kaum verschenken.
Da reicht ein Flugzeug mit Panzerfäusten und Manpads. Und ein paar Instrukteure

Magdalena
1 Jahr her

Für die ECOWAS und gegen Niger werden Nigeria, Elfenbeinküste, Senegal und evtl. Benin kämpfen. Auf Nigers Seite stehen Mali, Burkina Faso und Guinea. An Soldatenstärke haushoch überlegen sind die pro-westlichen Länder. Aber Niger soll bei der Wagner-Truppe um Unterstützung gebeten haben.

Autour
1 Jahr her
Antworten an  Magdalena

Sie sollten vorsichtig mit einfachen Additionen sein! Afrikanische Truppen rennen sofort wenn der erste Knall ertönt beziehungsweise wenn der erste Eigene Soldat fällt. Die Moral von ECOWAS-Truppen ist unterirdisch!
Und ehrlich gesagt sehe ich nicht wie die Paar ECOWAS-Truppen gegen muslimische kampferprobte Fanatiker gewinnen wollen!

jwe
1 Jahr her

Na, da wird die EU und Deutschland aber Verantwortung in Form von Truppen und Waffenlieferung übernehmen müssen. Auch damit französische Uran-Lieferungen gesichert sind. Und eines ist ganz wichtig: Von der Leyen muss NIger die Demokratie bringen, ob die wollen oder nicht. Das ist ja ihr oberstes Ziel. Nur will außer in Europa niemand die Demokratie im Sinne der EU.

Deutscher
1 Jahr her
Antworten an  jwe

Nicht zu vergessen die feministische Außenpolitik – da warten die Nigerer schon lange drauf!