Macrons „Renaissance“, ein radikaler Linksblock – und eine einsame Marine Le Pen

Frankreich ist vor den Parlamentswahlen trotz Mehrheitswahlrecht ein Flickenteppich. Während sich eine dezimierte Linke um Mélenchon sammelt, bleibt die wachsende Rechte vielstimmig. Am Ende könnte es eine Mehrheit für Macron geben.

IMAGO / Xinhua

Ist Emmanuel Macron ein Präsident im Status des Burn-out? Das glaubt der Kommentator des Wochenblatts Valeurs actuelles, Frédéric Saint Clair, herausgefunden zu haben. Macron biete nur noch den Anschein eines Präsidenten, der sich „auf der Höhe der Dinge“ bewegt, Bedrohungen ernst zu nehmen im Stande ist und die „höchste Funktion“ im Staate repräsentieren könnte. Dem wiedergewählten Amtsinhaber fehle derzeit die Lust für Neues, für eine zweite Amtszeit. In Straßburg, bei der zweifelhaften Präsentation einer Initiative zur Reform der EU-Verträge, trat Macron zwar selbstbewusst und mit neuen Vorschlägen auf, die ganz auf dem Mist der Grande République gewachsen sind. Aber er wirkte auch angespannt angesichts eines Laientheaters, das von der deutschen Kommissionspräsidentin inszeniert wurde.

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In Frankreich stehen für den Präsidenten derweil Parlamentswahlen an, bei denen er eine Mehrheit erringen und eine Kohabitation, also eine Regierung gegen den Präsidenten, vermeiden will. Und man kann es vorwegnehmen: Er hat keine schlechten Chancen, diese beiden Ziele zu erreichen.

Zunächst einmal hat die Macron-Partei ihren Namen gewechselt, was vielleicht einen Hinweis darauf gibt, worum es dem Präsidenten derzeit geht. Aus „La République en marche“ wurde so die Partei „Renaissance“, wie Le Télégramme berichtet. Schon der alte Name – noch früher lautete er nur „En Marche“ – hatte ein Gleichgewicht aus Altem und Neuem, der hergebrachten französischen Staatsform und ihrer „In-Gang-Setzung“, bedeutet. In dem neuen Namen klingen vielfältige Anspielungen an: Der historische Epochenbegriff Renaissance ist eine Erfindung der französischen Romantiker, die damit die „Wiedergeburt“ der klassischen Antike im 15. und 16. Jahrhundert benannten. Er hat gewissermaßen etwas Neuheidnisches an sich, etwas planvoll Gebautes, so wie es einem progressistischen Pol in Frankreichs Parteienlandschaft vielleicht zukommt.

Renaissance – oder der matte Aufstand der letzten „Europäaner“

Daneben kann man den Parteinamen auch deutlich moderner denken, nämlich als eine Renaissance bestimmter Tendenzen in der französischen Politik, die heute offen in Frage gestellt werden. Gedacht wäre also an die Überwindung eines „dunklen Mittelalters“ und an die strahlende Neubegründung des „guten Alten“ der fünften Republik. Worin bestünden also diese feindlichen Mächte, die Macron und die Seinen ausgemacht haben, und welche „Güter“ haben sie unter Beschuss genommen? Die Antwort liegt auf der Hand: Es geht um die Erfolge Marine Le Pens und Jean-Luc Mélenchons in den beiden Runden der Präsidentschaftswahl, von Kandidaten, die bei allen Unterschieden eine deutliche EU-Skepsis eint – die Kritik und Infragestellung jenes Geflechts von Interessen, das heute in vielen Mitgliedsländern von den Regierenden und ihren Verbündeten verteidigt wird. Und Macron ist ihr Prophet, zumindest wenn es nach ihm geht.

