Macron träumt erneut von einer EU-Verteidigungsunion

Macron will eine souveräne, autonome Europäische Union – autonom auch als Verteidigungs-Union. Aber die hatte er schon 2017 gefordert. Nun steht sie erneut ganz oben auf seiner Agenda. Was meint der französische Präsident genau: Europa-Armee, EU-Armee, eine Armee europäischer Armeen?

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Christophe Petit Tesson
Emmanuel Marcon, Rede in der Sorbonne, Paris, 25. April 2024

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron (46) liebt große Auftritte. Nun hat er am 25. April bei seiner zweiten Rede nach der angeblich „legendären“ Rede von 2017 in der Pariser Sorbonne eine Horror- und eine Verteidigungs-„Vision“ für Europa entwickelt.

Die Horror-Vision: Europa kann sterben. Er meinte damit Russlands und Chinas aggressiv-expansive Politik und beider Hochrüstung als einen Grund. Er warnte zudem wenige Wochen vor der sogenannten Europawahl, die ja „nur“ eine Wahl zum Straßburger Parlament der EU ist, vor einem Platzen aller europäischen Träume durch einen anstehenden Machtzuwachs der Rechten bei der „Europawahl“ im Juni. Dass Europa aber auch von innen durch die Duldung eines immer aggressiver auftretenden Islam bedroht sein könnte, darüber sprach er nicht.

Dann die Verteidigungs-Vision: Macron will eine souveräne, autonome Europäische Union – autonom auch als Verteidigungs-Union. Aber die hatte er schon 2017 gefordert. Nun steht diese für Macron seit der russischen Invasion in die Ukraine erneut ganz oben auf der Agenda. „Ich lade in den kommenden Monaten alle Partner ein, eine europäische Verteidigungsinitiative aufzubauen“, so Macron. Dabei geht er unter anderem auf das Ziel der EU-Kommission ein, einen Binnenmarkt für Rüstungsgüter aufzubauen. „Unsere Schwäche ist unsere Fragmentierung“, sagte er und spielte auf die unterschiedlichen Rüstungssysteme der 27 Mitgliedstaaten an. Mit einem „Made in Europe“ will Macron die Abhängigkeit von Zulieferern aus den USA oder Südkorea verringern. Europas Verteidigung hänge noch immer von den USA ab, kritisiert Macron. Dabei sei die französische Armee, auch aufgrund ihrer Nuklearwaffen, die effizienteste in der EU und daher „besonders wichtig, um die Sicherheit in Europa zu garantieren“, behauptet er.

Und dann: „Ich lade in den kommenden Monaten alle Partner ein, eine europäische Verteidigungsinitiative aufzubauen“, sagte Macron weiter. Dazu gehören der Aufbau einer europäischen Militärakademie, eine europäische Kapazität für Cybersicherheit sowie die „schnelle Eingreiftruppe“. Die nukleare Abschreckung, über die Frankreich verfüge, sei „ein unumgängliches Element der Verteidigung des europäischen Kontinents“. Zur Erinnerung: Ob der atomare Schutzschirm Frankreichs auch über Frankreich hinaus gilt, ist immer mal wieder in Zweifel gezogen worden.

Was meint Macron eigentlich: Eine Europa-Armee, eine EU-Armee, eine Armee europäischer Armeen?

Visionen sind ja nett. Aber was meint Macron eigentlich? Klar, Macron mag – wie schon der große Charles de Gaulle – die Nato nicht. Im November 2019 hatte er sie für „hirntot“ erklärt. Wie man sich doch täuschen kann. Siehe den Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato! Ferner: Nicht alle EU-Länder sind in der Nato: Österreich, Zypern, Irland und Malta. Und nicht alle Nato-Länder sind in der EU: Albanien, Island, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Türkei – und vor allem nicht mehr Großbritannien seit dem Brexit vom 1. Februar 2020. Großbritannien – die neben Frankreich andere westeuropäische Atommacht. Unterstellung: Das stört Macron nicht, denn wenn Frankreich die einzige in der EU vorhandene Atommacht ist, dann ist Frankreich der Koch, und die anderen inklusive Deutschland sind die Kellner.

