Die Isolierung Israels hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag erteilte am Donnerstag Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und den kürzlich von ihm geschassten Verteidigungsminister Joav Gallant. Während Länder wie Argentinien oder Ungarn am gleichen Tag ihre Solidarität mit Israel bekundeten, herrschte in Berlin zunächst konsequentes Schweigen.
Vor einer Woche bin ich von einer weiteren Israel-Reise zurückgekehrt. Es war mein dritter Besuch seit Kriegsbeginn am 7. Oktober 2023 – in einem Land, das mir mit jedem weiteren Mal ein Stück mehr isoliert vorkommt. Besonders eindrücklich dieses Mal: die Lage am Flughafen Ben-Gurion. Innerhalb von etwa zwanzig Minuten hatte ich mein Gepäck abgegeben, die obligatorische Sicherheitsbefragung durchlaufen, die normale Sicherheitskontrolle überwunden und die Passkontrolle passiert. In einem im Vergleich zu meinen letzten Besuchen (auch schon in Kriegszeiten) fast leeren Flughafen, der von keiner großen internationalen Fluggesellschaft noch angeflogen wird.
Für Letzteres sind Sicherheitsgründe verantwortlich. Viele Staaten, darunter Deutschland, haben Reisewarnungen verhängt. Wenn sie mich fragen: völlig übertrieben. Aber so ist es nun einmal, und es trägt zur praktischen Isolierung des Landes bei.
Wohl noch schlimmer ist die politische und rechtliche Isolierung, die dieser kleine Staat und sein Volk nun seit über einem Jahr erleben. Sie hat am Donnerstag einen neuen Höhepunkt erreicht: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ist dem Antrag des (muslimischen) Chefanklägers Karim Khan gefolgt, Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und den kürzlich von ihm geschassten Verteidigungsminister Joav Gallant zu erteilen.
Die Haftbefehle sind als geheim eingestuft. In einer Pressemitteilung teilte das Gericht jedoch mit, die zuständige Kammer sehe „hinreichende Gründe“ zu der Annahme, Netanjahu und Gallant seien Mittäter des Kriegsverbrechens, „Hunger als Methode der Kriegsführung“ einzusetzen, sowie von „Mord, Verfolgung und anderen inhumanen Akten“. Außerdem gebe es „hinreichende Gründe“ zu der Annahme, Netanjahu und Gallant trügen Verantwortung für eine „gezielte Attacke gegen die zivile Bevölkerung“.
Während in Israel weiter die Raketen fliegen, insbesondere von der Hisbollah aus dem Libanon, ist diese Entscheidung nicht weniger als eine juristische Bombe. In Israel wird sie zu Recht als Teil der Kriegsführung gegen den jüdischen Staat wahrgenommen, auch bekannt als „lawfare“. Erstmals überhaupt hat der IStGH Haftbefehle gegen politische Führer eines westlich-demokratischen Staates ausgestellt: Netanjahu und Gallant finden sich nun in einer Reihe mit Politikern wie Wladimir Putin, Muammar al-Gaddafi und Umar al-Baschir wieder.
Und das, obwohl Israel das Römische Statut, das den IStGH 1998 begründete, nicht einmal unterzeichnet hat. Entsprechend ist der Haftbefehl schon formal und theoretisch eine unsägliche Anmaßung: Ein internationales Gericht entscheidet darüber, Anführer einer politisch souveränen Nation festzusetzen. Einer Nation, die als Rechtsstaat für sich in Anspruch nehmen kann, Kriegsverbrechen selbst gerichtlich zu verfolgen, so sie denn tatsächlich geschehen sind. Über die inhaltliche Absurdität der Vorwürfe haben wir da noch gar nicht gesprochen.