Auch die neue Renaissance-Partei soll laut ihrem Geschäftsführer Stanislas Guerini „dem Willen des Staatspräsidenten treu sein“ und zudem – das scheint aber aus Guerinis Sicht gleichbedeutend zu sein – „stets die Aufklärung gegenüber dem Obskurantismus“ bevorzugen. Mit anderen Worten: Wer nicht für unser Projekt ist, ist unser Gegner. Und wo wir stehen, ist das Licht der Wissenden und die Wahrheit. Das ist natürlich alles nur Wahlkampfrhetorik, aber deshalb nicht weniger gefährlich. Die schwierigen Zeiten, denen Frankreich alle fünf Jahre einen Schritt näher kommt, zeigen sich auch in der geradezu chiliastischen Metaphorik dieses Parteineustarts. Und dabei ist es doch am Ende nur ein matter Aufstand gegen die manifeste Spaltung des Landes: Renaissance, das klingt – wie das „Renew Europe“ der liberalen EU-Fraktion – nach einem Aufstand der letzten „Europäaner“.

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Zugleich war Guerini sicher froh darum, ein Parteienbündnis „Ensemble“ (Zusammen) gemeinsam mit den Mitte-Rechts-Exponenten François Bayrou und Édouard Philippe zu begründen. Bayrou und sein „Mouvement Démocratique“ (MoDem, Demokratische Bewegung) hatten Macron schon seit 2017 gestützt, der ehemalige Premier Philippe machte sich erst kürzlich mit einer eigenen Partei „Horizons“ (Horizonte) unabhängig. Die Kandidaturen für die Nationalversammlung wurden innerhalb des Bündnisses aufgeteilt: 400 Wahlkreise dürfen demnach die macronistischen „Renaissance“-Kandidaten beackern, bis zu 110 sollen den sehr gemäßigten, um nicht zu sagen, mittelmäßigen Konservativen von Bayrou überlassen werden, 58 den Bürgerlich-Europhilen von „Horizons“.

Nun hat Macron das Amt des Premierministers erwartungsgemäß mit einer Frau besetzt, die aus dem sozialistischen Lager zu ihm gestoßen ist. Élisabeth Borne war bisher Arbeitsministerin und soll den Franzosen angeblich Vollbeschäftigung bringen. Sie widmete ihre Benennung „allen kleinen Mädchen“, denen sie die Verwirklichung ihrer Träume wünscht. Dass der Präsident dabei neben dem üblichen Gender-Proporz-Denken der Progressisten vor allem an die Wahlchancen seiner Partei denkt, dürfte klar sein.

Macron gegen Mélenchon: ein vages Programm der Mitte hier, verunsichernde Identitätspolitik da

Und er hat guten Grund dazu. Denn auf der linken Seite des Parteienspektrums hat sich bereits ein anderes Parteien-Arrangement gefunden. Sozialisten, Grüne und Kommunisten einigten sich auf ein Wahlbündnis unter Führung der Linkspartei „France insoumise“ (Aufsässiges Frankreich) mit dem neuen Volkstribun Jean-Luc Mélenchon an der Spitze. Allerdings sind die deutschen Partnerparteien von Grünen und Sozialisten wenig begeistert von diesem Bund. Die gemeinsame Führungsfigur Mélenchon gilt als zu radikal. Er könnte gut mit Oskar Lafontaine verglichen werden, der ebenfalls der westdeutschen Sozialdemokratie abtrünnig wurde, um jahrelang eine weiter links stehende Kraft zu unterstützen (die ihm inzwischen auch schon zu sehr Mainstream oder vielleicht auch zu woke geworden ist). Mélenchon ist noch etwas unvermischter linker Internationalist (und nostalgischer Trotzkist) als der in mancher Hinsicht bodenständigere Lafontaine.

