Geleakter Haftbefehl belastet EU-Abgeordnete im Huawei-Skandal

Offenbar flossen über 45.000 Euro Schmiergelder, um chinesische Interessen zu stärken. Im Zentrum: dubiose Netzwerke aus Abgeordneten, Lobbyisten, Ex-Merkel-Beratern und einem Berater mit Huawei-Verbindung – finanziert mit Falschrechnungen und gedeckt durch alte Seilschaften. Womöglich nur die Spitze des Eisbergs.

IMAGO - Collage: TE

Ein durchgesickerter Haftbefehl aus den belgischen Ermittlungen zum neuesten mutmaßlichen Korruptionsskandal im Europäischen Parlament zeigt, dass Abgeordnete verdächtigt werden, Zehntausende Euro an Schmiergeldern erhalten zu haben, um chinesische Interessen zu fördern.

Am 25. März erhielt die italienische Zeitung La Repubblica eine Kopie des Haftbefehls und teilte ihn mit anderen Medien. Demnach stützte sich die belgische Staatsanwaltschaft bei ihrer Argumentation auf einen kontroversen offenen Brief, den acht Europaabgeordnete im Februar 2021 an drei EU-Kommissare richteten – aus Protest gegen den „technologischen Rassismus“ Europas gegenüber chinesischen Produkten.

Der Brief, der Huawei und damit implizit dem chinesischen kommunistischen Regime geschäftlich zugutekam, soll mit über 45.000 Euro an Bestechungsgeldern verbunden gewesen sein. Es wird vermutet, dass der Verfasser des pro-chinesischen Schreibens 15.000 Euro erhielt, während die Mitunterzeichner jeweils 1.500 Euro bekamen.

Die Abgeordneten, die den Brief unterzeichneten, waren: Fulvio Martusciello, Giuseppe Milazzo, Herbert Dorfmann, Aldo Patriciello, Cristian-Silviu Busoi, Daniel Buda, Ciuhodaru Tudos und Giuseppe Ferrandino. Alle Abgeordneten bestreiten gegenüber verschiedenen Medien, Geld erhalten zu haben.

Anwälte, die mit dem Fall befasst sind, äußerten ihr Bedauern über das Bekanntwerden der Informationen – ein Phänomen, das im belgischen Justizsystem häufiger vorkommt. Eine Schlüsselfigur der Ermittlungen ist ein EU-Lobbyist mit Sitz in Brüssel, O, der früher als Assistent zweier italienischer Abgeordneter arbeitete und später als Berater für Huawei tätig war.

Er gilt als mutmaßlicher Drahtzieher des Bestechungsnetzwerks. Die belgische Polizei fand auf seinem Computer einen Entwurf des später verschickten offenen Briefes. Sein Anwalt Denis Bosquet erklärte gegenüber Brussels Signal, er habe „keinen Kommentar abzugeben“. Weitere Anwälte der namentlich genannten Personen reagierten bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht auf Anfragen.

Laut belgischer Staatsanwaltschaft stellten zwei Huawei-Zulieferfirmen mutmaßlich Scheinrechnungen aus, um einen weiteren Lobbyisten zu bezahlen: den portugiesischen Staatsbürger Nuno Wahnon Martins, der zwischen 2015 und 2019 Berater des italienischen EVP-Abgeordneten Fulvio Martusciello war. Martins war zudem Sekretär und Assistent einer weiteren italienischen Abgeordneten, Luciana Simeone, die seit dem 20. März aufgrund eines europäischen Haftbefehls unter Hausarrest steht. Geld soll mithilfe von Simeone verteilt oder gewaschen worden sein. Ihr wurde laut durchgesickertem Haftbefehl am 21. Februar 2021 von Martins 1.000 Euro überwiesen.

