Klartext zwischen Biden und Putin in Genf

Wichtigstes Ergebnis: Beide Seiten wollen weiter miteinander reden / Keine Annäherung in Sachfragen / Starke Gegensätze im Menschenrechtsverständnis

IMAGO / Xinhua
Joe Biden und Wladimir Putin in der Villa La Grange in Genf am 16. Juni 2021

„Wir sind uns einig, daß wir nicht einig sind. Aber wir sollten weiter miteinander reden, um den jeweils Anderen besser zu verstehen.“ Das ist auf den Punkt gebracht das Ergebnis der mit Spannung erwarteten ersten Zusammenkunft zwischen dem neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin, der Nr. 1 im Kreml. Jeder, der sich mehr von diesem Gipfel versprochen hatte, ist entweder naiv oder kennt die Pokerspiele der Macht nicht. In Genf trafen zwei Männer zusammen, die in ihrem Grundverständnis von Staat und Macht, aber auch als Personen nicht gegensätzlicher sein könnten. Gerade deshalb aber haben sich die beiden Männer gestern in Genf gut verstanden. Joe Biden brachte es später auf die Formel, es gehe nicht um Freundschaft, sondern es handele sich um die Wahrnehmung von Interessen. Und die prallten wirklich aufeinander.

Putin nahm in seinem Statement vor der Presse keinen Bezug auf einzelne Konfliktpunkte. Er sagte wiederholt, wir haben unsere Belange zu vertreten und die andere Seite eben ihre. Jetzt müsse man sehen, was am Ende dabei herauskommt. Stichwort Menschenrechte und Umgang mit politisch Andersdenkenden. Für Putin sind diese Agenten des Westens, die im Auftrag Dritter gegen die Gesetze Russlands verstoßen. Damit meinte er auch Alexej Nawalny, der nach einem mißglückten Mordanschlag des KGB, zurückgekehrt nach Moskau, zur Zeit schwer krank im Gefängnis sitzt.

Biden nennt die Einhaltung der Menschenrechte und die Freiheit des Wortes elementaren Bestandteil der Würde jedes Einzelnen. Wörtlich: „Sollte Nawalny sterben, so wird das verheerende Folgen für unsere Beziehungen haben.“ Ebenso müssten die Cyber-Angriffe auf die Infrastruktur der USA von russischem Boden aus – Biden übergab Putin dazu Belege für 17 konkrete Fälle – aufhören. Sollte dies nicht geschehen, müssten sich die Vereinigten Staaten zur Wehr setzen. Die USA hätten die entsprechenden Kapazitäten, niemand solle sich darüber täuschen. Und so ging es Punkt für Punkt weiter, von allgemeinen Rüstungsfragen, über die Situation in der Ukraine bis hin zu unterschiedlichen Auffassungen über die Nutzung von Wasserstraßen in der Arktis. Geschenkt haben sich die beiden Herren nichts.

Und jetzt geschieht, was nach solchen Gipfeln immer geschieht. Zu jedem einzelnen Punkt werden Arbeitsstäbe gebildet, Heerscharen von Diplomaten und Fachleuten reisen in den nächsten Wochen hin und her. In aller Regel gibt es dann drei Phasen: Am Anfang geht es um Formalitäten und das sich gegenseitige Beschnuppern und an einander Maß nehmen. Eventuelle Schwachstellen beim jeweils anderen werden gesucht, um sie gegebenenfalls zu verwerten. In der Regel dauert allein das bis zu 12 Wochen. Was danach kommt, nennen die Amerikaner „now it’s time for the real beef“ – da geht es dann wirklich ans Eingemachte. Nicht selten kommen die Verhandlungen sogar ins Stocken. Auszeiten werden eingelegt. Am Ende werden dann die Chefs ganz oben über die Ergebnisse und die Gründe für ihr Zustandekommen informiert. Biden hat gestern eher beiläufig betont, er erwarte erste konkrete Berichte nach etwa sechs Monaten.

