Milei mit der Kettensäge wird Präsident

Liberalisiertes Waffenrecht, Abschaffung unzähliger Ministerien, Auflösung der Zentralbank, Kampf gegen "linke Parasiten" - der neue argentinische Präsident Javier Milei erscheint wie die Fantasie einer alkoholisierten Ayn Rand. Trump, Bolsonaro und Musk gratulieren, die linke Presse ist schockiert.

IMAGO / Esteban Osorio

Die Welt hat einen neuen Gottseibeiuns gefunden. Die Lücke, die Donald Trump hinterlassen hat, füllt ein Argentinier, der mit Kettensäge auftritt, Linke als „Parasiten“ bezeichnet und der Fantasie einer alkoholisierten Ayn Rand entsprungen sein könnte. Mit Javier Milei haben die Libertären, die national wie international stets als ein randständiges Anhängsel des konservativ-liberalen Lagers galten, ein Aushängeschild gefunden. Er hat dem jahrzehntelangen Würgegriff linker bis linksradikaler Parteien, die Argentinien unterjochen, den Kampf angesagt.

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Der Sieg des 53 Jahre alten Ökonomen aus Buenos Aires hat den politischen Gegner kalt erwischt. Außerhalb Argentiniens war das „Framing“ wohl noch nicht klar: da war von einem Anarcho-Liberalen, einem Anarcho-Kapitalisten, einem Ultraliberalen, einem Rechtspopulisten, einem Ultrakonservativen, einem Ultrarechten, einem Rechtsradikalen die Rede. Die Welt wachte am Montagmorgen auf und plötzlich sollte der Mann mit der Kettensäge Präsident der einst wichtigsten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas sein.

Bleiben wir bei der Kettensäge. Denn eines kann Milei auf jeden Fall: sich in Szene setzen. Seine Äußerungen verbreiten sich rapide im Internet, weil er nicht nur zu provozieren weiß. Er scheint genau zu wissen, wie Internet-Memes funktionieren. Seine Auftritte regen Assoziationen zu popkulturellen Phänomenen an. Dazu gehört ein viral gehendes Video im Netz, in dem er publikumswirksam ankündigt, ein Ministerium nach dem nächsten abzuschaffen. Auch die Zentralbank soll weg, wenn es nach Milei geht. Der Nachfahre italienischer Einwanderer ist überzeugter Vertreter der Österreichischen Schule.

Der Brasilianer Jair Bolsonaro ist gefallen, der Argentinier Javier Milei kommt – mag man meinen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn Milei ist eben kein Konservativer, wie es Bolsonaro war, sondern gehört einer Strömung an, die bis dato nur als Theorie von Hayek-Anhänger bestand. Zwar hätte auch Bolsonaro gerne die Kettensäge bei einigen Themen angelegt, wie es Milei tut; so setzt sich Milei für ein striktes Abtreibungsverbot ein und will das Nationale Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus abschaffen. Aber Milei ist als radikaler Liberaler auch für die gleichgeschlechtliche Ehe, für die Liberalisierung des Organhandels und für die Legalisierung von Drogen. Seine Hunde sind geklont. Wo beim Konservativen das Naturrecht als Fundament sitzt, ist es bei Milei die absolute Freiheit.

Womöglich ist das der Grund, warum eine Wahl am anderen Ende der Welt die internationale Presse so stark dominiert. Denn es ist für die woke Bewegung ein Paukenschlag, dass im linken Argentinien, wo der Kirchner-Clan über ein Jahrzehnt lang die Macht in Händen hielt, plötzlich der Antipode an die Spitze drängt. In nur drei Provinzen des Landes hat die Linke eine Mehrheit bekommen – in der wichtigen Hauptstadtprovinz Buenos Aires konnte sie mit weniger als zwei Prozent Oberwasser halten. Aus seiner Aversion gegen die Linke, insbesondere die woke Linke, hat Milei in der Vergangenheit kein Hehl gemacht.