Simeone trat am 25. März vor dem Berufungsgericht in Neapel auf, das über ihre „Auslieferung“ an die belgischen Behörden entscheiden soll. Die Anhörung wurde auf den 1. April vertagt. Ihr Anwalt wies jede Schuld seiner Mandantin zurück und erklärte, Simeone sei bereit, alle Fragen der belgischen Ermittler zu beantworten.

In ihrer Vernehmung am 22. März bestritt sie laut italienischen Medien jegliche Beteiligung und erklärte, sie habe sich „nie mit politischen oder parlamentarischen Aktivitäten befasst, auch nicht mit dem Verfassen von Dokumenten“. Bezüglich der 1.000-Euro-Überweisung erklärte sie, sie sei sich „sicher, dass es sich um eine Erstattung“ für Auslagen handelte, die sie an ihren portugiesischen Kollegen weitergeleitet habe. Außerdem sagte sie demnach: „Ich kenne die anderen genannten Personen nicht und bin O nie begegnet.“

Zwischen Februar und Juni 2021 soll Martins weitere vier Überweisungen im Gesamtwert von 6.700 Euro an Martusciello getätigt haben. Insgesamt wird Martins verdächtigt, fast 50.000 Euro von den beiden Huawei-Zulieferern erhalten und an mehrere Personen verteilt zu haben. Am 13. März wurde er in Frankreich festgenommen und nach Belgien ausgeliefert. Gegenüber dem Recherchenetzwerk Follow the Money ließ sein Anwalt verlauten, er bestreite alle Vorwürfe und werde eine Erklärung vor dem Untersuchungsrichter abgeben.

Laut La Repubblica habe ein Verdächtiger im Zuge der Ermittlungen eingeräumt, „häufig die Grenze überschritten“ und Zahlungen für Gesetzesänderungen geleistet zu haben. Martusciello, der kürzlich seinen Rückzug aus dem Rennen um das Präsidentenamt der Region Kampanien ankündigte, sagte gegenüber La Repubblica, er habe O „kaum gekannt“. „O? Ich habe ihn vielleicht einmal in meinem Leben gesehen, wenn überhaupt. Es gab keinerlei Vertrautheit – so sehr, dass er mich in seinen Schreiben förmlich ansprach“, erklärte der EVP-Abgeordnete.

„Er war ein ‚serieller Einlader‘, schickte ständig Einladungen zu Veranstaltungen mit französischen Ministern oder bekannten Abgeordneten. Er machte nur seinen Job. Niemand ging jemals zu seinen Veranstaltungen, niemand nahm seine Einladungen an, und niemand hat jemals etwas von ihm erhalten“, behauptete Martusciello.

Cristian Busoi, ein weiterer mutmaßlicher Mitunterzeichner des offenen Briefs, schrieb an mehrere Medien, er könne sich nicht erinnern, diesen unterschrieben zu haben, und betonte, er habe sich stets an die Regeln und Prinzipien des Europäischen Parlaments gehalten. Die belgische Bundesstaatsanwaltschaft wollte sich gegenüber Brussels Signal nicht zum durchgesickerten Haftbefehl äußern.

Laut Follow the Money entsprechen die genannten Summen einer Beschwerde der NGO Transparency International, die bei der europäischen Anti-Betrugsbehörde OLAF eingereicht wurde. OLAF soll die Untersuchung jedoch mit Verweis auf „unzureichenden Verdacht“ abgelehnt haben.

Weiter heißt es, der Haftbefehl gegen Martins könne dazu führen, dass weitere Verdächtige ins Visier geraten. Die belgischen Ermittler vermuten offenbar, dass die Vorgesetzten von O von den Bestechungsgeldern wussten oder sie sogar ermöglicht haben.

Huawei erklärte in einer früheren Stellungnahme gegenüber Brussels Signal am 19. März, man nehme alle Vorwürfe ernst und werde umgehend mit den Ermittlern kommunizieren, um die Situation besser zu verstehen. Das Unternehmen betonte, man verfolge eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber Korruption oder anderem Fehlverhalten“ und halte sich „stets an alle geltenden Gesetze und Vorschriften“.