Fest steht: Israel muss nun extreme Auswirkungen befürchten: Rechtlich sind alle 124 Vertragsstaaten des Römischen Statuts dazu verpflichtet, Netanjahu und Gallant festzunehmen. Das betrifft etwa sämtliche EU-Mitgliedsstaaten und bedeutet am konkreten Beispiel: Würde Netanjahu einen Staatsbesuch in Deutschland unternehmen, müsste die deutsche Polizei ihn festsetzen und an den IStGH ausliefern.
So werden Besuche Netanjahus in Europa künftig entweder grundsätzlich unmöglich oder jedenfalls politisch heikel. Die Folgen liegen auf der Hand: Israel wird ganz praktisch weiter in die Isolation gedrängt. Davon abgesehen ist ihm nun ein weiteres internationales Kainsmal aufgedrückt: Zahlreiche, auch westliche Regierungschefs dürften sich jetzt zwei Mal überlegen, ob sie Netanjahu in Israel besuchen und sich mit dem angeblichen Kriegsverbrecher ablichten lassen.
Angesichts dieser verheerenden Entwicklung stellt sich zunehmend und mit steigender Dringlichkeit die Frage, wo das alles noch hinführen soll. Was macht eine derartige, oben bereits beschriebene Isolierung auf Dauer mit einem Land, mit einem Volk? Ein Ende ist ja nicht in Sicht. Wie verändert eine solche Ausgrenzung eine Gesellschaft, die bereits von einem Terrormassaker unvorstellbaren Ausmaßes schwer traumatisiert und verwundet ist?
Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnet sich bekanntlich als Freund Israels. Trotzdem ist ausgerechnet von unserem Land keine echte Solidarität zu erwarten. Denn die Bundesregierung hat sich selbst in eine unauflösbar widersprüchliche Lage manövriert: Auf der einen Seite beschwört gerade Deutschland immer wieder großmäulig die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson. Eine rhetorische Übung, die in erster Linie dazu dient, sich selbst gut zu fühlen.
Auf der anderen Seite hängen deutsche Regierungen grundsätzlich, aber diese Regierung mit ihrer Außenministerin Annalena Baerbock im Besonderen einer Art politischen Religion an, die „das Völkerrecht“ für einen Wert an sich hält, gleichsam zum höchsten Ausdruck der Moralität hochstilisiert. Dass gerade dieses internationale Recht immer wieder politisch instrumentalisiert und als Waffe eingesetzt wird, insbesondere gegen Israel, verdrängt sie dabei geflissentlich.
Die Bundesregierung hat jetzt ein Problem: Als große Anhängerin des IStGH müsste sie eigentlich bekennen, Netanjahu in Haft zu nehmen, sollte er deutschen Boden betreten. Dies aber würde in concreto bedeuten, dass deutsche Polizisten an einem deutschen Flughafen den gewählten Regierungschef des einzigen jüdischen Staates festsetzen müssten. Wie das aussähe, muss man nicht weiter erklären.
Was also tut die Bundesregierung? Während sich zahlreiche Staaten bereits am Donnerstag zu Wort meldeten, herrschte in Berlin zunächst konsequentes Schweigen. Am Freitag dann teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit, „innerstaatliche Schritte“ in Konsequenz des Haftbefehls werde man „gewissenhaft prüfen“. Und: „Weiteres stünde erst dann an, wenn ein Aufenthalt von Premierminister Benjamin Netanjahu und dem ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant in Deutschland absehbar ist.“
Derweil beteuerte Außenministerin Annalena Baerbock im ARD-Morgenmagazin, es gelte die „Unabhängigkeit der Justiz“, auch international: Man halte sich „an Recht und Gesetz“. Und SPD-Außenpolitiker Nils Schmid, bekannt für seinen israelkritischen Einschlag, sekundierte im Deutschlandfunk, Netanjahu müsse mit einer Festnahme rechnen, sollte er nach Deutschland kommen.
