Wie das Rassemblement Macron in der Macht ablösen will

In Frankreich kündigt sich ein längeres Fingerhakeln um die Macht an. Nach den Wahlen dürfte es weitergehen, vor allem wenn der junge Jordan Bardella wirklich Premierminister wird. Der hat nun ein erstes Programm – der Dringlichkeit und der Reformen – vorgestellt, zusammen mit Marine Le Pen und Éric Ciotti.

picture alliance/dpa/MAXPPP | Thomas Padilla

Am Donnerstag war die Olympische Flamme nahe an der deutschen Grenze zu Gast, in Forbach und Apach an der Mosel. Könnte ein Teil dieses Feuers wohl auf Deutschland übergehen? Das wäre immerhin an diesem Sonntag und dann wieder am 7. Juli möglich. In Deutschland mögen es EM-Sonntage werden, in Frankreich bringen sie die beiden Runden der vorgezogenen Neuwahlen, die Macron nach der für ihn verloren gegangenen EU-Wahl ausgerufen hat. Es bleibt eine merkwürdige Entscheidung, die Macron nicht nur die Restjahre seiner Präsidentschaft kosten könnte, sondern auch angesichts der nahenden Olympischen Spiele zur Unzeit zu kommen scheint.

Ein wirklich desolates Bild gibt die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo (PS) angesichts des kommenden Urnengangs ab. Macrons „Ankündigung der Auflösung“ des Parlaments habe sie „sehr schlecht verkraftet“, sagte Hidalgo dem Blatt Ouest-France, vor allem weil sie so kurz vor den Olympischen Spielen gekommen sei. „In einer Geste der Misshandlung der Franzosen verdirbt der Präsident das Fest. Das ist sehr ernst.“ Dabei hätten die Spiele doch ein „außergewöhnlicher Moment“ des „Aufatmens“ sein sollen. Doch so heiter diese Spiele ihr vorkommen mögen, so ernst sind die Politik und das Leben. Die bekennende Öko-Sozialistin Hidalgo verkraftet wohl vor allem die erwarteten Stimmgewinne des Rassemblement nicht.

Denn das Rassemblement national (RN) baut seinen Vorsprung im nun ablaufenden Turbo-Wahlkampf weiter aus. In Umfragen steht die Partei stabil um die 33 Prozent. Zusammen mit den 62 Kandidaten der Républicains (LR), die als Anhänger des Parteichefs Éric Ciotti und daher als „ultrarechts“ gelten, erreicht man sogar bis zu 37 Prozent. Es gibt dabei ein gewisses Kräftemessen mit dem neuen Linksbündnis aus vier Parteien („Neue Volksfront“, meist bei knapp unter 30 Prozent) und Macrons Ensemble-Koalition aus fünf Parteien, die allerdings deutlich zurückliegt (um die 20 Prozent).

Macron kritisiert Linke wegen „grotesker“ Vorstellungen zum Geschlechtswechsel

Aber vor allem das Linksbündnis steht eigentlich auf tönernen Füßen, war vor Ausrufung der Neuwahlen tief zerstritten und bleibt das im Grunde – wie ein Scharmützel zwischen dem ehemaligen Präsidenten François Hollande (PS, nun wieder Kandidat für die Nationalversammlung) und dem extrem linken Jean-Luc Mélenchon zeigt. Nach den Wahlen könnte es also schnell wieder vorbei sein mit der Einigkeit im linken Lager. Auch Macron machte den Linken noch keine Avancen – im Gegenteil, so kritisierte er den absolut „immigrationistischen“ Kurs der Linken und ihre „grotesken“ Vorstellungen zum Geschlechtswechsel. Man könnte also sagen: Macron hat sich entschieden, spielt defensiv gegen rechts und offensiv gegen links.

In der gegenwärtigen Polarisierung legen alle drei Hauptkräfte leicht zu. Die Prozentwerte sind dabei aus deutscher Sicht aber nicht direkt zu konsumieren. Denn das Mehrheitswahlrecht mit zwei Runden bietet vollkommen andere Rahmenbedingungen.

Erwartet wird eine Rekordwahlbeteiligung. Das lässt auch Marine Le Pen frohen Mutes sein. In der zweiten Runde werden ihrem Bündnis (RN plus Ciottisten) bis zu 305 Sitze vorhergesagt. Auf diese Mehrheit setzt Marine Le Pen fest. Am Mittwoch hat sie in einem Interview mit der Tageszeitung Le Telegramme ihre Überzeugung ausgedrückt, dass der Präsident keineswegs freie Wahl habe, was seinen Premierminister angeht, und dass sie eine absolute Mehrheit für den RN erwarte. Außerdem sei der Titel „chef des armées“ (Oberbefehlshaber der Streitkräfte) ein „Ehrentitel“ des Präsidenten. Dem widersprach – natürlich – umgehend der aktuelle Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Das Fingerhakeln zwischen RN und Macron wird hier also schon angesagt.

Le Pen geht derweil fest von einer Regierungsübernahme durch den RN und Jordan Bardella aus. Aber die Mehrheit in der Nationalversammlung liegt bei 289 Sitzen. Verfehlt das RN diese, dann könnte ein neues Parlament ohne Mehrheit bevorstehen – wie es schon heute besteht. Laut den naturgemäß unsicheren Prognosen könnte das RN auch mit 250 oder noch weniger Sitzen aus der Wahl hervorgehen. Hinzu kämen laut letzten Schätzungen 30 bis 50 Abgeordnete der regulären Républicains, die dem Bündnis mit dem RN aber skeptisch gegenüberstehen – jedenfalls wenn es nach den Pariser Parteikadern geht. Die konservativen Republikaner geben derzeit ein gespaltenes Bild ab. Eine Regierungsmehrheit bleibt also höchst unsicher. Aber das ist ohnehin Sache des zweiten Wahlgangs.

Dauerhaftes Decoupling könnte Deutschland in Not bringen

In dieser Woche hat nun Jordan Bardella ein Programm seiner Partei auf zwölf Seiten vorgestellt. Bardella – das darf hier kurz gesagt werden – ist ein mit 28 Jahren noch sehr junger Parteifreund von Marine Le Pen, mit der er absolut bruchlos in anscheinend großer gegenseitiger Loyalität zusammenarbeitet. Von außen gesehen passt kein Blatt zwischen die beiden. Bardella stammt selbst aus einer der berühmten Vorstädte im Pariser Norden, besitzt außer hauptsächlich italienischen Vorfahren auch eine halb-algerische Großmutter, wie zu lesen ist. Er ist das neue Frankreich, aber in einer Gestalt, die dem Rassemblement national zuneigt. Im Duell mit Gabriel Attal hob er hervor, dass es in seinem Heimatdépartement Viertel gebe, in denen weder Juden, noch Homosexuelle noch Frauen sich frei bewegen können. Doch in dem Moment, in dem er diesen Satz sagt, muss er sich freilich gegen heftiges Sperrfeuer von Moderator und Gegner wehren.

Bei der Vorstellung seines Programms war neben Marine Le Pen, der „natürlichen Kandidatin“ für die Präsidentschaft im Jahr 2027, auch Republikaner-Chef Éric Ciotti zugegen. Ciotti „zählt“ auf alle LR-Abgeordneten im Falle, dass das RN keine eigene Mehrheit hat. Jedenfalls könne er sich nicht vorstellen, dass seine Abgeordneten einem Bündnis von Kommunisten, Sozialisten und den grün-woken Freunden einer Sandrine Rousseau beitreten werden. Das ist ein gewisser Unterschied zu Buntland, wo ja auch die Koalitionen nicht bunt genug sein können.

In Bardellas Programm gibt es zwei Handlungsphasen, die er für die Zeit nach der Wahl ankündigt, falls er zum Premier gewählt werden sollte. Direkt nach Wahl gibt es eine „Phase der Dringlichkeit“, bevor dann die „Phase der Reformen“ folgen soll. Noch im Juli, direkt nach der zweiten Runde der Wahlen am 7. jenes Monats, will Bardella die Mehrwertsteuer auf Energieträger senken und dabei sicherstellen, dass diese Steuersenkung auch effektiv ist und bei den Verbrauchern ankommt.

Etwas langfristiger („Phase der Reformen“) dürfte die Neuaushandlung der Strompreise auf europäischer Ebene angelegt sein, die Bardella ebenfalls plant – und das könnte schlecht ausgehen für Deutschland. Ein zufälliger Tag des „Decoupling“ an den Strommärkten endete für Deutschland mit stark erhöhten Strompreisen.

Kein Pardon mehr für minderjährige Straftäter

Im Strafrecht will der RN die Bestrafung von Minderjährigen an das normale Strafmaß angleichen. Das getrennte Jugendstrafrecht (die „excuse de minorité“) soll ersatzlos gestrichen werden. Das ist allerdings keine exklusive Forderung des RN, auch einige Republikaner fordern dasselbe; der amtierende Premier Gabriel Attal will die Aufhebung zumindest in bestimmten Fällen. Gemäß dem RN soll es kurze Haftstrafen für Minderjährige geben. Daneben soll es neue Mindeststrafen für Wiederholungstäter, für Drogenhandel und für Angriffe auf Personen, die einen öffentlichen Auftrag erfüllen (Polizei, Feuerwehr, Sanitäter) geben. Eltern jugendlicher Wiederholungstäter sollen Sozialleistungen gestrichen werden.

In einem neuen Immigrationsgesetz soll das Geburtsortprinzip (Ius soli) abgeschafft und der Familiennachzug eingeschränkt werden. Gemäß dem neuesten öffentlichen Vorschlag des RN sollen Doppelstaatler daran gehindert werden, „äußerst sensible Stellungen“ zu bekommen. Das könnte etwa für Posten im Verteidigungsbereich gelten. Als Beispiel wird die Anstellung eines französisch-russischen Doppelstaatlers gegeben, aber es wird noch andere Anwendungen geben. Dieser Vorschlag wäre ein erster vorsichtiger Schritt auf dem Weg zur „préférence nationale“, der Bevorzugung von französischen Bürgern durch die Regierung auf verschiedenen Feldern. Er erregte denn auch umgehend Widerspruch.

Im Herbst soll dann die Rente mit 60 Jahren für alle, die vor ihrem 20. Lebensjahr zu arbeiten begannen und 40 Jahre gearbeitet haben, wiedereingeführt werden. Der Plan des RN sieht hier eine konsequente Staffelung nach Arbeitsjahren vor.

„Big bang der Autorität“ und ein Staatsfonds gegen „Heuschrecken“

An den Schulen des Landes soll es einen „Big bang der Autorität“ geben, mit dem generellen Verbot von Handys an allen Schulformen, dem obligatorischen Siezen der Lehrer und der möglichen Einführung von Schuluniformen.

Die Bedeutung der Energieausweise beim Verkauf und Vermieten von Immobilien soll eingeschränkt werden. Gehaltserhöhungen von bis zu zehn Prozent sollen bei niedrigen Gehältern (bis zum Dreifachen des Mindestlohns) für den Arbeitgeber abgabenfrei bleiben.

Wirtschaftspolitisch bleibt das Programm daneben eher schlank, auch konkrete Ziffern hat man weggelassen, wie vereinzelt kritisiert wird. Aber eine geplante Wirtschaftsmaßnahme gibt es doch: Bardella will einen neuen Staatsfonds in Höhe 500 Milliarden Euro auflegen und damit eine moderne Form des Protektionismus einführen, eine Art „Frankreich-AG“ am Leben halten, was nicht per se schlecht sein muss. Bürger werden in den Fonds investieren können, das Geld soll zum Wohl der französischen Industrie eingesetzt werden. Marine Le Pen verspricht sich davon einen besseren Schutz vor Hedgefonds und ähnlichen Heuschreckenplagen.

An öffentliche Unruhen im Falle seines Einzugs in den Amtssitz des Premiers, das Hôtel Matignon, glaubt übrigens Bardella nicht. Das sei „das Argument unserer Gegner in einer Strategie der Angst“. Wohl aber könnte es die übliche „Parade der Demonstrationsfachleute“ geben, hängte er ironisch an, „so wie jedes Mal“. Diese Versuche würden aber sporadisch und ohne großes Schädigungspotential bleiben. Das Rassemblement national plant offenbar einen Regierungsantritt der Rekonstruktion. Mit konkreten, mehrheitsfähigen Vorschlägen wird man versuchen, den Gegnern die Argumente zu nehmen. Es dürfte trotzdem kein leichter Weg werden, weder vor der zweiten Wahlrunde noch danach.

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Kommentare ( 3 )

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Niklot
1 Tag her

Mich würde mal interessieren, wie die Franzosen es schaffen, innerhalb von drei Wochen, eine Wahl zu organisieren. Und wie funktioniert die Kandidatenaufstellung etc.?

JM
1 Tag her

Die beste Darstellung der Entwicklung in Frankreich, die ich bisher in der deutschen Presse gelesen habe, alle Achtung. War selbst kürzlich ein paar Tage in Frankreich und habe vor allem den sang froid der Franzosen bewundert. Ausserhalb der Metropolen interessiert sich dort absolut niemand für das hysterische Faschismus-Gekeife der Islamgauchisten und jede Palästina-Flagge, die in Paris geschwungen wird, bringt dem RN neue Wähler. Le Pen und Bardella sind aus ganz anderen Holz geschnitzt als etwa Meloni und insbesondere ihre energiepolitischen Vorstellungen werden die gründeutsche Blasenwelt ordentlich durchrütteln. Als Atommacht hat man auch weniger Hemmungen Grünlands EU-Hegemonie erheblich härter Paroli zu… Mehr

Michaelis
2 Tage her

Phantastisches Programm – in der alemannischen Buntenrepublik leider unvorstellbar. Hier gibt es einfach zu viele hysterischen und irrational-affektiven Dumpfbacken!!