Großbritannien und die Massenmigration: Oppositionsführerin Badenoch fordert Wende

Neu vorgelegte Zahlen zeigen sowohl einen historischen Höchststand für 2023 als auch einen deutlichen Rückgang der Migration ins Vereinigte Königreich in der ersten Jahreshälfte 2024. Oppositionsführerin Badenoch nutzt die Gunst der Stunde, um Labour in Sachen Migration vor sich her zu treiben.

picture alliance / empics | House of Commons/UK Parliament

Wer ist verantwortlich für das dysfunktionale Einwanderungssystem und fortwährende Massenmigration? In Großbritannien schieben sich die politischen Kontrahenten jeweils gegenseitig die Verantwortung für das Versagen in dieser Angelegenheit zu, und reklamieren Erfolge dementsprechend für sich:

Tatsächlich meldete das Nationale Amt für Statistik (Office for National Statistics, ONS), dass die „net migration“, also Einwanderung, die bereits mit Auswanderung gegengerechnet wurde, mit 906,000 Zuwanderern im Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2023 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht habe – und korrigierte seine Zahlen damit nach oben. Dieser rasante Anstieg nach der Covid-Krise geht unter anderem auf Politik unter der konservativen Regierung Boris Johnsons zurück, unter der Einreisebestimmungen gelockert und der Erwerb von Arbeitsvisa erleichtert worden war; aber auch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge spielt eine signifikante Rolle.

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Nach diesem Höchststand und im Zuge der Einführung von Restriktionen sank die Zahl der Einwanderer allerdings bis Mitte 2024. Ohne die Berücksichtigung von Abwanderung bedeutet dies zwar immer noch einen Zuzug von 1,2 Millionen Menschen zwischen 2023 und 2024, es handelt sich dabei im Hinblick auf die net migration aber dennoch um einen Rückgang von immerhin fast 20%.

Ein Erfolg, den Premierminister Keir Starmer natürlich seiner Politik zuschreibt, während er den Tories vorwirft, Großbritannien zum Schauplatz eines Bevölkerungsexperiments gemacht zu haben, ein „one-nation“-Experiment mit offenen Grenzen.

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Das klingt nicht nur theatralisch, es ist einigermaßen unverschämt, schließlich ist die Transformation insbesondere der Städte des Vereinigten Königreichs in einen multikulturellen, identitätslosen Moloch keine kurzfristige Entwicklung. Sie ist nicht den Konservativen allein anzulasten. Überdies war es im Sommer 2024 Starmer, der im Zuge der Proteste gegen Massenmigration und ihre Folgen in zahlreichen englischen Städten ein unangemessen brutales Vorgehen gegen die Demonstranten forcierte, und lieber gegen das eigene Volk vorging als gegen illegale Migration.

Insofern zeigt sich die neue Vorsitzende der Konservativen, Kemi Bandenoch, strategisch deutlich klüger. Ihre Reaktion auf die neuen Zahlen leitete sie bereits im Vorhinein mit einem unumwundenen Schuldbekenntnis ein, und nimmt Kritikern den Wind aus den Segeln. Innerhalb der letzten dreißig Jahre seien von allen Parteien und Regierungen in diesem Bereich Fehler gemacht worden – und ja, auch die Konservativen hätten an dieser Stelle falsch gehandelt, so Badenoch. Vergleicht man diese Aussagen mit der trotzigen Sturheit, mit der sich etwa Angela Merkel weigert, Fehler in Sachen Migrationspolitik einzugestehen, wirkt die britische Oppositionsführerin geradezu vorbildhaft ehrlich und glaubwürdig.

Vor allem aber gesteht sie das ein, was ohnehin alle wissen und denken. Es kostet sie also nichts, sich in eine komfortable Ausgangsposition zu bringen, um die Labour-Regierung in Sachen Migration vor sich her zu treiben.

In einer Rede, die sie in Ausschnitten auch als Social-Media-Clip produziert und veröffentlicht hat, stellte Badenoch der britischen Öffentlichkeit einen Plan in Aussicht, den die Konservativen vorlegen wollen. Grundlage müsse die Einsicht sein, dass „das System kaputt“ sei. Laut Badenoch könne nur die Einsicht, dass sich grundsätzlich etwas ändern müsse, Abhilfe schaffen, sie fordert verbesserte Datenerhebung und -auswertung, und die gründliche Evaluation aller Regeln und Gesetze, die Migration betreffen.

Auch durch Migration verursachte kulturelle, wirtschaftliche und soziale Probleme spricht sie an. Allein: Während man der Feststellung, dass zu viel und zu schnelle Zuwanderung den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft schwächt und Integration unmöglich macht, nur zustimmen kann, nimmt das Thema illegale Immigration insgesamt überraschend wenig Raum ein. Wenig überraschend sind die Kosten für das britische Asylsystem mit 5 Billionen Pfund ebenso auf einem historischen Höchststand wie die Einwanderung an sich, die Ausweisung illegaler Einwanderer gelingt oft nicht.

Das ist in gewisser Weise symptomatisch: Immigration wird per se als Bedrohung empfunden, in der Praxis wird es aber jenen schwergemacht, die für die Gesellschaft einen Mehrwert bedeuten. So zeigen die Zahlen, dass insbesondere die Zuwanderung von internationalen Studenten – die horrenden Gebühren zahlen müssen, um in Großbritannien studieren zu können – zurückgegangen ist, sowie Zuwanderung über Arbeitsvisa, da die Gehaltsgrenze, die zum Erwerb eines solchen notwendig ist, signifikant erhöht wurde. Allerdings wurden auch die Zuwanderungsbestimmungen für Angehörige dieser beiden Gruppen stark verschärft, so dass etwa der Zuzug von Angehörigen von Studenten um ganze 41% sank.

