Der Gerichtshof der EU hat entschieden: Frauen aus Afghanistan sollen automatisch, nur aufgrund ihres Geschlechtseintrags im Pass oder sonst einem Dokument, Asyl genießen. Damit rennt der EU-Gerichtshof auf moralischem Feld offene Türen ein. Wer könnte da schon widersprechen, hören wir doch seit langem die Schreckensbotschaften, was die Lage der Frauen im Taliban-Land angeht? Und sicher ist das für viele Frauen schwer. Aber hilft da ein Blanko-Asylstatus weiter? Und was bewirkt er letztlich? Denn auf die „persönlichen Umstände“ im Leben einer Afghanin soll es fortan nicht mehr ankommen. Das kann (und wird sicher) dazu führen, dass die Frauen mit Schutzstatus die Männer ihrer Sippe nachreisen lassen. Und das wären dann vielleicht auch Unterdrücker im Sinne der Taliban, die sich nicht am streng ausgelegten Koran stören, aber den relativen Wohlstand Deutschlands der Armut ihres Landes vorziehen.
Daneben ist auch bei Frauen nicht ausgeschlossen, dass sie dem Gedankengut der radikalen Koranschüler mindestens nahestehen. Nehmen wir nur an: Eine Afghanin könnte ja nach Deutschland reisen, weil sie mit einem Detail ihres Lebens in Afghanistan nicht zufrieden ist. Vielleicht möchte sie eine medizinische Behandlung durchführen lassen oder ein paar praktische Dinge über ein Handwerk, die Medizin oder einen technischen Beruf lernen. Das ist alles möglich und denkbar. Aber macht sie das zur „Verfolgten“, wie der EU-Gerichtshof nun dreist und von Detailkenntnis sicher unbelastet behauptet? Auf lange Sicht sollte man in Frage stellen, dass Gerichte in einer europäischen Stadt überhaupt über Asyl- und Schutzchancen entscheiden.
Die Tagesschau weiß, dass Frauen in Afghanistan „kaum medizinische Betreuung“ erhalten, keinen Sport betreiben dürfen und keinen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Dabei ist klar, dass einige Berufe gerade wegen der Geschlechtertrennung des Islams nur von Frauen ausgeübt werden können: Ärztin und Schwester in der Frauenklinik etwa. Auch im Frauenbad – wenn es so etwas gäbe – dürfte es wohl nur Bademeisterinnen geben, im Kleiderladen vielleicht auch nur weibliches Personal. Frauen seien „systematisch verfolgt“, heißt es im Luxemburger Richterspruch trotzdem. Man will alle Diskriminierungen zusammen betrachten, etwa im Sinne der amerikanischen Theorie der „intersektionalen Diskriminierung“, bei der allerdings noch weitere Identitäten eine Rolle spielen.
Wie gesagt, mag das für afghanische Frauen so sein. Nur stellt sich die Frage, ob dies für Deutschland eine Pflicht zu deren systematischer Aufnahme bedeuten kann. Letztlich öffnet das Urteil die Tür für alle Arten von Blanko-Anrechten auf Asyl oder Schutz in der EU. Alle möglichen Gruppen sind denkbar: Homosexuelle, Schuhverkäufer, Rikschafahrer, Schweinemetzger. Jüngst gab es den Fall eines verheirateten Russo-Tadschiken mit fünf Kindern, der im zweiten Anlauf „bemerkte“, dass er homosexuell war und daher in seinem Land verfolgt.
Alle diese Gruppen könnten in dem einen oder anderen Land „intersektional“ verfolgt sein, soodass man das dann eine „systematische“ oder „systemische“ Verfolgung nennen wird. Die Frauen sind also vielleicht nur ein Anfang. Daneben stellt der EuGH klar: Zwangsverheiratungen sind der Sklaverei gleichzustellen. Aber ist das deutsche Asylsystem dafür zuständig, diese Mängel, die mehr als einmal in der Welt existieren, zu kurieren? Das kann es ohnehin nicht.
Von einer Massenwelle von Schutzgesuchen afghanischer Frauen ist trotz alledem nicht auszugehen. Zumeist werden sich auch weiterhin ihre unverfolgten Brüder auf die Reise machen – und die Frauen dann im zweiten Schritt nachholen. Sie, die Brüder, Onkel und Väter, bekommen ja ebenfalls Schutz in Deutschland, auch ohne weiblichen Geschlechtseintrag. Ob die Afghaninnen und anderen Frauen dann auf Dauer in Deutschland „unverfolgt“ sind, bleibt als offene Frage bestehen.