Ein Jahr Milei: Entfesseln statt zu Tode regulieren – Argentinien ist die neue Anti-EU

Ein Jahr ist es her, dass Javier Milei zum argentinischen Präsidenten gewählt wurde. Erste Erfolge sind da: Zum Haushaltsplus kommt ein Außenhandelsplus hinzu – und ein Wirtschaftswachstum wie in wenigen Ländern sonst. Zur regelungswütigen EU bildet das einen perfekten Gegensatz.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Javier Milei, Präsident von Argentinien, beim G20-Gipfel, Rio de Janeiro, Brasilien, 18.11.2024

Letzte Woche war Javier Milei der erste ausländische Staatschef, der den neugewählten Präsidenten Donald Trump in Florida traf. In Mar-a-Lago war Milei der Gast gleich zweier Veranstaltungen. Erst sprach er auf der Gala des America First Policy Institute, dann auf dem Investorengipfel des Conservative Political Action Conference (CPAC). In seiner Rede sagte Milei, mit deutlichem Bezug auf Donald Trumps Sieg bei den Präsidentschaftswahlen: „Wie die Alten glaube ich, dass diejenigen von uns, die an die Freiheit glauben, sich zusammenschließen müssen, um dieser Barbarei entgegenzutreten und eine Allianz freier Nationen zu bilden, die das westliche Erbe bewahren.“

Milei versah die Bundespartner auch mit Namen: „Die Vereinigten Staaten an der Spitze im Norden, Argentinien im Süden, Italien im alten Europa und Israel, der Wächter an der Grenze des Nahen Ostens.“ Und der „Wind der Freiheit“ wehe seit Trumps Sieg „viel stärker“. Trump sprach von Milei als einem MAGA-Mann: „Make Argentina Great Again“.

Auch Milei wählte mit „Barbarei“ ein starkes Wort, um die Gegenpartei zu kennzeichnen. Das ist so die Art des argentinischen Ökonomen, dessen politisches Erwachen von manchen mit seiner Bekehrung zur Österreichischen Schule der Wirtschaftswissenschaft verbunden wird. Heute predigt Milei den Massen, was er politisch und ökonomisch für geboten hält, und erreicht sie auch. Er sieht Sozialismus als „Krankheit der Seele“, den Staat als „Feind“ und oftmals „kriminelle Organisation“. Beim G20-Gipfel war es vor allem Milei, der sich gegen die globale Reichensteuer stellte, die seinem südamerikanischen Gegenspieler Lula so sehr am Herzen liegt.

Daneben ist es auch der Kampf für die Meinungsfreiheit, der Milei mit Trump und etwa mit X-Eigentümer Elon Musk vereint – auch eine Art Kampf gegen eine „Barbarei“ und die Despotie, die sie mit sich bringt. Aber wie um alles in der Welt konnte es passieren, dass ausgerechnet im „alten Europa“ neuerdings so viele für Zensur statt freier Rede sind? Diese Frage kann auch ein Freigeist wie Milei nicht beantworten, er kann den Gegenwind nur erleben, den er mit seiner erfrischenden Art gelegentlich in Spanien erzeugt hat.

Wird der Libertarismus gerade zur Mode?

Am 19. November letzten Jahres wurde Javier Milei mit großer Mehrheit zum argentinischen Präsidenten gewählt. In den Vorwahlen hatte er noch als Außenseiter neben Peronisten und Macristen gegolten, in der tatsächlichen Wahl dann als Favorit. Die Wahlbeteiligung erreichte dabei ein Maß, wie es seit dem Übergang des Landes zur Demokratie im Jahre 1983 noch nicht gesehen ward. Seine Popularität konnte Milei bis heute trotz seiner Politik der Einschnitte in den Staatshaushalt – oder genau deshalb – bewahren. Sie liegt je nach Umfrage um die 50 Prozent. Beobachter wie der Ökonom Philipp Bagus sprechen davon, dass der Libertarismus in Argentinien nun Mode geworden sei, so wie es einst das Linkssein war.

Mileis libertäres Programm trägt inzwischen erste Früchte. In diesem Oktober konnte Argentinien einen Handelsüberschuss von 888 Millionen Dollar verkünden, was sich besonders gut macht, wenn man es gegen das Handelsdefizit in Höhe von 442 Millionen Dollar vom letzten Jahr hält. Das ist zusammen ein Pendelausschlag von satten 1,3 Milliarden Dollar. Die argentinischen Exporte zogen um 30 Prozent an, vor allem durch landwirtschaftliche und Industrieprodukte. Doch sogar die Importe wuchsen um 4,9 Prozent, was sicher nicht auf eine krasse Verarmung der Bürger hindeutet.

