In Hongkong dürfen nur noch Gesinnungstreue gewählt werden

Chinas Regierung macht eine Gesinnungsprüfung für Hongkonger Stadtverordnete bindend. Sie dürfen angeblich links oder rechts sein, müssen aber die Führung der Kommunistischen Partei "lieben". Mit Demokratie haben Wahlen dort künftig nur noch wenig zu tun.

IMAGO / VCG
Politiker von zwei Peking-treuen Parteien begrüßen die Entscheidung der "Verbesserung" des Wahlsystems in Hongkong, 11. März 2021.

China reagiert auf die Hongkonger Demokratiebewegung mit einer radikalen »Reform« des Wahlrechts zum Stadtparlament. Weniger direkt gewählte und mehr ständische Vertreter bedeuten mehr Einfluss für Xi Jinping. Antreten kann künftig nur noch, wer sich als rotchinesischer »Patriot« bekennt und so die Gnade Pekings findet.

Mit entschiedener Hand hat die chinesische Führung das Wahlsystem der Sonderverwaltungszone Hongkong in ihrem Sinne umgestaltet und die direkt von allen Hongkongern gewählten Abgeordneten im Stadtparlament weiter marginalisiert. Mitte März hatte der Nationale Volkskongress die Änderung des Wahlgesetzes beschlossen, nun hat der ominöse Ständige Ausschuss des Volkskongresses sie einhellig bestätigt. Das berichtet Tam Yiu-chung, der einzige Delegierte aus Hongkong.

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Das künftige Stadtparlament soll mit 90 statt bisher 70 Sitzen größer als das bisherige werden. Dabei sollen aber nur noch 20 Abgeordnete (statt 35) durch Direktwahl von den Hongkongern bestimmt werden. 40 Sitze werden fortan vom tendentiell Peking-treuen Wahlkomitee vergeben, das von den Vertretern der verschiedenen Gesellschaftssektoren und Wirtschaftsbranchen gewählt wird und auch den Chief Executive der Stadtzone bestimmt. Die übrigen 30 Sitze sollen von den sogenannten Fach-Wahlkreisen bestimmt werden, die wiederum bestimmte Wirtschaftsbranchen repräsentieren und ebenfalls loyal zur Pekinger Führung stehen dürften. Indem Peking die ständischen Elemente stärkt, schwächt es nach allgemeinem Verständnis die Demokratiebewegung, in der Xi Jinping freilich vor allem Separatisten sieht.

Im übrigen hat man auch das Wahlkomitee noch Peking-treuer gestaltet: 300 zusätzliche Mitglieder – vor allem Delegierte aus dem Volkskongress und andere Parteikader – sollen in es entsandt werden. Der chinesische Diktator auf Lebenszeit hat so 70 von 90 Sitzen im Hongkonger Legislativrat weitestgehend unter seine Kontrolle gebracht. Doch auch die übrigen, pro forma noch frei und gleich gewählten Kandidaten werden sich einem politischen Gesinnungstest unterziehen müssen, durchgeführt von einem noch zu schaffenden lokalen Komitee. Und der nationale Sicherheitsapparat wird hier ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Die Pekinger Führung hat damit ein Mittel an der Hand, um all jene Kandidaten auszuschließen, die ihr nicht in den Kram passen.

Patriotisch ist, wer »die Führung der KP Chinas liebt«

»Die Verwaltung Hongkongs muss in den Händen von Patrioten liegen«, sagte Xia Baolong, Chinas Bevollmächtigter in Sachen Hongkong, dazu Ende Februar. Erick Tsang, Hongkonger Sekretär für China- und Verfassungsangelegenheiten, fügte einen Tag später hinzu: »Niemand kann behaupten, patriotisch zu sein, wenn er nicht die Führung der KP Chinas liebt oder sie respektiert – das ergibt keinen Sinn.« Die Peking-treue Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam beeilte sich festzustellen, dass trotz der angekündigten Gesinnungsprüfung Politiker der unterschiedlichsten Couleur – Demokraten wie Konservative, Linke wie Rechte – zum Stadtparlament kandidieren könnten, solange sie eben chinesische Patrioten im Sinne der KP wären.

Die EU und die Vereinigten Staaten beklagten die Verletzung der einst mit Großbritannien vereinbarten Autonomierechte Hongkongs. Zur Zeit der Übergabe Hongkongs an China im Jahre 1997 war von freien und gleichen Wahlen die Rede gewesen, die irgendwann in der ehemaligen britischen Kronkolonie stattfinden sollten. Eine wirkliche Demokratisierung Hongkongs hatten freilich auch die Briten erst sehr spät, quasi auf den letzten Drücker unter Gouverneur Chris Patten in die Wege geleitet.

