Meloni gibt den Takt an

Das Abkommen mit Albanien tritt in Kraft. Gleichzeitig strebt die EU eine Änderung der Migrationspolitik an. In Sachen Leihmutterschaft und Nahostpolitik setzt Italien Akzente, während Europa mit sich selbst hadert. Auch deswegen hat Giorgia Meloni die EU im Griff. Und sie hat weitere Pläne.

IMAGO / ABACAPRESS

Das Handelsblatt hat am Freitag einen bemerkenswerten Artikel veröffentlicht. Er titelt: „Giorgia Meloni – die kraftvollste Regierungschefin Europas“. Darin wird die These aufgestellt, dass man nicht hätte erahnen können, dass die Römerin einmal eine führende Rolle in der Europäischen Union übernehmen würde. Nun, man hätte auch einfach TE lesen können.

Denn bereits vor zwei Jahren war das Vakuum absehbar, dass angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament, aber auch bei den nationalen Regierungen auszumachen war. Italien ist der ruhende Pol des Kontinents, indes Frankreich, Spanien und Großbritannien von einer Regierungskrise zur nächsten schlitterten. In Deutschland ist die Ampel genug mit sich selbst beschäftigt. Tusk hat in Polen zwar die Rückendeckung Brüssels, aber Polen ist weiterhin kein strukturlinkes Land.

Weitreichende Verfassungsreform
Meloni baut Italien um
Während sich am Anfang insbesondere selbsternannte „rechte“ Italienexperten an Meloni rieben, weil sie nicht nach einer Woche den mussolinischen Faschismus wiederbelebte – eine Enttäuschung übrigens, die es unter anderen „linken“ Italienexperten ebenfalls gab, wenn auch unter anderen Vorzeichen –, so zeichnet sich nach zwei Jahren das ab, was auch hier prognostiziert wurde: Meloni ist mehr Machiavelli als Merkel. Macht ist kein Selbstzweck, sondern muss nach Situation erworben und eingesetzt werden, um die eigenen Ziele zu erreichen. Darüber vergisst sie nicht, dass Macht der Durchsetzung der Staatsräson dient. Die Regierungschefin, die „Ministerpräsident“ genannt werden möchte, macht das auf eine eher geschmeidige und ruhige Art, als über Gepolter, Polemik und Aufsehen.

Man sollte das nicht lediglich als Form weiblicher Machtausübung verstehen. Meloni führt eine klassische Form italienischer Außenpolitik durch, wie sie über Jahrhunderte Bestand hat, die man als pragmatisch, realistisch oder opportunistisch bezeichnen kann. Sie steht damit in einer historischen Denktradition die von Machiavelli zu Bismarck reicht und, im Gegensatz zu manchen Fantastereien, die eigentliche „rechte“ Denktradition darstellt. Das setzt aber auch voraus, nicht das bloße Tagesgeschäft und die Inszenierung desselben zum Fokus zu erheben, sondern langfristige Strategien zu verfolgen – auch, wenn man diese zuerst nicht erkennen will.

Der Erfolg dieser langfristigen Strategie zeigt sich seit diesem Jahr umso deutlicher. Anders als Polen und Ungarn – oder auch Italien unter der M5S-Lega-Regierung – eröffnet Brüssel keine Sonderverfahren gegen Italien. Trotz Unstimmigkeiten nach der EU-Wahl hat Italien den gewünschten Kommissarsposten bekommen. Trotz der Umbesetzung der RAI und weitgehenden Verfassungsänderungen schweigt Brüssel. Die Mitte-Rechts-Regierung hat es verstanden, Italien umzubauen, außenpolitisch auszustrahlen und dennoch mit der EU nicht in denselben Clinch zu geraten, wie ihn andere konservative Regierungen pflegen.

Im Gegenteil: derzeit ist eher zu beobachten, dass die EU sich Richtung Italien orientiert. Der Flirt von Ursula von der Leyen mit Meloni ist eher ein Eingeständnis, dass selbst die EVP ihre wichtigste Stütze südlich der Alpen sieht. Zwar gibt es entsprechend zur deutschen Brandmauer einen cordon sanitaire im EU-Parlament, der jedoch viel durchlässiger ist – es kommt zu gemeinsamen Abstimmungen der EVP mit Melonis EKR und Viktor Orbáns Patrioten für Europa. Dass die gegenwärtige Migrationspolitik erheblich in einem Hinterzimmer mit italienisch-ungarischer Dominanz vorbereitet wurde, ist kein Zufall. Getrenntes Marschieren und gemeinsames Schlagen ist keine Eigenheit der Linken mehr.

