„Ich will lieber nicht an die Front zurück“

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der sich gleich zu Kriegsbeginn als Freiwilliger meldete. Der Krieg habe ihn verändert. „Es ändert die Perspektive, wenn es einen jeden Tag erwischen kann.“

Gyurkovits Tamás
Hauptfriedhof der Stadt Beregszász

„Ich kann kaum noch schlafen. Immer Albträume“, sagt Géza (Name von der Redaktion geändert). Anfang März 2022 meldete er sich freiwillig zum Krieg. „Mein Leben war mir sowieso nichts mehr wert.“ In einem Kaffeehaus der kleinen Stadt Berehovo (ungarisch: Beregszász) in der Karpato-Ukraine erzählt er, wie es dazu kam. „Meine Ehe, meine Familie, seit Jahren kaputt. Meine Mutter starb an Covid. Das gab mir den Rest.“ Nach Deutschland, oder irgendwie in den Westen wollte er gehen, arbeiten. Aber nichts wollte klappen. Dann kam der Krieg. „Da habe ich mir gedacht, alles egal, dann kämpfe ich eben. Wenigstens verteidige ich meine Heimat.“

Er spricht Ungarisch, Ukrainisch aber besser. Die Ungarn hier – es ist die Region, in der die ungarische Minderheit der Ukraine zu Hause ist – akzeptieren ihn als Ungarn, er selbst aber sieht sich als Ukrainer, der unter Ungarn aufgewachsen ist. Sein Gesicht ist hager, müde, er spricht langsam, sucht nach Worten, sucht in seinen Erinnerungen. Ein paar Tage Heimaturlaub. Aber nachts will der Schlaf nicht kommen. „Ich sehe immer Raketeneinschläge, wenn ich die Augen schließe.“ In wenigen Tagen muss er sich wieder zum Dienst melden.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Als er sich vor einem Jahr als Freiwilliger meldete, wurde er zur großen Militärbasis Yavoriv gebracht, bei Lemberg, nah an der Grenze zu Polen. Dort wurden die Rekruten gesammelt. Dort wurde Géza vereidigt. Den 13. März 2022 wird er nie vergessen. „Wir waren alle aufgereiht zur Inspektion“, sagt er. „Hunderte von uns. Da schlugen plötzlich Raketen ein. Volltreffer. 60 von uns starben. 120 verletzt.“

Nach den ersten Einschlägen rannten die Überlebenden, um in Bunkern Schutz zu suchen, aber „die waren mit Vorhängeschlössern verriegelt“. Als man dann rein konnte, war „nicht genug Platz für alle“. Eine Rakete traf den Bunker, in dem er war. Drei andere schlugen in der Nähe ein. „Der Druck schleuderte mich zu Boden“, erzählt er. Als er zu sich kam, war er äußerlich unverletzt, aber der Rücken schmerzte. „Seither tut es weh, auch heute noch, und irgendwas ist mit meinem Bein“, sagt er. So begann der Krieg für ihn, noch vor dem ersten Übungsschuss. Die russische Propaganda verbreitete damals, „160 ausländische Söldner“ seien gestorben.

In Zytomir erhielt Géza eine dreiwöchige Grundausbildung. „Wir lernten ein bisschen mit der Kalaschnikow schießen, Handgranaten werfen, Löcher graben“, erzählt er. Und den Umgang mit panzerbrechenden Javelin-Raketen. Die brauchte er aber nicht – er wurde einer Artillerie-Einheit zugewiesen. „Eine Haubitze, ein alter Panzer, 30-40 Mann – so kämpfen wir seither.“

Er wurde in den Donbass geschickt. Auf seinem Telefon zeigt er Bilder des kleinen selbst gegrabenen Bunkers, in dem er lange Monate verbrachte, an der Front in der Gegend von Krasny Liman. „Sie schießen auf uns, wir schießen auf sie“, fasst er seinen Alltag zusammen. „Wir sind Teil der dritten Verteidigungslinie, ein paar Kilometer hinter der Front.“ Manchmal „haben wir uns drei Wochen lang nicht gewaschen – Du musst immer wachsam sein, der Feind kann jederzeit schießen oder mit Spähtrupps auftauchen.“ Auf einem Foto ist ein frischer Einschlag neben dem Bunker zu sehen. Daher die Albträume. Mit der Kanone kann man zwar schießen, es wird aber mitunter zurückgeschossen.