Großbritannien macht sich teuer, unzugänglich und unattraktiv für jene, die dem Land gar nicht schaden. So lässt etwa die kämpferische Ansage Badenochs aufhorchen, dass Großbritannien Heimat sei, „kein Schlafsaal oder Hotel.“ Das stimmt zwar, lässt aber den Elefanten im Raum außer Acht.

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Denn wie man die kaum aufzuholenden Versäumnisse in Sachen Integration derer, die oft bereits seit Generationen da sind, beheben will, ist unklar. Wie etwa der Bildung muslimischer Parallelgesellschaften Abhilfe schaffen? Dies wird wohl kaum gelingen, indem man die Hürden für die indonesische oder marokkanische Studentin, die in Oxford studieren möchte, ins Unermessliche erhöht.

Ebenfalls bleibt unerwähnt, dass gerade die kulturelle Komponente eine ist, die die Briten weithin selbst in der Hand haben: Es war nicht die Einwanderung, die Großbritannien in ein extrem säkularisiertes, von großen sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten geprägtes Land verwandelt hat. Wenn Kemi Badenoch indirekt – und auf Social-Media auch durch die Bildauswahl, die ihre Ansprache unterlegt – auf ein good old England verweist, dessen Erbe aber fast nur noch nostalgisch tradiert, kaum noch aktiv gelebt wird, dann macht sie letztlich Zuwanderer zu Sündenböcken dafür, dass ein signifikanter Teil der Briten die eigene nationale Identität nicht ausreichend wertgeschätzt und gepflegt hat, während insbesondere politmediale Eliten sie aktiv zerstört haben. Diesem Problemkomplex wird auch geringere Einwanderung nicht beikommen, dazu bedürfte es auch einer konstruktiven Sozial- und Gesellschaftspolitik, und natürlich zuerst einer Abkehr von der woken Ideologie.

In all dem ist die Begrenzung von Migration also zwar notwendig, aber nur ein Teil der Lösung. Badenoch ist zumindest bewusst, dass die jetzt vorgelegten Zahlen, schaut man sie im Einzelnen an, trotz der in 2024 angedeuteten Entspannung keine Linderung der eigentlichen Probleme verheißen. Ob es den Konservativen mit ihr  an der Spitze noch einmal gelingen wird, das Vertrauen der Briten zu gewinnen, und ob sie ihre Ankündigungen wird einlösen können, muss sich zeigen.

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Kommentare ( 6 )

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Martin Mueller
27 Minuten her

Noch 10 – 15 Jahre so weiter wie die letzten 10 Jahre und wir werden ein Fiasko erleben. In den großen Städten werden muslische Ghettos entstehen, in denen der Rechtsstaat keinen wirklichen Zugriff mehr haben wird. Und ob dann offener Antisemitismus überhaupt noch eingedämmt werden kann, bezweifle. Auch wird von Tag zu Tag in muslimischen Community mehr erkannt, wie schwach unser Rechtsstaat aufgestellt und wie schwach unsere Politik ist, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Der Sozialstaat wird in dieser Zeit wohl sein Kippmoment erleben. Wie auch unserer Land ein demografischen Kippmoment erleben wird. Unseren Wohlstand müssen wir mit importierten Analphabeten… Mehr

Last edited 24 Minuten her by Martin Mueller
ceterum censeo
1 Stunde her

5 Billionen Pfund??? Bei allem Respekt und was die Migration alles kostet, aber der Wert scheint mir dann doch ein wenig zu hoch.

Flik Flak
1 Stunde her

Die Briten sind genauso unfähig, Reform UK zu wählen, wie die Deutschen, die AfD zu wählen. Also geht alles weiter wie bisher, und es wird enden wie im Libanon oder in Syrien.

AlNamrood
1 Stunde her

Eine tatsächliche Wende würde beudeten Maßnahmen anzuwenden für die niemand in der Regierung verantwortlich sein will. Es wird keine Wende geben.

hansgunther
2 Stunden her

Alleine schon die Art der Diskussion und das Heranziehen von Fakten und Fehlleistungen auf alle Seiten sind eine Wohltat. Bei allen noch offenen Fragen, auch bei den Briten, ist es jedenfalls der konstruktivere Ansatz, etwas bewegen zu können und auch zu wollen. Sieht demokratisch aus. Es wird Zeit brauchen auf beiden Seiten Unsere Politkommissare verweilen im Gleichschritt sozialistischer Allmachtsherrscher völlig losgelöst von den Realitäten, nur die Ideologie und die Kompromißlosigkeit als Maßstab – nicht zur Lösung, sondern zur Verhinderung von Lösungen.  Der Untergang ist beschlossene Sache – also vorwärts, Marsch Marsch in die Malaise der Selbstaufgabe. Gefangene werden keine gemacht.… Mehr

Last edited 1 Stunde her by hansgunther
Klaus D
2 Stunden her

In Großbritannien schieben sich die politischen Kontrahenten jeweils gegenseitig die Verantwortung für das Versagen in dieser Angelegenheit zu…..das ist ja doof und wir können froh sein das wir wissen wer die verantwortung bei dem thema zu tragen hat sprich die CDU/CSU unter Merkel.