Die Piraten von Guinea – das gefährlichste Seegebiet der Welt

Statt am Horn von Afrika gehen Piraten jetzt am Golf von Guinea auf Raubzüge. Die afrikanischen Staaten dort scheinen mit dem Problem überfordert.

IMAGO / ZUMA Wire
Schutzmaßnahmen auf einem Schiff vor der afrikanischen Küste

Jahrelang haben am Horn von Afrika Piraten Öl- und Gastanker, Containerschiffe oder Jachten gekapert, geplündert, gekidnappt, um Lösegeld zu erpressen. Seit 2008 starteten die Seeräuber hier fast täglich Attacken, brachten mehr als hundert Schiffe und Seeleute in ihre Gewalt. Seit internationale Marineverbände (auch aus Indien, China und Iran) unter Führung von EU, Nato und den USA, an denen auch Bundeswehr-Fregatten beteiligt waren, die Frachter verteidigten, gingen die Attacken in dieser Region zurück. Nachdem 2015 kein einziger somalischer Piratenangriff mehr dokumentiert worden war, schien das Problem gelöst. Die Nato beendete ihre Mission per Ende 2016, die EU reduzierte ihre militärische Präsenz auf ein Minimum, verschiedene Reedereien lockerten ihre Sicherheitsvorkehrungen. Laut einer Weltbankstudie zahlten internationale Schifffahrtsgesellschaften allein 2011 über 150 Millionen Dollar an Lösegeld; der gesamtwirtschaftliche Schaden wurde auf mehrere Milliarden beziffert. Vor Somalia gab es seit 2019 keinen erfolgreichen Angriff mehr.

Das Jagdgebiet der Piraten hat sich von den Gewässern am Horn von Afrika zum Golf von Guinea verlagert. Vor der Westküste des Kontinents, wo die Kriminellen bislang wenig Gegenwehr zu befürchten haben, hat die Freibeuterei erheblich zugenommen. Die Küste zwischen Kap Verde und Kongo-Brazzaville hat sich in den letzten Jahren zum globalen Brennpunkt der Piraterie entwickelt. 90 Prozent der Überfälle konzentriert sich auf diese Region. Die Küstenwachen in Westafrika sind schlecht ausgerüstet. Außer im Golf von Guinea gibt es auch in Indonesien und in der Straße von Singapur Angriffe. Aber der Golf von Guinea ist für Seeleute derzeit die weitaus gefährlichste Region. Die indische Regierung hat indische Seeleute aufgefordert, nicht mehr auf Schiffen zu arbeiten, die im Golf von Guinea verkehren.

Bereits im Juni 2013 beschlossen die Staatschefs der west­afrikanischen Staaten, gemeinsam und koordiniert über 25 Länder und mehrere Regionen hinweg die maritime Sicherheit im Golf von Guinea zu verbessern. Der mittlerweile über sieben Jahre andauernde, nach dem Tagungsort benannte Yaoundé-Prozess hat die Unsicherheit im Golf von Guinea indes nicht erkennbar verringern können.

Gemeinsam ist den Raubüberfällen und den Entführungen die Gewalt, mit der die Piraten vorgehen. Oft erfolgen die Angriffe mit Speedbooten. Von ihnen aus entern die mit Maschinengewehren bewaffneten Piraten die Schiffe und zerstören hernach als Erstes das Kommunikations- und Navigationsequipment der Besatzung.

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Das Problem ist in Nigeria besonders ausgeprägt. Die Ausrüstung der nigerianischen Marine ist alt und angesichts der 850 Kilometer langen Küste unzureichend. In vielen Nachbarstaaten sieht das ähnlich aus. Gemäß einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik vom März 2019 (Wolf Kinzel, Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess?) besitzen die kleineren Länder entlang der Küste – beispielsweise Togo und Benin – jeweils nur einige wenige Patrouillenboote. Diese können gegen die gut ausgerüsteten Piraten kaum etwas ausrichten.

Die Entführungen fanden 2020 im Durchschnitt mehr als 60 Seemeilen von der Küste entfernt statt. Die unterschiedlichsten Arten von Schiffen wurden angegriffen, und bei jedem vierten Angriff wurden Crewmitglieder entführt. Das Internationale Schifffahrtsbüro IMB rät inzwischen dazu, zur Küste einen Abstand von 250 Seemeilen einzuhalten, etwa 460 Kilometer. Es kommt aber zu Überfällen, sobald ein Frachter die internationalen Gewässer verlässt und sich den Hoheitsgewässern souveräner Staaten nähert, dann sind auch bewaffnete Sicherheitsteams nicht mehr erlaubt.