Gegen die Russen, die Soldaten auf der anderen Seite, hegt er keinen Groll. „Sie müssen Befehlen gehorchen“, sagt er. Mitleid hat er aber auch nicht mit ihnen. „Wenn Du anfängst, Mitleid zu haben, kannst Du nicht mehr kämpfen“, sagt er. „Wenn ich sie nicht töte, töten sie mich.“ Ein anderes Foto zeigt drei Artilleriegranaten auf dem Boden, neben einer zerschossenen russischen Haubitze.
„Manchmal wurden wir losgeschickt, Granaten einzusammeln“, sagt er. Mitten im Gefecht – während wir die Munition bargen, ging neben uns der Feuerwechsel weiter. Aber es waren eher unsere Leute, die schossen.“

»Weltkrieg der Anschauungen«
Krieg, Schock und Schmerz – Anmerkungen zum Ukraine-Krieg
Obwohl er sich freiwillig gemeldet hatte, wurde er von seinen Kameraden in der Einheit etwas misstrauisch beäugt. Weil er aus Beregszász war. „Was machst Du denn hier, Du bist doch Ungar“, hieß es. „Für die Ukrainer sind alle Ungarn Feinde der Ukraine“, meint er. Das liege an den ukrainischen Medien, die sehr negativ über Ungarn und die ungarische Minderheit berichten. „Oft wird der Verdacht geschürt, die Ungarn seien Separatisten.“

Wie er an den Anfang zurückdenkt, als er sich freiwillig meldete, stellt er fest, dass der Krieg ihn verändert hat. „Damals schien mir mein Leben sinnlos“, sagt er. „Heute ist es ein wertvolles Geschenk. Es ändert die Perspektive, wenn es einen jeden Tag erwischen kann.“ Die Familie, auch wenn sie kaputt ist, weiß er heute besser zu schätzen. Mit den Kindern spricht er nur am Telefon, seine Ex-Frau ist nicht gut auf ihn zu sprechen. „Ich glaube, sie sind stolz auf mich“, sagt er. Das läge auch daran, dass die Ukraine auf jeder Ebene versuche, ihre Soldaten als Helden zu feiern. In der Bevölkerung wirke das.

Er selbst ist auch stolz. Aber „eigentlich habe ich meinen Teil getan. An die Front will ich lieber nicht zurück, wenn es geht.“ Seit Monaten versucht er, wegen seinen Rückenschmerzen und dem lahmen Bein eine Befreiung vom Frontdienst zu bekommen. Dennoch geht er zurück: „Mein Urlaub dauert noch zwei Tage.“

Am Hauptfriedhof der kleinen Stadt Beregszász, aus der er stammt und in der er all dies erzählt, sind 94 Holzkreuze aufgereiht, zum Gedenken an die Gefallenen im Zweiten Weltkrieg. An sechs jüngeren Gräbern weht eine ukrainische Fahne. Es sind die Gefallenen des jetzigen Krieges. Bisher. Manche sind deswegen nicht hier begraben, weil sie als vermisst gelten.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 50 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

50 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Spyderco
1 Jahr her

,,Auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich ähnlich.“
Neben den,je nach Quelle 0,8-1,3 Mio.aktiven Soldaten ,leben in Russland etwa 38 Millionen Männer im wehrfähigen Alter.
Selbst wenn 95% es ablehnen zu kämpfen,ist da noch viel Luft.