Die Bundesregierung selbst wird vermutlich auch in den kommenden Tagen nicht so konkret werden, sondern es bei allgemeinen Plattitüden und Bekenntnissen zum IStGH auf der einen und Israel auf der anderen Seite belassen. Gleichzeitig wird sie hinter den Kulissen auf die israelische Regierung einwirken, um Netanjahu im Fall der Fälle davon abzuhalten, nach Deutschland zu reisen und die Probe aufs Exempel zu machen. So könnte Deutschland mal wieder alle Seiten befriedigen. Es wäre das typische, lauwarme, verlogene Durchlavieren.
Derweil machen andere Länder vor, wie es besser geht. Der libertäre argentinische Präsident Javier Milei erklärte noch am Donnerstag, es handle sich um eine Entscheidung, die Israels legitimes Verteidigungsrecht kriminalisiere: „Argentinien drückt seine Solidarität mit Israel aus.“ Tschechiens Premierminister Petr Fiala sprach von einer „bedauernswerten Entscheidung“, die die Autorität des IStGH untergrabe.
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sagte, die Entscheidung sei „völlig unverständlich“ und untergrabe die Glaubwürdigkeit des Gerichts. Die beste Reaktion kam derweil aus Ungarn: Dessen Premierminister Viktor Orbán, ein guter Freund Netanjahus und langzeitiger Unterstützer Israels, erklärte, er werde dafür sorgen, dass die Anweisung des Gerichts nicht befolgt werde. Gleichzeitig kündigte er an, Netanjahu nach Ungarn einzuladen. Das ist echte Solidarität, zu der Deutschland nicht in der Lage ist.
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Richter und Staatsanwälte werden von ICC-Mitgliedsstaaten gewählt, von denen ein erheblicher Teil israelfeindlich eingestellt ist. Dieser voreingenommene Prozess ist ein Spiegelbild dessen, was aus den Vereinten Nationen unter Guterres geworden ist.
Die Welt hat sich verändert und die UNO muss reformiert werden. Genau so wie auch die EU.
IStgha ist eine Institution die es gar nicht geben sollte. Man muss sich mal alleine die „Richter“ dort angucken. Israel und Russland anklagen, Saudi Arabien und die USA laufen lassen.
Deutschland sollte aus dem IStgha austreten.
Sorry, aber wenn man verfolgt, was Netanjahu da treibt, kommt man nicht umhin, dem ICC recht zu geben – unabhängig davon, was man allgemein von diesem Gremium und seiner sicher auch antisemitischen Motivation hält. Die systematische Zerstörung von Strom- und Wasserversorgung für 3 Millionen Menschen z.B. in Gaza hat doch nichts mit Selbstvertedigung zu tun, sondern mit ethnischen Säuberungen. Ehud Barak, der ehemalige General und Ministerpräsident, wirft Netanjahu explizit vor, den Terroranschlag der Hamas vorsätzlich zugelassen zu haben, um daraus einen Vorwand für ethnische Säuberungen und Annexionen zu stricken, um 1. seinen Hals zu retten (er hat drei Strafverfahren wegen… Mehr
Sie sind bestimmt linksorientiert.
Ich hatte die Gelegenheit, jahrelang Gräueltaten in der gesamten Welt zu studieren.
Diese finden vornehmlich in Süd- und Mittelamerika, naher und mittlerer Osten, gesamt Afrika statt.
Ausreißer in der gesamten Welt erklären nicht im geringsten das tendenzielle Merkmal zwischen Bildung und Religion.
Israel habe ich niemals in der Statistik gefunden, obwohl man der Seite Antisemitismus vorwarf
Ansonsten kann ich Ihren Gedankenspielen nichts abgewinnen.
Was die Demonstranten in Israel anbelangt.
Das halte im Sinne des Staates für vernachlässigbar.
Sind dann im Umkehrschluß Rechte für jede Gräueltat zu haben?
Wer sich auch nur ansatzweise mit den Anklagenpunkten auseinandersetzt, sollte schon mal seinen Bademantel bereit legen.
