Wie abhängig ist die EU von den USA?

Aus dem European Council on Foreign Relations, 2007 nach dem Vorbild des amerikanischen Council on Foreign Relations gegründet, kommt eine brisante Bestandsaufnahme der transatlantischen Beziehungen, die wie eine Bombe in die deutsche Medienwelt hätte einschlagen können, was sie aber nicht tat. Von Wolfgang Sachsenröder

IMAGO / NurPhoto

Aber nicht doch! Diese seit Jahren immer wieder aufkommende Meinung ist „offiziell“ falsch. Seit 2015 arbeitet das „Strategische Kommunikationsteam Ost“ des Europäischen Auswärtigen Dienstes daran, Falschmeldungen der russischen Propaganda richtigzustellen und die korrekten Fakten in Osteuropa und Russland in den Medien zu verbreiten sowie für entsprechende EU-Aktivitäten zu werben. Unter dem Namen „EUvsDisinformation“ hatte das Team bereits am 9. September 2016 klargestellt, dass die EU keineswegs ein Vasall der USA ist.

Richtig sei vielmehr, dass die USA für die überlebenswichtige Stabilität und Sicherheit in Europa gesorgt hätten, die Mitgliedsstaaten aber souverän über ihre Sicherheit entscheiden und die Präsenz von NATO oder US-Truppen nur auf der Basis von Konsens und klaren Stationierungsanforderungen möglich sind. Friedensbewegte in Deutschland oder die Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ sehen das anders, sind aber in den Medien marginalisiert. Die EUvsDisinfo-Database enthält mehr als 15.000 Beispiele für irreführende russische Propaganda, ein wöchentlicher Newsletter kann abonniert werden (Disinformation Review – EUvsDisinfo).

Trotzdem kommen in alternativen Medien oder von alternativen Politikern wie Oskar Lafontaine und Jürgen Todenhöfer oder auch in den Leserbriefspalten der deutschen Leitmedien immer wieder Hinweise auf die Vasallentheorie hoch. Gelegentlich kommt sie sogar in der anderen Richtung und dann auch in den Leitmedien vor. Am 29. Juli 2023 zitiert die Zeit-Online den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, mit der AfD würde Deutschland zu einem „Vasallenstaat von Putin und Moskau“.

Vermutlich glauben aber deutlich mehr Deutsche an die US-Vasallenschaft als an eine mögliche russische, aber eigentlich wollen wir doch, zumindest in der EU, Herr unseres Schicksals sein und keine Vasallen. Die mittelalterlichen Vasallen bekamen vom König oder Kaiser für ihre Beteiligung an deren Kriegen wenigstens einen Adelstitel und Land, heute bleibt Deutschland für die indirekte Beteiligung am Ukraine-Krieg weitgehend auf den Kosten sitzen, die sich inzwischen, inklusive der EU-Umlagen, auf achtzehn Milliarden € belaufen und weiter steigen.

Mehr Blindgänger als Bombe in Deutschland?

In Anbetracht der alternativen Unkenrufe zur Vasallentheorie hat der European Council on Foreign Relations am 4. April 2023 eine ausführliche wissenschaftliche Analyse dazu veröffentlicht. Mit dem provokanten Titel „Die Kunst, sich Vasallen heranzuziehen“ (The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations | ECFR) geben Forschungsdirektor Jeremy Shapiro und Jana Puglierin, die Leiterin des Berliner ECFR-Büros, eine Bestandsaufnahme der transatlantischen Beziehungen.

Dieser fundierte Diskussionsbeitrag hätte eigentlich wie eine Bombe in die deutsche Medienwelt einschlagen können, weil uns schließlich unsere Souveränität, auch im EU-Verband, immer noch etwas wert ist. Man kann aber lange bei Google oder Bing suchen, offenbar hat der 21 Seiten starke Bericht in den deutschen Medien nicht viel Staub aufgewirbelt. Aber ausgerechnet die „Orinoco Tribune“ aus Venezuela berichtet am 29. Juni 2023 mit einem leicht genüsslich klingenden Unterton, wie der ECFR-Artikel bestätigt, dass die EU nun endgültig ein Vasall der USA ist. Und am 31. Juli 2023 kommentiert die belgische „Brussels Times“ unter einem Foto, wie Präsident Joe Biden und Kommissionschefin Ursula von der Leyen sich im Oval Office herzig in die Augen schauen, die entscheidenden politischen Punkte des Papiers.

Wirklich Vasallen? Die Thesen des ECFR

Der Artikel ist provokativ formuliert, und das offensichtlich mit Absicht. Denn die Spitzenpolitiker haben sich seit Jahren nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können, wie Europa außen- und sicherheitspolitisch eigenständiger werden und weltpolitisch an Gewicht gewinnen könnte. Vorstöße des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in dieser Richtung wurden gerade in Deutschland nicht ernst genommen, wo Kritik an der Führungsrolle der USA schnell als linker oder rechter Antiamerikanismus abgetan wird.

