Tichys Einblick
Der Waitangi-Vertrag und seine Folgen

Maori-Proteste gegen Gleichbehandlung: Ein Kuriosum der Kolonialzeit spaltet Neuseeland

Ein fragwürdiger Vertrag, der den Maori Souveränität nimmt und Unabhängigkeit zuspricht, ist die historische Basis für einen Konflikt, der sich in emotionsgeladenen Protesten entlädt. Mit Blick auf den Trend zu ethnischer Identitätspolitik auch für Europäer ein beachtenswertes Phänomen.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Tantrum

Über 40.000 Menschen protestierten in der vergangenen Woche in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington gegen die Gleichheit aller Neuseeländer. Klingt absurd? Die Sachlage ist tatsächlich ein wenig komplizierter. David Seymour, erster Minister des erst 2024 neu gegründeten „Ministry for Regulation“ hatte ein Gesetz eingebracht, das den alten Vertrag von Waitangi regulieren sollte. Dagegen machen nun die Maori und ihre Unterstützer massiv mobil, obwohl das Gesetz ohnehin kaum Chancen hat, verabschiedet zu werden.

Der Vertrag von Waitangi gehört zum nationalen Gründungsmythos und -erbe der Nation und wird als Instrument betrachtet, um die Rechte der indigenen Bewohner Neuseelands zu sichern.

Dabei handelt es sich eigentlich um ein Paradebeispiel für die Doppelzüngigkeit britischer Außenpolitik: „Perfides Albion“, so lautet ein abfälliger Begriff für das Empire, das eine jahrhundertelange Tradition notorisch zweideutiger, vertragsbrüchiger Diplomatie vorzuweisen hat. Viele der dadurch weltweit angelegten Konflikte schwelen noch heute.

Die 1840 geschlossene Vereinbarung bringt es fertig, den Maori zu suggerieren, dass sie ihre Souveränität behalten, während sie sie zugleich vertraglich an die britische Krone abtreten.

Wie das gelingen kann? Nun, einerseits kannten die Maori einige europäische Konzepte wie das der Souveränität nicht. Andererseits war die maorische Sprache über die Übersetzung der Bibel verschriftlicht worden, und konnte wichtige moderne Begrifflichkeiten noch nicht wiedergeben.

So überträgt der Vertrag im ersten Artikel der Königin von England die Souveränität über die Maori, und sichert diesen im zweiten Artikel zu, dass sie weiterhin die Herrschaft über ihr Land ausüben. Um sich einerseits vor Willkürakten und Landraub durch britische Siedler und andererseits vor Begehrlichkeiten der Kolonialmacht Frankreich zu schützen, unterschrieben zahlreiche Maori-Herrscher ihre muttersprachliche Version des Vertrags, die Briten hingegen die englische. Obwohl beide einander teils widersprachen, und obwohl im Raum stand, dass die Maori den Inhalt zum Teil nicht verstehen und daher auch nicht bejahen konnten.

Die Folge waren naturgemäß unterschiedliche bis konträre Interpretationen und dementsprechend Vertragsverletzungen. Vor Zurücksetzung und Diskriminierung hat der Vertrag die Maori indessen nicht geschützt.

Seit 1975 allerdings wacht eine Kommission über Interpretation und Anwendung des Vertrags: Im Zuge des Strebens nach Schutz indigener Kulturen wurden auf Grundlage des Vertragswerks bzw. seiner Ausdeutung immer weitergehende Grundsätze entwickelt, die verschiedentlich in Bevorzugung von Maori münden, u.a. durch ein System der Co-Governance, d.h. der Teilhabe von parallelen Maori-Strukturen an Verwaltung und Regierung, und durch Wohlfahrts-, Bildungs- und Sozialprogramme, die nur Maori offenstehen. Mit dem recht kurzen und unspezifischen Ursprungsdokument hat all das kaum noch etwas zu tun.

Der Zementierung der Ungleichbehandlung entlang ethnischer Grenzen möchte David Seymour, selbst mütterlicherseits maorischer Abstammung, mit der Treaty Principles Bill nun den Garaus machen: Verbindliche Auslegungen sollen Um- und Überinterpretation und Lesarten, die die Einheit der Neuseeländer als ein Staatsvolk untergraben, einen Riegel vorschieben.

Doch ausgerechnet den Vorstoß, die Gleichheit aller Neuseeländer zu gewährleisten, empfinden die Maori nun als Bedrohung – ein tragikomischer Beweis für die Effektivität des diplomatischen Gaslightings der britischen Kolonisatoren.

Der Protest nimmt in Maori-Manier zuweilen hochemotionale Züge an: So zerriss die Abgeordnete Hana-Rawhiti Maipi-Clarke In einer Parlamentssitzung den Gesetzentwurf und führte Parlamentsmitglieder in einen Haka, einen traditionellen maorischen Kriegstanz. Archaisch-pittoreske bis irritierende Szenen, die verständlich machen, warum die Briten anno dazumal lieber Verträge mit den Maori-Königen abschlossen als sie zu bekämpfen.

Verständliche Ängste vor dem Verlust der kulturellen Eigenständigkeit und zunehmender Assimilierung, alte Wunden, althergebrachter Stolz und durch Identitätspolitik angestacheltes ethnisches Selbstbewusstsein verbinden sich hier zu einer irrationalen Mischung; die Diskussion ist von Schlagworten statt Inhalten geprägt:

Denn die als eine Art Gewohnheitsrecht proklamierten Sonderrechte helfen zwar einzelnen indigenen Akteuren dabei, eigene Interessen durchzusetzen, schaffen andererseits faktisch bestehende Nachteile für die Gesamtheit der Indigenen aber nicht ab.

Letztlich ist der neuseeländische Konflikt, bei allen historischen Verquickungen, die ihm zugrunde liegen, beispielhaft für das Problem ethnischer Identitätspolitik von links, und damit auch für Europäer ein interessantes Phänomen: Im Namen der Gleichberechtigung wird gerade die Gleichheit torpediert und unterminiert; statt auf Ausgleich bedacht faktische Nachteile abzumildern, werden Sonderrechte und Privilegien für Minderheiten implementiert.

Derweil werden die Betroffenen dazu angeregt, in einer ungesunden Mischung aus Opfergebaren und Selbstbewusstsein zu verharren, anstatt sich echter Gleichberechtigung zu stellen – die dann eben auch die Herausforderung beinhaltet, sich ohne Rekurs auf den eigenen Minderheitenstatus behaupten, und die Bewahrung des eigenen Erbes selbstverantwortlich durchsetzen zu müssen. Ein Rückfall in künstliche Präservation durch Reservate und Ghettos – seien sie physisch, sozial oder ideell – kann in einer globalisierten Welt sicher nicht die Lösung sein.

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