Nach Frankreichs Parlamentswahlen: Macron ist angeschlagen

Das Wahlbündnis Macrons schlittert knapp an einer Niederlage im ersten Wahlgang vorbei. Seinem linken Rivalen Mélenchon scheint die Rolle des (außerparlamentarischen) Oppositionsführers sicher zu sein. Aber weniger als die Hälfte der Franzosen wählten überhaupt. Die Spaltung des Landes liegt offen zutage.

IMAGO / PanoramiC
Emmanuel Macron, Präsident der Französischen Republik

Die erste Runde der französischen Parlamentswahlen ging knapper aus als erwartet. Damit bestätigten sich die Befürchtungen des Macron-Lagers und die Hoffnungen von Jean-Luc Mélenchon zu gleichen Teilen. Das von Mélenchon angeführte linksgrüne Bündnis NUPES – die „Neue ökologische und soziale Volksunion“ – landete nur knapp hinter dem Präsidentenbündnis „Ensemble“. Gut 21.000 Stimmen trennen die beiden Allianzen, die jeweils ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnten. Es folgen Marine Le Pens Rassemblement national (RN) mit 18,68 Prozent und die konservativen Républicains (LR, 11,29 Prozent). Die neue, von dem Journalisten Éric Zemmour gegründete Partei Reconquête (R!) kam als größte der Kleinparteien auf 4,24 Prozent.

Kurz vor der Wahl hatte man in fast schon üblicher Manier vor einer Niederlage des Wahlbündnisses „Ensemble“ gewarnt, das den Präsidenten unterstützt. Man konnte darin auch Anstrengungen zur Mobilisierung der eigenen Wählerbasis ansehen, nach dem Motto: Eine linke Mehrheit im Parlament und damit vielleicht ein linkssozialistischer Premierminister müssen verhindert werden.

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In den jüngsten Umfragen hatte sich ein leichter Anstieg und dann eine Stabilisierung für das Macron-Bündnis angedeutet, während NUPES sich nicht auf seinem anfänglichen, sicher auch medial befeuerten Höhenflug (bis zu 33 Prozent) halten konnte – man denke nur an hiesige Höhenflüge von SPD und Grünen. Die konservativen Républicains konnten in Umfragen vor der Wahl eher dazugewinnen. Dagegen verloren Le Pens RN und Éric Zemmours „Reconquête“ etwas an Zuspruch, vermutlich aufgrund der Polarisierung zwischen Macron und NUPES, die die Polarisierung zwischen Macron und Le Pen ersetzte. Für den zweiten Wahlgang rechnen Beobachter damit, dass das Macron-Bündnis eine Mehrheit der Sitze erringen kann. Allerdings ist alles andere als klar, dass es sich um eine absolute Mehrheit handelt.

Mélenchon glaubt nicht an die Prognosen

So könnte auch das Wort von der „präsidentiellen Mehrheit“ neu definiert werden. Vielleicht wird es also eine „präsidentielle Mehrheit plus X“ geben, wobei das X die Républicains, wahrscheinlicher aber die Sozialisten oder Grünen sein könnten. Seine Bündnispartner Modem und Horizons vom Ex-Premier Édouard Philippe wird Macron ohnehin für die Regierungsarbeit brauchen. Die Zeit des neuen Sonnenkönigs im Élysée-Palast könnte also so oder so vorbei sein.

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Eine Rolle scheint Jean-Luc Mélenchon damit schon sicher: die des Oppositionsführers, und das obwohl er gar keinen Sitz im Parlament erringen kann, da er selbst in keinem Wahlkreis angetreten ist. Damit haben der linksorientierte Teil der Gelbwesten, aber auch viele sich unterdrückt fühlende Minderheiten künftig eine laute Stimme inner- wie außerhalb des Parlaments. Das politische Klima dürfte sich dadurch weiter verschärfen. Mélenchon sprach von einer klaren Niederlage der Präsidentenpartei („geschlagen, erledigt“). Er gibt freilich nichts auf all jene Projektionen und Prognosen, die er als pure „Illusion“, Blendwerk also abtut. Mélenchon rief „alle Patrioten“ dazu auf, gegen die Macron-Kandidaten von „Ensemble“ zu stimmen.

Diese Projektionen der Wahlforscher gehen von rund 300 Sitzen für die Macron-Parteien aus, während NUPES rund 200 Abgeordnete zugetraut werden. Es würden dann die Républicains mit rund 50 Sitzen folgen, die sich demgemäß gegenüber ihrer Schlappe bei den Präsidentschaftswahlen leicht erholen könnten.