Die US-Bank JP Morgan erwartet für Argentinien ein Wirtschaftswachstum um 8,5 Prozent des BIP im dritten Quartal 2024, was als eine der höchsten Wachstumsraten weltweit gilt. Die Belastung der Binnenwirtschaft durch Mileis Sparkurs scheint sich in engen Grenzen zu halten.

Milei: Mehrzahl der Indikatoren positiv

Schon im letzten Monat war Milei gegenüber der Financial Times überzeugt, dass vier Fünftel der Wirtschaftsindikatoren inzwischen positiv ausfallen. Dazu zählt auch das reale Wachstum bei den Löhnen. Sein Fazit war: „Wir legen den Grundstein für ein starkes Wachstum.“

Die Inflation sank im Oktober auf weniger als drei Prozent im Monat, wie auch die Quantitätspresse nicht umhin konnte zu bemerken. Das ist natürlich immer noch ein viel zu hoher Wert, aber auch kein Vergleich (oder ein sehr günstiger) mit dem Stand vor einem Jahr, als die monatliche Inflation noch bei 25,5 Prozent lag. Die Senkung unter die Drei-Prozent-Schwelle entspricht dem, was Milei bis zu diesem Jahresende versprochen und damit praktisch schon eingehalten hat.

Für das Ende des Jahres wird eine jährliche Inflation von noch 140 Prozent erwartet, was ein Batzen ist, aber doch nicht die mehr als 200 Prozent wie im letzten Jahr. Milei führt diese dreistelligen Inflationsraten auf die Ausgabenorgien seiner Vorgänger zurück.

Rosskur gegen die „Gnocchi“ vom Monatsende

Was den Erfolgsmeldungen vorausging, war nach allem, was man hören und sehen kann, eine wahre libertäre Rosskur für die argentinische Staatswirtschaft. Milei schaffte umgehend neun von 18 Ministerien ab und entließ zehntausende Staatsdiener. Laut der spanischen Tageszeitung El Païs wurde ein Zehntel der 342.000 Staatsdiener auf Bundesebene entlassen. Auf 5.000 Entlassungen in den ersten beiden Monaten ließ der Präsident bis zum Juni dieses Jahres 25.000 folgen und kündigte weitere 50.000 an. Doch selbst massive Entlassungswellen wie diese kratzen nur vorsichtig am wahren Ausmaß der argentinischen ‚Staatsdienerschaft‘.

Tatsächlich gehören immer noch viele Zehn- bis Hunderttausende von diesen ‚Staatsangestellten‘ in die Kategorie der sogenannten „Gnocchi“ – so nennt man in Argentinien die Schein-Beamten, die ihren Job als großzügige Rente von einem befreundeten Politiker erhalten haben. In Argentinien ist es gute Tradition, am 29. jedes Monats Gnocchi zu essen. Und so tauchen auch die menschlichen „Gnocchi“ nur einmal am Monatsende im Büro auf, um sich ihr Gehalt abzuholen.

Die Gesamtzahl der argentinischen Staatsangestellten geben Bloomberg und andere nämlich mit 3,5 Millionen an. Im Jahr 2020 waren laut MercoPress 55 Prozent der registrierten Angestellten auf unterschiedlichen Ebenen (föderal, provinziell, kommunal) beim Staat angestellt! Das waren damals 3,2 Millionen Argentinier. Das bedeutet, dass der Staat schon damals mehr Personen angestellt hatte und vor allem bezahlte als die gesamte Privatwirtschaft. Dass solch ein Modell nicht auf Dauer lebensfähig ist, muss man wohl nicht erläutern.

Einschnitte als Kampf gegen Korruption

Milei hat staatliche Ausgaben beschnitten wie kein anderer Friedenspräsident. Die Kritik an Milei bezieht sich denn auch vor allem auf seine Einschnitte in die Ausgaben für Infrastruktur (angeblich minus 74 Prozent laut El Païs), beim Bundeszuschuss zu den Provinzhaushalten (minus 68 Prozent) oder bei der Erziehung (minus 52 Prozent, alles nach derselben Quelle). Weniger stark waren laut der spanischen Zeitung die Einschnitte in das Gesundheitswesen (minus 28 Prozent). Bei all dem ist aber noch nicht klar, welche konkreten Ausgaben gestrichen wurden. War es die berühmte „Brücke ins Nichts“, die der lokalen Bauwirtschaft helfen soll oder ein Projekt von zentraler Bedeutung? Milei unterstützt natürlich die erste Möglichkeit. Für ihn sind die eingesparten Ausgaben Ausdruck seines Kampfes gegen Korruption.