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Dennoch muss gesagt werden: Durch die gemeinsame Erklärung Großbritanniens und Chinas von 1984 war der Grundsatz »Ein Land, zwei Systeme« für 50 Jahre festgeschrieben worden. Die wiederholten Gesetzes- und nun auch Systemänderungen zeigen, dass es mit dieser »gemeinsamen Erklärung« – ähnlich wie in anderen Fällen – nicht allzu weit her ist. Im Text von 1984 hatte es unter anderem geheißen, dass »die derzeit in Hongkong geltenden Gesetze grundsätzlich unverändert bleiben« würden. Doch im Juni 2017 – Boris Johnson war damals Außenminister – erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Lu Kang, dass Großbritannien seit der Rückgabe der Kolonie an China die Souveränität, Herrschaft und Kontrolle über Hongkong definitiv abgegeben habe. Die »gemeinsame Erklärung« sei damit nur noch ein »historisches Dokument« ohne jede aktuelle Bedeutung. Deutlicher konnte man es nicht sagen. Und jeder kann nun sehen, was das für Hongkong langfristig bedeutet.

In dieser Frage sind alle deutschen Parteien gespalten

Wie ist nun auf die Pekinger Entscheidung zu reagieren? Die menschenrechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Gyde Jensen fordert eine Abstimmung der EU-Außenminister mit den USA und Großbritannien, woraus dann »koordinierte individuelle Sanktionen« folgen sollen – was auch immer das sein mag. Außerdem will sie die Übersiedlung von Hongkongern nach Deutschland vereinfachen. Dieser Vorschlag folgt Boris Johnsons Erleichterungen für Übersiedler aus Hongkong und ist aus der Opposition billig zu erheben. Realisiert wird es deshalb noch lange nicht.

Maximilian Krah, für die AfD im EU-Parlament, Mitglied des Handelsausschusses und darin für die Handelsbeziehungen zu China zuständig, hält nichts von neokolonialen Anwandlungen gegenüber China. Aus seiner Sicht ist die Veränderung des Hongkonger Parlaments eher eine graduelle, jedenfalls keine, die den Grundsatz der »zwei Systeme« verletzt. Die Demokratie in Hongkong sei am Status vor Chris Patten zu messen, im Vergleich damit wäre das derzeit geltende System immer noch liberaler.

Krah weist darauf hin, dass praktisch alle deutschen Parteien in dieser Frage gespalten sind. Als Handelspolitiker will sich Krah nicht in eine Frontstellung gegenüber China drängen lassen. Das jüngst geschlossene Investitionsabkommen lobt er. China sei der EU weit entgegengekommen, um eine gemeinsame Front der Europäer mit den USA zu verhindern. Das mag den wirtschaftlichen Kern des Abkommens treffen. Doch was ist mit dem kulturellen Kapital Europas, der freiheitlichen Demokratie?

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Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Brand, kritisiert den Abschluss des gemeinsamen Investitionsabkommens der EU mit China, zu dem es nur »wirkungslose Lippenbekenntnisse beim Thema Menschenrechte« gegeben habe. Die Demokratie in Hongkong werde derzeit »Stück für Stück kaputt gemacht«. Es sei Zeit aufzuwachen. Ja, aber für wen? Wer saß in der Video-Schalte mit Ursula von der Leyen und Xi? Eben, die Kanzlerin, die im chinesischen Fernsehen ebenso wenig zu Wort kam wie irgendein anderer EU-Großer. Dieses Abkommen glich insofern einer Tributablieferung im Reich der Mitte. So wollte jedenfalls Xi es sehen.

Brand behauptet, dass, wer jetzt Hongkong aufgebe, als nächstes Taiwan riskiere. Diese Worte folgen einer klaren Logik. Doch wer hört sie? Sind Brands Schlussfolgerungen selbst klar genug? Reicht es, jetzt ad hoc ein paar Maßnahmen zu beschließen, damit die Chinesen etwas »spüren«, wie Brand sagt? Und was sollten die Chinesen schon »spüren«, wenn wir Europäer einen »Preis für unsere Überzeugungen« zahlen, indem wir auf Handel mit China verzichten? Auch in diesem Fall wird China kaum etwas spüren. Die einzige Antwort, die es versteht, wird eine Antwort der Stärke sein, bei der nicht so sehr wir »einen Preis zahlen«, sondern die andere Seite.

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Kommentare ( 32 )

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CIVIS
3 Jahre her

So so: „In Hongkong dürfen nur noch Gesinnungstreue gewählt werden“

Hat sich „Merkel-Deutschland“ Hongkong etwa als Vorbild für künftige Wahlen vorgenommen ?

Scheint wohl so !

Marcel Seiler
3 Jahre her

Den Chinesen ist es nicht um „nationale Einheit“ zu tun, sondern um Herrschaft, um Imperium, das immer größer werden soll, auch wenn die Betroffenen nicht „geeinigt“ werden wollen. Siehe Tibet, siehe die Uiguren, siehe Hongkong, siehe Taiwan. Das ist schon etwas anderes als ein funktionierendes Nationalgefühl, das möchte, dass alle Menschen in einem Heimatland leben können, die das wollen.

