Sieben weitere Geiseln frei – zu einem hohen Preis

Noch immer sind 90 Geiseln in den Händen der Terroristen in Gaza. Hamas verweigert die Auskunft, wer noch lebt, gibt die Namen der Geiseln, die freigelassen werden, immer erst kurz vorher bekannt. Dies gehört zum Kalkül, den "Todfeind" Israel zu quälen.

picture alliance / SIPA | Abdul Rahman Abu Salama

Vier weitere israelische Geiseln sind frei – nach 477 Tagen und Nächten in Gefangenschaft der Terror-Organisation Hamas in Gaza. Ganz Israel sitzt aufgelöst in Freudentränen vor den Bildschirmen und bangt gleichzeitig um die noch 90 Verschleppten, die sich noch immer in den Fängen der Entführer befinden. Die schmerzhafteste Frage, die unbeantwortet ist: wer von ihnen lebt noch? Die Terroristen veranstalten unterdessen in Gaza ein Propaganda-Spektakel. Eine Gemengelage, die Israels Regierung vor ihre schlimmste Zerreißprobe stellt.

Die gute Nachrichten nach einer Woche Waffenstillstandsabkommen: Sieben israelische Frauen sind innerhalb einer Woche äusserlich gesund zu ihren Familien nach Hause gekommen. Seit einer Woche wird in Gaza fast nicht mehr geschossen, es fallen keine Soldaten, die Bevölkerung kann sich erholen, 600 Lkw-Konvois liefern täglich weitgehend ungestört das Notwendigste.

Noch immer sind 90 Geiseln in den Händen der Terroristen in Gaza. Hamas verweigert die Auskunft, wer noch lebt, gibt die Namen der Geiseln, die freigelassen werden, immer erst kurz vorher bekannt. Das ist Teil ihrer Strategie, den „zionistischen Todfeind“ zu quälen. Verstärkt wird die Tortur durch die Öffnung der Gefängnistore für verurteilte palästinensische Straftäter. Tausende Familien israelischer Angehöriger der Terroropfer und ihre Freunde müssen am Bildschirm zuschauen, wie zuerst 90, dann 200 palästinensische Strafgefangene – viele von ihnen haben israelisches Blut an ihren Händen – freigelassen werden. Wenn das Abkommen die 42 vereinbarten Tage durchhält, werden 1.900 von ihnen lebendig auf freiem Fuß sein im Gegenzug zu 33 Geiseln, von denen man nicht weiss, wer noch am Leben ist.

Hamas-Strategie: Geiselfreigabe in Raten
Wer bisher geglaubt hat, dass die Terroristen in Gaza nur „blutrünstige Mörder“ sind – wie sie auch von TV-Moderatoren in Israel genannt werden – muss seit dem 7. Oktober 2023 und insbesondere in diesen Tagen dazulernen. Israel mag rund 20.000 von ihnen in den letzten 15 Monaten eliminiert haben. An den letzten beiden Wochenenden haben Hamas & Co bewiesen, dass sie noch immer gut aufgestellt sind und das Handwerkszeug der Propaganda gelernt haben. Eine Propaganda, die nicht nur in der arabisch-muslimischen Welt gut ankommt.

Sie jagen den israelischen Frauen auf den letzten Metern zur Freiheit bis zur letzten Minute Angst ein und nutzen sie für ihre Propagnda gnadenlos aus. Sie kleiden vier Frauen in militärisch wirkende Uniformen und erwecken damit den Eindruck, es handele sich um „Prisoners of War“, um Kriegsgefangene. Sie stellen die Verschleppten im weitgehend zerstörten Gaza auf eine erstaunlich professionell wirkende Bühne und lassen sie vor hauswandhohen Plakaten freundlich lächelnd winken. Die Botschaft lautet mehrsprachig: „Die palästinensischen Friedenskämpfer werden immer siegen“, „Der Sieg des unterdrückten Volkes gegen die Nazi-Zionisten“ und „Gaza ist der Friedhof der kriminellen Zionisten“.