Unter Führung Italiens und der Niederlande
Die EU dreht bei der Migration rechts bei – Deutschland hat sich isoliert
Meloni und insbesondere Orbán, der einst Teil der EVP-Parteienfamilie war, haben darauf spekuliert, dass die EVP zwar nach außen hin das Bündnis mit den linken Kräften sucht; EVP-Chef Manfred Weber hat jedoch mehrmals Signale gesendet, dass man die „freundliche Umklammerung“ von Grünen und Sozialisten nicht ewig ertragen möchte. Auch, wenn es keine formellen Koalitionen gibt, so waren die Zeichen deutlich genug, dass man auch auf rechte Parteien im parlamentarischen Alltag setzen könnte.

Die EVP ist nicht die CDU, und die übrigen europäischen Partner wollen nicht wie die CDU in der selbstgebauten linken Sackgasse enden – sie suchen nach Manövrierfähigkeit auf dem europäischen Schachbrett, das nicht nur Schwarz-Weiß, sondern mannigfaltige Schattierungen in Grau kennt. Meloni, aber auch Orbán sind Optionen, um nicht ins Schachmatt der europäischen Linken zu geraten. In süd- wie osteuropäischen Staaten sind Green Deal und Verbrennerverbot kein Klima-Thema, sondern bedrohen die wirtschaftliche Existenz von kleinen Unternehmen und Familien.

Dass die EVP vom Verbrennerverbot abrückt, obwohl sie angeblich die linken Stimmen braucht, hat sich jüngst mit der Ankündigung abgezeichnet, dass auch die alten Dieselfahrzeuge weiter fahren dürfen. Und wer will an Zufall glauben, dass in derselben Woche, in der das Albanien-Experiment beginnt, die EU über eine Änderung der Abschiebungspolitik berät? Was Meloni in Italien vor einem Jahr angestoßen hat, kommt jetzt im Domino-Effekt in Brüssel an.

Italien hat sich europaweit bewusst in Deckung gehalten, solange die Wiederaufbauhilfen aus der Corona-Krise noch nicht unter Dach und Fach waren; seit dem EU-Wahlkampf geht die römische Regierung eher in die Offensive. Das begann damit, dass Rom ganz nebenbei ein globales Recht auf Abtreibung von der G7-Tagesordnung strich. Dass die Leihmutterschaft nun nicht nur im eigenen Land, sondern auch außerhalb verboten wird, ist ein einzigartiger Vorgang, der noch Nachahmer finden könnte. Nicht nur darin kommt eine Allianz mit dem „anderen Rom“ auf der gegenüberliegenden Tiberseite zum Ausdruck.

Tichys Einblick hatte bereits vor Monaten darüber berichtet, dass eine langsame Abkehr von der früheren Syrienpolitik stattfindet. Die Kurie ging dabei auf Tuchfühlung; was darauf hindeutet, dass auch die säkulare römische Regierung ein Interesse an einer Änderung hat. Syrien ist ein Schlüsselland in der Flüchtlingskrise, wird aber weiterhin von westlichen Sanktionen gewürgt und Präsident Baschar al-Assad nicht anerkannt.

Transatlantikerin Meloni? Eher gilt das alte Stichwort: Italy first. Meloni hat der – wieder einmal – geschmeidig anberaumten Wende nunmehr Substanz verliehen. Sie hat eine Normalisierung der Beziehungen zu Syrien gefordert. Joe Biden ist in Europa? Egal. Meloni ist heute im Libanon. „Vielleicht bringt es mehr, mit den Akteuren in der Region zu reden als dies untereinander zu tun. Deshalb hat diese Reise für mich jetzt Vorrang“, sagt sie. Die derzeitige Vorsitzende der G7 bleibt den anderen G7-Staaten fern. Scholz, Macron, Biden? Die alten weißen Männer, die bald Geschichte sind, können solange miteinander plaudern, während die Italienerin den nächsten Schritt macht.

Wenn Donald Trump Präsident ist, kann man allerdings sicher sein, dass „Giorgia“ wieder auf Kuschelkurs mit Washington geht. Sie will schließlich eine privilegierte Partnerschaft. Da bietet sich die rechte Römerin besser an als der linke Starmer. Sollte Trump einen passenden Partner suchen, wäre Orbán ideologisch gut, aber das bedeutend größere Italien attraktiver. Dann wäre Italien der bevorzugte Mittler zwischen Alter und Neuer Welt. So die geschmeidige Strategie. Aber so weit hat man jenseits der Alpen mal wieder nicht gedacht.

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Kommentare ( 9 )

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Hieronymus Bosch
41 Minuten her

Was ändert sich hier bei uns? Kommen jetzt weniger Asylanten? Fangen die Ukrainer jetzt an, zu arbeiten?

Deutscher
56 Minuten her

Wer 16 Jahre lang Merkel und 3 Jahre lang Ampel hat regieren lassen, der darf sicherlich ganz, ganz zurückhaltend mit Kritik an der italienischen Frau Ministerpräsident sein.