Der Gipfel von Genf ist nach einer langen Zeit des Schweigens ein klarer Erfolg. In der den Russen eigenen, der Natur zugewandten Melancholie, resümierte Putin: „Ich habe die Morgenröte in der Ferne leuchten gesehen. Ob Vertrauen daraus entsteht, muss sich zeigen.“

Nur einmal zeigte der Kreml-Zar, der im übrigen locker und gelassen auftrat, sein gewohntes Gesicht. Auf die Frage einer amerikanischen Journalistin, ob sein hartes Vorgehen gegen Kritiker ein Zeichen von Angst sei, entgegnete er, mit Angst habe das nichts zu tun. Er wolle nur nicht amerikanische Zustände in seinem Lande haben, wo Afroamerikaner wie George Floyd auf der Straße sterben und Krawallbrüder das Parlament stürmen könnten. „Solche Zustände lasse ich bei uns nicht zu, vor so etwas schütze ich die russischen Menschen.“

Da war er wieder, der eiskalte Zynismus des alten KGB-Haudegens mit seinem ihm eigenen Humor. Biden sagte übrigens später, als ihn ein Journalist auf diese Äußerung seines Gesprächspartners ansprach, ein derartig absurder Vergleich sei für ihn nicht nachvollziehbar und spreche für Vieles. Ansonsten aber habe er sich sehr angenehm unterhalten und auch über private Dinge mit Putin geplaudert.

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Kommentare ( 15 )

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Dozoern
3 Jahre her

Um es noch kürzer auf den Punkt zu bringen:
Während des indischen Unabhängigkeitskampfes wurde Mahatma Gandhi von einem amerikanischen Journalisten gefragt: „Was halten Sie von der westlichen Zivilisation?“ Gandhi antwortete: „Das wäre eine gute Idee.“ 
Alles wie immer.

Johann Thiel
3 Jahre her

Putin ist einfach cool und so vertritt er auch die Interessen seines Landes. Und das finde ich so erfrischend im Vergleich zu den ganzen verlogenen westlichen Moralaposteln, dass ich gar nicht sagen kann, wie cool ich das finde. Im Westen hatten wir auch einen coolen, das war Trump, aber für den waren wir leider nicht cool genug.

Friedrich Friesen
3 Jahre her

Ich empfehle folgende Einschätzung zu berücksichtigen:

https://centerforsecuritypolicy.org/heading-to-canossa-detestable-submission-explaining-bidens-summitry-with-putin/

Biden ist Putin maximal entgegengekommen, am Ende werden die USA vermutlich mit vergleichsweise leeren Händen dastehen.

Dozoern
3 Jahre her

Das Szenario ist bekannt: Wir sind die Guten! Trotz der 123 Kriegerischen Handlungen, welche das Imperium Amerikanensis seit Gründung vom Zaun gebrochen hat, trotz der 1240 Militärbasen auf der Welt, trotz des höchsten Rüstungsetats, trotz der fortgesetzten Diskriminierung von Schwarzen und Mexikanern, trotz der Ermordung von zwei Mitgliedern des Kennedy Clans, trotz des Bruchs des Helsinki-Abkommens, trotz des Vorschiebens von Atomraketen an die Grenzen Russlands, trotz des Lebens auf Pump zulasten der Welt, trotz einer gestohlenen Präsidentenwahl: Wir sind die Guten! Warum? Weil wir das Imperium sind und es zusammen mit unseren Vasallen können! Alle anderen sind die Bösen. –… Mehr

bkkopp
3 Jahre her

Trotz vieler seriöser Analysen von amerikanischer Seite über die zerstörerische Politik der USA seit den 90ern, und ganz besonders seit 9/11, die auch Putin so sieht wie war und ist, und trotz besserem Wissen auf US-Seite, dass es von der Türkei, über die Golfstaaten, Ägypten usw. jede Menge Journalisten, Regimekritiker usw. gibt, die mindestens so schlecht behandelt werden wie Nawalny in Russland – Russland wird selektiv, mit weltweitem medialen Trommelfeuer als der übelste aller üblen Menschenrechtsverletzer und Anti-Demokraten dargestellt. Viele Millionen Menschen glauben bereits, dass erst die Russen seit 2014 begonnen hätten die friedliche Weltordnung zu stören. Gerade eben war… Mehr

