Alles hatte darauf hingedeutet, dass diese Anti-Mehrheit stehen würde, auch wenn die Linken fast alles taten, um Le Pen nicht zustimmen zu lassen. Michel Barnier ist als Premier abgewählt, sein umstrittener Haushalt mit einigen Zumutungen ist Geschichte. Nun wird auch Macrons Rücktritt offen gefordert.
Emmanuel Macron war gerade von einer Saudi-Arabien-Reise zurückgekehrt, da war in der Nationalversammlung die Entscheidung gefallen: Mit 331 zu 289 Stimmen wurde die Regierung Barnier von den Abgeordneten abberufen, ähnlich wie in Südkorea zwei Tage zuvor das Parlament die Verhängung des Kriegsrechts durch den dortigen Präsidenten Yoon zurückgenommen hatte. Auch in Frankreich ging es um die Rücknahme einer präsidentiellen Entscheidung, die zuletzt ohne Rückhalt im Parlament gewesen war. Nun wird auch der Rücktritt Macrons offen gefordert, wenn auch nur von der linksradikalen Partei „La France insoumise“ (LFI): Er müsse gehen, sagte die LFI-Fraktionschefin Mathilde Panot, die daneben vom Ende eines „gewalttätigen Budgets“ sprach.
Michel Barnier hatte noch versucht, der Opposition ihre Misstrauensanträge auszureden. Auch er hätte es bevorzugt, Geld zu verteilen, das man aber nicht habe, sagte er am Abend im Parlament. Doch die „Haushaltsrealität“ verschwinde eben nicht, selbst durch ein Misstrauensvotum gegen ihn und seine Regierung nicht. Diese Realität besteht derzeit aus 3,228 Billionen Euro Schulden und 60 Milliarden Euro, auf die sich die täglichen Zinszahlungen Frankreichs belaufen. Das sei mehr als für Verteidigung oder höhere Bildung ausgegeben werde. Das ist allerdings zum großen Teil die Schuld Emmanuel Macrons und seiner Regierungen, von denen jene Barniers wohl nur die vorläufig letzte war. Seit seinem Amtsantritt 2017 hat sich die französische Staatsverschuldung um rund eine Billion Euro erhöht, mit einem besonders großen Sprung 2020, als Macron Covid den „Krieg“ erklärte.
Am Vortag hatte Barnier ein Interview gegeben, des Inhalts: Es sei doch gar nicht verantwortlich, in dieser Situation für ein Ende der Regierung zu sorgen, womit er vor allem die Abgeordneten des RN in die Pflicht nahm. Er tweetete gar ein: „Wo bleibt im Text dieses [des linken] Misstrauensantrags der Respekt gegenüber den 11 Millionen Wählern des RN?“ Das scheint in der Tat eine kleine Revolution für Frankreich: Ein Politiker der „alten Mitte“, ein Mitte-rechts-Republikaner ruft – aus wie auch immer taktischen Gründen – zum „Respekt“ vor den Wählern des RN auf. Damit ist ein weiterer Schnipsel des französischen Cordon sanitaire gefallen.
Linke Beleidigungen im Antrag
Auch Marine Le Pen fragte sich allerdings mit gutem Recht, ob die Linke überhaupt um Zustimmung bei ihr für das Misstrauensvotum gebeten hat. Denn in ihrem Antrag hatten die Linken eine giftige Bemerkung zu Barnier gemacht, der den „niederträchtigsten Obsessionen“ der extremen Rechten nachgegeben habe – etwa mit einem neuen Immigrationsgesetz und der Infragestellung der staatlichen Gesundheitsfürsorge, die doch „denjenigen Menschlichkeit und Würde verleiht, die unseren Boden betreten“. Linke Utopien eben. Leider ist diese „verliehene Würde“ aber sehr teuer und zudem ein Anreiz für Illegale, den Weg nach Frankreich zu nehmen.
Derweil bestand Jordan Bardella darauf, dass seine Partei nicht für irgendein in Frankreich angerichtetes „Chaos“ verantwortlich sei, sondern natürlich die Machthabenden, namentlich Emmanuel Macron, der das Land in doppelt getrickste Neuwahlen führte. Die „Unsicherheit“ komme durch dieses Budget – das nur das erste von mehreren ist –, eine Unsicherheit, die ebenso die Kaufkraft der Franzosen wie auch das Wachstum und die Unternehmen gefährde. Vor allem ging es dem RN aber wirklich um die Kaufkraft der kleinen Leute oder der normalen Franzosen. So stellte sich die Le-Pen-Partei gegen die Streichung der Erstattung bei Arzneikosten und trat für den Inflationsausgleich bei den Renten sowie gegen höhere Stromsteuern ein. All das könnte man klassische sozialdemokratische Positionen nennen.