Zudem waren die EU-Staaten bei der militärischen Unterstützung der Ukraine bisher nicht in der Lage, die Hilfen aus den USA zu ersetzen. Der Zählung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zufolge haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten seit Kriegsbeginn bis Ende Februar 2024 insgesamt 42 Milliarden Euro an militärischer Hilfe an die Ukraine geleistet, die USA 43,1 Milliarden Euro. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft kamen aus Frankreich knapp vier Milliarden, während Deutschland bislang 14,5 Milliarden Euro beisteuerte. 60 Milliarden US-Militärhilfen sollen nun folgen.

Große und kleinere Pläne für 2025 und für 2040

Frankreich plant mit 5.000 „Mann“ eine erste „europäische“ Armee für Missionen. Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu hat am 26. April schon mal angekündigt, dass die von Macron geforderte „schnelle Eingreiftruppe“ bereits 2025 entstehen könnte. Vor allem ziele diese darauf ab, Operationen durchführen zu können, um beispielsweise Staatsangehörige aus Krisenländern in einer von den EU-Ländern koordinierten Weise zu evakuieren. „Um europäische Staatsangehörige, portugiesische, italienische, deutsche und französische Bürger in Sicherheit zu bringen“, müsse man diese Eingreiftruppe daher „sehr schnell aufbauen“, so Lecornu.

Ein weiteres Vorhaben einer gemeinsamen europäischen Verteidigung wurde am 26. April auf einen – allerdings langen – Weg gebracht. Ab 2040 sollen Deutschland und Frankreich denselben Kampfpanzer haben. Boris Pistorius (SPD) und Lecornu unterzeichneten in Paris eine Absichtserklärung, die eine hälftige Aufgabenverteilung zwischen den Rüstungsunternehmen beider Länder festlegt. „Dies ist ein weiterer wichtiger Meilenstein“, sagte Pistorius. Es gehe nicht um die Weiterentwicklung der aktuellen Panzer Leo und Leclerc, sondern um „etwas völlig Neues“ – nämlich ein „Main Ground Combat System“ (MGCS) inklusive Drohnen, KI und Laserwaffen.

Schon länger in der Planungs-Pipeline ist das Future Combat Air System (FCAS). Das ist ein deutsch-französisch-spanisches Projekt zur Entwicklung eines Systems aus einem bemannten Mehrzweckjet (New Generation Fighter), unbemannten Begleitflugzeugen sowie neuen Waffen- und Kommunikationssystemen. Bei der Bundeswehr soll es ab etwa 2040 den „Eurofighter Typhoon“ und dann die jetzt erst gekaufte F-35 ersetzen, bei den Franzosen die „Rafale“.

Eine europäische Armee bleibt auf lange Sicht eine Fata Morgana

Gewiss müssen die europäischen Nato-Partner und die EU-Länder im Konzert ernsthafte und vor allem mehr Anstrengungen für die eigene Verteidigung unternehmen. Nur weiterhin Trittbrettfahrer des atlantischen Schutzschirms sein zu wollen, das reicht nicht aus. Egal, wer ab 2025 im Weißen Haus sitzt. Und natürlich muss der europäische Pfeiler der Nato gestärkt werden. Das freie Europa wird aber auf lange Sicht nicht gänzlich auf den transatlantischen Rückhalt verzichten können.

Es sollte sich aber auch nicht der Illusion hingeben, dass Frankreich nur partnerschaftlich denkt. Macron will für Frankreich das Sagen haben. Die Verfügungsgewalt über die „Force de frappe“ (Force de dissuasion nucléaire de la France) mit ihren rund 300 Atomsprengköpfen würden er oder auch seine Nachfolger nie an ein europäisches Gremium abgeben.


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Kommentare ( 62 )

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62 Comments
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beccon
6 Monate her

>>Ob der atomare Schutzschirm Frankreichs auch über Frankreich hinaus gilt, ist immer mal wieder in Zweifel gezogen worden.<<
Wenn Frankreich sich bedroht fühlt, werden sie ihre Atomraketen abfeuern. Kommt die Bedrohung aus dem Osten, schlagen die Dinger dann bei uns ein. Da würde ich mir keine Illusionen machen.

