Ecuador: Ein Land am Abgrund

Kaum mehr als zwei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen wurde in Ecuador der Favorit der Opposition ermordet. Das ehemalig sichere Land wird von Kokain und Bandenkriminalität zerrissen. Von Jonas Kürsch

IMAGO / TheNews2
Polizei- und Streitkräfteeinsatz im Rahmen des am 10. August ausgerufenen Ausnahmezustands nach der Ermordung von Fernando Villavicencio, Guayaquil, Ecuador, 12. August 2023

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Ecuador wurde der Anti-Korruptionskandidat Fernando Villavicencio von einem Attentäter auf offener Straße ermordet. Villavicencio kandidierte für die liberal-konservative Movimiento Construye bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen im Sommer dieses Jahres. Trotz volatiler Umfragewerte galt Villavicencio als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die finale Stichwahlrunde.

Die Wahl wurde nach der vorzeitigen Auflösung der ecuadorianischen Nationalversammlung im Mai dieses Jahres durch den amtierenden Präsidenten Guillermo Lasso veranlasst, der dadurch versuchte, einem Amtsenthebungsverfahren wegen Korruption zu entgehen. Er selbst sei über den Anschlag „bestürzt und schockiert“.

Kritiker der politischen Eliten

In der Nacht des 9. Augusts wurde Villavicencio im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in Ecuadors Hauptstadt San Francisco de Quito erschossen. Weitere Teilnehmer der Veranstaltungen wurden ebenfalls verletzt, ein Tatverdächtiger starb in Polizeigewahrsam. Die Identität dieses Tatverdächtigen wurde noch nicht bekanntgegeben. Sechs weitere sind in Haft.

Villavicencio wurde als politischer Aktivist und Investigativjournalist bekannt. Über Jahre hinweg übte er Kritik an der korrupten Regierung, warnte vor der organisierten Kriminalität in seinem Land. Größere Bekanntheit erlangte er im Jahr 2015 zusammen mit der ecuadorianischen Juristin Cynthia Viteri, mit der er eine Reihe von brisanten Dokumenten an die von Julian Assange ins Leben gerufene Enthüllungsplattform Wikileaks schickte. Den Dokumenten zufolge spionierten die ecuadorianischen Behörden eine Vielzahl von Journalisten und politische Gegner aus. Dazu gehörte zu dieser Zeit auch Assange selbst, der als Asylant in der ecuadorianischen Botschaft einer Auslieferung an die US-Behörden zu entgehen versuchte.

Besonders den ehemaligen linken Staatschef, Rafael Correa, kritisierte Villavicencio immer wieder scharf. So hatte er Correa einst vorgeworfen, dieser habe während der großen Polizeimeuterei im September 2010 einen bewaffneten Überfall auf ein Krankenhaus veranlasst. Correa zeigte Villavicencio daraufhin wegen Verleumdung an – der Journalist tauchte für mehrere Monate in der Amazonas-Region unter. Correa zeigte sich über den Mordanschlag bestürzt und erklärte, dass Ecuador ein „gescheiterter Staat geworden“ sei.

Narco-Staat Ecuador

Villavicencio versuchte bereits 2017 bei den regulären Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anzutreten, musste aber aufgrund einer Reihe von staatlichen Anklagen wegen Spionage und Beleidigung ins peruanische Exil fliehen. Im Februar 2018 wurde er dann freigesprochen. Neben der Korruption war vor allem die steigende Bandenkriminalität in Ecuador für Villavicencio eines der Hauptthemen im Wahlkampf. So hatte er Ecuador als „Narco-Staat“ bezeichnet.

Das Leben in Ecuador wird immer mehr von Gewalt und Bandenkriminalität bestimmt. Das Land ist ein Schlachtfeld verfeindeter Drogenbanden. Seit zwei Jahren explodiert in dem Land die Gewalt – vorher galt Ecuador als eines der sichersten Länder Südamerikas. Nun ist Ecuador die Drehscheibe für den Kokainhandel aus Kolumbien und Peru geworden. Erst im März wurde den Bürgern das offene Tragen von Schusswaffen erlaubt, um sich vor den Banden schützen zu können.

Die Angst vor einer weiteren Intensivierung der Gewalt und einem möglichen Scheitern der ecuadorianischen Demokratie ist groß. Die Möglichkeit weiterer politisch motivierter Anschläge ist nicht ausgeschlossen, wie beispielsweise im Falle der Parlamentskandidatin Estefany Puente, die laut eigenen Angaben am letzten Freitag nach der Ermordung von Villavicencio bei einem Schusswechsel leicht verletzt worden ist. Drohungen hatte sie zuvor keine erhalten. Präsident Lasso hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet sowie den Ausnahmezustand in seinem Land verhängt. Außerdem wurde das FBI um Amtshilfe bei der Aufklärung des Mordanschlages gebeten.

Die Wahl wird wie geplant am 20. August stattfinden. Villavicensios Partei Movimiento Construye wollte ursprünglich mit Vizepräsidentschaftskandidatin Andra González Náder den Wahlkampf fortsetzen. Am Montag entschied die Partei jedoch, mit dem Investigativjournalisten Christian Zurita anzutreten. Als Grund für den Sinneswandel gab die Partei formale Hürden an. Zurita hatte in der Vergangenheit mit Villavicencio an Berichten über die Korruptionsskandale Correas gearbeitet und war ein enger Freund des Ermordeten.

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Kommentare ( 17 )

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Boris G
1 Jahr her

BIP-pro-Kopf Ecuador, Peru, Kolumbien – 6000 $. Warum schafft ein rohstoffarmes Land wie Südkorea nach grausamster Kolonialgeschichte und zwei verheerenden Kriegen innerhalb einer Generation den Sprung auf 35 000 $ ? Könnte es an den Menschen liegen, die dort leben?

