Europa in alten Strategien gefangen, USA steuern radikal um

Vor dem Ersten Weltkrieg haben europäische Länder entschieden, was mit dem Rest der Welt geschah. Hundert Jahre später entscheidet der Rest der Welt, was mit Europa passiert. Was ist los?

IMAGO / Newscom World

Dreißig Jahre europäischer Bruderkriege (WW1 und WW2) erschöpften Europa und stuften unseren Status auf der Weltbühne herab. Eine bipolare Weltordnung, in der die marxistische UdSSR und die kapitalistischen USA regierten, war geboren. Politisch, militärisch und wirtschaftlich wurden die europäischen Länder entweder im kapitalistischen oder kommunistischen Einflussbereich gefangen.

Mit dem Zusammenbruch des kriminellen Systems des Kommunismus 1991 endete diese Situation. Von diesem Zeitpunkt an sollte es nur noch eine Supermacht geben, die entschiede, was in der Welt passiert: die USA. Die unipolare Weltordnung war geboren. Eine Ordnung, die der amerikanischen Agenda der Globalisierung folgte: Multikulturalismus (sozial), Freihandel (Wirtschaft), Demokratie und Nationenaufbau (politisch).

Es endete mit einem Schock. Der islamische Terrorismus (seit 2001) lehnt die soziokulturelle Weltsicht der USA radikal ab. Die Finanzkrise von 2008 zeigte die Instabilität des globalen Hyperkapitalismus. Der Aufstieg Chinas bewies, dass Wohlstand auch ohne Demokratie und freie Marktwirtschaft möglich war. Die USA verstehen, dass die Zeit der unipolaren Hegemonie vorbei ist und wir in einer multipolaren Weltordnung angekommen sind, die aus mehreren Machtzentren besteht.

Deshalb scheinen die USA einen radikalen Bruch mit ihrer Außenpolitik der letzten Jahrzehnte zu machen. Die europäischen Eliten verstehen das anscheinend noch nicht oder wollen es nicht verstehen. Sie klammern sich an die alte US-Agenda, auch wenn die USA selbst nicht mehr an ihr festhalten. Die Folgen sind nichts weniger als katastrophal.

Die Implosion der UdSSR schuf ein Machtvakuum in Osteuropa, das von der EU und der NATO gefüllt wurde. Zuerst in Georgien (2008) und dann in der Ukraine (seit 2014) zeigte Russland, dass es die Mittel, den Wunsch und den Willen hat, das zu verteidigen, was es als seine lebenswichtigen Interessen ansieht. Der Westen reagierte mit Wirtschaftssanktionen und 350 Milliarden Euro an Militär- und Finanzhilfe für die Ukraine.

Diese Maßnahmen hatten keine fundamentalen Auswirkungen für die Wirklichkeit auf dem Schlachtfeld. Die Politik entscheidet jetzt. Deshalb bewegen sich die USA auf russische Bedingungen für die Friedensverhandlungen in Riad zu: ukrainische Neutralität und keine NATO-Mitgliedschaft. Die EU, die sich drei Jahre lang völlig weigerte, diplomatische Instrumente einzusetzen, zetert sich nun darüber, nicht am Verhandlungstisch zu sitzen. Gleichzeitig reklamierte die EU mit viel Prestige nichts weniger als totalen militärischen Sieg und Regimewechsel in Russland – auch wenn die europäischen Länder nicht bereit waren, eigenes Militär zu entsenden. Darüber hinaus beweisen ihre jahrzehntelangen Ausgaben für eine unterdurchschnittliche Verteidigung, dass sie die russische Bedrohung nicht zu ernst nehmen, trotz ihrer Rhetorik von feindlichen Panzern, die in naher Zukunft Brüssel einnehmen.