Last edited 3 Jahre her by Marcel Seiler
Marcel Seiler
3 Jahre her
Antworten an  Marcel Seiler

Und die Welt wird unter dem „Imperium“ der USA immer wohlhabender, die Lebenserwartung steigt weltweit, die Armutsquote (absolute Armut) ist so niedrig wie nie. Wie fies von diesen Amerikanern! Absolut abscheulich!! Gut das es ein China gibt, das uns von all diesem erlösen wird: endlich frei!

Mausi
3 Jahre her

Die Chinesen lassen sich nicht beeindrucken. Sie haben ein langfristiges Ziel. Auf das steuern sie zu. Und zwar flexibel. Klappt der eine Weg nicht, wird ausgewichen. Welche Langfriststrategie hat die EU, um der Politik Chinas zu begegnen? Welches Ziel haben „wir“? Freier Handel zur Überwindung von was? Dann bitte auflisten, welche Zwischenerfolge da zu verzeichnen sind. Nicht in Bezug auf freien Handel, sondern in Bezug auf das Gesamtziel.

Montesquieu
3 Jahre her

Listenwahl…das kenne ich aus Deutschland!

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Montesquieu

Äh … Ost- oder Westdeutschland …

Aegnor
3 Jahre her

Die Expansionsgelüste Rotchinas ggü. Taiwan (und anderen Nachbarn, wie Japan oder Vietnam etc) ließen sich seitens des Westens eigentlich ziemlich schnell eindämmen. Gebt Taiwan Atomwaffen und die entsprechenden Trägersysteme mit denen man zumindest die chinesische Ostküste erreichen kann, bzw. lasst zu, dass sie diese selber entwickeln, und die chinesische Invasion ist abgeblasen. Das wäre noch nicht mal illegal. Schließlich hat die Aberkennung der staatlichen Souveränität Taiwans dazu geführt, dass deren frühere Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrags null und nichtig ist. Man kann nicht einem Staat die Anerkennung als völkerrechtliches Subjekt verweigern und es gleichzeitig an ebensolche Verträge binden wollen.

StefanH
3 Jahre her
Antworten an  Aegnor

Woher wollen Sie wissen, dass die Taiwanesen diese nicht schon längst einsatzbereit haben? Die technischen Möglichkeiten dafür haben sie mehr als ausreichend, das Geld für die Entwicklung ebenso und der bergige Osten ist ideal für getarnte und geheime Anlagen. Zudem würde sich eine Kooperation mit den Indern und Pakistanis anbieten, die sind sich ja auch nicht gerade grün mit den Chinesen …

Klaus D
3 Jahre her

In Hongkong dürfen nur noch Gesinnungstreue gewählt werden….haben die sich das von Merkel abgeschaut….man muss ja nur schauen wie das bundesverfassunggericht besetzt ist….

Anti-Merkel
3 Jahre her

Ganz so einseitig ist es nicht — das Problem ist, dass die sogenannte „Demokratiebewegung“ in Hong Kong stark von westlichen (v.a. US und England) Geheimdiensten unterwandert ist (die natürlich ihre eigenen Interessen — nämlich alles, das China helfen würde, verhindern — vertreten), und China da ein gerechtfertigtes Interesse hat, deren Einmischung zu unterbinden. Die Antwort aus China ist falsch, aber nicht so unprovoziert, wie das von westlichen Medien einschließlich TE dargestellt wird. Aber über eine richtige Antwort — wie z.B. die Demonstranten mit nachgewiesenen Kontakten zu ausländischen Geheimdiensten verhaften — würden sich die westlichen Medien wohl noch stärker aufregen, und… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Anti-Merkel
FerritKappe
3 Jahre her

Au wei die Idee ist gut.
Die Zahl der Sitze im Bundestag wird verdoppelt.
60 % werden per Quote vergeben. Gender, Color, Klima und Migrationsgerecht.
Den Rest kann wählen wer will!

Dann kann man auch endlich den zu kleinen Reichstag abreisen und für drölfzig Zilliarden ein Klimaneutrales Wolkenkuckucksheim bauen.

Toby
3 Jahre her

Zitat: „Und jeder kann nun sehen, was das für Hongkong langfristig bedeutet.“ Vor allem kann nun jeder sehen, wie es um die Vertragstreue der Rotchinesen bestellt ist. Was Michael Brand kritisiert wird kaum einen interessieren, da das Merkel/vdL-Regime ganz andere Pläne hat. Von den Rotchinesen wird Appeasement nur als Schwäche gesehen, konsequentes Handeln (siehe Pres. Trump) wäre hier angebracht. Ein Übernahme- / Investitionsverbot durch / für rotchinesische Unternehmen wäre ein wichtiger Schritt. Man könnte auch über ein völliges Verbot von rotchinesischen Studenten an deutschen / europäischen Hochschulen nachdenken. Oder noch viel besser: Die dürfen nur noch Schwachsinnsstudiengänge wie Gender Studies,… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Toby
Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Toby

Mir reicht der Blick nach Berlin, um einzusehen, dass dieser „Sack Reis“ nun wirklich NICHT MEIN Thema ist …

Klaus Kabel
3 Jahre her

Von Hongkong lernen, heißt Siegen lernen.
Neue grünroter Losung