So verteidigte er in einem Gespräch, dass er Linke durchgehend „Scheißlinke“ nannte, mit einer ebenso polternden Begründung:

„Weil sie Scheiße sind! Weil sie einen töten wollen! Man kann Scheißlinken keinen Millimeter abgeben, denn wenn man ihnen einen Millimeter abgibt, dann werden sie es auszunutzen, um dich zu zerstören. Man kann nicht mit linken Idioten verhandeln. Man verhandelt nicht mit Abfall, weil er dich vernichten will. (…) Sie verstecken alle ihre Schandtaten. Wenn du auf der anderen Seite stehst, dann werden sie versuchen, dich auszulöschen. Sie werden alles gegen dich verwenden, es ist ihnen egal, ob sie dein ganzes Leben ruinieren. Wieso? Weil du nicht wie sie denkst. (…) Weil wir besser werden als sie, weil wir sie im Kulturkampf übertrumpfen, weil wir ökonomisch, moralisch, ästhetisch besser sind als sie, weil wir in allem besser sind als sie, löst das was bei ihnen aus. Sie nutzen den repressiven Staatsappart mit Unsummen an Steuergeld, um uns zu zerstören. Und sie verlieren immer noch!“

Auch ansonsten passt Milei in das Feindbild, das einem den Ruf des Rechtspopulisten einbringt, selbst wenn man eigentlich aus dem liberalen Lager stammt: er nennt den Klimawandel eine „Lüge des Sozialismus“, Umverteilung eine „Gewalttat“ und Papst Franziskus hält er für einen linken Kollaborateur. Das Waffenrecht will er liberalisieren. Außenpolitisch wird Argentinien wieder auf die USA zugehen, indes die linken (Pseudo-)Peronisten der Vergangenheit einen desaströsen nationalen Kurs verordnet haben. Das ist auch eine Ansage an das Nachbarland Brasilien, das als BRICS-Staat Russland und China nähersteht. Indes hat Milei angekündigt, in Zukunft eine chinakritische Stellung einzunehmen. Er werde keinen „Pakt mit Kommunisten“ schließen. Zugleich gilt Milei, anders als so manch anderer südamerikanischer Regierungschef, als israelfreundlich.

Die Wahlentscheidung am Sonntag war damit auch eine Weichenstellung für die Zukunft des Kontinents, der früher ein Vorhof der USA war und nunmehr zum Austragungsort eines „Scramble of South America“ geworden ist. Argentinien ist nicht nur ein wichtiger Erzeuger von Agrarprodukten, sondern besitzt zahlreiche Ressourcen. Darunter die Schlüsselressource Lithium, die strategische Bedeutung für die Batterieherstellung hat – etwa für E-Autos. Vielleicht ist auch in diesem Sinne die Äußerung von Elon Musk zu deuten, der auf X sagte, dass für Argentinien nun der „Wohlstand“ bevorstehe.

Das ist mit Sicherheit das schwierigste Versprechen für das seit Jahrzehnten von einer zur nächsten Wirtschaftskrise taumelnde Land, das einst der Motor der südamerikanischen Wirtschaft war und diese Position längst an Brasilien hat abgeben müssen. Milei wird in den nächsten Monaten mit dem verkrusteten Apparat kämpfen müssen, der das Land so lange dominiert hat, und in dem die Linken jahrelang ihre Verbündeten einsetzten. In der Tat könnte da nur noch ein Kahlschlag helfen, um diese loszuwerden. Ob Milei den Rückhalt in der Bevölkerung und in seiner Partei hat, um dieses Programm durchzuziehen, ist äußerst fraglich. Andererseits hat er bereits mit seinem Wahlsieg argentinische Geschichte geschrieben. Sieht man von dem kurzen Intermezzo unter dem zentristischen Präsidenten Mauricio Macri ab, haben seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1983 durchgehend links der Mitte verortete oder in mindestens peronistischer Tradition stehende Parteien regiert. Vielleicht ist Argentinien noch nicht ganz verloren.


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Kommentare ( 99 )

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Hannibal ante portas
11 Monate her

Frage: Wieso ist eigentlich immer der WEF zur Stelle, wenn der Posten eines Staatschef neu vergeben wird? Ohne Schwabs Zertifikat wird heute wohl keiner mehr Präsident, ISO 2023.