NUPES wird das linke Parteienbündnis abgekürzt (Nouvelle union populaire écologique et sociale, also „Neue sozial-ökologische Volksunion“). Von dieser Linken sagte Macron nun, dass sie sich für den „communautarisme“ entschieden habe, also das, was hierzulande meist als Identitätspolitik bezeichnet wird: die Aufspaltung der Gesellschaft in viele kleine Gruppen von Rasse, Gender, Religion, die man angeblich in einem zweiten Schritt zu einer neuen Einheit formen will. Der Präsident liegt also nicht so falsch mit seiner Kritik an diesem wohl vor allem unrealistischen Projekt. Allerdings sind auch seine eigenen Reden – wie die jüngste zur Amtseinsetzung – voller scheinhafter Identifikationsangebote: „Unabhängigkeit“, „Ökologie“, „Sammlungsbewegung“. Ein Politologe nennt das „mobilisierende Begriffe“, die den meisten mehr oder weniger gefallen. Doch was sich dahinter verbirgt, bleibt meist unklar.

Daneben muss man Macron aber zugutehalten, dass er – wenn auch in verschwurbelter Form – die Franzosen zu etwas mehr Realitätssinn aufruft. Dass sein eigenes Projekt dabei „klar und ausformuliert“ sei, gilt an manchen, aber nicht an allen Stellen. Vor den Wahlkreiskandidaten seiner Partei schlug er eine Bewegung vor, die von der „republikanischen, sozialdemokratischen Linke“ bis zur rechten Mitte reichen soll. Er macht also den Sozialisten auch noch ihre letzten Wähler streitig, ebenso den zur Mitte hin ausgerichteten Konservativen. Vor allem greift er aber die Linken an, die nur in einem einig sein: dem Nullwachstum.

Die deutsche Sozialdemokratie weiß schon wieder, wen sie nicht wählen würde

Anlass zur Kritik von unserer Seite des Rheins gab nun auch ein Radioauftritt Mélenchons, der sich bei France Inter zum wiederholten Mal in alte Vorurteile über Deutschland verrannte. Mélenchon sprach von der „Annexion“ der östlichen Bundesländer durch den Westen. Das gleiche Schicksal habe der ganze Osten Europas nach 1990 erlitten. Der Moderator widersprach, Mélenchon meine wohl die Wiedervereinigung Deutschlands. Doch der Linkskandidat, der sich nach den Wahlen im Juni gerne als Premierminister unter Macron sähe, hielt dagegen. Am Ende fügte Mélenchon noch den eindeutig germanophoben Satz hinzu, dass die Franzosen Deutschland zwar liebten, es aber noch mehr lieben würden, wenn es zwei davon gäbe.

Egal, wie wahr oder falsch das ist, die deutsche Sozialdemokratie weiß wieder einmal genau, wen sie in Frankreich nicht wählen würde, scheint sich innerlich für Emmanuel Macron als das kleinere Übel entschieden zu haben. Das zeigt der entsetzte Quote-Tweet von Michael Roth, derzeit Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss.

Es stimmt natürlich nicht, dass die Ostdeutschen in ihrer Masse eine verfassungsgebende Versammlung eingefordert hätten, obwohl es solche Stimmen in Ost wie West gab. Aber der schnelle Zugang zur D-Mark (aus Sicht der Ostdeutschen) und die Vereinigung der beiden Staaten (aus Sicht Helmut Kohls) wogen schwerer. Allerdings begann die Entrechtung der Ostdeutschen im eigenen Land wohl auch mit der Auslieferung ihrer Betriebe an eine Treuhand, die sie dann für eine symbolische Mark an die Konkurrenten aus dem Westen verhökerte. Die Chance, die Ostdeutschen zu ermächtigen, sie in den Stand zu versetzen, selbst etwas aus den einst volkseigenen (zuvor oft privaten) Betrieben zu machen, wurde vertan, auch durch das Ausbleiben einer differenzierten Wirtschafts- und Steuerpolitik für die neuen Bundesländer. Und damit ist noch nicht einmal die Tatsache berührt, dass wir immer noch mit dem Grundgesetz der westlichen Gründerväter von 1948 leben und die einst versprochene Verfassung ausblieb.

Wie viele in der SPD waren noch bis vor kurzem in Russland vernarrt?