Die islamischen Länder erkennen den Gerichtshof nicht an und ein muslimischer Ankläger erwirkt einen Haftbefehl gegen den Israelischen Staatspräsidenten. Der komplette Irrsinn, und Deutschland schweigt….
Da wird Frau Özoguz aber einer abgehen.
In Deutschland herrschen die Linken bzw deren Ideologie. Die vielzitierte Solidarität mit Israel ist schon lange eine Farce, siehe Abstimmungsverhalten in der UN, siehe Unterstützung für die „Palästinenser“/ Hamas. Erhellend auch der Kommentarbereich von ZON zum Thema. Und der IStGH ist wie alle diese Gremien von Linken uns Muslims bestimmt. Er hat übrigens auch 3 Haftbefehle gegen Hamas – Führer verhängt, von denen allerdings zumindest zwei längst tot sind… . Den Pseudofreund Deutschland braucht Netanjahu sowieso nicht besuchen. Glücklicherweise hat Israel in den USA einen mächtigen echten Freund, unter Trump dann erst recht.
Ein Gericht kämpft nach fragwürdigen Urteilen gegen Russen um seine Glaubwürdigkeit. Deshalb kann es alles gebrauchen außer dem Ruf, mit zweierlei Maß zu messen.
Solidarität fiele deutlich leichter, wenn Israel sich selbst ohne Wenn und Aber zu den Werten der westlichen Zivilisation bekennen würde.
Den Eindruck macht es leider nicht immer.
Weder ist es bereit, die eigenen Grenzen überhaupt zu definieren, noch, internationale Standards auch dann einzuhalten, wenn das mal unangenehm ist.
Ein Land, das sich so gerne darauf beruft, die eigene Staatsgründung sei von der UN so beschlossen worden und daher legitim, macht sich unglaubwürdig, wenn es ansonsten sämtliche Beschlüsse des selben Gremiums nach Lust und Laune ablehnt.
Sie verstehen es auch nicht, oder?
Der Weltfriede setzt eine kompromisslose Akzeptanz Israels voraus.
Die Negierung dieser Haltung macht Eskalationen erst möglich.
Es ist immer noch ein Kampf der Kulturen.
Ich möchte nicht konvertieren müssen.
Komme was wolle.
Die Hamasattacke 1100 Tote, Geiseln, nicht entschuldbar. Die Rache der Israelis steht in keiner Relation. Ebensowenig entschuldbar. Auch das Gebaren der jüdischen Siedler, Besiedlung im Westjordanland ist nicht entschuldbar. Israel hält sich an keine Verträge, UN Resolutionen. Unrecht auf beiden Seiten. Hass auf beiden Seiten, verstehe ich. Beide Seiten müssen sagen: gut ist. Deckel drauf. Friede nützt allen.
Was für seltsame Vorstellung. Israel versorgt Gaza mit Strom, Treibstoff und Benzin, wofür er fast nie eine Bezahlung erhält. Er hofft seit vielen Jahrzehnten, dass sich diese Banditenmasse eines Tages beruhigt, dass die aufhören, regelmäßig Raketen auf Israel abzufeuern, und dass er endlich normale Nachbarn bekommt. Die Hamas schrieb in ihrem Programm, ihr Ziel sei die Zerstörung Israels, und das bekräftigt sie auch heute noch. Ich dachte, dass sowas „Beide Seiten müssen sagen: gut ist„ nur Baerbock oder Rot solch eine Dummheit sagen könnten. Übrigens, sogar Gesundheitsbehörde von Gaza, noch nie behauptet, dass da jemand verhungert wäre. In allen Ländern… Mehr
Israel versorgt Gaza vor allem deshalb mit Strom und Treibstoff, weil es den Hafen gesperrt und den Flughafen in die Luft gesprengt hat.
Schon vergessen?
Unter anderem auch deswegen (Stichwort „effektive Kontrolle“) war und ist es nach wie vor Besatzungenmacht, und daher auch verantwortlich.
Etwas fundierter wäre echt hilfreich.