Auch mit Geld lässt sich Spaniens Nachbar nur bedingt ruhig stellen. Auf die Exklaven Ceuta und Melilla konzentriert sich das ewige Machtspiel mit der EU.
Früher setzten die Spanier massenweise von Málaga, Algeciras oder Cádiz mit der Autofähre rüber nach Marokko und kauften in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu Traumpreisen Zigaretten, Sprit, Alkohol und Kleider ein. Die Küstenstädte, die zusammen noch nicht mal auf 200.000 Einwohner kommen, sind Freihandelszonen. Sie liegen direkt gegenüber von Andalusien und sind seit dem Jahr 1497 in spanischem Besitz. Daran hat auch die Unabhängigkeit Marokkos von den Kolonialmächten Frankreich und Spanien 1956 nichts geändert. Inzwischen sind die Preisunterschiede zum Festland nicht mehr sehr groß. Die wirtschaftliche Kluft zwischen Marokko und Spanien dagegen ist größer geworden.
Das Interesse Spaniens an seinen „Kolonien“ dagegen kleiner. Dennoch steht die Aufgabe der Exklaven nicht zur Diskussion, obwohl beide Städte de facto Schlupflöcher für Schmuggel und illegale Immigration sind. Zwar hatte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska der seit einem Jahr sozialdemokratischen Minderheitenregierung versprochen, die Grenzen besser abzusichern, „aber bisher ist nicht viel passiert“, kritisiert Guillermo Martínez von der konservativen PP. Die Volkspartei hat in Ceuta und Melilla seit fast 20 Jahren das Sagen. Gemäβ der Stadtregierung von Ceuta werden dort täglich 300.000 Grenzübergänge regiert. Mehr als dreimal so viel wie die Zahl der Einwohner. 27.075 Waren werden dabei jeden Tag aus der Stadt ausgeführt. 80% der Produkte werden geschmuggelt. In Melilla ist es ähnlich. Dadurch gehen den Städten Zolleinnahmen verloren. Immer mehr Geschäfte müssen schließen. “Marokko will Melilla ersticken”, sagt Enrique Alcoba, Chef der Unternehmer-Lobby “Asociación de Comerciantes de Melilla”.
Marokkos gespaltenes Verhältnis zum Terrorismus
Nach den Attentaten 2004 in Madrid und 2017 in Barcelona, wurde in Europa immer mehr die Frage gestellt, welche Rolle Marokko beim Kampf gegen die Jihadisten spielt und damit die auch die beiden spanischen Küstenstädte im Norden des Landes. Kameras und zusätzliche Grenzkontrollen sollten helfen, die seit Jahren nicht zu kontrollierenden Fluchtversuche von Immigranten nach Europa zu verhindern. Aber gerade haben es wieder Hunderte geschafft, die sechs Meter hohen Hindernisse zu überwinden. Die EU hatte sich 2018 bereit erklärt, Marokko weitere 140 Mio. Euro zu zahlen, damit das Land besser abgesichert wird an seinen Aussengrenzen, bisher sind aber erst 40 Mio. Euro davon ankommen und ohne Geld rühren sich die Marokkaner nicht, wie der politische Sicherheitsexperte Fernando Cocho kritisiert: „Spanien wird von Marokko erpresst“.
Als Gegenreaktion kultivieren die Exklaven ein militärisches Ambiente. Allein in Ceuta leben 3.600 Soldaten, davon 600 Legionäre. Sie nervt das Spiel der Marokkaner auf der anderen Seite. Wenn die Grenzposten in Marokko sich gerade mal ausruhen, kommt es nicht selten zu organisierten Fluchtversuchen, wobei es immer wieder Verletzte gibt auf beiden Seiten. Cocho glaubt, dass dies von Marokko gesteuert wird: „Es ist ein ewiges Machtstpiel, die illegale Einwanderung und der Canabis-Handel sind wichtige Instrumente, um immer noch mehr Geld von der EU zu fordern“. Dieses Machtspiel bekommt der normale Bürger kaum zu spüren. Wer als europäischer Tourist jedoch nach Melilla mit der Fähre reinfährt, dem fällt am Hafen die Statue des Diktators Franco auf, die letzte, die es auf öffentlichem spanischem Boden noch gibt.
