Die 250 abgebrannten Kirchen von Manipur

In Manipur musste vor zwei Monaten das Militär wegen eines ethnisch-religiösen Konfliktes mit über 100 Toten eingreifen. Beruhigt hat sich die Lage nicht. Angriffsziel ist die christliche Minderheit.

IMAGO / ABACAPRESS

Seit rund zwei Monaten erschüttert eine Welle der Gewalt den nordöstlichen Bundesstaat Manipur. Vordergründig geht es um einen Konflikt zwischen der Mehrheitsbevölkerung der Meitei und den beiden Minderheitsvölker der Kuki und Naga. Während die Meitei im Imphal Tal leben, siedeln die Kuki und Naga in den Hügeln. Die Regionalregierung wird von den hinduistischen Meitei dominiert, die für ihre Volksgruppe den Status eines „Scheduled Tribe“ einführen wollen, der die anderen Gemeinschaften im Bundesstaat benachteiligen würde. Den Meitei ist es wiederum verboten, in den Hügeln der lokalen Stämme zu siedeln.

Am 3. Mai hatten insbesondere die Kuki deshalb gegen die Regionalregierung protestiert. Die Demonstration eskalierte und führte zu einem Gewaltausbruch – wobei die Ursache bis heute unklar ist. Ein Internet-Blackout schnitt die Gegend vom Rest der Nachrichtenwelt ab. In dieser Zeit plünderten und verwüsteten vornehmlich Mitglieder der Meitei-Ethnie die Häuser, Geschäfte und Kirchen der Kuki. De facto verlor die Regierung die Kontrolle. Die Indische Armee musste mit 10.000 Soldaten eingreifen, um die Ordnung wiederherzustellen. Den Truppen wurden „shoot on sight“-Befehle gegeben in Extremsituationen.

Die Auswirkungen blieben für die Welt wochenlang verborgen. Innerhalb von 36 Stunden sollen bei den Exzessen rund 250 Kirchen zerstört worden sein. Das erklärte der syro-malabarische Erzbischof von Imphal, Dominic Lumon, am 15. Juni. Mehr als 100 Menschen seien getötet worden, rund 50.000 auf der Flucht. „Die Gewalt und die Brände“, schrieb Lumon in einem elfseitigen Dokument, „gehen unvermindert weiter, insbesondere in den Vororten der Region.“ Kostbare Leben gingen verloren, Häuser und Dörfer wurden niedergebrannt oder zerstört, Eigentum wurde verwüstet und geplündert, Kultstätten entweiht.

Lumon kritisierte den indischen Premierminister Narendra Modi. Er schwiege zu den Zuständen. „In den vergangenen anderthalb Monaten“, prangert er an, „waren die gewählte Landesregierung und die Zentralverwaltung in Neu-Delhi nicht in der Lage, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und der wahnsinnigen Gewalt ein Ende zu setzen.“ Der „Zusammenbruch der Staatsmaschinerie“ stehe auf lokaler Ebene bevor.

Die syro-malabarische Kirche in Indien ist eine mit der römisch-katholischen Kirche unierte Ostkirche. Oberhaupt ist also Papst Franziskus. Sie umfasst rund 4,5 Millionen Gläubige und führt sich auf den Apostel Thomas zurück. Der Legende nach soll er um 60 nach Christus den Märtyrertod in Madras gestorben sein. Etwa seit dem 4. Jahrhundert sind christliche Gemeinden in Indien historisch fassbar – das Christentum ist damit in Indien deutlich älter als der Islam, der heute nach dem Hinduismus die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bildet. Die Kuki als Volksgemeinschaft sind dagegen unter Einfluss der baptistischen Mission im frühen 20. Jahrhundert zum Christentum konvertiert. Ähnliches gilt für die Naga.