Wolf Kinzel, Fregattenkapitän und Autor der Studie, schreibt: „Die Ursachen von Piraterie liegen an Land, dem­zufolge kann das Problem nicht allein auf See gelöst werden. Die ausschließliche Konzentration auf das Seegebiet ist sozusagen der ‚Geburtsfehler‘ des Yaoundé-Prozesses. Eine übergreifende Strategie zur Bekämpfung von Piraterie, die die Verbesserung von Staat­lichkeit, gute Regierungsführung, politische Teilhabe der Bevölkerung etc. mit einbezieht, hätte diese afri­kanische Initiative allerdings überfordert; sie ist auch so an ihrer Belastungsgrenze. Perspektivisch müssen diese Aspekte aber berücksichtigt werden, um die Ursachen von Piraterie wirksam anzugehen.

Der Schwerpunkt maritimer Unsicherheit im Golf von Guinea liegt in Nigeria und den vorgelagerten Seegebieten. Maßnahmen zur Piraterie-Bekämpfung außerhalb dieses Gebiets versprechen vielleicht eine leichtere Umsetzbarkeit, das Kernproblem selbst lässt sich nur zusammen mit dem zugegebenermaßen schwierigen Partner Nigeria bewältigen.

Die Angreifer sind meist gut bewaffnet und gewalt­bereit. Die Angriffe – die Fälle von ‚Seeräuberei‘ und von ‚bewaffnetem Raubüberfall auf See‘ einschließen – ereignen sich zumeist vor Nigeria in dem See­gebiet, das dem Niger­delta und Port Harcourt vor­gelagert ist, mit bis zu 300 km Abstand zur Küste.“ Und weiter: „Perspektivlosigkeit, fehlende Konsequenzen durch mangelhafte Strafverfolgung, Korruption und damit durchaus nachvollziehbares fehlendes Vertrauen in staatliche Akteure bilden beste Bedingungen für Piraterie.“

Der Direktor des Internationalen Schifffahrtsbüros IMB, Michael Howlett, veröffentlichte im Januar 2021 Zahlen für das vergangene Jahr. Demnach sind die Priatenüberfälle rund um den Globus um 20 Prozent auf 195 gestiegen. Vor der Küste Westafrikas kidnappten Piraten im vergangenen Jahr 130 Seeleute.

Der Youtube-Kanal „Sailors TV“ ist auf Informationen für Seeleute spezialisiert. Dort wurde im Januar 2021 über einen weiteren Piratenangriff auf das türkische Containerschiff „Mozart“ im Golf von Guinea berichtet. Die Angreifer töteten einen Seemann und verschleppten 15 weitere als Geiseln.

Immerhin will jetzt Nigeria mit seiner Marine gemeinsame Patrouillen mit seinen frankophonen Nachbarn Benin und Togo starten.

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In Zentralafrika wollen Kamerun, Äquatorialguinea und der Kongo künftig zusammenarbeiten. Die regionalen Zentren gegen die Piraterie erhalten bilaterale Hilfe von Frankreich, den USA, Spanien und Dänemark. Die US Navy und die französische Marine führen regelmäßig Übungen mit den Sicherheitskräften der 19 Länder in der Region durch.

Dennoch – berichtet das Magazin „Jeune Afrique“ in seiner März 2021-Ausgabe – haben seit der Vereinbarung dieser afrikanischen und internationalen Zusammenarbeit die Piratenangriffe kaum abgenommen. Schlimmer noch: Seit 2018 verschlechtere sich die Situation.

Armut, politische Instabilität, fehlende Strafverfolgung und das Nigerdelta, das ein sicherer Zufluchtsort ist, haben dazu geführt, dass die Piratenangriffe zugenommen haben.

Die afrikanischen Staaten brauchen sichere See- und Handelswege sowie regionale Sicherheit. Sie dürfen sich nicht nur deklaratorisch dafür einsetzen.


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Neuauflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Kommentare ( 42 )

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LRH
3 Jahre her

Es gibt Sicherheitskabinen wo die Besatzung im Konfliktfall sich einschließen kann. Die Piraten haben aufgerüstet und öffnen mit Sprengstoff. Meist sind Seeleute aus asiatischen Ländern betroffen. Unsere Politiker ducken sich weg weil die Schiffe ausgeflaggt sind.