Transformation
11 Monate her

Schon mitbekommen? Er will eng mit den USA und Israel zusammenarbeiten. Erst kürzlich war er in den USA und hat Ohel Chabad-Lubawitsch in Queens (NY) besucht. Er bezeichnet ihn als spirituellen Mentor und ist ganz vernarrt in die Kaballa. Er war beim WEF, und tut nun so als wäre er auf der anderen Seite und dagegen. Für mich reicht das alles schon, um es zu durchblicken. Im Grunde ist das wieder ein Beispiel, was ich hier schon vor Tagen schrieb. Angebliche Konservative, Liberale sind keine. Man hat sich entschieden die „Feinde“ (also Konservative, Liberale) zu bekämpfen, indem man ihnen vorgaukelt… Mehr

Kleinstaater
11 Monate her

Ich bin jetzt schon ein Fan 😀
https://www.youtube.com/shorts/hP1od2SRh-Y

Bei der Außenpolitik hat er sich allerdings ziemlich eingeschränkt:
„I will not promote political relations with communist countries.“
Da bleibt nicht viel übrig auf diesem Globus.

Ulric Viebahn
1 Jahr her

„…linke (Pseudo-)Peronisten“ Herr Gallina, da haben Sie gerade noch mal die Kurve bekommen: Die Kirchners waren weder links und schon garnicht Peronisten. Die Kirchners haben es sich und ihren Schranzen im öffentlichen Dienst gemütlich gemacht.

Tom_P
1 Jahr her

Ich bin gerade in Kolumbien, aber kann es nicht beurteilen, die ökonomische Lage ist in Mittel -oder Südamerika überall gleich schlecht, nur Mexiko sticht Positiv heraus

K-Jettie
1 Jahr her

Mal schauen wie schnell die Kette der Säge verschleißt. Aber Argentinien hat ein paar Trümpfe im Ärmel, gesunde Alterspyramide, nur 1% Muslime, ein paar Bodenschätze und stabile Landwirtschaft. Mit einem guten, ordoliberalen Rahmen und Bekämpfung von Korruption und Bürokratie bei gleichzeitig moderater Besteuerung und Förderung von Bildung könnte das Land aufblühen.

Zu vermuten ist, dass vor allem die Jungen die Nase komplett gestrichen voll hatten von dem ganzen schmierigen linken Kram.

Wünsche dem Herrn Milei ein glückliches Händchen und ausreichend Ausdauer, das wird kein Spaziergang.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Ich komme ja auch aus der libertären Ecke. Insofern finde ich die Entwicklung in Argentinien durchaus bemerkenswert. Gerade in Südamerika hätte ich das nicht erwartet. Ich kann Milei nur dringend anraten, zwei überaus wichtige Punkte noch in seinen Fokus zu rücken: Das Bildungssystem/die Familie Die Grenzsicherung Der Trick, eine Gesellschaft auf neue Beine zu stellen, liegt in den Keimzellen: Wenn Menschen ein System mit Leben füllen sollen, dann müssen sie das System vorher lernen! Das gilt für jedes(!) gesellschaftliche System und damit auch für ein liberales/libertäres. Das setzt voraus, dass ihnen in der Schule beigebracht wird, wie man sich in… Mehr

John Beaufort
11 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

Danke für diese interessanten Ausführungen! So habe ich es noch gar nicht betrachtet, und sie haben mich überzeugt.

Ralf Poehling
11 Monate her
Antworten an  John Beaufort

Danke. 🙂
Der Trick ist ganz einfach: Was man ernten will, muss man zuvor ja erst säen und dabei jegliches Unkraut gar nicht erst wachsen lassen.
Menschen sind da nicht so viel anders als die Pflanzenwelt. Wer einen schönen Garten möchte, der muss ihn eben hegen und pflegen.

H. Priess
1 Jahr her

Er wurde als President gewählt hat aber Parteipolitisch keine Macht, er hat keine Basis im Parlament um das was er anküngigt und versprochen hat umzusetzen. Südamerikaner sprühen ja oft vor Stolz und sind mit ihren Versprechen meißt sehr voreilig so würde es mich nicht überraschen wenn er abbrennt wie eine Wunderkerze, hell leuchtend aber schnell verbrannt.
Jeder Politiker steht im Dienst von jemanden, wem dient Milei?