Konservativer2
1 Jahr her

Hat man je wieder etwas von dem Herrn von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit gehört, der das Thema Saporoschija vor einigen Monaten mal ruhig und sachlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat? Der war einen denkwürdigen Tag lang medial vertreten, seitdem – nichts mehr. Der hatte wohl die falsche Sicht der Dinge…

Konservativer2
1 Jahr her

„Nachdem ja die Russen seit einem Jahr das AKW, welches sie selbst besetzt halten, gemäss MSM pausenlos beschiessen … diese russsischen Dummköpfe aber auch – ja, dann werden es wohl auch die Russen sein, welche dieses AKW sprengen.“

Genau das denke ich mir auch jedesmal, wenn davon berichtet wird – und nie wird der Sachverhalt hinterfragt.

Marie M
1 Jahr her

Die Story von dem ethnischen Ungarn, der sich als Ukrainer fühlt, dürfte nicht repräsentativ sein. Wer läßt sich schon für ein Land verheizen, das seine Kultur, seine Muttersprache verbietet? Ich hatte voriges Jahr das Vergnügen, eine Ukrainerin kennenzulernen, die für ein genau gegensätzliches Selbstverständnis steht. Sie sagte ,,ich bin in Kiew geboren, aber das ist nicht meine Hauptstadt. Ich bin in der Sowjetunion geboren, also heißt meine Hauptstadt Moskau“. Diese Frau lebt seit einigen Jahren in Deutschland. Im Juni soll sie in Köln vor Gericht erscheinen. Weil sie auf der Demo in Ramstein gesagt habe, der Krieg im Donbass hat… Mehr

Konservativer2
1 Jahr her
Antworten an  Marie M

Ich habe in eine ursprünglich ukrainische Familie aus Kiew eingeheiratet und kann Ihre Beobachtung nur bestätigen. Es sind nicht ohne Grund viele Ukrainer schon lange vor dem Krieg aus dem Land abgehauen. Die Zustände dort waren lange Zeit schier unerträglich, so habe ich dies zumindest wahrgenommen. Die Bindung an die Ukraine ist aufgrund der Tatsache, dass die Auswanderer wissen, wie es dort zuging, eher lau bis nicht vorhanden, familiäre Bindungen gehen auch nach Russland. Das sagt alles.

Last edited 1 Jahr her by Konservativer2
Emsfranke
1 Jahr her

Wir werden es erleben. Auf einer der Seiten der Front wird, wenn das so weiter getrieben wird, eine Neuauflage des Fluches von Friedrich dem Großen ertönen (Schlacht bei Kolin am 18. Juni 1757, Preußen gegen Österreich), den er fliehenden Preußensoldaten im Zorn nachgerufen haben soll: „Ihr verfluchten Hunde, wollt ihr ewig leben“?
Wer dann in diesem Konflikt die Rolle der Preußen zu spielen hat, wird sich noch herausstellen müssen.

Last edited 1 Jahr her by Emsfranke
Aljoschu
1 Jahr her

Das erinnert mich an die vielen Geschichten meines Vaters aus 6 Jahren Front und 2 Jahren amerik. Gefangenschaft im und nach dem 2. Weltkrieg. Ja, er kam zurück und fast alle seine Freunde und Klassenkameraden im Dorf waren gefallen oder vermisst. Geil, ne!

the NSA
1 Jahr her

„More than four times as many troops and veterans of the wars since 9/11 are believed to have died by suicide than were killed in the wars themselves, a new study from Brown University has found. In a paper released Monday as part of its Costs of War series, Brown’s Watson Institute for International and Public Affairs estimates that 30,177 active-duty personnel and veterans of the wars in Iraq and Afghanistan have taken their own lives over the last nearly 20 years. That is far greater than the 7,057 service members who died in war operations since 9/11, the institute… Mehr

Gert Friederichs
1 Jahr her

Bei all den multiethisch geprägten Staaten gibt es nur einen einzigen Friedensweg: Ruhe bewahren, niemanden aufhetzen. Das hat der Tito vorbildlich gemacht. Natürlich nicht gerade mit sauberen demokratischen, „werthaltigen“ Methoden. Aber da war Ruhe auf dem gesamten Balkan.
Nach seinem Tod ging das Elend los!
Wie kann man nur auf die Idee kommen, in einem Vielvölkerstaat „Ukrainisch“ als einzigen Heilsweg zu installieren?