Auswanderer
1 Jahr her

Im Nachbarland Kolumbien mit Petro ist es auch schlechter geworden. Der Sohn von Präsident Petro hat gerade Gesangsstunden bei der Staatsanwaltschaft. Es geht da um sehr viel Geld von kriminellen Banden/Maffia für den letzten Wahlkampf! In einigen Regionen patrouilliert die ELN in den Straßen! Wirtschaftlich ist die Regierung genauso intelligent wie unsere! Mit Uribe war Kolumbien sicher und es wurde investiert! Mit Santos verschwand die Sicherheit. Mit dem nächsten Präsidenten passierte nicht viel, was wohl auch an Corona lag, wobei das Management erheblich besser war als in Deutschland war, was ja keine Kunst war! Und mit dem linken Petro werden… Mehr

Rene Meyer
1 Jahr her

Ecuador kenne ich gut und lange. Und ich muss sagen, mit diesem Mord habe ich gerechnet, ihn befürchtet. Ihn auf Bandenkriminalität zu schieben, wäre kurzsichtig, naiv. Gegnerische Clans werden benutzt, wie auch hier die diversen Gruppierungen instrumentalisiert werden.

AlexR
1 Jahr her

Wieso nach Ecuador schauen?! Mir reicht allein der tägliche Irrsinn dieser sog. Regierung. Scholz, Lindner, Habeck und Bärbock. Ecuador bleibt, Gagaland wird von der Truppe abgewickelt. Bis zum Ende der Legislaturperiode ist das erreicht.

Irdifu
1 Jahr her

So weit in die Ferne muss man in einigen Jahren nicht mehr schauen , um solche Zustände zu sehen . Da reichen ein paar Schritte vor die Haustüre . In Augsburg fängt man schon mal klein an .

WGreuer
1 Jahr her

Wollen wir wetten, dass auch hier unsere geliebten Globalisen und das WEF wieder irgendwo ihre Finger im Spiel haben? Fast immer, wenn Gewalt, Unruhen, massive Korruption etc. ein Land nicht zur Ruhe kommen lassen, führen die Spuren auf oft verschlungenen Pfaden zu diesen Leuten. Die Menschen auf dem Planeten sollen nicht in Ruhe ihr Leben leben und wirtschaften können…
Ich weiß, das ist pööhse „Verschwörungstheorie“, leider aber in fast allen diesen Failed States Fakt. Siehe derzeit wieder Lula und Bolsonaro in Brasilien. Ich trauen dem WEF und seinen Schergen mittlerweile alles zu. Alles. Auch Massenmord.

Phil
1 Jahr her
Antworten an  WGreuer

Vielleicht liegt es auch einfach am sozialistischen / kommunistischen Habitus und der latenten Abneigung gegenüber der freien Marktwirtschaft (Kapitalismus), sowie der daraus resultierenden Korruption und Veternwirtschaft der Südamerikanischen Länder, dass man wirtschaftlich nie auf einen grünen Zweig kommt? Ich empfinde die staatliche Einflussnahme vom Hegemon USA auch als eine Schweinerei, aber im Gegensatz zu den Sozialisten und Etatisten aller Länder erliege ich nicht dem Irrtum das die Planwirtschaft und ein mächtigerer Staat das Heilmittel für geschundene und korruptionsanfällige Volkswirtschaften sein kann. Globalisten, WEF, Weltbank, UNO, FED und der Staat, sind sich lediglich in einem Punkt einig, man duldet, obwohl man… Mehr

Transformation
1 Jahr her

Es erwischt immer die Guten, leider. Mein Respekt vor dem Mut sich der Korruption zu stellen, und zu versuchen etwas für sein Land zu tun. Villavicencio wusste um die Bedrohung und hat sich trotzdem getraut anzutreten. Der bisherige Präsident Lasso hat sich schon früh mit den USA eingelassen und sich kaufen lassen. Er hat schon damals im Auftrag der USA Assange keinen Schutz mehr gegeben, ihn eiskalt auflaufen lassen, obwohl Assange die ecuadorianische Staatsbürgerschaft hatte. Lasso erlaubte den Zugriff in der Botschaft. Seit Lasso geht es stetig bergab. Man ist immer daran interessiert, auch seitens Großmächte und nicht nur der Drogenmafia,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Transformation
Peter Pascht
1 Jahr her

„Ecuador: Ein Land am Abgrund“
das Links-Grüne Deutschland ist natürlich wie in allem,
diesem unterwickelten Land um Meilen voraus 😉

jwe
1 Jahr her

Ach du je. Sollte man die Equatorianer und Innen nicht auch nach DE retten? Wir sind doch ein reiches und buntes Land.

Auswanderer
1 Jahr her
Antworten an  jwe

Ich kenne da viele und die könnten ruhig kommen! Jedoch gehe ich davon aus, dass unsere woken Politiker lieber die Problembären einladen!

P. Pauquet
1 Jahr her

Ich verstehe was sie darstellen wollen, jedoch muss ernsthaft gefragt werden, ob es nicht ein Auftragsmord war. Täter konnte wie meistens nicht identifiziert werden. Natürlich, so ein Zufall. Man heuchelt Bestürzung evtl. sogar Entsetzten über die Tat incl. Kollateralschäden, und geht nach ein paar Tagen „Trauer“ zum Tagesgeschäft über, was immer auch das sein mag.

Und zur Headline „Ecuador am Abgrund“ könnte man auch fragen wie bei einem alten Film, „Welt am Abgrund?