Dieser übersetzte Beitrag ist zuerst bei Brussels Signal erschienen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 12 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

12 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
HansKarl70
2 Tage her

Bestochene EU Abgeordnete? Nein, das kann ich nicht glauben, oder doch !?

alter weisser Mann
3 Tage her

Womöglich nur die Spitze des Eisberges.

Schätzungsweise 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro (zzgl. dem inoffiziellen Geld in Aktenkoffern, Briefumschlägen und ALDI-Tüten) nehmen in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa 70 Prozent von ihnen arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Sie genießen privilegierte Zugänge zu den Kommissaren.

Womöglich.

HansKarl70
2 Tage her
Antworten an  alter weisser Mann

Eine Vereinigung von Menschen, die bestimmte Ziele die in Ihrem Interessenbereich liegen verfolgen. So würde man es höflich ausdrücken. Der Mann auf der Straße würde wahrscheinlich kurz und knapp sagen „eine Verbrecherbande“ Wer der Wahrheit am nächsten kommt entscheidet der Wähler

Last edited 2 Tage her by HansKarl70
Reiner Kleister ORiGiNAL
3 Tage her

Zitat:
über 45.000 Euro Schmiergelder, um chinesische Interessen zu stärken.

Da kann man mal sehen, wie komplett billig zumindest ein Teil dieser Leute im Shithole EU-Parlament sind.
Wenn’s wenigstens 450.000 oder 4.500.000 Euro oder noch mehr gewesen wären. Aber so ist das einfach nur das billigste von Rudis Reste-Rampe!

Jerry
3 Tage her

Die Bezahlung im EU Parlament scheint ja nicht so toll zu sein, wenn die sich mit mickrigen 1500,- Euro schmieren lassen müssen. Oder macht‘s die Summe an Schmiergeldern? Fragen…

Peter Gramm
3 Tage her

Mit der Installation dieser merkwürdigen Präsidentin fing das ganze Elend in diesem Polithaufen an. Unübersichtlich, teuer, ineffizient, sinnlos und den Bürger nur belastend. Wer braucht so etwas außer denen die davon leben.

Sam99
3 Tage her

Da lassen sich also EU-Abgeordnete, die ca. €15.000 monatlich bekommen, mit dermaßen geringen Summen bestechen? Diese Leute sind nicht nur kriminell, sondern auch ausnehmend dumm. Der Gipfel der Blödheit ist natürlich, das Bestechungsgeld zu überweisen.

Dietmar Simons
3 Tage her

Sehr verdächtig, wenn so was an die Systempresse wie „La Repubblica“ weitergegeben wird, dann muss man von einem „gewünschten“ Skandal ausgehen.

Vermutlich will man HUAWEI aus dem „Spiel“ nehmen, um die EU weiter von US amerikanischen Anbietern abhängig zu machen. Früher hätte man das mit Firmen wie Siemens, Erikson, Phillips und Co selbst stemmen können, ohne sich von anderen abhängig zu machen.

WO
3 Tage her

Parlamentarier aus Italien, Rumänien … das hat was. Und dann noch einigermaßen parteiübergreifend und seit Jahren fest im Sattel. Ein Schelm, wer Böses denkt !

ralf12
3 Tage her

Ich glaube nicht, dass wegen der paar Kröten ein EU Abgeordneter es riskiert, seine üppige Besoldung zu gefährden. Das scheint ein Ablenkungsmanöver, dass von dem Skandal der „Impfstoffbeschaffung“ durch UvdL ablenken soll. „Lobbyarbeit“ ist ja leider im EU Parlament wie im deutschen Bundestag an der Tagesordnung. Bei Bedarf macht man dann ein Korruptionsfall daraus.

Britsch
3 Tage her

Ich denke, da wurde nur ein Teil der Spitze eines Eisberges aufgedeckt