Die Kernthese des ECFR-Papiers ist nicht nur die starke Zunahme der Abhängigkeit von den USA durch den Ukrainekrieg, sondern vor allem ihre Akzeptanz durch die Politik. Akzeptanz und geradezu Unterwerfung unter die amerikanische Führung trotz der eklatanten wirtschaftlichen Nachteile für Europa, angefangen beim Abschneiden vom günstigen russischen Gas und Öl und längst noch nicht am Ende durch zahllose weitere Sanktionen. Vor allem Präsident Bidens „Inflation Reduction Act“ von 2022 und seine enormen Subventionsströme sind offen protektionistisch und geeignet, die europäische Wirtschaft zu schädigen. Die Alarmsignale von deutschen Unternehmern und zahlreiche Firmenverlegungen ins Ausland bestätigen die Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung. Die Folgen spürt aber auch die Bevölkerung ganz unmittelbar durch inflationäre Energie- und Lebensmittelpreise und eine sichtbar steigende Armut.

Besonders deutlich wird der Bericht in den Abschnitten zu Deutschland. Die Bundeswehr sei weit davon entfernt, ein Sicherheits- und Stabilitätsanker in Europa zu sein, obwohl der Bundeskanzler immer noch über die Zeitenwende und eine europäische Eigenständigkeit spreche. De facto hätten sich aber Olaf Scholz und die SPD, die früher eher amerikakritisch war, in der aktuellen transatlantischen Arbeitsteilung besonders gemütlich eingerichtet. Erschwerend komme hinzu, dass die Osteuropäer mit ihrer historischen Russlanderfahrung zunehmend misstrauisch gegenüber Deutschland und Frankreich würden und mehr der aggressiveren britischen Haltung im Ukrainekonflikt zuneigen. Da sie „wissen“, wie die Russen denken und reagieren, fordern sie vehement eine stärkere Truppenpräsenz der USA und der NATO. Im Unterschied zur Zeit des Kalten Krieges, so das Papier, als die USA Europa wirtschaftlich gegen die Sowjetunion aufgebaut haben, nutzen die USA nun ihre militärische Führungsrolle zum eigenen wirtschaftlichen Nutzen und auf Kosten Europas.

So kritisch die Analyse insgesamt ist, so alarmierend ist eine Bemerkung von Forschungsdirektor Jeremy Shapiro in einem Interview mit der belgischen „The Brussels Times“, in dem er zu den Reaktionen auf das Papier befragt wurde. Das Wort Vasallenstaat, meinte Shapiro, hätte vielerlei Kritik ausgelöst. Er hätte aber den Verdacht, dass nicht wenige europäische Mandatsträger bereits einer „Meta-Vasallisierung“ erlegen seien. Sie seien bereits so intensiv Vasallen der USA, dass sie es nicht wahrhaben wollen. Denn wenn sie es zugäben, würden die Bürger es auch erkennen, und „das wäre doch schrecklich“.

Der European Council on Foreign Relations, 2007 nach dem Vorbild des amerikanischen Council on Foreign Relations gegründet, unterhält Büros in Berlin, London, Madrid, Paris, Rom, Sofia und Warschau. Als zentraler europazentrierter Think Tank beschäftigt er rund achtzig Mitarbeiter. Vorsitzende des Vorstands sind zur Zeit der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, die ehemalige dänische Klima- und Energieministerin Lykke Friis und der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Als Nichtregierungsorganisation (private and not-for-profit) organisiert, wird der ECFR zu mehr als der Hälfte von Stiftungen finanziert, bereits seit der Gründung von Soros‘ Open Society Foundation und anderen, zu einem Drittel von Regierungszuwendungen und dem Rest durch Firmen und private Spender. Eine Liste aller Spender (mit einigen Überraschungen) findet sich auf der Webseite.

Dr. Wolfgang Sachsenröder war fast 25 Jahre als Politikberater international tätig. Seit 2009 lebt er wieder in Singapur und forscht und publiziert über viele Themen.

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Kommentare ( 8 )

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Axel Fachtan
1 Jahr her

„The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations“Das ist nicht mal eine Halbwahrheit.1990 gab es ein echtes und ernstzunehmendes Friedensangebot an den Westen. USA und NATO kam es aber überhaupt nicht in den Sinn, es anzunehmen. Sie wollten nur die Schwäche Russlands ausnutzen.Schon 1990 waren die anderen NATO Staaten weitgehend Vasallen der AmisDa die UdSSR als Gegenspieler wegfiel, haben die USA danach ihre Kraft darauf ausgerichtet, ihre Vasallen zu kannibalisieren. Das wird genau jetzt, im Jahre 2023 endgültig vollstreckt.Die Ressourcen, die frei geworden sind, sind weiter genutzt worden um Europa immer weiter zu erpressen und… Mehr

Marcel Seiler
1 Jahr her

Vielen Dank für diesen Artikel. Der Vasallenstatus Europas klingt mir plausibel. Die Schuld daran liegt aber nicht bei den „bösen, bösen“ USA, sondern ganz klar bei Europa: Wer sich nicht selbst verteidigen will, wird eben abhängig. Europa hat z.Zt. nur die Wahl, Vasall von Russland oder von den USA zu sein.