Für das RN bleiben diese Projektionen am unsichersten. Lange hatte es bei verschiedenen Wahlforschungsinstituten geheißen, dass zwischen 20 und 60 Sitze für die Le-Pen-Partei möglich seien. Nun ist die Rede von einem knappen Gewinn der Fraktionsstärke, die ab fünfzehn Abgeordneten beginnt. Schuld wäre wohl erneut die „republikanische Front“, die jedem RN-Kandidaten – natürlich auch Le Pen selbst – bevorsteht.

Le Pens Kandidaten gegen eine Front der Ablehnung

Marine Le Pen errang in ihrem Wahlkreis eine Mehrheit von 55 Prozent der Stimmen und ist damit für den zweiten Wahlgang gesetzt. Dagegen konnte Éric Zemmour in seinem Wahlkreis 23 Prozent der Stimmen erringen und ist damit aus dem Rennen. Jean-Luc Mélenchon sparte sich die Mühe einer Kandidatur und will dennoch nach wie vor das Premierministeramt von Macron entgegennehmen. Geschlagen wurde auch der anti-woke Ex-Bildungsminister Jean-Michel Blanquer, der die Wahl allerdings anfechten will. Sein Gegner von der NUPES habe mehrere Regeln rund um die Wahl gebrochen. Die meisten Stimmen im Wahlkreis Loiret im Zentrum des Landes errang allerdings der RN-Kandidat.

Der Vorsitzende der Macron-Partei LREM/Renaissance, Stanislas Guérini, hat gar zur Wahl der Linksgrünen in Le Pens Wahlkreis Pas-de-Calais aufgerufen. Auf Twitter schrieb er: „Wir sollten sehr klar sein: Nicht eine Stimme für den RN.“

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Einen neuen Rekordwert erreichte unterdessen die Wahlenthaltung, die bei satten 52,5 Prozent lag. Nicht einmal die Hälfte der Franzosen machte von ihrem Wahlrecht Gebrauch. 2002 waren in der ersten Runde noch 64 Prozent zur Wahl gegangen, seitdem fiel die Beteiligung kontinuierlich. Auch bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen war die Beteiligung die niedrigste seit 1969 gewesen, lag aber in beiden Wahlgängen bei etwas über 70 Prozent.

Der Präsident selbst wird in dieser Woche eine Reise nach Moldau und Rumänien unternehmen, vermutlich um – auch das schon Gewohnheit – seine internationale Rolle in die Waagschale zu werfen. Das dürfte sein bester Beitrag zum Wahlkampf von „Ensemble“ sein. Doch wo er sich auch befindet, am nächsten Sonntag wird auch über die Machtkonstellation seiner zweiten Amtszeit als Präsident entschieden werden. Am meisten würde ihm wohl ein einfaches Weiter-so entsprechen. Auch über einem Parlament ohne Mehrheit kann ein Sonnenkönig thronen, vielleicht sogar umso besser.

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Kommentare ( 3 )

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EinBuerger
2 Jahre her

Die große Unbekannte ist Mélenchon. Eigentlich müsste das Establishment hier ihn lieben, da er sehr sehr weit links ist.
Andererseits ist er aber auch nicht gerade EU-freundlich, ist gegen die NATO, fast schon ein Putinversteher, …
Es könnte aber sein, dass er bei den Punkten, die dem linken Establishment in Frankreich und der EU gar nicht gefallen, seine Position ändert und dann wäre er wieder kompatibel mit dem linken Establishment.
Grundsätzlich glaube ich, dass seine Basis eine Mischung aus Islam und Linkentum ist.

Elki
2 Jahre her

„Aber weniger als die Hälfte der Franzosen wählten überhaupt. Die Spaltung des Landes liegt offen zutage.“ – Aber nicht nur in Frankreich und insbesondere in Mitteleuropa, den wirtschaftlich stärksten Ländern in einer EU, die vor allem auch Demokratie in Europa repräsentieren soll. Was glauben die Bürger?

Juergen Waldmann
2 Jahre her

Die Energiewende spaltet die Bevölkerung in allen EU Staaten , denn die Menschen müssen erleben , dass fast alle Parteien auf den Grünen Zug aufgesprungen sind . Ohne Wohlstandsverlust der breiten Masse der Bevlökerung , ist es aber bisher keinem Politiker gelungen , eine Lösung zu finden . Besonders hart trifft es den Bevölkerungsteil , der jetzt schon , nur mit mehreren Billigjobs über die Runden kommt . Urlaubsreisen werden unerschwinglich , der Wohlstand für alle , das war schon jetzt unerreichbar und wir es bleiben !