Die erwartete Kabinettsumbildung fällt gründlicher aus als erwartet. Mit Sajid Javid verlässt der einflussreichste Ex-Remainer die Regierung. Sein Nachfolger gehört eindeutig zur Johnson-Schule und wird eng mit Dominic Cummings zusammenarbeiten.
Eine Kabinettsumbildung war im Londoner Regierungsbezirk seit längerem erwartet worden. Nach seinem Erdrutschsieg bei den Unterhauswahlen und der Erledigung der letzten Schritte hin zum EU-Austritt am 31. Januar wollte Johnson sein Kabinett auf die höchste Effizienzstufe bringen – und daraus folgte unter anderem die Ersetzung jener Minister, die entweder nicht ins Team passen oder nicht in hinreichendem Maß für das Neue, das erreicht werden soll, stehen.
An Sajid Javid, den bis jetzt standfesten Schatzkanzler, hatte dabei eigentlich kaum einer gedacht. Zeitweise konnte man gar glauben, dass hier ein Traumpaar aus Brexiteer und Ex-Remainer zusammengefunden hatte, das den Kurs des britischen Staatsschiffs klug zwischen Beharrung und Fortschritt ausbalancieren könnte. Doch derlei Gedankenspiele sind nun Geschichte. Vielleicht nicht für immer, denn Johnson schloss nicht aus, dass sich in einem zukünftigen Kabinett auch ein Stuhl für Javid findet, dann aber wohl an einer weniger einflussreichen Stelle.
Und wieder einmal soll es Chefberater Cummings gewesen sein. Jener Dominic Cummings, der Boris Johnson bei seinen Erfolgen in den letzten Monaten zumindest assistiert hat. Wenn Cummings so einerseits hilfreich bei der Entwirrung des Brexit-Knäuels war, so wuchs zugleich auf der anderen Seite die Liste seiner angeblichen Missetaten. So entließ er bereits im August letzten Jahres eine Beraterin des Schatzkanzlers und ließ sie von Polizeibeamten aus Downing Street abführen. Von Cummings stammt auch der Scherzname »Chino« für Javid (Chancellor in name only, »Schatzkanzler nur dem Namen nach«). Mit anderen Worten: Die eigentlichen Entscheidungen über das Budget gingen von Boris Johnson aus.
Indiskretionen aus dem Schatzamt
Im Dezember, nach gewonnener Wahl, forderten Johnson und Cummings unisono den Boykott gewisser, bis dahin für die Meinungsbildung im Königreich zentraler BBC-Sendungen. Außerdem fahndete Cummings nach undichten Stellen im Regierungsapparat. Die Militanz des Beraters gegenüber Indiskretionen ist notorisch. In dieses Kapitel scheint auch der neueste Schachzug des Paars Johnson–Cummings zu gehören. Von Sajid Javid forderten die beiden die Entlassung seiner bisherigen Berater und deren Ersetzung durch einen neuen Beraterstab, der zwischen No. 10 (dem Haus des Premiers) und No. 11 (jenem des Schatzkanzlers) angesiedelt sein sollte. Das bedeutet freilich eine Entmachtung des Schatzkanzlers im eigenen Haus. Der neue Beraterstab soll direkt Dominic Cummings »berichten«, ihm also unterstehen. Javid lehnte öffentlichkeitswirksam ab: »Kein Minister mit Selbstachtung würde diese Bedingungen akzeptieren.« Sein Nachfolger tat es.
Zuvor hatte man vierzehn Tage lang negative Schreiben und Memoranden zwischen No. 10 und No. 11 ausgetauscht. Schon letztes Jahr hatte es Johnson und Cummings missfallen, dass die Presse wiederholt auf »hohe Schatzamtskreise« verwiesen hatte, wenn Aktennotizen zur sogenannten »Operation Yellowhammer« auftauchten, in denen das Worst-case-Szenario eines Austritts ohne Abkommen erörtert wurde. Diese Woche sprudelte erneut eine »Schatzamtsquelle« und streute die Behauptung, zwischen Cummings und Johnsons enger Beraterin und Lebenspartnerin Carrie Symonds sei es zu einem Streit über die Kabinettsumbildung gekommen.
