Israel: Der überraschend ambivalente Kurs der USA

Während die US-Linken zunächst eher relativierten und Israel gutmeinend davor warnten, in eine Gewaltspirale zu driften, sehen die konservativen Amerikaner das Recht zum Gegenschlag bedingungslos auf Israels Seite.

IMAGO / ZUMA Wire
US-Außenminister Antony Blinken am 16. Oktober 2023 mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu.

Man stelle sich vor, Israel hätte den USA direkt nach 9/11 geraten, besonnen zu bleiben und bloß nichts gegen die Angreifer zu unternehmen. Mit absoluter Sicherheit hätten die Amerikaner gesagt: Shut up!

Das US-Büro für palästinensische Angelegenheiten, ein diplomatischer Posten, der von Biden eingerichtet wurde, schrieb auf Twitter als erste Reaktion auf den Anschlag in Israel: „Wir verurteilen eindeutig den Angriff von Hamas-Terroristen und den damit entstandenen Verlust von Menschenleben“. Fügte dann aber sofort einschränkend hinzu: „Wir fordern alle Seiten auf, auf Gewalt und Vergeltungsangriffe zu verzichten. Terror und Gewalt lösen nichts“. Der Tweet wurde nach etlichen Protesten innerhalb von nur einer Stunde wieder gelöscht.

US Außenminister Antony Blinken traf den türkischen Außenminister Hakan Fidan, um eine Lösung zu besprechen und erklärte anschließend auf X, dass er „die Türkei ermutigte, sich für einen Waffenstillstand und die sofortige Freilassung aller Geiseln durch die Hamas einzusetzen“. Auch er löschte den Beitrag später und ersetzte ihn durch eine Erklärung, in der es statt dessen hieß: „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen, Geiseln zu befreien und seine Bürger zu schützen.“

Wurde hier einfach nur mehrfach unglücklich formuliert, oder forderte die amerikanische Regierung ursprünglich tatsächlich von den Israelis bloß keinen Gegenangriff zu starten, bloß keine Vergeltung zu üben? Es dauerte immerhin drei Tage bis Präsident Joe Biden unmissverständlich erklärte: „In diesem Moment müssen wir glasklar sein: Wir stehen zu Israel. Wir stehen an der Seite Israels. Und wir werden dafür sorgen, dass Israel bekommt, was es braucht, um sich um seine Bürger zu kümmern, sich zu verteidigen und auf diesen Angriff zu reagieren“.

Längst nicht alle Demokraten sind damit einverstanden. Studenten protestieren an Universitäten und auf Solidaritätsmärschen – für Palästina. Die Parolen sind bekannt. Israel wird Kolonialismus, Rassismus und ethnische Säuberung vorgeworfen. Praktischerweise kann man jetzt die Plakate der BLM Proteste bei den Pro-Palestine-Demos recyceln. Die Gründerin der BLM Bewegung Patrisse Cullors forderte bereits 2015 die Ausrottung Israels und erklärte: „Palästina ist das Südafrika unserer Generation… wenn wir nicht mutig vortreten, um das imperialistische Projekt namens Israel zu beenden, sind wir zum Scheitern verurteilt.“ Mitleid mit den über 1.000 Opfern des wilden Hamas Terrors ist den Demonstranten fremd.

— Libs of TikTok (@libsoftiktok) October 15, 2023

Die Medien sind uneinig. Der Terrorangriff auf Israel wird einhellig verurteilt, die darauf folgende Reaktion Israels sorgt beispielsweise bei CNN auch für Entsetzen. Der konservative Sender Fox steht, wie auch der überwiegende Teil der Republikaner, auf der Seite Israels. Floridas Govenor Ron DeSantis verlangte in einem Interview auf Fox, dass die USA nach den Terroranschlägen auf Israel keine Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen sollten. Er verurteilte die zögerliche Haltung Bidens und dessen mangelnde Führungskraft. Auf eigene Initiative flog DeSantis bereits über 300 Amerikaner, die nach wie vor in Israel auf Evakuierung warteten, zurück nach Amerika.

Wie will Biden, der die linken Studenten und die BLM Bewegung bisher immer unterstützte, diesen Konflikt unter einen Hut bekommen? Dazu kommt der Krieg in der Ukraine und ein Senat, der nach wie vor ohne Speaker und daher gelähmt ist. Bidens große Angst ist, dass Amerika sich zwischen den unterschiedlichen Kriegsgebieten aufreibt und die Chinesen die Chance nutzen und Taiwan angreifen. Immerhin: Die USA haben mittlerweile Flugzeugträger in das Mittelmeer entsandt, Bomber vom Typ Rockwell B1-B Lancer der US Air Force wurden nach Gloucestershire in England geflogen. In einem Interview für „60 Minutes“ verkündete der Präsident allerdings, dass keine Truppen nach Israel verlegt werden würden. Während Außenminister Blinken nach Israel flog, ließ das Weiße Haus verkünden, der Präsident plane keinen Besuch.

Die USA sind seit jeher ein zentraler Akteur im israelisch-palästinensischen Konflikt. 1948 waren sie das erste Land, das Israel als souveräne Nation anerkannte. Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats nutzten sie immer wieder ihr Vetorecht, um Resolutionen gegen Israel zu blockieren. Seit 1980 haben die USA nur ein einziges Mal zugelassen, dass der Sicherheitsrat Israel für seinen Siedlungsbau verurteilt. 2016, als sich die Obama-Regierung – mit Job Biden damals noch als Vizepräsident – bei einer Abstimmung in dieser Angelegenheit der Stimme enthielt.

Trump wiederum positionierte die USA klar pro-israelisch. Im August 2020 vermittelte er ein Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, das als „Abraham-Abkommen“ bekannt wurde und in dem sich die beiden Länder verpflichteten, mit der Normalisierung ihrer Beziehungen zu beginnen. Eine neue Ära schien im Nahen Osten zu beginnen.

Biden dagegen kündigte bereits 2021 an, die palästinensische Vertretung in Washington und das US-Konsulat in Ost-Jerusalem, die von Trump geschlossen wurden, wieder eröffnen zu wollen. Sein Verhältnis zur Regierung Nethanjahu gilt als schwierig. Allerdings wird eine Wiedereröffnung schwierig sein. Ein Gesetz aus dem Jahr 1987, das von Trumps Vorgängern umschifft wurde, verbietet den Palästinensern eine Vertretung in den Vereinigten Staaten, und die Trump-Administration verabschiedete ein Gesetz, das künftige Staatsoberhäupter daran hindert, diese Beschränkung aufzuheben. Die Wiedereröffnung des Konsulats in Ostjerusalem würde die Zustimmung der israelischen Regierung erfordern, was unwahrscheinlich ist.

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