Ausser Spesen nichts gewesen
Es zeigt, wie hier die Zeit stehen geblieben ist, nicht nur politisch. „Melilla ist dabei zu sterben. Viele Geschäfte machen zu. Die Jugend geht uns flöten“, beschwert sich José Palazón, Chef der Hilfsorganisation „Asociación Pro Derechos de la Infancia“. Die wachsende Arbeitslosigkeit macht die Lage noch komplizierter. Es ist eine eingefahrene Situation und die Exklaven fühlen sich von der Zentralregierung alleine gelassen. Auch deswegen wird hier bei den Kommunalwahlen, die mit den EU-Wahlen zusammenfallen, ein Rechtsruck erwartet. Die erstarkende rechte Vox will, dass die Marokkaner nicht nur einen besseren Zaun, sondern direkt eine Mauer bauen um die spanischen Exklaven – am liebsten auf eigene Kosten.
Auf Ceuta und Melilla verzichten, nein, aber Gibraltar zurückfordern, ja
Der Konflikt beider Länder in 2002 zeigte, wie unberechenbar die Beziehung Spaniens zum marokkanischem Königreich ist. Schon Franco pflegte eine Hass-Liebe zu dem Land, die inzwischen zu einer bedeutenden wirtschaftlichen Verbindung herangewachsenen ist – allerdings mit vielen ungelösten Problemen. Ceuta und Melilla sind zu Einfallstoren nach Europa geworden. Das hat dazu geführt, dass Marokko gerade mal auf 100.000 registrierte Immigranten kommt, während Spanien fast 6 Millonen führt (siehe Grafik). Die Kosten der Konflikte sind hoch, glaubt Haizam Amirah Fernández, politischer Analyst vom spanischen Think Tank Real Instituto Elcano. Denn zu Spanien gehören ebenfalls einige kleine Inseln vor Marokko, “die 2002 fast einen Krieg auslösten“, erinnert er sich. Damals kam es zur ersten diplomatischen Krise mit König Mohamed VI, der 1999 den Thron bestieg.
Als die marokkanischen Streitkräfte einer dieser Inseln 2002 ohne Vorwarnung besetzen, schaukelte sich der Konflikt hoch. Auch die Fischfangquoten, die von der EU mit Geld gekauft werden, sorgen für Ärger. Marokko wollte 2002 plötzlich nicht nur Ceuta und Melilla zurück, sondern das gleiche Geld von der EU für viel weniger zugelassene Boote. Diese Konflikte haben sich inzwischen gelegt. „Was bleibt ist der Ärger um die Westsahara. Die Spanier glauben, dass diese ein Recht auf Selbstbestimmung hat. Die Marokkaner halten das Gebiet jedoch für ihres“, sagt Amirah Fernández. Was die Nordafrikaner ärgert: „Die Spanier sind im stetigen Streit mit den Briten um Gibraltar, halten aber an Ceuta und Melilla fest“, sagt Ida Hassan. Die offizielle spanische Haltung dazu: „Es ist nicht vergleichbar. Ceuta und Melilla waren nie marrokanisch. Es sind keine Kolonien“, heiβt es aus Regierungskreisen. Auch Amirah Fernández glaubt, dass an dem Status von Ceuta und Melilla mittelfristig nicht gerüttelt wird: „Sie sind tatsächlich gemäß der UN-Richtlinien keine Kolonien und es gibt deswegen auch keinen internationalen Druck“.
Bilder: Nacho Rivas Navarro
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So eine Mauer wird immer sympathischer. Seltsam, dass Spanien eine Zusage von 140 mio Euro hat, weil es seine Landgrenze mit einem Zaun gegen dieselben Flüchtlinge absichert, die Ungarn auch mit einem Zaun aber ohne EU Zuschuss Mitteleuropa vom Leib hält.
Wenn die Spanier es zulassen, werden die Marokkaner immer frecher. Das ist der Nachteil der Toleranz.
Toleranz ist im Islam nicht vorgesehen.