Die Wahrheit ist, dass sich mit Sajid Javid ein einflussreicher Remainer im Kabinett gehalten hatte, auch wenn er sich mit den neuen Realitäten arrangiert hatte. Für einiges Erstaunen sorgte daneben die Entlassung der Ministers für Nordirland, Julian Smith, der von Johnson vor kurzem noch sehr für seinen Erfolg bei der Neubelebung des nordirischen Parlaments gelobt worden war. Doch war auch er ein Remainer. Mit Andrea Leadsom muss aber auch eine gestandene Brexit-Befürworterin gehen, und mit dem Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox ein fulminanter Parlamentsredner (auch er kein langjähriger Brexit-Anhänger). Die Frage ist aber nicht so sehr, was man gestern glaubte, sondern ob man heute eine Dynamik entfalten und die Reformagenda der Regierung stützen kann.
»Wir brauchen kein Handelsabkommen«
Zugleich mit der Nachricht von Javids Rücktritt wurde der Name des neuen Schatzkanzlers bekannt. Es ist Rishi Sunak, der bisherige Stellvertreter Javids, Oxford-Absolvent, früher bei Goldman-Sachs angestellt, zudem ein Leaver und indischer Herkunft, verheiratet mit der Tochter eines der reichsten indischen Unternehmer. In einem seiner ersten Interviews stellte Sunak klar, dass man nicht auf Biegen und Brechen ein Handelsabkommen mit der EU schließen müsse: »Wir haben die Union verlassen. Es gibt eine Menge anderer Wege, auf denen verschiedene Länder miteinander Handel treiben.« Zu einem vernünftigen Abkommen, wie es die EU in der Vergangenheit vorgeschlagen habe, sei man aber bereit. Jedenfalls wolle man nicht »alle EU-Regeln« befolgen, das sei nicht typischerweise der Inhalt von Freihandelsabkommen.
Zu Johnson und seinem Team soll Rishi Sunak einen guten Draht haben. Kundige Kommentatoren glauben daher, dass dem Neuen in No. 11 der geteilte Beraterstab mit No. 10 sogar helfen könnte. »Finally, a Brexiteer!«, jubelte unterdessen eine der Leave-Plattformen auf Twitter. Die drei Spitzenjobs der britischen Regierung seien nun von entschiedenen Austrittsbefürworter besetzt. Zusammen können diese drei Brexiteers – neben Johnson und Sunak ist Außenminister Dominic Raab gemeint – nun den ökonomischen Kurs des Vereinigten Königreichs gestalten. Auf den 39-jährigen Sunak dürften anspruchsvolle Gesellenjahre zukommen.
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Das ist britische Politik. Ganz interessant. Ich wußte gar nicht, wie viele mit Mihigru da schon in Ämtern sind.
Aber einerlei: Bei uns werden Personalien doch auch bei Ungefallen ausgetauscht, Maaßen, Hirte…
Mit dem guten Wahlergebnis im Rücken hat Johnson auch die Legitimation , sich ein Kabinett ohne Konzessionen auszuwählen.
Thatchers erstes Kabinett litt damals auch unter der Aufspaltung in Getreue und „wets“.
Erst nach dem gewonnenen Falklandkrieg und der folgenden gewonnenen Wahl war sie in der Position , ihre Minister ohne Zugeständnisse an Parteiflügel einzusetzen.
Sie blieb dann für lange Zeit in Amt und Würden.
Ich wünsche Herrn Johnson ebenfalls Fortune.
Das ganze Theater ist einfach nur noch peinlich!
REALPOLITIK VOM FEINSTEN demonstriert hier nicht nur BoJo, sondern in den USA in noch höherem Maße Donald Trump, der sich nun endlich daran macht, seine Administration von den ganzen Obama-“holdovers“ zu befreien. Die missbrauchten ihr Amt nämlich nur, um zu obstruieren, als „deep state“ Trumps Politik zu sabotieren und ihm obendrein persönlich zu schaden. Der linke „deep state“ hat über Jahre hinaus viele Existenzen vernichtet, so bösartig wurde er mit der Zeit. BoJo tut gut daran, loyale Leute um sich zu scharen und nicht Agenten der Gegenseite. Dies ist im übrigen ein vollkommen legitimer Prozess: jede Administration versucht, mit Leuten… Mehr
„Realpolitik“ würde bedeuten, dass man auch die Realität sieht.
Das ist aber bei Boris‘ Plänen zu allen möglichen Handelsabkommen und den Beziehungen zu den USA absolut nicht zu erkennen.