Ebenso verständlich, dass die USA sich den militärischen Schutz Europas, der sie ja viel Geld kostet, durch wirtschaftliche Benachteiligung Europas bezahlen lassen. „Gutmenschen-Deutschland“ muss vielleicht mal einsehen, dass man nicht straflos die Bürde der militärischen Verteidigung anderen aufhalsen kann. Europa (führend: Deutschland) ist nur noch erbärmlich.

Last edited 1 Jahr her by Marcel Seiler
Teiresias
1 Jahr her

Das ist doch eine Binse, keine Bombe. Ich glaube auch nicht, daß das Ausmaß des Vasallentums größer geworden ist. Die USA haben immer in gleichem Maße ihre Interessen durchgesetzt. Zum Beispiel die türkische Einwanderung nach Deutschland, um die Türkei nährer an die EU zu binden und Titan-Raketen in Anatolien stationieren zu können. Was sich geändert hat, ist, daß die USA im kalten Krieg ein Interesse daran hatten, daß Deutschland/EU im Systemwettbewerb mit der UdSSR überlegen dastanden. Das ist vorbei. Heute ist die Horrorvision der Amerikaner eine Dreiecksbeziehung EU/China (neue Seidenstrasse)/Russland. Eine derartige Zusammenballung von Rohstoffzugang, Fertigungskapazität und Absatzmärkten würde die… Mehr

Diogenes
1 Jahr her

Und was will uns der Autor mit diesem diffusem, widersprüchlichen Artikel sagen? Ich hab’s nicht verstanden. Ich glaube die USA hält die EU und speziell die Deutschen für unheilbare Irre. Sie tolerieren sie so ähnlich, wie sie eine Religionsgemeinschaft tolerieren, die sie aber nicht weiter interessiert. Deutschland hat den USA viel zu verdanken. Aber die letzten 2-3 Generationen wissen von nichts und sind im Grunde undankbar weil eben die Vergangenheit auf der ihr einstiger Wohlstand an die 50 Jahre beruhte in deren Bewußtsein garnicht existiert. Die Vergiftung durch extremistische Kommunisten tut in Deutschland ihre Wirkung und die EU ist …… Mehr

alter weisser Mann
1 Jahr her

Wenn man sich die 5 Punkte der Summary der Analyse anschaut, da ist NICHTS, was nicht jeder der nicht mit Gewalt wegschaut, nicht längst gewusst hat. Grob umrissen: Die Europäer sind zumindest sicherheitspolitisch/-strategisch ein Papiertiger und auf die USA angewiesen Im letzten Jahrzehnt ist Europa im Vergleich zur USA auf verschiedenen wichtigen Feldern zurückgefallen. Die Europäer haben keine Einigkeit und keinen Plan und sucht Führung durch die USA. Im Kalten Krieg war Europa das zentrale Feld der Auseinandersetzung. Jetzt geht es um USA vs. China und Europa darf hintendran mitspielen. Europa als US-Vasall ist suboptimal, es könnte eine bedeutendere Rolle… Mehr

EinBuerger
1 Jahr her

Natürlich besteht Europa aus Vasallenstaaten. Und das wird sich auch nicht ändern. Die BRD wird niemals eine funktionsfähige Armee hinbekommen. Frankreich wäre gern so eine Art Großmacht, schafft es aber selbst mit europäischer Unterstützung nicht. Polen wäre gerne mit Hilfe der USA eine Regionalmacht. Das kann klappen, muss es aber nicht. Denn die Geographie der USA ist einmal: Wie GB auf Speed! Staat einer Insel ein Kontinent. Staat eines Ärmelkanals zwei Ozeane. Die USA können sich somit relativ problemlos überall zurückziehen und sind doch auf ihrer einsamen Insel geschützt. Das eigentlich interessante ist, wie „respektlos“ (oder nicht) sich die USA… Mehr

Arminius
1 Jahr her

Abhängig von den USA sind offenbar viele unserer führenden Politiker.
Zumindest machen die eher Politik für die USA als für Deutschland.
Entweder bekommen die dafür Geld, oder es gibt eine dicke Akte.
Man weiss es nicht.

Last edited 1 Jahr her by Arminius
BK
1 Jahr her

Man kann ja nur für Deutschland sprechen und sollte erwarten dürfen, dass man sich als Land emanzipiert. Das machen schließlich auch andere und sehr viel kleinere Länder. Saudi-Arabien als relativ kleine Volkswirtschaft mit ein paar Ölquellen in der Wüste sucht sich andere Partner. Ebenso widersetzt sich das kleine Ungarn dem Diktat aus Brüssel. Aktuell fehlt es in der Regierung leider an wirklich starken Charakteren, die ihrer einzigen Aufgabe, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, nicht gewachsen sind.