Im März berichtete Milei, er habe zahlreiche öffentliche Aufträge eingefroren, Zuschüsse an Provinzregierungen gestrichen und 200.000 Sozialprogramme, die laut ihm korrupt waren, gestrichen. All das hat zu dem ausgeglichenen Staatshaushalt beigetragen. Seine zähnebleckende Ankündigung blieb auch zu diesem Zeitpunkt: „Es wird noch viel Kettensäge geben.“ Unter Milei konnte Argentinien innerhalb von Monaten einen Haushaltsüberschuss erzielen, den das Land seit 15 Jahren nicht hatte und bis heute behält.

In jedem Fall muss der argentinische Staat wie jeder andere auch zusehen, dass er seine Ausgaben mit Einnahmen oder Wirtschaftskraft (als Quasi-Hypothek) hinterlegt. Ebenso wichtig wie die Einschnitte in die Staatsausgaben könnte das Privatisierungsprogramm Mileis werden. Der staatliche Erdöl-, Erdgas- und Stromkonzern Energía Argentina soll ebenso wie die öffentliche Wasserversorgung privatisiert werden. Dasselbe soll Flughäfen, Autobahnen, der Eisenbahn, Kohlebergwerken und Kernkraftwerken widerfahren.

Anreize für Investoren vs. EU-Regulierungswesen: Wer gewinnt?

Durchwachsen ist noch die Bilanz in der Steuerpolitik, in der Präsident Milei aber auch von einem Parlament behindert wird, in dem er keine eigene Mehrheit hat. Die Vermögensteuer auf „bienes personales“ konnte daher nur gesenkt werden. Bei der Einkommensteuer gab es sogar Verluste für die Besteuerten, nachdem eine Vergünstigung der Vorgängerregierung gestrichen wurde. Einen Akzent setzt ein Anreizsystem für Großinvestitionen (Régimen de Incentivo para Grandes Inversiones, kurz RIGI), das Investoren eine Reduktion ihrer Steuerraten und andere Vorteile bietet.

Derweil hat Milei angekündigt, die Steuerbehörde AFIP abzuschaffen und durch eine „einfachere, effizientere, weniger kostspielige und weniger bürokratische“ Zollerhebungsbehörde (ARCA) zu ersetzen. Das Präsidialamt erklärte laut der Buenos Aires Times, die Auflösung der AFIP sei „unerlässlich, um die unnötige Bürokratie abzubauen, die die wirtschaftliche Freiheit der Argentinier behindert hat“.

Zugleich soll der Mitarbeiterstab so um ein Drittel (3100 Stellen) verkleinert werden – dieses Drittel hatte Mileis Amtsvorgänger Alberto Fernández in nur vier Jahren und laut der neuen Regierung „irregulär“ eingestellt. Die Löhne der verbleibenden Mitarbeiter wurden außerdem gesenkt. Diese Behördenumwandlung soll damit noch einmal 6,4 Milliarden argentinische Pesos (rund sechs Millionen Euro) einsparen.

Mileis Sprecher Manuel Adorni fügte hinzu: „Was ein Argentinier besitzt, gehört ihm und niemandem sonst. Keinem staatlichen Bürokraten sollte die Befugnis übertragen werden, einem Argentinier vorzuschreiben, was er mit seinem Eigentum zu tun hat.“ 2001 hatte der damalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo durch eine Maßnahme Bankabhebungen verhindert und so de facto die privaten Einlagen vieler Argentinier um bis zu 75 Prozent reduziert. Solche Zustände und Maßnahmen, die sich mit Staatsschuldenkrisen verbinden, sollen der Vergangenheit angehören.

Mit seinem Programm einer Dynamisierung des eigenen Wirtschaftsraums bildet Mileis Argentinien einen Gegensatz schlechthin zur heutigen EU, in der durch unzählige Regulierungen fast jede Wirtschaftsdynamik erstickt wird. Was immer die Bürokraten in Brüssel anfassen, kann ja – so scheint es – nur zu einer Regulierung werden, egal ob für Handytarife im Ausland, KI oder die Redefreiheit im Netz. Nichts Neues in Brüssel, könnte man sagen – dafür aber umso mehr in Buenos Aires und wohl bald in Washington.

— Istituto Liberale (@IstLiberale) November 22, 2024


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