Bisher hat man versucht, den Konflikt auf ethnische Motive zurückzuführen, namentlich die Auseinandersetzung zwischen hinduistischen Meitei und christlichen Kuki. Allerdings wurden auch christliche Meitei Ziel von Angriffen, was die Vermutung bestärkt, dass es sich eher um anti-christliche, denn ethnische Probleme handelt. Sean Nelson, Rechtsberater für globale Religionsfreiheit bei ADF International, erklärte dazu: „In vielen Fällen hat der Mob eine Kirche oder ein Haus niedergebrannt, das einem Meitei-Christen gehörte, hat aber die Tür seines Nachbarn nicht beschädigt, wenn dieser kein Christ war. Christen werden von den Meitei mit der Begründung angefeindet, sie seien Christen.“

Im Zuge der Reise Modis zu US-Präsident Joe Biden führte Nelson aus: „„Was wir in Indien sehen, ist eine Krise der Religionsfreiheit“, sagte Sean Nelson, Rechtsberater für globale Religionsfreiheit bei ADF International. „Christen und andere religiöse Minderheiten werden in Indien systematisch von radikalen hindu-nationalistischen Mobs angegriffen, die ungestraft weit verbreitete Gewalt und Schikanen ausüben. Präsident Biden und andere führende Persönlichkeiten der Welt sollten deutlich über die sich verschlechternden Bedingungen der Religionsfreiheit in Indien sprechen und die indische Regierung ermutigen, daran zu arbeiten, diesen Trend umzukehren.“

Einen Monat nach den Attacken hat zumindest die Europäische Union reagiert. In einer Resolution, die von einer breiten Mehrheit des EU-Parlaments getragen wird, fordert die EU Indien dazu auf, „gegen die Straflosigkeit vorzugehen, die Mobs, die Gewalt ausüben, genießen, und im Einklang mit ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen zu reagieren, um die Gewalt einzudämmen“. Miriam Lexmann (EVP) sagte: „Während indische Beamte oft gerne damit prahlen, dass das Land die größte Demokratie der Welt ist, zeichnen Intoleranz und Gewalt gegen religiöse Minderheiten ein anderes Bild. Diese Angriffe gegen Christen sind keine Einzelfälle.“ Ladislav Ilčić (ECR) betonte: „Unsere Botschaft muss klar sein: Wir werden der Gewalt nicht den Rücken kehren, und wir werden verfolgten Christen nicht den Rücken kehren.“

Wie sehr sich Neu-Delhi von der Resolution beeindrucken lässt, bleibt dabei offen. Denn die hindu-nationalistische Regierung hat schon in der Vergangenheit toleriert, dass Andersgläubige von aufgehetzten Mengen verletzt, getötet oder zur Absage an den Glauben gezwungen wurden; das gilt insbesondere auch für indische Muslime. Menschenrechtsorganisationen kritisierten, dass die von der indischen Regierung erlassenen Gesetze die Religionsfreiheit auf dem Subkontinent immer weiter beschneiden würde. Der Austausch mit Mitarbeitern vor Ort legten nahe, dass die Zahl der Toten, Verletzten und zerstörten Gotteshäuser mindestens doppelt so hoch anzusetzen sei, weil die Regierung das wahre Ausmaß zu vertuschen suche.

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Kommentare ( 26 )

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1 v.144000
1 Jahr her

Grüß Gott, um zu verstehen was hier geschieht lese man die Worte Gottes: Matthäus 24:1-3 Die Endzeitrede Jesu auf dem Ölberg Kapitel 24 – 25 Die Frage der Jünger nach der Wiederkunft des Christus → Mk 13,1-4; Lk 21,5-7 “1 Und Jesus trat hinaus und ging vom Tempel hinweg. Und seine Jünger kamen herzu, um ihm die Gebäude des Tempels zu zeigen. 2 Jesus aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht dies alles? Wahrlich, ich sage euch: Hier wird kein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht abgebrochen wird! 3 Als er aber auf dem Ölberg saß, traten die Jünger… Mehr

Delegro
1 Jahr her

Und was machen unsere Kirchen (katholische/evangelische)? Nicht`s. Interessiert die nicht die Bohne. Dafür wird der Islam in Deutschland hofiert und man betätigt sich als Schlepper. Finanziert durch Kirchensteuern. Und dann wundert man sich über massive Austritte aus der Kirche? Braucht kein Mensch mehr. Kann weg!