Steve Acker
1 Jahr her
Antworten an  Gert Friederichs

ein Land in der Struktur wie die Ukraine wird nur mit einem föderalen System überleben, bei dem die Minderheiten respektiert werden.
Das wollen die Politiker in Kiev explizit nicht.
Das Ergebnis sieht man seit einem Jahr.

Flaneur
1 Jahr her
Antworten an  Steve Acker

mh.. fahren sie doch einmal in ein land, das lange von „den russen“ besetzt gewesen ist. lettland, estland, litauen oder eben die ukraine.. wo jahrzehnte lang die eigene sprache und kultur verboten wurde, ist erstmal relativ wenig interesse an „föderalen systemen“, wenn es einen ziemlich unabhängigen russischen teil beinhaltet.
„respekt“ ist so eine sache, wenn beide seiten von außen „angeheizt“ werden.. die ukraine von den USA, und die russisstämmigen ukrainer von russland.

Konservativer2
1 Jahr her
Antworten an  Flaneur

Die russischstämmigen Ukrainer haben seit Jahrzehnten in großer Zahl das Land zu verlassen bzw. sind dort geblieben, weil dort gestrandet, hatten aber immer enge Beziehungen nach Russland. Glücklich waren in der Ukraine beileibe nicht alle, die dort geblieben sind. Ich kenne mehr Details, schildere sie hier aber nicht, weil ich möchte, dass mein Beitrag hier erscheint.

johndoe19
1 Jahr her

Auch hier zeigt sich wieder: Krieg ist keine Lösung.
Er werden Menschen aufeinander gehetzt, die einander nicht kennen und sich dennoch gegenseitig töten sollen. Auftraggeber sind Kriegsherren, die sich gut kennen und nie auf die Idee kämen, sich gegenseitig umzulegen. Hinzu kommen noch Medien und Sofahelden, die vom Schlachtfeldrand aus die Soldaten anfeuern, mit zusätzlicher militärischer Ausrüstung ausstatten und sie im Zweifel beschimpfen, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen.
Eigentlich sollten die Soldaten umkehren und ihre Kriegsherren umlegen, denn die haben in Friedenszeiten versagt.

Konservativer2
1 Jahr her
Antworten an  johndoe19

„Er werden Menschen aufeinander gehetzt, die einander nicht kennen und sich dennoch gegenseitig töten sollen.“

Es ist noch viel schlimmer: Ukrainer und Russen sind in vielen Fällen familiär verbunden, insofern „kennen“ sie sich sehr wohl!

Franz O
1 Jahr her

Ich hatte vor einigen Wochen mal ein Video gesehen, in welchem die Wagner-Gruppe ukrainische Kriegsgefangene interviewte. Da standen etwa ein Dutzend Mann und diese wurden nach ihrer Herkunft gefragt: Odessa, Zakarpatia, Dnipropetrovsk, Zaporozhie, Odessa, Odessa, Zakarpatia…. Es wurde relativ fix klar, dass das ukrainische Regime großzügig die nationalen Minderheiten als Frontschweine verheizt, das betrifft Ungarn wie auch Rumänen, Ruthenen und Russen. Der Mann ist hier sicherlich nicht repräsentativ. Ähnlich wie Russen werden auch die Ungarn von der ukrainischen Regierung als nationale Minderheit unter Druck gesetzt. Ungarn haben allerdings den Nachteil, dass sie weitaus weniger zahlreich als die Russen sind. Allzu… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Franz O