EURO fighter
3 Jahre her

Das wäre eine grossartige Sache, wenn Biden sich zuerst bei seinen Verbündeten für die Einhaltung der Menschenrechte stark machen würde, als da wären Saudi-Arabien, Türkei, Ukraine, …. usw usf.

Herr von Welt
3 Jahre her

Wie genau sieht das eigentlich aus, wenn sich Herr Biden, der wahrscheinlich nicht einmal selber seine Funktion in der amerikanischen Regierung benennen könnte, der ständig davon redet, „Ärger zu bekommen“, wenn er auf unvorhergesehene Journalistenfragen antwortet, der gerne eigene Familienmitglieder verwechselt und der von seiner Frau bei allzu großer Orientierungslosigkeit zurück an den Tisch gezerrt wird, mit den Mächtigen dieser Welt unterhält?

Evero
3 Jahre her

Hauptsache die beiden haben miteinander gesprochen und nicht nur übereinander. Das war ein erster Schritt.
Die EU sollte das auch tun und regelmäßige Gespräche auf höchster Ebene führen ohne Vorbedingungen!

Martin Muehl
3 Jahre her
Antworten an  Evero

Was glauben Sie, was dabei herauskommt, wenn – beispielsweise – von der Leyen mit Putin spricht? Was gutes jedenfalls nicht!

Evero
3 Jahre her
Antworten an  Martin Muehl

Da gebe ich ihnen recht, wenn sie vermuten, dass eine Gouvernante nicht als Diplomatin taugt.
Die EU und auch Deutschland bräuchten selbstverständlich dann auch fähige Repräsentanten mit Weitblick und einem Herz für Frieden zwischen unseren Völkern und keine scheinheiligen, bezahlten Lobbyisten der den Osten kolonialisierenden westlichen Eliten.

Last edited 3 Jahre her by Evero
prague
3 Jahre her

Meine Meinug Herr Gafron, Nawalny ist ein Antisemit(was er gar nicht versteckt) und hat auch faschistoide Züge. Ich denke, sollte ihn Putin umbrigen wollen, hätte das passiert, keine weis was genaues, aber dafür sehr viel. Man hätte ihn nicht nach D.bringen lassen- alles nur Theater. Von welchen Geld hat er in Ausland studiert? Seine Karriere als Anwalt in Russland war auch ein Desaster. Eine sehr suspekte Person. Nein,ich bin keine Putinversteherin, aber ich mache mir nur Gedanken, und Biden, ein Heilsbringer, gut, dass man in D.wieder jubelt, denn USA hat keine Probleme mit Menscherechten.

F.Peter
3 Jahre her

Was daran sollte zynisch sein, wenn ein gewählter Präsident darum bemüht ist, Zustände wie in den USA, die dort auch noch von Regierungsseite unterstützt werden, zu vermeiden? Und dass die USA in vielen Unruhen auf diesem Globus die Finger drin haben, braucht wohl auch nicht besonders erwähnt zu werden. Ebenso der eiskalte Bruch der Vereinbarungen nach dem kalten Krieg, dass die jeweiligen militärischen Verhältnisse nicht zu Lasten der Gegenseite verändert werden, was die USA offensichtlich nicht mehr interessiert und daher seither dabei ist, Russland mithilfe von Undercoveraktionen in den entsprechenden Ländern zu umzingeln! Insofern hat die USA-Administration mehr als genug… Mehr