Übrigens möchte die linksradikale Partei „La France insoumise“ (LFI) daneben auch die „Rechtfertigung des Terrorismus“ wieder straffrei stellen. Dahinter verbirgt sich kaum die Parteinahme der Linken für die Terroristen des 7. Oktobers. Hier lässt die radikale Linke also einmal mehr jeden Kompass vermissen. Eigentlich kein Wunder, berherbergt sie doch in ihren Reihen zweifelhafte Antifa-Mitglieder und Hamas-Sympathisanten gleichermaßen.
Mit Barnier geht auch sein Haushalt flöten
Es gibt also über das Misstrauensvotum hinaus keine erkennbar gemeinsames Feld, das LFI und RN politisch beackern könnten. Das ist auch gar nicht beabsichtigt. Denn die Linken waren bei den jüngsten Parlamentswahlen der Kampfgenosse der Macronisten und auch der mittigen Republikaner. Zusammen versuchten diese drei „Pole“ der französischen Parteienlandschaft den vierten „Pol“ – das Rassemblement national (RN) – so klein wie irgend möglich zu halten.
In der Debatte vom Mittwochabend sagte Le Pen: „Die Institutionen zwingen uns dazu, unsere Stimmen mit denen der extremen Linken zu mischen.“ Alles sieht nach einer Abwahl Barniers aus. Etwas, das es seit 1962 nicht mehr gegeben hat. Eher wurde ein Premierminister, auch von Macron ausgewechselt, als dass man es zum Schwur in der Nationalversammlung kommen ließ. Doch nun kommt es zum Showdown, und wenn die macronistische „Mitte“ noch so sehr von der „Allianz der Gegensätze“ zetern mag. Eine Regierung müssen die Linken und die Nationalen deshalb ja noch nicht bilden. Erst einmal geht es gerechtfertigterweise erst einmal gegen jene Regierung, die beiden nicht ganz gefällt.
Und so wird Frankreich morgen ohne Premierminister sein und ohne alle Gesetzentwürfe, die Barnier nicht mehr durchbringen konnte. Auch die Haushaltsgesetze und Sparmaßnahmen werden dann dem Staatshaushalt fehlen. Angeblich eine Blaupause für kommende Steuererhöhungen, ätzen die regierenden Republikaner nun. Überdies werde das Misstrauensvotum gegen Barnier „das Land in die Instabilität werfen“, meinte der Fraktionsvorsitzende der Republikanischen Rechten (Droite républicaine), Laurent Wauquiez. Es gehe um „Lösungen oder Unordnung“, „Interesse der Parteien oder Interesse des Landes“. Aber daran hätten die Regierenden vielleicht auch schon bei den vorgezogenen Parlamentswahlen denken sollen, als man eine klare Mehrheit für das RN mit allen Mitteln zu verhindern suchte, was auch gelang.
Macron wieder „im Mittelpunkt des Spiels“?
Die Unverträglichkeit von „rechtspopulistischem“ RN und linksradikalem LFI brachte auch Innenminister Bruno Retailleau (LR) zur Sprache und sagte zu Marine Le Pen sinngemäß, sie habe die „Politik der Überzeugungen“ verlassen. Le Pen machte am Ende – Retailleau kam gerade ziemlich außer sich beim „Vive la France“ seiner Rede an – eine Kurbelbewegung mit der Hand und sagte damit: Er solle ruhig fortfahren mit seinen Show-Nummern. Man sieht: Die Argumente Retailleaus verfingen schon, aber am Ende regiert ja auch ihn nur das Interesse seiner Partei – oder das Interesse, Minister in dieser Regierung zu bleiben.
Ein Sozialist (Boris Vallaud) beschwerte sich, dass es modischer geworden sei, mit der „extremen Rechten“ zu sprechen denn mit ihr selbst, der Linken. Dieses Schicksal wird sich vielleicht noch verstärken, wenn die nächsten Wahlen neue Ergebnisse für die Nationalversammlung liefern. Das kann allerdings erst in gut einem halben Jahr passieren. Bis dahin wird Macron sich irgendeine Regierung zimmern müssen, die dann auch wieder Haushalte vorlegt.
Für Marine Le Pen steht nach der Abstimmung fest, dass es keine andere Möglichkeit gab, um die Franzosen zu schützen. Die Entscheidung dazu habe sie ohne „Herzensfreude“ getroffen, also aus Notwendigkeit. Barnier habe der Opposition nicht genug zugehört.
Éric Zemmour, seinerseits ein Parteigründer und Journalist, schreibt auf X: „Offenkundig wird die Rettung der Franzosen nicht von dieser politischen Klasse oder dem Parlament, in dem sie sich so sehr erregt, ausgehen“. Damit sei wieder Macron am Zug und „im Mittelpunkt des Spiels“. Für den Erzlinken Mélenchon deutet sich derweil an, dass Macron keine drei Jahre mehr im Präsidentenpalast aushalten wird. In der Tat könnte es da ein Weichklopf-Momentum geben. Aber nun wird eben alles darauf ankommen, wie zäh Macron wirklich ist. Am Donnerstagabend will er sich via Fernsehansprache an die Franzosen wenden.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein