Dem Parteichef der Republikaner wird vorgeworfen, heimlich einen Pakt mit dem Rassemblement national (RN) ausgehandelt zu haben. Marion Maréchal soll über ihren Parteichef Zemmour gelogen haben. Le Pen und Bardella sitzen im Auge des Sturms und zeigen sich bereit für die Regierungsübernahme.
Nun hat die große Verwirrung fast das gesamte rechte Lager in Frankreich ergriffen, während nur das Rassemblement national (RN) als Auge des Taifuns ruhig bleibt. Die Spitzenvertreter der Mitte-rechts-Partei Les Républicains (LR) haben in einem obskuren „politischen Büro“ beschlossen, den Parteichef Éric Ciotti abzusetzen, um das von diesem verkündete Wahlbündnis mit dem Rassemblement zu hintertreiben.
Doch Éric Ciotti ließ sich kurz nach 11 Uhr an einem Fenster der Parteizentrale der Républicains (LR) blicken und gab ein Interview von dort: Er habe Zugang zu fast allen Räumen und sei bei der Arbeit, rief er den Journalisten aus dem ersten Stock zu. Doch seine Gegner aus der Führungsebene der Partei wollen noch eine zweite Abstimmung abhalten, um seinen Parteiausschluss definitiv zu machen. Im ersten „politischen Büro“ der hohen Kader war der Parteiausschluss Ciottis anscheinend einstimmig beschlossen worden. Der Ausgeschlossene will gegen den Beschluss vor Gericht ziehen. Jenes „politische Büro“, das die Entscheidung fällte, gebe es laut Parteistatuten nicht.
Nun wollen die Meuterer zudem „mehr als ein Viertel der Unterschriften“ der Amtsträger aus der Partei im ganzen Land gesammelt haben. Diese Zahl soll besagen, dass die „Kader, Aktivisten und Mitglieder“ ein Abkommen mit dem RN „nicht unterstützen“. Aber Zweifel erscheinen angebracht. Eine neue Umfrage im Auftrag des Figaro hat ergeben, dass die Hälfte der LR-Sympathisanten der Idee eines Paktes mit dem Rassemblement national (RN) zustimmen. Auch Ciotti glaubte wohl daran, dass eine Mehrheit der Mitglieder und Aktivisten ihn unterstützen würde. Sonst hätte er nicht die geheimen Unterhandlungen mit RN vorangetrieben. Auch der Anführer der LR-Jugend hat sich hinter Ciotti gestellt.
Die Unterstützung für Ciotti dürfte in der Provinz (vor allem im östlichen Streifen von den Vogesen bis zur Mittelmeerküste) größer sein als in der Hauptstadtregion. Aber in und um Paris schwächeln die Républicains ohnehin. Auch eine Begründung Ciottis für seine Handlung ist interessant: Er will die Republikaner wieder zu einer „handelnden und kohärenten Partei“ machen. Andernfalls sehen auch Beobachter die Konservativen ohne Rolle auf der nationalen Bühne, als reinen Verband von Regional- und Lokalfunktionären.
Zemmour wirft Maréchal aus seiner Partei
Auf der anderen Seite des RN wurde Marion Maréchal, die Nichte Marine Le Pens, von Éric Zemmour aus seiner jungen Partei Reconquête (R!) geworfen. Die EU-Spitzenkandidatin nahm es zur Kenntnis. Inzwischen behauptet aber auch sie, die Mehrheit der Parteimitglieder unterstütze ihre Position. Reconquête hebt sich vom RN vor allem durch eine deutlichere Islamkritik ab. Parteigründer Zemmour warf Maréchal und zwei ihrer Vertrauten vor, öffentlich zu lügen, vor allem über seinen angeblichen Unwillen, die Einheit der Rechten herzustellen. Ein Bruch zwischen den beiden Aktivisten war schon bei der Wahlparty aufgeschienen, von der Maréchal sehr früh verschwand. Doch warum betraute Zemmour sie dann noch einmal mit der Mission beim RN?
Zemmour teilte nun mit, dass er sich die Einigung mit dem RN „sehnlichst gewünscht“ habe. Der Konflikt scheint sich um die Zahl der Reconquête-Kandidaturen zu drehen. Zemmour soll darauf bestanden haben, so viele eigene Kandidaten wie möglich bei den kommenden Neuwahlen aufzustellen. Maréchal war bereit, auf eigene Reconquête-Kandidaten ganz zu verzichten. Die Sympathisanten sollten schon in der ersten Runde für das Rassemblement stimmen: „Angesichts der Koalition Macrons und jener der extremen Linken darf das nationale Lager nicht länger gespalten sein.“
Es ist die schiere Stimmengewalt des RN, die derart zwei direkt angrenzende im weitesten Sinne konservative Parteien zerreißt. Auch daraus kann man lernen, dass diese Parlamentswahl in Frankreich sehr ernst genommen wird. Selbst wenn es darin nicht um das höchste und machtvollste Amt im Staate – die Präsidentschaft – geht, wird diesen Wahlen ein entscheidender Einfluss auf die kommende Entwicklung zugebilligt. Die Einheit der Rechten kam (noch) nicht zustande. Bei den Républicains ist der Weg noch offen.
Le Pen: Nach der Wahl werden wir unser Programm umsetzen
Das RN hat derweil ein erstes eigenes Programm für eine kommende Regierung von Jordan Bardella aufgestellt. Überschrift: „Für eine nationale Einheitsregierung mit Bardella als Premierminister“. Dabei sind noch keine Vorstellungen anderer Bündnispartner aufgenommen.
Festzustellen bleibt, dass Marine Le Pen und Jordan Bardella diese Neuwahlen seit langem forderten und sie einem widerstrebenden Macron abrangen. Paradoxerweise ist es aber für die Lepenisten dabei weniger wichtig, ob sie am Ende den Zuschlag für eine Regierungsbildung bekommen werden. Das hängt ohnedies von vielen Faktoren ab. Aber die Nationalen präsentieren sich nun schon einmal als regierungstauglich. Marine Le Pen sagte, ihre Bewegung sei „bereit, die Macht auszuüben, wenn die Franzosen uns das Vertrauen schenken“. Das RN will dann sofort gemäß seinem eigenen Programm regieren, vor allem in Fragen der Kaufkraft, der inneren Sicherheit und der Zuwanderung. Ein großes Referendum zur Beherrschung der Einwanderung sei gleichwohl erst möglich, nachdem sie selbst die Präsidentschaft übernommen habe. Bis dahin gehört die Außen- und Verteidigungspolitik noch Macron.
Zweifel daran scheinen andernorts aufzukommen, aber sofort wieder zurückgedrängt zu werden. So sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Ich erwarte, dass Frankreich auch in Zukunft ein starker und wichtiger Verbündeter bleibt. Die Erfahrung zeigt, dass es den NATO-Verbündeten immer gelungen ist, unabhängig von den verschiedenen Regierungsparteien und den unterschiedlichen Mehrheiten in den Parlamenten zusammenzubleiben.“ Derzeit ist Macron ja eher Antreiber in Sachen Ukraine, hat jüngst erst eine „Koalition der Willigen“ zu einer Ausbildungsmission ohne Deutschland vorangetrieben. Das Projekt „Truppen in die Ukraine“ wird vorerst auf Macrons Agenda bleiben, vielleicht sogar über eine Regierungsbildung unter Bardella hinweg.
Demonstrationen gegen Bardella/Le Pen könnten ihnen nützen
Das Macron-Lager setzt in dem kommenden kurzen Wahlkampf ganz auf ein Zusammenzucken des Landes „gegen die Extreme“. Premierminister Gabriel Attal zeigte sich traurig, dass die Sozialisten erneut mit dem extrem linken „Aufsässigen Frankreich“ (La France insoumise, LFI) zusammengehen wollen. Innenminister Darmanin gibt Auskunft, dass er im Zweifel weder für einen Kandidaten des RN noch der linken „Neuen Volksfront“ stimmen werde. Und Finanzminister Bruno Le Maire will „wie ein Löwe kämpfen“.
Das Macron-Bündnis „Ensemble“ liegt derzeit abgeschlagen auf dem dritten Platz (16 bis 19 Prozent). Die Führung in den Umfragen hat eindeutig das Rassemblement mit bis zu 35 Prozent, danach folgt die linke „Volksfront“ mit zuletzt 28 Prozent. Es bleibt dabei, dass keine der drei Formationen allein eine Mehrheit hat. Die zweite Wahlrunde wird dann entscheiden und – bei angenommener Enthaltung der Macronie – tendenziell zu einer Mehrheit für das RN führen. Aber auch das ist noch keineswegs sicher. Die Allianz mit den Republikanern (derzeit bei acht oder neun Prozent) würde diese Wahrscheinlichkeit natürlich steigern. Die sich ankündigende Spaltung der Republikaner in der Frage könnte hier zu einem halbierten Effekt führen.
Derweil verwandeln sich die Demonstrationen gegen das Rassemblement immer wieder in halbe Gewaltausbrüche. Von Bürgern und Beobachtern werden sie immer wieder als Argumente für die Wahl der Le-Pen-Partei angesehen. Bei einer Regierungsübernahme könnte es zu ernsthafteren Störungen kommen. Aber das Personal dieser annähernd gewaltsamen „Proteste“ gegen eine Oppositionspartei dürfte in Frankreich begrenzt sein. Auch diese Klientel – und mehr noch die der Vorstädte – müsste eine Regierung Bardella allerdings in ihr Kalkül ziehen.
In Brüssel freuten sich Le Pen, Geert Wilders und Matteo Salvini gemeinsam über die Neuwahlen, dankten Macron für seine Entscheidung und bedauerten sogar ein wenig sein (erwartetes) Ausscheiden. Es sei ein guter Tag, sagt einer in der Runde. Dazu Wilders: „Dank Macron.“ Ein anderer meint: „Dank Marine.“ Wilders: „Ein guter Feind.“ Worauf Le Pen versetzt: „Er wird uns fehlen.“
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Wie man sehen kann, laufen in Frankreich im rechten Spektrum die selben Hahnen- bzw. Hennenkämpfe ab wie in Deutschland. Das liegt am politischen System, was Mehrheiten benötigt, damit man überhaupt erst in Regierungsverantwortung kommen kann, um die politische Richtung im Land dann erst zu ändern. Manche politische Akteure sehen ihre Strategie als allgemeingültig und weichen nicht davon ab. In manchen Fällen ist das vielleicht sogar richtig. Aber: Das nützt überhaupt nichts, wenn man diese Strategie in der Opposition hat. Man muss aufgrund des auf Mehrheiten basierenden Systems ja erst mal von genug Menschen gewählt werden, bis man seine Strategie überhaupt… Mehr
Die „Verwirrspiele“ dürfen weitergehen, der hinten rauskommende Sumpf ist gleich, nur der Gestank halt ein bisserl unterschiedlicher. Ob rot, grün, gelb, schwarz, blau oder braun, sie alle werden den Menschlein, in vorauseilendem Gehorsam Psychopathen gegenüber das Leben, die Zukunft versauen.
In Frankreich geht´s rund. Der Republikanerchef Ciotti wird von Putschisten aus seiner Partei rausgeworfen, weil er mit Le Pen ein Wahlbündnis machen will. Ob dieser Rauswurf endgültig ist, scheint ungewiss. Marion Marcheal die Enkelin vom Le Pen senior, dem Parteigründer des FN wird von Zemmour dem Chef der Reconquette, rechts von dem RN, rausgeworfen. Ob diese wieder mit ihrer Tante Marine zusammengeht, wird man sehen. Ein munteres Treiben. Alles rüttelt und schüttelt sich. Ob die Rechnung Neuwahlen von Macron aufgeht oder ob er scheitert wie Napoleon im Gebiet des Todes an der Beresina, steht demnächst auf dem Spielplan der Bühne… Mehr
Ich kann ja verstehen, dass die Franzosen genug von ihrer gegenwärtigen Regierung haben. Aber ein 28-jähriger Ministerpräsident hat einfach noch keine Lebenserfahrung.