Dazu gesagt werden muss allerdings, dass Mélenchons Auffassung alles andere als etwas Neues ist. Schon seit Jahren schwelgt er ausgiebig in einer beinahe stalinistischen Nostalgie, feierte unlängst noch den 9. Mai begeistert in Moskau mit. Für Mélenchon ist Taiwan kein eigenständiger Staat, und im Programm seiner Partei findet sich eine Solidaritätsadresse zugunsten der Bolivarianischen Allianz für Amerika, dessen Hauptträger Kuba und Venezuela sind. Er ist bis heute der entschiedenste Fürsprecher einer Freundschaft mit Russland („ein zuverlässigerer Partner als die USA“) und hat auch dem „kalten Krieg“ gegen China in bester multipolarer Wendung bereits eine Absage erteilt.

Schon im Oktober 2019 hatte Mélenchon genau dieselbe Auffassung von der deutschen Wiedervereinigung in einem Gastbeitrag für den Monde diplomatique ausgedrückt: „Ostdeutschland, Geschichte einer Annexion“. Die Auffassung entspricht auch seinen ordo-sozialistischen Vorstellungen von Völkerfreundschaft, die gar nicht so wenige in der deutschen SPD noch bis vor kurzem geteilt haben dürften – oder noch immer teilen. Aber hinter der neuen Einheitsfassade, die sich deutsche Parteien zugelegt haben, kommen solche abweichenden Stimmen kaum noch zum Zuge. Alles flüchtet sich in die gerade angesagte, wenn nicht vorgegebene Meinung, ob es nun die zum Ukraine-Krieg ist oder zu irgendetwas anderem. Erstickt wird so aber jede ernstzunehmende Debatte, bei der es nicht um Moraletiketten geht, sondern um das, was einer wirklich denkt.

Auch ohne irgendeine Lanze für ihn brechen zu wollen, kann man sagen, dass Mélenchon nicht durch irgendein Wahlgesetz der französischen Republik zur Deutschlandliebe verpflichtet ist. Er will vielmehr als Anführer einer Fraktion in die Nationalversammlung gewählt werden, um französische Interessen durchzusetzen – auch wenn sein eigenes Programm durchaus Zweifel daran erlaubt. Niemand könnte ihm verdenken, wenn er das täte. Insofern sind die Angriffe durchsichtig und in demselben globalistischen Muster gewebt wie schon die Vorwürfe gegen Trumps „America First“ oder gegen die vernünftigen Slogans so vieler anderer Politiker, die sich schlicht des Amtseides erinnerten, den sie ablegen wollten.

Ist Mélenchon zum „Hofnarren“ der Macronisten degeneriert?

Nach zwei Wochen Politikpause ist auch Marine Le Pen auf die nationale Bühne zurückgekehrt. Sie griff das Linksbündnis um Mélenchon scharf an und bezeichnete ihre eigene Partei als „die einzige glaubwürdige Opposition, die Einfluss auf die Entscheidungen von Emmanuel Macron nehmen kann“. Speziell die Rolle von Mélenchons Partei in dem Linksbündnis stieß auf die erbitterte Kritik Le Pens: Es sei „die mit der Linken verbündete extreme Linke“, die als maßgebliche Oppositionsfraktion „den Burkini in den Schwimmbädern verteidigen wird, die die Gefängnisse öffnen, illegale Einwanderer legalisieren, die Steuern um 270 Millionen erhöhen und die Polizei entwaffnen will“, sagte sie im privaten Fernsehsender TF1.

Dagegen hätten die Franzosen doch bereits „ein wenig entschieden“, wen sie als Oppositionsführer sähen, als sie Le Pen in den zweiten Wahlgang wählten. In der Nationalversammlung will Le Pen die Interessen der Bürger vertreten, die massive Immigration ebenso wie die „galoppierende Kriminalität“ bekämpfen und für die Kaufkraft der Franzosen eintreten, was die Abgeordnete noch immer für eines der wichtigsten Themen im Lande hält. Vor allem aber wollten die Bürger keine Abgeordneten, so ist sich Le Pen sicher, die zuvor für Emmanuel Macron geworben haben. Doch eben dazu hätten auch viele linke Politiker aufgerufen. Mélenchon tat das zwar nicht, für Le Pen ist er trotzdem ein „Hofnarr“, der sich Macron andient, wenn er unter ihm Premierminister werden will.