Seien wir stattdessen froh um jede Regierung in Europa, die besser als unsere ist!

Last edited 54 Minuten her by Deutscher
Raul Gutmann
31 Minuten her
Antworten an  Deutscher

Sehr geehrter Herr „Deutscher“, vielen Dank für Ihre Zuschrift, die in nüchternen Worte den seit 1945 maximalen politischen deutschen Offenbarungseid beschreibt.
Hochachtungsvoll

Haba Orwell
56 Minuten her

> In süd- wie osteuropäischen Staaten sind Green Deal und Verbrennerverbot kein Klima-Thema, sondern bedrohen die wirtschaftliche Existenz von kleinen Unternehmen und Familien. Hat Meloni bereits den „Green Deal“ verklappt? Bisher nichts mitgekriegt. Leihmutterschaft ist aber kein Thema für mich. So gerne ich hin und wieder auch italienische Städte besuche (dieses Jahr: Bologna Ende März), die Flughasserei mit abenteuerlichen CO2-Tributen droht dies zu beenden. Aber auch die exzessive Gierentfaltung italienischer Städte, die Besucher (meist wohl aus Nordeuropa) als Melkkühe auserkoren haben – die prahlen sogar noch, dadurch etwa Parkgebühren-Erhöhungen zu vermeiden (was schon eher eigene Leute trifft). Nichts zeigt besser,… Mehr

Kaesebroetchen
1 Stunde her

Die wunderbare Giorgia Meloni wurde von vielen unterschätzt. Aber das ist in der politischen längerfristig Arena wohl eher hilfreich.

the NSA
1 Stunde her

Ich stelle einfach fest, dass MG ein Bewunderer der Gelben Melone ist. Nat. ist die GM eine Neo-con-in. In jeder Hinsicht. NATO, Ukr, RU, China….alles deckungsgleich mit den US/Ost-EU Neocons. Allerdings ist sie nicht so verbohrt wie jene, in Italia gilt halt zu Recht auch die Devise „cosi, cosi“ und ein gewisser Pragmatismus im Alltag. „Oh, le leggi, le leggi, cosa ci importa?“….als wir unser Tagungshaus South of Siena im 2019 umbauen wollten….. Weshalb geht sie nicht mit Fico/SK, Orban und der Populists (AfD, FPOe, Dutch…) ? Geld. Geld aus Brussels. Wenn man die beiden, Trallalla von der Waescheleyne-Albrecht und die… Mehr

Raul Gutmann
1 Stunde her

Entgegen der Absicht zum Beginn des Artikels, in das Zentrum der Leserzuschrift das Bedauen zu stellen, daß insbes. aus deutscher Perspektive Georgia Meloni zwar scheinbar als Tiger gesprungen war doch leider als Bettvorleger landete. Man hatte von ihr mehr als sanften Widerspruch und letztlich Anpassung an die EU, speziell in puncto Ukraine/Rußland, erhofft.
Doch vielleicht sollte man demütiger sein und sich Herrn Gallinas Position dergestalt annähern, Anerkennung und Freude über die italienische Ministerpräsidentin zu empfinden.

Van der Graf Generator
1 Stunde her

Man darf vermuten, dass die Deutschen alles tun werden, mit Zuckerbrot und Peitsche, jegliche Verschärfung der Migrationspolitik in Europa zu verhindern. Im Westen könnten auch wieder hunderttausende Biodeutsche gegen eine restriktive Migrationspolitik auf die Straße gehen, gerade in nrw und dem Norden. Die deutsche Politik ist genau so zerstörerisch wie jene, die fast ein Jahrhundert her ist. Das westdeutsche Wahlverhalten ist genau so destruktiv wie dieses ganze Land, wie diese Gesellschaft. Ein paar Inseln der Vernunft im Osten können dagegen nichts ausrichten. Bleibt zu hoffen, dass sich die übrigen Europäer gegen die Deutschen durchsetzen. Vielleicht wäre ein Europa ohne die… Mehr

Paul Brusselmans
46 Minuten her

Meine Hoffnung, dass eine EU mit vernuenftigen nationalen Regierungen Deutschland in die Knie zwingt, koennte sich vielleicht bewahrheiten. Lange Gesichter, wenn eine harte Migrationspolitik, eine vernuenftige Energiepolitik dann auch von Deutschland durchzusetzen ist. Wenn dann auch ein Rechtsstaatsverfahren wegen der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft, mangelndem Zugang zu offiziellen Dokumenten und Umgang mit der Opposition dazukommt und ein Beihilfeverfahren zum ÖR, der seine Verpflichtungen aus der Kommissionsentscheidung von 2007 systematisch sabotiert, …dann merken die Deutschen auch, wie sich andere Staaten fuehlen, denen deutsche Ideen ueber die EU aufgedrueckt wurden.