Mausi
1 Jahr her

Man kann den Konflikt m. E. zurückführen, auf was man will. Aber als Christ haben die Kirchen, die ja so ökumenisch und auf den Menschen ausgerichtet sind, in ersten Linie ihren Glaubensbrüdern bzw. ihrer Glaubensverwandtschaft. Damit hätten sie weltweit gesehen eigentlich genug zu tun. Mal abgesehen von der seelsorgerischen Aufgabe gegenüber ihren eigenen Mitgliedern. Aber in woken Organisationen nimmt man es nicht so genau mit den Aufgaben, die einem wirklich obliegen. Man wird übergriffig und vernachlässigt seine eigentlichen Pflichten. Dass Regierungen in fernen Ländern mehr „Respekt“ vor dem Islam haben, liegt wohl an den lebhafteren Erfahrungen mit dem Islam. Die… Mehr

the NSA
1 Jahr her

„In Manipur, there are at least four valley-based armed groups, several Naga groups and nearly 30 Kuki armed insurgent organizations. The proliferation of armed groups — at one point estimated to stand at around 60 — contributed to the sense of a “war within a war” in the state.“ Leider irrt sich Marco Gallina sehr. Seine Quelle ist vorallem ADF International, eine neo-con evangelikale Lobbyorganisation. „ADF is one of the most organized and influential Christian legal interest groups in the United States[15] based on its budget, caseload, network of allied attorneys, and connections to significant members of the political right.“… Mehr

rainer erich
1 Jahr her

Wir haben gelernt : Alles Einzelfälle und mit der Religion hat das nichts zu tun. Die armen Hindus leiden vermutlich wie die Muslime bei uns unter dem Mobbing durch die Christen. Und nun wehren sie sich halt. Beim Narrativ sollte man hier etwas nacharbeiten. So kann das nie etwas werden. Immerhin haben, wie man sieht, alle Laender bis auf Sch’land eine funktionierende Zivilgesellschaft und viele sind dabei, die Christen als die Wurzel des Uebels zu erkennen. Haben sich „unsere Kirchen“ bereits zur Not ihrer Glaeubigen in Indien geaeussert, oder der linke Befreiungstheologe in Rom?

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

So viel zum Thema „Wir müssen statt mit dem autoritären China lieber mit dem demokratischen Indien kooperieren…“

Grumpler
1 Jahr her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Zumal wir mehr mit dem feindlichen Bruder Indiens und China-Kooperator, dem islamistischen und Terrorismus unterstützenden Pakistan kooperieren, wie anläßlich des Besuchs von Frau Baerbock in Pakistan einige indische Beobachter und Kommentatoren bemerkten.
Was lernen wir daraus? 😀

Axel Fachtan
1 Jahr her

Wenn ich meinen hundersten Geburtstag erleben sollte,
dann möchte ich ihn auf dem Marktplatz in Riad feiern.
Ich möchte dort Bibeln in arabischer Sprache verteilen
und Kreuze, um die Menschen zu schützen.

Bis dahin bete ich um Beistand für die bedrängten Christen dieser Welt.

Timur Andre
1 Jahr her

Faschisten, egal welcher Religion, sind eine Gefahr für jede Demokratie.

Talleyrand
1 Jahr her

Seit vielen Jahrzehnten persönlich mit der Situation christlicher Minderheiten in Indien vertraut, kann ich nur bestätigen, was da vorgeht. Allerdings hat die Christenfeindlichkeit in den letzten beiden Jahrzehnten extrem zugenommen. Gerade in Manipur war und ist christliche Mission mit dem Risiko verbunden, das Leben zu verlieren, weil fanatisierte, gut organisierte hinduistische Schlägertrupps in die Gottesdienste eindringen und wahllos auf die Teilnehmer einprügeln. Oft mußten Prediger unter Polizeischutz weggebracht werden, falls die Polizei nicht, offensichtlich bestochen, mit den Angreifern gemeinsame Sache machte. Auch aus anderen Staaten, z.B. Gujarat im Westen, kenne ich ähnliche Vorgänge. Im Übrigen können auch Moslems von solchen… Mehr

the NSA
1 Jahr her
Antworten an  Talleyrand

Alle jmd, der seit 50 Jahren regelmaessig nach Indien geht,und Indien bestestens kennt, muss ich jedem Ihrer Saetze widersprechen.
„Modi ist ein fanatischer Hindu“,,,,“Moslems von solchen Bedrohungen berichten.“
Einfach nur Quatsch.
Bringen Sie Belege

alter weisser Mann
1 Jahr her

Und wir erzählen was von unserem Partner, der größten Demokratie der Welt und stecken da ordentlich Geld ohne Gegenleistungen rein.
Manche Leute haben halt von nichts eine Ahnung, davon aber geradezu unendlich viel.