Die Unterstützer des Rassemblement national (RN) gelten allerdings auch dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Louis Aliot als derzeit „nicht sehr mobilisiert“. Die Menschen seien nach der verlorenen Präsidentschaftswahl enttäuscht, allerdings eher vom „System“ als von der Kandidatin Marine Le Pen, meinen andere RN-Vertreter.

Einen Tag später legte Le Pen beim Hörfunksender RTL nach und sagte, dass Mélenchon die Nationalversammlung in eine besetzte Zone des „schwarzen Blocks“ verwandeln werde – eine Anspielung auf die links-anarchistischen Verbindungen von Mélenchons „aufsässiger“ Partei. Und zu diesem „Block“ würden dann eben auch die Burkini-Verteidiger, die Polizei-Entwaffner, die Öffner der Gefängnisse (weil Gefängnisse „nicht nett“ seien), gehören. Allerdings werde Mélenchon auf keinen Fall Premierminister werden, dieses Vorhaben hatte Le Pen schon am Vorabend als „Märchen“ bezeichnet, und zwar schlicht, weil Kohabitationen in der Geschichte Frankreichs dann doch selten gewesen seien. Für sich selbst sieht sie keine wie auch immer stützende Rolle im System Macron vor, sondern die eindeutige Opposition. Das macht auch ihr junger Parteivorsitzender Jordan Bardella deutlich, der im TV-Interview auch Worte wie „islamogauchisme“ verwendet und Macron wie Mélenchon eine geplante „Dekonstruktion“ Frankreichs „von oben oder unten“ vorwirft.

Le Pen: Politisches Leben in Frankreich im Zerfall begriffen

Das „politische Leben in Frankreich“ verfällt laut Le Pen immer stärker: „Die Republikaner verkaufen sich an Macron und die Sozialisten an die extreme Linke.“ Ihrerseits schloss sie aber ein Wahlbündnis mit der Partei Éric Zemmours aus, weil die Neugründung „Reconquête“ (Rückeroberung) im Parlament für die Rente mit 65 stimmen würde. Das aber würde Le Pen als „Verrat an meinen Wählern“ empfinden. Der Wahlkampfberater Le Pens, Philippe Olivier, ergänzt: „Wir wollen einen populären Block verkörpern, nicht ein Bündnis der extremen Rechten. Wir wollen die Wähler des nationalen Lagers mit denen der patriotischen Linken und der bonapartistischen Rechten zusammenführen.“ Der Bonapartismus im weiteren Sinne beinhaltet neben einem starken Staat auch plebiszitäre Elemente, wie sie vor allem der Neffe Bonapartes, Napoleon III., in seiner Regierungszeit pflegte.

Und ja, es ist schon hübsch, wie jeder in Frankreich genau zu wissen scheint, welches Wählerspektrum er ansprechen möchte. Aber ein Wahlbündnis rechtsnationaler Kräfte, wie es Zemmour auch unter Einbeziehung des Souveränisten Nicolas Dupont-Aignan vorgeschlagen hat, wird es damit fürs erste nicht geben. Der RN glaubt es nicht zu brauchen.

Ob das eine kurzsichtige Entscheidung Le Pens war, wird sich zeigen. Sie will offenbar nicht nur eine Kompromittierung ihres Programms vermeiden, sondern sich auch als die entscheidende Partei im rechtsnationalen Raum behaupten. Daneben ist sicher richtig, dass Zemmours Partei anschlussfähiger nach beiden Seiten – zum RN und zu rechtsstehenden Républicains – wäre. Ob es von der Seite der Konservativen eine strikte Abgrenzung gegen rechtsnationale Parteien wie die von Zemmour gibt, ist noch nicht ganz klar. Rhetorisch verlaufen die Grenzen eher fließend.