Fsc
3 Jahre her

Die Piraterie feiert im 21.Jahrhundert fröhliche Urständ‘ und Deutschland gewährt diesen brutalen Verbrechern ASYL!!!
Wie krank ist das denn?

https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Urteil-Pirat-aus-Somalia-darf-in-Deutschland-Asyl-beantragen

Lesterkwelle
3 Jahre her

Kein Problem für Deutschland. die Marine stellt über Jahre teure Schiffskontigente für die Piratenbekämpfung ab. Werden Täter gefasst und in Deutschland vor Gericht gebracht, geschieht mitunter folgendes: HAZ 2018 „Er überfiel ein Tankschiff und folterte Besatzungsmitglieder. Dennoch darf ein Pirat aus Somalia in Deutschland einen Asylantrag stellen. Das hat nun das Verwaltungsgericht Hannover entschieden.“ Und wenn er nicht gestorben ist, erfreut er sich heute eines angehnemen Daseins im Land, in der er gut und gerne lebt.

Hans Wurst
3 Jahre her

Werter Herr Seitz,
der Begriff „Freibeuter“ kann hier keine Anwendung finden.
Freibeuter sind Kaperfahrer mit hoheitlichem Auftrag. Sie stören den gegnerischen Handel und versorgen sich aus den Prisen selbst. Dies tun sie strikt nach den Regeln des Seekriegsrechtes. Auch der Umgang mit Gefangenen unterliegt bei Freibeutern strengen Regeln. Kombattanden werden wie Kriegsgefangene behandelt, Zivilisten quasi wie Schiffbrüchige. Die Freibeuterei ist daher mit der Piraterie, die ja berechtigterweise auch Seeräuberei genannt wird, nicht zu vergleichen und sollte mit ihr auch nicht in einem Atemzug genannt werden.

MeHere
3 Jahre her

Afrika muss sich selbst helfen lernen – ua damit der böse, alte weiße Mann nicht wieder schuld ist.
Jedem sein Land – WirtschaftsMigration aus Afrika und anderen Ländern unterbinden und den Asylbetrug stoppen, bevor es auch hier zum Geschäftsmodell wird …

Lesterkwelle
3 Jahre her
Antworten an  MeHere

Es ist bereits ein florierendes Geschäftsmodell.

Iso
3 Jahre her

“Der Schwarze ist träge und faul – und gibt sei Geld für Frivolitäten aus. Während der Europäer nach vorne schaut und intelligent ist”.
Che Guevara

Ob dieses Zitat auch noch in 50 Jahren seine Berechtigung hat, und wir uns nicht den Platz mit den verrückten Amerikanern teil, weit abgeschlagen hinter China, Russland und Indien?

LRH
3 Jahre her

Dänemark hat eine Fregatte zur Piratenbekämpfung entsand ,wir könnten mit der Gorch Fock glänzen !

Schwabenwilli
3 Jahre her

Ich dachte immer es seien die asiatischen insbesondere die chinesischen Fischer welches sich da herumtreiben. Man muss es doch einmal ganz klar sagen Schuld an der Armut in Afrika ist doch nicht( nur) Europa oder China oder die USA oder sonst jemand, sondern es sind die afrikanischen Regierungen welche mit westlichen und östlichen Konzernen korrupte Deals abschließen und sich einen Dreck um die einheimische Bevölkerung kümmern. Warum hat es denn in den Öl Reichen Golfstaaten ganz ordentlich hingehauen dass die Bevölkerung insgesamt ein sehr schönes Leben führen kann? Man hat eben den Reichtum durch die Öleinnahmen und später sonstige Beteiligungen… Mehr

Whound75
3 Jahre her

Man kann davon ausgehen, dass Russland, China, USA, GB und vielleicht Frankreich dem Spuk ein Ende bereiten werden, während Deutschland von der Seitenlinie moralische Bewertungen abgibt und darauf drängt, den Piraten nach Verbüssung der Haftstrafen mitsamt Familien ein Bleiberecht zu geben. Eine Rückkehr geht nicht, die Heimatländer sind unsicher. Schließlich leben dort Piraten.

Manfred_Hbg
3 Jahre her

Nun ja, ich kenne mich in diesen Gebieten natürlich nicht mit den geographischen Gegebenheiten aus. Dennoch mal angedacht die Frage gestellt: Warum weigern sich die Reedereien nicht bestimmte afrikan. Staaten anzulaufen?? Wenn diese afrikan. Staaten nicht mehr mit Waren beliefert werden und auch keine Waren mehr ausführen können, sollte deren Regierungen doch in Bewegung kommen.

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Manfred_Hbg

Piraterie ist „Geschäftsrisiko“ und in den Preisen. Nur wenn es überhand nimmt wird es brenzlig.