Karina, Daniela, Naama und Liri müssen sich vor laufender Kamera für ihren fünfzehnmonatigen Aufenthalt im „Tunnel-Hotel“ bedanken, bekommen „Abschiedsgeschenke“ überreicht. Der 40-Sekunden-Clip, professionell geschnitten, ist bei X zu sehen und wird über facebook und andere soziale Medien verbreitet. Es wird natürlich vergessen zu erwähnen, dass 16 Freundinnen der vier israelischen Soldatinnen am 7. Oktober 2023 ermordet und teilweise bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Für den unvoreingenommenen Beobachter ist der Clip eine offenkundige Lüge. Aber wer ist unvoreingenommen? Westliche Medien stellen den Jubel in Gaza und Israel weitgehend als gleichrangig dar. Aber in Tel Aviv fließen in diesen Tagen Tränen der Freude, weil Familien ihre geschundenen Töchter nach 471 beziehungsweise 477 Tagen Geiselhaft wieder umarmen können. Das Symbol der Freude in Gaza ist demgegenüber das Kalaschnikov-Maschinengewehr, das drohend von augenscheinlich kampfbereiten Männern in den Himmel gestreckt wird, die ihr wahres Gesicht vermummen. Sie unterstreichen damit ihre oft wiederholte Ankündigung: es soll noch viele 7. Oktober geben.

Aus diesem Grund verweigern die Parteien der „Religiösen Zionisten“ und der „Stärke für Israel“, Ministerpräsident Benjamin Netanyahus Koalitionspartner und Mehrheits-Garanten im Parlament in Jerusalem, ihre Zustimmung für das Abkommen mit Hamas. „Mit Terroristen macht man keinen Deal, man vernichtet sie“, ist das Leitmotiv der beiden Parteien, die gerne als „rechtsradikal“ bezeichnet werden. Gaza mag weitgehend ein Trümmerfeld sein, aber das Endziel der Hamas, Israel zu vernichten, lebt.

Als die Freudenbilder der Befreiung der Geiseln über die Medien verbreitet werden, können sich auch die Gegner des Deals der Emotionen nicht erwehren. Auch sie gratulieren den geretteten Frauen und ihren Familien.

Das renommierte Dayan-Center an der Tel-Aviv-Universität versucht die Zukunft zu deuten. „Die Lage ist nicht schlecht“, schreibt der leitende Politologe Michael Milshtein vor dem Hintergrund des Waffenstillstands und der Freilassung der Geiseln: „Es ist schrecklich für uns. Wir wollten eine zerschlagene Hamas sehen, die fast nicht mehr existiert, aber gestern wurden die Schulen wieder eröffnet, die angeblich zu 85 Prozent zerstört sein sollen.“

6.000 Polizisten haben in Gaza ihre Arbeit wieder aufgenommen. Damit sei klar, wer dort das Sagen hat. Aus Sicht der Hamas sei es sinnvoll, dass 50.000 Menschen gestorben sind und Gaza zerstört wurde. „Denn wir haben Israel eine Lehre erteilt und unseren Nationalstolz befriedigt“, schreibt Milshtein über das Selbstverständnis der Hamas. Der Krieg gegen die Terror-Organisation sei „eine Reise für viele Jahre (…) Deshalb brauchen wir eine langfristige Planung, die wir am 7. Oktober nicht hatten“, fasst der Wissenschaftler zusammen.

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Kommentare ( 3 )

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Marcel Seiler
5 Tage her

Die Hamas muss zerstört werden. Mehr gibt es nicht zu sagen.

Wolfgang Richter
5 Tage her
Antworten an  Marcel Seiler

Selbst wenn die Zerstörung der Organisation gelingt, der dahinter stehende Glaube und die darauf fußende Motivation wird überleben, so wie in der Mythologie nach einem abgeschlagenen Schlangenhaupt 3 neue oder mehr nachwachsen. Und zu Gründung der Taliban, al-Kaida, Hamas etc. gibts auch genug Fakten, die den „Westen“ nicht gut aussehen lassen.

Rob Roy
5 Tage her

lassen sie vor hauswandhohen Plakaten freundlich lächelnd winken

Stünden neben mir bedrohliche, schwerbewaffnete Vermummte, würde ich auch lachen und winken.
Die Geisel müssen ja auch noch bis in letzter Sekunde damit rechnen, dass der Deal platzt, sie von der Bühne gezerrt und erneut verschleppt werden.
Die Hamas und ihre Sympathisanten, wo immer sie auch sind, sind eine Bande sadistischer, perverser Mörder, nichts anderes.