Übrigens kann man davon ausgehen, dass Zemmour im Wesentlichen Konservative und einstige Nichtwähler für seine Position gewinnen konnte. Die früheren Anhänger Le Pens werden das Original gewählt haben. Zemmour konnte neben Paris vor allem im Südosten des Landes punkten. Nun ist die Frage, ob die Wähler den beiden Parteien vielleicht von ganz alleine „parallele Biotope“ einräumen, die am Ende beiden zugutekommen könnten.

Im Südosten drohen vernichtende „Bruderkämpfe“ im nationalen Lager

In der Tat droht eine Minimierung kleinerer und einzeln auftretender Parteien bei den zwei Wahlgängen im Juni. Das ist aber der Normalfall im französischen Mehrheitswahlrecht. Le Pen hofft, im Juni endlich die notwendigen 15 Sitze zu erhalten, um eine Fraktion bilden zu können. Derzeit stellt ihre Partei ganze sieben Abgeordnete, die sich allerdings durch die Wahlen im Juni vervielfachen könnten. Mit 20 bis 40 Sitzen rechnet eine Projektion des Instituts OpinionWay. Nach derselben Einschätzung könnte Macrons Bündnis eine deutliche Mehrheit von mehr als 300 Sitzen erreichen. Dem Linksbündnis NUPES werden 135 bis 165 Sitze zugetraut. Das sieht doch etwas ungerecht aus und nach einem Potenzial, das auch die Rechte für sich heben könnte, wenn sie nur wollte.

Mittelfristig fordern verschiedene Parteien, Elemente des Verhältniswahlrechts einzuführen, um kleine und mittelgroße Parteien besser abzubilden. Inzwischen sind die drei Lager der französischen Politik – grün-sozialistisch, macronistische Mitte, konservativ-national – etwa gleich groß, was zu einer großen Unsicherheit beim Wahlausgang führt und allen beteiligten Parteien das Leben schwer macht.

Éric Zemmour hat länger gezögert, bevor er am Donnerstag seine Kandidatur im Département Var bekanntgab, das neben Toulon auch den exklusiven Küstenort Saint-Tropez umfasst. Auch in den anderen Wahlkreisen zwischen Rhone und Alpen treten bekannte Kandidaten aus RN und Reconquête gegeneinander an. Im französischen Südosten drohen der patriotischen Rechten damit mehrere gefährliche „Bruderkämpfe“, wie das Wochenmagazin L’Express kommentiert. Wer es dort jeweils in die zweite Runde der Parlamentswahlen schafft, das bleibt so – trotz an sich guter Voraussetzungen für die Rechtsnationalen – unsicher.

Beim RN ist allerdings die Stimmung gegenüber Zemmour noch immer gereizt. Seine Kandidatur und die Abwerbung zahlreicher Parteimitglieder wird als feindlicher Akt klassifiziert, als Dolch in den Rücken, was in der subjektiven Wahrnehmung auch stimmen mag. Das patriotische und nationalkonservative Lager in Frankreich bleibt also gespalten. Und man wird sehen müssen, wem am Ende damit geholfen ist.

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Kommentare ( 10 )

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Iso
2 Jahre her

Das alte Zweckbündnis mit Frankreich wurde noch mit dem Herzblut großer Politiker geschaffen und es waren noch 2 große Nationen, eben auch im Rahmen von G 7. Schauen Sie sich heute mal die aktuelle Besetzung an. Das sind doch nur Schaumschläger in Teflonanzügen und die Länder nur noch Schatten ihrer selbst, die in manchen Gegenden unbewohnbar und zu Teilen unregierbar sind.