Bettina-di-Monaco
6 Monate her

Ach wenn ich unsere EU-Politiker (in der EU und auch in den jeweiligen Nationalstaaten) für raffiniert halten könnte, dann würde ich auf die Idee kommen, dass die nur so tun, als wären sie russophob und chinafeindlich, um sich aus der tödlichen Umklammerung des US-Hegemons zu befreien, der uns Europäer gerade absichtlich in den wirtschaftlich-gesellschaftlichen Ruin schickt, unsere europäische Industrie in die USA lockt und auch nicht zögert, uns in einen 3. Weltkrieg zu drängen. Soviel Vorstellungskraft diese Leute für raffiniert zu halten, fehlt mir aber leider. Mein Gott. Wie kann man als Europäer so wenig Selbstachtung haben und sich so… Mehr

Haba Orwell
6 Monate her

> Die Horror-Vision: Europa kann sterben. Er meinte damit Russlands und Chinas aggressiv-expansive Politik und beider Hochrüstung als einen Grund.

2/3 der weltweiten Rüstungsausgaben entfallen auf NATO-Länder… Zählt hier noch etwas außer der „Kriegstüchtigkeit“?

Evero
6 Monate her

Was soll denn ein gemeinsames Europa anderes bewirken wollen, als eine Stärkung der Wirtschaft, der Verteidigung und der gemeinsamen Aussenpolitik? Bei der Wirtschaft hat das bis zur fatalen Klinawendepolitik einigermaßen hingehauen. Bei gemeinsamer Verteidigung und Aussenpolitik gab und gibt es große Defizite. Ich befürworte eine gemeinsame Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Das ist doch naheliegend, weil es Redundanzen spart und die Schlagkraft verbessert. ABER: Bevor man so etwas ernsthaft angeht, müssen verbindlich und für alle Zeit 1) die Ziele einer EU-Armee und 2) die Gewalt über das Oberkommando festgelegt werden. Eine EU-Armee muss auf Verteidigung des EU-Territoriums beschränkt bleiben per Verfassung. Sie dürfte… Mehr

Last edited 6 Monate her by Evero
Sargas
6 Monate her

1) Um uns behaupten zu können, bräuchten wir tatsächlich eine europäische Armee, mit einheitlichem Kommando sowie einheitlicher Sprache und Bewaffnung. Dies setzt natürlich die Aufgabe der staatlichen Souveränität voraus und ist daher illusorisch. Europa wird – auch aufgrund seiner zunehmenden wirtschaftlichen Schwäche – zum Freilichtmuseum und Vergnügungspark stärkerer Nationen zu werden. Die Zusammensetzung der Touristen an bekannten europäischen Zielen ist ein kleiner Vorgeschmack. 2) In Zeiten kleiner, vernetzter, voll- und teilautonomer Waffensysteme wie Raketen, Drohnen und Roboter, die günstig sind und im Schwarm agieren können, ist die Vorhaltung teuer Großsysteme wie F35, FCAS und MGCS genauso ein Wahnsinn, wie die… Mehr

Simplex
6 Monate her
Antworten an  Sargas

Nr.1 ist eine reine Utopie, die Kriegsziele und der Kriegsverlauf sind dagegen Realität. Wir haben noch ca. 1-2 Jahre. Dann werden Putin und Trump dieses in sich zusammenbrechende Kartenhaus namens EU neu ordnen. Dieses Deutschland bekommt nicht einmal ein Kampfbatallion mit rund 5.000 Soldat:innen an der Suwalki-Lücke aufgebaut. Wohin flossen jahrzehntelang die Steuergelder aus dem Verteidigungshaushalt? Die Kremlins lachen sich doch über diese „Europäer“ schlapp. Beim ersten Schuss hocken die unterm Küchentisch. Von den Jüngeren würden sich 15% verteidigen, der Rest fliehen.“ Warum die Truppe nur bedingt einsatzbereit ist“, auf welt.de; „Die Bundeswehr ist nicht verteidigungsfähig – aber Deutschland auch… Mehr

johnsmith
6 Monate her

Das wird nicht kommen weil die US-hörigen Spitzenpolitiker (fast alle Mitglied der Atlantik-Brücke) Deutschland weiter fest in der Abhängigkeit von den USA halten werden.
Allerdings ist zuletzt auch Macron nicht unbedingt durch eine eigenständige französische oder europäische Position aufgefallen. Im Hinblick auf China hatte er die vor einiger Zeit noch vertreten. Bezogen auf Ukraine/Russland ist er aber auch voll auf US-Linie. Vielleicht wissen die US-Dienste ja intime Details über ihn, schließlich gibt es immer wieder Gerüchte über seine Ehe.