Die USA wollen nun die Kosten ihres außenpolitischen Einsatzes in der Ukraine der europäischen Führung übertragen, die das dankbar zu akzeptieren scheint. Die USA machen nebenbei ihr Interesse an ukrainischen Bodenschätzen deutlich, während die EU unbeholfen danebensteht. Obendrein liefern die USA, was die einen Handelskrieg und 25 Prozent Zölle für EU-Produkte nennen, während ein europäischer Regierungschef nach dem anderen Washington DC besucht, um sozusagen den Ring zu küssen. Die EU demonstriert ihre Ratlosigkeit grandios. Außenminister Marco Rubio empfängt nicht einmal EU-Kommissar Kaja Kallas.

Seit Jahrzehnten werden europäische Eliten ausgewählt, gebildet und in einem atlantischen ideologischen Rahmen gefördert. Dieser Rahmen beruht nicht auf geteilten moralischen Werten, sondern auf der Grundlage der amerikanischen Interessen. Diese Interessen sind nicht immer die Interessen der europäischen Länder. Der sogenannte Freie Westen aus der Ära der bipolaren Welt existiert nicht mehr. Theoretische Konzepte aus der unipolaren Welt, von Fukuyamas End of History bis Huntingtons Kampf der Kulturen, sind völlig veraltet und bilden keinerlei Anleitung für die Welt von heute, geschweige denn für die Welt von morgen.

Die Amerikaner haben die multipolare Realität akzeptiert und begonnen, die logischen Schlussfolgerungen für die Außenpolitik zu ziehen. Es ist an der Zeit, dass wir dasselbe in Europa tun.

Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen auf die eine oder andere Weise Frieden für die Ukraine finden und eine neue Art von Verteidigungsarchitektur für Europa. Das bedeutet, dass wir irgendwann unsere Beziehungen zu Russland normalisieren müssen, insbesondere bei Handel und Energie. Je länger wir uns in vergangenen Strategien verstricken, desto höher sind die humanitären und finanziellen Kosten sowohl für die Ukraine als auch für uns selbst. Zweitens ist es wichtig und vordringlich, in unsere eigenen Verteidigungskapazitäten und Industrien zu investieren. Und dies nicht auf der Grundlage des atlantischen Denkens, sondern eines eurozentrischen Machtzentrums, das die wesentliche Voraussetzung für die Verteidigung unserer geostrategischen Interessen ist. Die Art und Weise, wie der belgische Verteidigungsminister Theo Francken mit dem Schwanz wedelt, um mehr amerikanische F-35 zu bestellen, ist ein Hinweis auf Belgiens Ohnmacht. Schließlich müssen wir wieder anfangen, in Realpolitik zu denken, anstatt das moralistische liberale und utopische Denken fortzusetzen, das die EU auszeichnet.

In einer multipolaren Welt werden die USA immer ein Verbündeter bleiben. Europa muss jedoch in der Lage sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür ist die EU nicht das richtige Instrument, wir müssen unsere Souveränität und nationale Dynamik wiederherstellen für eine Renaissance unserer europäischen Zivilisation.


Tom J.P. Vandendriessche ist belgisches Mitglied des EU-Parlaments für Vlaams Belang, Patrioten für Europa

Der Beitrag ist zuerst bei Brussels Signal erschienen.

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Kommentare ( 57 )

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Del. Delos
3 Monate her

Ihr Zitat: „Der Aufstieg Chinas bewies, dass Wohlstand auch ohne Demokratie und freie Marktwirtschaft möglich war.“ Sie haben die FREIHEIT vergessen. Der chinesische Wohlstand ist NUR möglich geworden, weil man den dortigen Menschen die FREIHEIT nahm… die Freiheit, selbst zu entscheiden… sowie auch alle anderen Freiheiten. Den Entzug der FREIHEIT darf man niemals vergessen, denn es ist ein außerordentlich hoher Preis, den man in JEDEM sozialistischen System bezahlen muss, egal, wie modern dieses System sich nach außen gibt. Damit die Menschen diese bittere Pille leichter schlucken, tat man, was man immer tut, wenn man ein totalitäres System errichtet und verteidigt:… Mehr

Last edited 3 Monate her by Del. Delos
giesemann
3 Monate her

Niemand bindet sich freiwillig ein Entwicklungsland ans Bein! Ich hoffe, Sie haben recht. Bislang rennen sie alle zu uns oder in die, USA wie die Vergifteten, während kein Schwein nach Russland, nach Islam, China, Indien oder Afrika giert. Zumindest, bis sie uns versaut haben.