MarkusF
1 Jahr her

Vieles was er sagt ist richtig und deutet in die richtige Richtung.
Dennoch wirkt er auf mich eher wie ein überdrehter Popstar als ein seriöser Staatsmann.
Insbesondere sein Vorhaben den argentinischen Peso sofort an den Dollar zu koppeln dürfte die von den Sozialisten schwer ramponierte Wirtschaft kaum verkraften.
Trotzdem, wäre ich vor der Wahl zwischen ihm oder den komplett korrupten Peron Clan gestanden hätte ich auch Milei meine Stimme gegeben. Viel schlimmer als unter den Sozialisten wird es auch unter ihm nicht werden.

mileiisteinanderernamefuermeloni
1 Jahr her

Argentinien war 2001 Pleite. Haushaltsperre, Bankenkollaps, Unruhen. Der Mittelstand ist dabei eliminiert worden. Seitdem gibt es in Argentinien nur arm und reich – nichts dazwischen. Der Staatspleite 2001 war eine Kopplung des Peso an den US-Dollar vorausgegangen. Diese Kopplung war es, die direkt in die Katastrophe führte. Jetzt soll der Dollar gleich ganz übernommen werden. Der selbe Trick – nur anders. Hat schon vor zwanzig Jahren nicht funktioniert. Milei ist das letzte Aufbäumen der Papier-FED gegen die BRICS-Goldwährung. Dass Argentinien aus dem BRICS heraus bleibt ist besser für die BRICS. Wer braucht schon so durch und durch korrupte, links verseuchte… Mehr

MarkusF
1 Jahr her

Das Problem mit der Dollar-Kopplung war das der Dollar wesentlich härter war als der argentinische Peso. Ziel der BRICS Goldwährung ist es eine noch härtere Währung zu schaffen als den Dollar, für Argentinien also noch weniger geeignet. Die Idee dahinter ist das Länder wie China und Russland so ihre Devisen bzw. Guthaben die sie gegenüber den Westen haben absichern wollen, der Westen wird aber weiterhin im Dollar bleiben. Auch wenn die BRICS Goldwährungs-Intiatoren dann nur noch an Länder mit Goldwährung liefern wollen würden sie selbst und auch die anderen Mitglieder in dieser harten Währung fest sitzen. Eine stabile Währung erfordert… Mehr

rolf
1 Jahr her
Antworten an  MarkusF

Putin verliert in der Ukraine nichts, sondern er gewinnt die Hälfte der Ukraine dazu (Luhansk, Dombas, Saporosche, Cherson, Nokolajew und Odessa).
Darüber hinaus, hat er in seiner eigenen Bevölkerung mehr Rückhalt als je zuvor. Desweiteren hat der Krieg jedwede Werbung für Waffen und Munition aus Russland überflüssig gemacht. Wer würde jemals noch Leos und Gepards der Bundeswehr kaufen…wo die sich doch an der Front so bewährt haben.

Jetzt zu BRICS:
5 Milliarden motivierte und bildungswillige Menschen im Vergleich zu 800 Millionen völlig verblödeter und demotivierter Gutmenschen aus dem Wertewesten.
Wer wird das Rennen machen?

MarkusF
11 Monate her
Antworten an  rolf

Davon Träumen sie wohl?
Oder hat der Putin Detektor ihres Arbeitgebers zugeschlagen und sie mussten jetzt als Mitarbeiter einer Trollfabrik diesen merkwürdigen Unsinn schreiben?
Ist mir aber am Ende auch egal.

Last edited 11 Monate her by MarkusF
Tom_P
1 Jahr her

Ich bezweifle das die Kopplung damals schuld war, eher das Chaos davor.
Fakt ist, kann eine Regierung kein Geld mehr drucken, muss sie sparen, was zu stabilen Staatsfinanzen führt

John Beaufort
11 Monate her

Als Saarländer kann ich Ihnen nur antworten, dass ich es mir das System nicht ausgesucht habe. Meiner Meinung nach sollte jedes Bundesland für seinen Haushalt selbst verantwortlich sein. Dann müssten auch das Saarland, Bremen und Berlin bessere Politik machen. Warum man die Bevölkerung für den nicht von ihr installierten Länderfinanzausgleich bestrafen sollte, verstehe ich nicht.