Ralf Poehling
2 Jahre her

In demokratischen Systemen spielt die Mengenlehre die entscheidende Rolle bei der Erlangung der Macht. Man muss die Lager zusammenführen, die über die größte gemeinsame Schnittmenge an politischen Wünschen verfügen und diese Schnittmenge dann mit der größten gemeinsamen Schnittmenge der dringlichsten Wünsche des Volkes abgleichen. Wenn beides einigermaßen deckungsgleich ist und auf das durchprügeln von Spezialwünschen einzelner außerhalb der gemeinsamen Schnittmenge freiwillig verzichtet wird, geht man als Sieger hervor. Das setzt allerdings gegenseitiges Entgegenkommen bei denen voraus, die potentiell die größte gemeinsame Schnittmenge bilden können. Und da wird es schwierig, denn genau zwischen diesen wird vom politischen Gegner andauernd und in… Mehr

Andreas aus E.
2 Jahre her

Germanophob?
Gut, kann man so sehen, ich würde es eher francophil nennen.
Es gibt eben jenseits der deutschen Grenzen Politiker, welche zuerst eine Vorliebe für ihr eigenes Land und Volk hegen.

Dieter Rose
2 Jahre her

Zu Melenchon:
Die Deutschen, die von allen geliebt werden wollen, sollen endlich begreifen:
Es gibt keine Liebe zwischen Völkern, nur Interessen. Und endlich nach dieser Maxime handeln. Weich in der Art und Weise, aber knallhart in der Sache.

bruecke222
2 Jahre her

Mit der EU sind Europa alle tragbaren Grundlagen und Ideen genommen.
Es werden globale Kapitalinteressendurchgesetzt.
Macron simuliert einen winzigen Rest von Grand Nation.

Prometheus
2 Jahre her

Le Pen hat gewonnen. Schreiben Sie lieber mal darüber etwas. Auch in Frankreich gab es genug Beweise für eine gezielte Wahlmanipulation.

imapact
2 Jahre her

Läuft bestens für den auflackierten Ex-Banker Macron, der lachender Dritter ist. Gemeinsam mit Regime in Berlin kann er das Brüsseler Monster weiter ausbauen, wobei Macron stets Frankreich meint, wenn er „Europa“ sagt; im Gegensatz zur deutschen Politkaste, die gerne Deutschland in Europa auflösen möchte und stets bereit ist, deutsche Steuergelder für fremde Belange zum Fenster hinauszuwerfen. Aber auch die Franzosen dürfen sich über Identitätspolitik, weibliche Badegäste in Stoffsäcken und eine Umverteilung von unten nach oben freuen. Statt „insoumise“ läuft es dann eher auf Houellebeqs „Sumission“/Unterwerfung hinaus. Ist mit Macron ähnlich wie in Deutschland mit den Grünen: die Mehrheit will zwar… Mehr

Thorsten
2 Jahre her

Frankreich Parteienproporz macht es unregierbar und nur noch mit dem deutschen Geld handhabbar. Da unsere Regierung dabei ist, die Wirtschaft an die Wand zu fahren, wird es auch in Frankreich weniger Geld aus der Umverteilungsmaschine EU geben.
Das dürfte insbesondere den germanophoben unangenehm aufstossen, dass das Einzige was sie an Deutschland mögen (nämlich sein Geld) ausbleiben könnte …

Waldorf
2 Jahre her

Die Zerfledderung der Parteienlandschaften ist scheinbar ein sehr europäisches Problem
Ein Vorteil für die Wähler (im Vergleich zu den zb USA mit seinen beiden großen Parteien) ist nicht erkennbar, dafür aber viele Nachteile – von Ungewissheit und Konturlosigkeit, weil „alle“ irgendwie mit allen können müssen, um am Ende per Koalitionen eine Mehrheit bilden zu können.
Wären die kleineren Parteien, wie früher, nur Flügel innerhalb großer Volksparteien, wäre für Wähler wenig bis nichts schlechter, aber vieles eindeutiger.

ketzerlehrling
2 Jahre her

Diese Renaissance wird nicht der Erneuerung, der Aufklärung dienen, sondern hat eher das Gegenteil zum Ziel. Irgendwie ist es kein Trost, dass es anderen auch nicht viel besser ergeht.