Apfelmann
3 Monate her

Es ist schon bemerkenswert wie Trump nun sein eigenes Volk abzockt. IPohnes werden sich durch die ChinaZölle für den amerikanischen Kosumenten im Preis verdoppeln!!!! Das heisst jeder Ami der sein neues IPhone kaufen will zahlt mehr als die Hälfte des Preises Steuern an den Staat. Kaum zu glauben…..

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Apfelmann

Apple investiert in den USA – vielleicht bauen sie die Dinger ja dann dort bald selbst? https://www.apple.com/newsroom/2025/02/apple-will-spend-more-than-500-billion-usd-in-the-us-over-the-next-four-years/

Nibelung
3 Monate her

Die Europäer werden niemals zusammen finden, weil sie historisch betrachtet noch nie eins waren und die Kriege untereinander sich wie Perlen an der Schnur aufreihten und die Zwangsvereinigung durch das Kunstprodukt Brüssel wird an diesem Zustand auch nichts ändern, weil es einfach anders ist, als bei den Amis, den Russen und den Chinesen ist, welche die Weichen der Zentralverwaltung schon viel früher gelegt haben und deswegen auch nichts anderes kennen, während bei uns die Animositäten wie Nebel über uns liegen und nur hie und da mal die Sonne durchkommt, in falscher Vorstellung, es könnte doch noch klappen, aber nicht mit… Mehr

Del. Delos
3 Monate her
Antworten an  Nibelung

Sie übersehen, dass diese Kriege niemals durch die Bürger der Länder begonnen wurden, sondern IMMER durch ihre „Eliten“, die sie geschickt aufstachelten und für ihre Zwecke einzusetzen wussten. Das ist auch heute nicht anders. Würde man die VÖLKER darüber abstimmen lassen, ob sie einen Krieg gegen die Bürger im Land XY führen möchten, dann würde die Antwort garantiert NEIN lauten… und zwar mehrheitlich. Die Bürger sämtlicher europäischer Länder würden sich prima verstehen und ihre Konflikte auf alle erdenkliche Weisen lösen – bloß nicht mittels Krieg. Aber natürlich lässt man die Völker nicht über so etwas Wichtiges abstimmen. Man sorgt lieber… Mehr

Last edited 3 Monate her by Del. Delos
GermanMichel
3 Monate her

Vielleicht sollte man diese ganzen Betrachtungen mal neu denken. Also nicht immer „die Amerikaner“, „die Europäer“, meistens waren die Eliten der größte Feind der eigenen Leute.

Sieht doch oft mehr aus wie „das Geldwesen“ gegen die produktiven Völker.

Thomas
3 Monate her
Antworten an  GermanMichel

Das gilt doch für alle Länder.

Thomas
3 Monate her

Im Gegensatz zu den meisten Rechtskonservativen haben die D und EU Woken erkannt, daß die USA kein „Freund“ mehr sind und nur noch pro Forma ein Verbündeter. Die USA sind jetzt ebenso ein Konkurrent wie Russland, China und andere Mächte.
Amerika first wird ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen und DEuropa muss sich endlich von den USA emanzipieren und eine Äquidistanz zu allen Mächten herstellen.
Ami go home.