Simplex
6 Monate her
Antworten an  johnsmith

Diese Nachkriegsgeneration der US-Politiker stirbt doch gerade weg. Darauf noch zu setzen, ist geschichtsvergessen, der hat Obama – wie Merkel – auch nicht verstanden. The music ist over….Ich höre nichts mehr, es ist ganz still, nur von ferne das erste Donnergrollen der russischen Geschütze…..Wen interessierts? Die es zu verantworten haben, sind längst in der Karibik.

Ralph Martin
6 Monate her

Genau, eine demokratisch nicht legitimierte EU Kommission darf dann unsere Söhne und Töchter in Kriege schicken, die uns nix angehen.
Genial.

AndreasH
6 Monate her

Soll er visionieren, der Macron. Der nächste französische Präsident wird Le Pen heissen, Marine Le Pen um genau zu sein und dann sieht die Welt wieder ganz anders aus.
Und ganz nebenbei: die angeblich effizienteste Armee der EU hat genau die gleichen Probleme wie die Bundeswehr. Mehr als eine Brigade kann sie dauerhaft nicht im Feld unterhalten, ohne auf Kriegswirtschaft umzustellen. Bei der Bundeswehr ist aus meiner Sicht das Hauptproblem das Anspruchs- bzw. Goldrand-Denken. Bei der französischen Armee ist wohl wirklich nichts zu holen.

Peter Pascht
6 Monate her

„Macron will eine souveräne, autonome Europäische Union – autonom auch als Verteidigungs-Union. Was meint der französische Präsident genau: Europa-Armee, EU-Armee, eine Armee europäischer Armeen?“ Europas Armeen ? Wer sollte das sein? Das „alte Europa“ oder das „neue Euopa“, das bis Anatolien und jenseits des Schwarzen Meres reichen soll? Wie viele Köche braucht es, um den Brei zu verderben? Eine Armee braucht auch einen Geist, einen gemeinsamen Willen als Doktrin, wenn sie nicht blos ein zusammengelaufener Haufen von Hasardeuren sein soll. Macron, das Fleisch gewordene „Kind im Manne“, ist die Verkörperung der französischen Vorliebe großer Auftritte mit großen aber utopischen Worten.… Mehr

Evero
6 Monate her
Antworten an  Peter Pascht

Guter Beitrag! Genau, eine „Eine Armee braucht auch einen Geist“. Und daran hapert es. Die EU strahlt keinen Chorgeist aus, der es schwedischen Wehrpflichtigen leicht machen würde, ihr Leben im Kriegsfall für die Freiheit des Kosovo zu opfern. Die EU könnte nur eine Legionärsarmee haben, was ich aber im Sinne einer gemeinsamen Verteidigungsarmee als suboptimal ansehe.

Last edited 6 Monate her by Evero
H. Hoffmeister
6 Monate her

Die EU der Viertage-Woche, der rundumsorglos-Alimentierung von Migranten aller Herren Länder, und des Klimaschutzwahnsinns glaubt allen Ernstes eine Armee finanzieren zu können, die mit der Chinas, Russlands oder anderer Länder ohne woken Klumpfuß mithalten kann ? Die ebenfalls Klina- und Migrationsverrückten USA sind nur durch den Dollar als dominanter Weltwährung in der Lage, ihren Militärapparat durch zunehmende Verschuldung in seiner jetzigen Größe aufrechtzuerhalten, Europa hat diese Möglichkeit definitiv nicht. Macrons Visionen sind surreal.

AndreasH
6 Monate her
Antworten an  H. Hoffmeister

Die russische Armee ist ja eine wirkliche Kapazität, wie man seit 2022 in der Ukraine begutachten kann. Wenn man immer nur auf die eigenen Schwächen schaut, entgeht einem, was im Rest der Welt so Sache ist.