Del. Delos
3 Monate her
Antworten an  Thomas

Einverstanden. Aber nur durch souveräne Politik, die sich an den Interessen der jeweiligen europäischen Länder orientiert und NICHT an einer herrschsüchtigen, imperialen EU mit lauter mehr oder weniger totalitären Institutionen, deren Personal nie gewählt wurde und das unkontrollierbar ist.
Alles andere, wie z.B. eine „immer tiefere EU“ mündet in einem totalitären Kostrukt, das wegen dem darauf folgenden Unwillen der Bürger nur mit immer restriktiveren Maßnahmen durch die herrschende „Elite“ zu verteidigen wäre. So etwas würde eher früher als später in einen europäischen Bürgerkrieg (Bürger gegen herrschende „Elite“) führen.

Haeretiker
3 Monate her

„Europa muss jedoch in der Lage sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür ist die EU nicht das richtige Instrument, … “ Die einzig verwertbare Bemerkung. Aber warum erst jetzt? Den Zusammenbruch des Ostblocks interpretierte der Westen als Sieg und sedierte sich damit selbst. Denn mit diesem Zusammenbruch verschwanden ja nicht die Menschen, die der Autor ja als Subjekte eines untergegangenen kriminellen Systems (eine steile These) sieht. Aber nehmen wir das mal als wahre Aussage hin. Wo sind die Kriminellen geblieben? Ist die Kallas selbst nicht Tochter eines hohen Sowjetbeamten? Hat der Westen nicht 35 Jahre lang in bester Symbiose… Mehr

gladius
3 Monate her

Ich werde niemals akzeptieren, dass die deutsche nationale Identität, unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Traditionen, in irgendeinem globalen oder „europäischem“ Brei aufgeht. Wenn wir keine „Weltbedeutung“ mehr haben – völlig egal. Bauchen wir nicht, um Wohlstand für unser Volk über Handel und friedlichen Austausch zu realisieren. Wir machen unser Ding, alles andere ist Wurscht.

GermanMichel
3 Monate her
Antworten an  gladius

Dieses Problem löst die Biologie zeitnah. die Eliten denken längerfristig.

Del. Delos
3 Monate her
Antworten an  GermanMichel

Ich setze da eher auf eine zeitnahe Lösung durch die AfD. Diese Lösung ist nämlich ebenso möglich, da brauchen wir nicht auf die Biologie zu warten. Bett, Brot und Seife anstelle von Geld – und unser Problem dürfte sich innerhalb allerkürzester Zeit mindestens um die Hälfte reduzieren. Von der verbleibenden Hälfte würde sich dann plötzlich ein Teil sehr integrationswillig zeigen – auch gut, schließlich brauchen wir ja angeblich Leute am Arbeitsmarkt. Und bei dem Rest müssten die Ausländerbehörden leider etwas nachhelfen.
Sogar für das Problem der verschenkten deutschen Staatsangehörigkeiten an im Grunde Kriminelle wird sich eine außer-biologische Lösung finden.

Donostia
3 Monate her

Das könnte die Chance für Deutschland sein endlich wieder souverän zu werden und den Vassllenstatus abzulegen. Doch dazu muss man sein Staatsgebiet vor illegalen Einwandernden und Sozialflüchtlingen schützen. Zudem kein Geld mehr ins Ausland wenn es dafür nicht entsprechende Gegenleistung gibt. Wirtschaftliche Beziehungen zu den USA, Russland und China pflegen. Wenn der eine nicht will, dann muss man versuchen seine Produkte an andere zu verkaufen. Man sollte versuchen den Exportanteil in ein Land nicht höher ausfallen zu lassen als 10 -15%. Das macht einen dann weniger anfällig für Drohungen.

Deutscher
3 Monate her

„Europa muss jedoch in der Lage sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür ist die EU nicht das richtige Instrument, wir müssen unsere Souveränität und nationale Dynamik wiederherstellen für eine Renaissance unserer europäischen Zivilisation.“

👍🏻

Man muß sich entscheiden: Europa oder die EU. Beides zusammen geht nicht.